Protocol of the Session on October 13, 2006

Ich erteile den Fraktionen CDU und SPD das Wort. Herr Abg. Colditz.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Schwerpunkt der gymnasialen Ausbildung ist es, Schüler mit entsprechenden Begabungen und Bildungsabsichten eine vertiefte Allgemeinbildung, die für ein Hochschulstudium vorausgesetzt wird, zu vermitteln. Dabei sollen auch Voraussetzungen für eine berufliche Ausbildung außerhalb der Hochschulen geschaffen werden.“

So definiert es das Schulgesetz, meine Damen und Herren, so wurden die Aufgaben der sächsischen Gymnasien darin definiert.

Aus dem Bildungs- und Erziehungsauftrag des Gymnasiums leitet sich zudem ab, dass der achtjährige Bildungs

gang zur allgemeinen Hochschulreife und zu der damit verbundenen Studierfähigkeit führen soll. Mithin ist damit also das Gymnasium zwar wissenschaftspropädeutisch ausgelegt und angelegt, aber eben trotzdem keine Voruniversität. Nun greift der vorliegende Antrag die in den letzten Wochen und Monaten geführte Diskussion zur notwendigen Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe auf. Die Notwendigkeit dieser Weiterentwicklung ergibt sich aus verschiedenen äußeren Rahmenbedingungen ebenso wie aus neuen inhaltlichen Erfordernissen an die gymnasiale Ausbildung.

Dem vom Ministerium im Frühjahr vorgelegten Strukturentwurf war eine intensiv und engagiert geführte Diskussion, insbesondere durch den Philologenverband Sachsen, vorausgegangen. Diese Initiative sowie die breite Teilnahme von Lehrerinnen und Lehrern, Eltern und Schülern, Hochschulen und Wirtschaftsvertretern hat das breite Interesse an diesem Anliegen dokumentiert und im Ergebnis auch auf politischer Ebene zu einer zukunfts

weisenden, bedarfsgerechten und konsensfähigen Lösung geführt. Ich werde darauf im Detail und bezogen auf den vorliegenden Antrag noch einmal zurückkommen.

Zunächst aber noch einmal zu den konkreten neuen Gestaltungserfordernissen. Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe heißt nicht völliges Infragestellen der bisherigen Ausgestaltung. Meine Damen und Herren, wir können im Gegenteil davon ausgehen, dass sowohl durch die breite Öffentlichkeit als auch durch die Expertenanhörung im Landtag deutlich wurde, dass sich unsere gymnasiale Ausbildung auf einem guten Niveau entwickelt hat. Wir können also von diesem Niveau ausgehen und darauf bei der inhaltlichen Weiterentwicklung aufbauen.

Wir haben jedoch auch veränderten Erfordernissen und Rahmenbedingungen zu entsprechen. Ich will einige punktuell benennen:

Erstens. Der Rückgang von Schülerzahlen aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge und das damit verbundene Problem der Organisation der Oberstufe nach dem bisherigen Kurssystem, insbesondere dann, wenn die Auswahl von Kursen in der bisherigen Breite nicht mehr angenommen werden kann.

Zweitens. Die Notwendigkeit, Allgemeinwissen möglichst umfassend zu vermitteln. Dem stand bislang das Prinzip des geringsten Aufwands beim Wahlverhalten der Schüler entgegen.

Drittens. Dem Mangel an Allgemeinbildung und wissenschaftlicher Breite durch die Einschränkung der naturwissenschaftlichen Bildung auf nur ein Fach musste insbesondere aufgrund des Bedarfs im Bereich der ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge entgegengewirkt werden.

Meine Damen und Herren! Unser vorliegender Antrag beschreibt Rahmenvorgaben, die sich aus diesen eben benannten Gestaltungserfordernissen ergeben. Wir haben es jedoch nicht bei dieser parlamentarischen Initiative belassen, sondern uns auch innerhalb der Koalition und in Anlehnung an das vom Kultusministerium vorgelegte Modell zu konkreten Festlegungen bei der zukünftigen gymnasialen Oberstufe verständigt. Dabei haben wir öffentliche Stellungnahmen ebenso berücksichtigt wie Expertenmeinungen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen.

Natürlich war und ist es nicht möglich, alle Positionen und Meinungen, die in einem breiten Spektrum vorgetragen und geäußert wurden, zu berücksichtigen. Umso wichtiger war und ist die Orientierung an den schon genannten Kernvorgaben.

Ich will an dieser Stelle die vereinbarten Regelungen schwerpunktmäßig kurz benennen. Grundsätzlich soll die bisherige Struktur in Leistungs- und Grundkursen erhalten bleiben. Dies entspricht einer Vielzahl von in dieser Frage geäußerten Meinungen. Gleichzeitig wird aber den Gymnasien vor Ort die Möglichkeit zur Entscheidung über die gleichbleibende klassenverbandsähnliche oder wechselnde Zusammensetzung der Schüler in den einzel

nen Kursen mit den genannten Rahmenbedingungen überlassen. Insbesondere aus pädagogischen Gründen kann so eigenverantwortlich vor Ort am sinnvollsten und zugleich variabel den entsprechenden Erfordernissen und Bedingungen entsprochen werden.

Das vorgesehene Modell ermöglicht zum einen eine moderate Beibehaltung der Leistungs- und Neigungsdifferenzierung. Jedem Schüler bleibt die Möglichkeit zur persönlichen Schwerpunktsetzung durch Belegung eines Fachs in einem bestimmten Aufgabenbereich offen. Das bedeutet konkret: Eine fortgeführte Fremdsprache oder das Fach Geschichte als Repräsentant des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes oder das Fach Physik bzw. Chemie als Repräsentant des naturwissenschaftlichen Aufgabenbereichs wird als ein Leistungskurs jeweils wählbar bleiben. An ausgewählten Gymnasien könnte das Fach Kunst als Vertreter des künstlerischen Bereiches das vorhandene Spektrum abrunden.

(Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Der andere Leistungskurs ist dann Deutsch oder Mathematik. Eine darüber hinausgehende Erweiterung der Leistungskernfächer und Leistungskursfächer an Gymnasien mit vertiefter Ausbildung bleibt aber davon unberührt.

Gestatten Sie die Zwischenfrage, Herr Colditz?

Ja, bitte.

Bitte sehr.

Herr Colditz, nach welchen Kriterien sollen diese ausgewählten Gymnasien gefunden werden?

Ich denke, das liegt einfach an dem Bedarf, der letztlich durch die Schüler bzw. auch durch Eltern geäußert wird. Es gab Gymnasien, die sich schon besonders in diese Richtung profiliert haben. Darauf aufbauend soll dann auch die Auswahl in dem Sinne, wie ich sie vorhin beschrieben habe, erfolgen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Und wenn das alle wollen? Was ist dann?)

Die besondere Lernleistung, fachübergreifende Kurse sowie fächerverbindender Unterricht bleiben erhalten und sollen durch Verpflichtung der Schüler innerhalb der Klassen 10 bis 12, eine komplexe Lernleistung zu erbringen, erweitert werden. Der Anteil der vermittelten Naturwissenschaften wird gestärkt, meine Damen und Herren, ohne gesellschaftliche oder sprachliche Fächer zu benachteiligen. Die verpflichtende Belegung von Chemie, Physik und Biologie wird durch die Möglichkeit der Vertiefung von Physik oder Chemie im Leistungskurs ergänzt.

Meine Damen und Herren! Mit diesen strukturellen Vorgaben soll zudem eine schrittweise Einführung der budgetierten Zuweisungen von Lehrerstunden erfolgen. Damit würden sich eigenverantwortliche Gestaltungsmöglichkeiten der Schulen und eine erhöhte Eigenverantwortlichkeit der Einzelschule ergeben.

Meine Damen und Herren! Diese exemplarisch benannten, inhaltlich konkreten Festlegungen konkretisieren die in unserem vorliegenden Antrag benannten Eckpunkte bei der Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe in Sachsen. Wir wollen, dass diese Aspekte seitens des Kultusministeriums verbindlich auf dem Verordnungsweg geregelt werden, und bitten deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Die SPD-Fraktion. Herr Abg. Dulig, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag hat sich die Koalition in die Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe in Sachsen eingemischt und mittlerweile zu einem Kompromiss zwischen einerseits Administration und Gesetzgeber und andererseits den Koalitionspartnern geführt. Allein das zeigt vielleicht schon die Schwierigkeit der Verhandlungen. Allein das lässt aber auch schon zu, das erreichte Ergebnis als ein gutes Ergebnis zu würdigen, allein weil es ein Ergebnis gibt.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Wir haben als Koalition dazu mit dem vorliegenden Antrag einen Rahmen gegeben. Deshalb will ich selbst anhand dieses Antrags den Kompromiss vorstellen und bewerten. Dazu wiederum möchte ich den Antrag noch einmal in seinen wesentlichen Punkten in Erinnerung rufen und begründen.

Ziel und Kriterium jeder Veränderung im Bereich der schulischen Bildung soll sein, „jedem jungen Menschen in Sachsen optimale Entwicklungsbedingungen zu geben, damit er ein selbstbestimmtes Leben in sozialer, ökologischer und kultureller Verantwortung führen kann.“

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

So haben es die Koalitionspartner vereinbart und dies gilt auch für die gymnasiale Oberstufe. In diesem Sinn war es der Koalition mit ihrem Antrag wichtig festzuhalten, dass das Ziel der gymnasialen Oberstufe die allgemeine Hochschulreife ist. Damit ist das Kriterium, an dem sich eine erfolgreiche Weiterentwicklung derselben misst, die Verbesserung der allgemeinen Studierfähigkeit.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Was hat das mit dem Antrag zu tun?)

Es zeichnet den Antrag aus, dass er diese nicht in überkommener Tradition eng auf einen Wissenskanon führt, sondern insbesondere an der Fähigkeit zum selbstständigen Arbeiten, zum Organisieren der eigenen Lernprozesse, zur Kooperation und zur Kommunikation festmacht. Damit wird der Ansatz der ursprünglich reformierten Oberstufe beibehalten, den auch die jüngste KMKVereinbarung zur gymnasialen Oberstufe fortschreibt.

Vor diesem Hintergrund war klar, dass die Rückkehr zu einer kanonisch gedachten Oberstufe mit festen Fächern im Klassenverband von der Koalition nicht unterstützt wird. Dies unterstreicht auch der dritte Punkt des Antrags, die Oberstufe stärker auf Kompetenzentwicklung und grundlegenden Wissenserwerb im Sinne einer vertieften Allgemeinbildung zu orientieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich können diese Ziele nicht allein mit einer Strukturreform der Oberstufe gelöst werden. Sie erfordern vor allem eine entsprechende Arbeit an den Schulen vor Ort. Dafür bieten die Anregungen und Forderungen der neuen Lehrpläne einen guten Rahmen. Wir sind als Koalition sehr froh, dass wir verhindern konnten, dass diese neue Ansätze einem Strukturprinzip geopfert werden. Wir haben mit dem gefundenen Kompromiss einen guten Rahmen, um die neuen Lehrpläne nun auch mit Leben zu erfüllen.

Aber sehr wohl können Strukturvorgaben dafür sorgen, dass einmal gelegte Grundlagen nicht verloren gehen. So gliedert sich die neue Oberstufe in drei Bereiche. Es gibt einen Kernbereich mit den Basisfächern Deutsch, Mathematik und fortgeführter Fremdsprache sowie Physik und Geschichte. Aus diesem Bereich werden in der Regel die zwei Leistungskurse gewählt, wobei die KMKRegelungen einzuhalten sind. Der zweite Bereich ist der erweiterte Kernbereich mit den weiteren Naturwissenschaften, Geografie, Gemeinschaftskunde, Ethik/Religion, zweiter Fremdsprache, Kunst, Musik und Sport. Dieser Bereich wird in Grundkursen absolviert. Einzelne Schulen können aus diesem Bereich Leistungskurse in Chemie und Kunst anbieten.

Im Wahlbereich schließlich stehen neben der BELL – besondere Lernleistung – und einem fächerübergreifenden Kurs, Astronomie, Informatik und eine weitere Fremdsprache zur Auswahl oder – sagen wir besser – zur Substitution eines Kurses aus dem erweiterten Kernbereich; denn bei 35 durch den Kernbereich verplanten Stunden bleibt realistisch kaum die sinnvolle Möglichkeit, noch zusätzlich einen Kurs zu wählen.

Eine Ausnahme macht hier die BELL. Es war uns besonders wichtig, die Eigenverantwortung und Selbstständigkeit der Abiturenten zu stärken. Das sind Eigenschaften, die die Hochschulen als weniger gut ausgebildet einschätzen, die aber in sehr starkem Maße benötigt werden. Die besondere Lernleistung hat hierfür viele Potenzen. Wir wollten eine deutliche Stärkung der Selbstständigkeit durch die Aufnahme der BELL in den erweiterten Kernbereich und damit eine ordentliche Ausstattung mit Stunden.

Einige sahen nun die Gefahr, dass mit dieser BELL sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte überfordert seien. Davon kann man halten, was man will. Auf jeden Fall würde dies nur unterstreichen, dass wir auf dem Gebiet der eigenständigen Arbeit deutliche Defizite haben. Die Konsequenz aus unserer Sicht wäre, etwas für die Abstellung dieses Zustandes zu tun und nicht, ihn zu akzeptieren. Letztlich macht das der Kompromiss auch nicht. Die vereinbarte Evaluation wird sicher zeigen, dass unsere Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer mehr können, als mancher ihnen zutraut.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen das Interesse für und in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern in Verbindung mit der Sekundarstufe I nachhaltig stärken, ohne die sozialwissenschaftlichen, sprachlichen und musischen Fächer zu schwächen. Das haben wir in einer Art erreicht, die zwar die Wahlmöglichkeiten einschränkt, aber die Ausgewogenheit auch bei kleineren Oberstufen garantiert. Denn die Möglichkeit, einen Leistungskurs Physik zu wählen, nützt niemandem, wenn dieser mangels Interessenten gar nicht zustande kommt. Insofern ist die gefundene Lösung sicher eine Einschränkung der theoretisch möglichen Schwerpunktsetzung durch die Schülerinnen und Schüler. Praktisch aber könnte sich sogar dieser als Gewinn herausstellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Kompromiss ist ein Kompromiss. Der vorliegende ist kein fauler, sondern ein zukunftsoffener. Wir werden die Ausgestaltung der veränderten Oberstufe kritisch begleiten und den Schulen vor allem mit Elementen der verantwortlichen Schule mehr Entscheidungsräume eröffnen. Das ist im Rahmen der neuen Oberstufe möglich und teilweise mit vereinbart. Für die Ausgestaltung des neuen Rahmens gibt der vorliegende Antrag die Richtung vor.

Wir bitten deshalb um Zustimmung auch dann, wenn vielleicht das eine oder andere Element des gefundenen Kompromisses nicht akzeptiert wird. Wir stimmen ja heute nicht über den Kompromiss ab, sondern über die Prinzipien der Ausgestaltung dieses Kompromisses und künftiger Veränderungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)