Protocol of the Session on October 12, 2006

Drucksache 4/6607, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Es liegt keine Empfehlung des Präsidiums vor, eine allgemeine Aussprache durchzuführen. Es spricht daher nur die Einreicherin, die Fraktion GRÜNE. Ich bitte um Einreichung. Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit das UNESCO-Welterbekomitee auf seiner Konferenz in Vilnius das Dresdner Elbtal auf die Rote Liste der gefährdeten Welterbestätten gesetzt hat, haben wir im Sächsischen Landtag bereits zwei hitzige Debatten erlebt, in denen nicht nur eine höchst unterschiedliche Wertschätzung des Welterbetitels deutlich wurde, sondern auch unterschiedliche Auffassungen zum Rechtsstatus der Welterbegebiete zur Sprache kamen. Dabei ist aus unserer Sicht die Rechtsnatur und Rechtswirkung des Welterbeübereinkommens eindeutig. Das UNESCOWelterbeübereinkommen vom 23. November 1972 ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der von der Bundesrepublik

Deutschland im Jahr 1977 ratifiziert wurde. Völkerrecht ist bei der Auslegung und Anwendung von innerstaatlichem Recht zu beachten. So hat das Bundesverfassungsgericht aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes gefolgert, dass „das nationale Recht nach Möglichkeit im Einklang mit dem Völkerrecht auszulegen ist“. Das UNESCO-Welterbeübereinkommen ist daher auch ohne ein förmliches Zustimmungsgesetz bei der Anwendung von Gesetzen zu beachten, um Konflikte zwischen dem Recht des Bundes und der Länder und den völkerrechtlichen Verpflichtungen zu vermeiden.

Die Pflicht zur völkerrechtskonformen Anwendung trifft sowohl die Behörden als auch die Gerichte unmittelbar. Prof. Dr. Ulrich Fastenrath hat entsprechend in seinem Rechtsgutachten darauf hingewiesen, dass der Freistaat Sachsen verpflichtet ist, in seinem Zuständigkeitsbereich die völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands umzusetzen.

Als das UNESCO-Welterbekomitee das Dresdner Elbtal wegen des Baus der geplanten Waldschlößchenbrücke auf die Rote Liste der gefährdeten Stätten setzte, betonte demgegenüber die Staatsregierung, allen voran Ministerpräsident Milbradt, die Brücke sei ausschließlich eine Angelegenheit der kommunalen Selbstverwaltung. Mit der Begründung einer „Nichtzuständigkeit“ hat die Staatsregierung seitdem versucht, sich ihrer Verpflichtung zum Schutz des Welterbes zu entziehen. Schlimmer noch: Das dem Staatsministerium des Innern nachgeordnete Regierungspräsidium Dresden unternahm den Versuch, an der Stadt Dresden vorbei den unverzüglichen Bau der Brücke selbst anzuordnen. Dadurch wurden die Bemühungen des Dresdner Stadtrates um den Schutz der Welterbestätte Oberes Elbtal blockiert und das Welterbe auf unverantwortliche Weise gefährdet.

Im Ergebnis dieser Debatten um den Wert des Titels „Welterbe“ und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen steht für unsere Fraktion eine eindeutige Lehre: Es sollte keinen rechtlichen Interpretationsspielraum geben, ob das, was die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat bereits 1977 ratifiziert hat, auch für die Länder und im besonderen Fall für den Freistaat Sachsen gilt. Der Schutz unserer sächsischen Welterbestätten – des Oberen Elbtals und des Fürst-Pückler-Parks in Bad Muskau – darf nicht dadurch gefährdet werden, dass Auseinandersetzungen um den Handlungsspielraum staatlicher Behörden und der Staatsregierung geführt werden. Das sind wir nicht nur diesen beiden Stätten universellen kulturellen Wertes schuldig.

Wichtig ist eine klare Regelung auch im Interesse von Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit der künftigen sächsischen Antragstellungen, über die ab dem Jahr 2011 entschieden werden wird. Der Freistaat hat dafür bekannterweise zurzeit die Montanregion Erzgebirge angemeldet; aber auch die Altstadt Meißen, die Thomaskirche und die Bachstätten in Leipzig, Görlitz, das Umgebindeland sowie die Sächsisch-Böhmische Schweiz sind Gegenstand der Überlegungen. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass neue Welterbeanträge beim deutschen und internationalen UNESCO-Komitee nur dann durchsetzbar sein werden, wenn Sachsen mit seinen bisherigen Welterbestätten verantwortlich im Sinne der UNESCO-Konvention umgeht. Gerade für strukturschwache Regionen ist die Eintragung in die Weltkulturerbe-Liste von hoher Bedeutung. Sie bringt nicht nur einen enormen Zuwachs an Ansehen und Regionalbewusstsein, sondern natürlich auch an Tourismus, wie sich an den Besucherzahlen in Bad Muskau seit 2004 deutlich ablesen lässt.

Es geht uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zuletzt auch um Sachsens internationales Ansehen, um seine Verlässlichkeit als Vertragspartner. Ein durch den Sächsischen Landtag gesetzlich verankerter Schutz zeigt den Willen des Gesetzgebers, Weltkulturerbe und Weltnaturerbe zu erhalten und zu schützen und stellt klar, welche Pflichten der Freistaat Sachsen für Welterbegüter hat, die in seinem Hoheitsgebiet liegen. Deshalb nimmt unser

Gesetzentwurf eine Klarstellung des Rechtsstatus der Welterbegebiete im sächsischen Landesrecht vor.

Wie sieht die vorgeschlagene Lösung nun konkret aus?

Erstens. Um Weltkulturerbe zu schützen und zu erhalten, sieht der Gesetzentwurf vor, dass Stätten, Ensembles und Denkmale, die als Weltkulturerbe auf der Liste des Erbes der Welt der UNESCO gemäß dem Übereinkommen von 1972 zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt aufgeführt sind, unter dem Schutz des Sächsischen Denkmalschutzgesetzes stehen. Damit orientieren wir uns an einer Regelung im Denkmalschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt, die dort im Jahr 2003 eingeführt wurde – ganz nebenbei gesagt: unter einer CDU-/FDP-Regierung.

Da ausschließlich Güter von außergewöhnlichem universellem Wert nach einem sorgfältigen und umfänglichen Auswahlverfahren in die Liste des Welterbeübereinkommens aufgenommen werden, kann im Sinne einer Verwaltungsvereinfachung auf ein zusätzliches Aufnahmeverfahren nach sächsischem Denkmalschutzrecht verzichtet werden. Alles andere würde unnötigen bürokratischen Aufwand bedeuten.

Das Denkmalschutzgesetz verpflichtet zur Erhaltung aller geschützten Güter, künftig also auch der Weltkulturerbegüter. Veränderungen bedürfen der Genehmigung der Denkmalschutzbehörde. Damit bestehen klare Zuständigkeiten innerhalb der sächsischen Verwaltung.

Zweitens. Weltnaturerbegüter, die in der genannten Welterbeliste aufgeführt sind, werden in den Schutz des Sächsischen Naturschutzgesetzes aufgenommen. Das Sächsische Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege wird dazu in § 15 um einen neuen Abs. 5 ergänzt. Dieser bestimmt, dass Weltnaturerbegebiete nicht dem üblichen Verfahren der Erklärung zu einem Schutzgebiet unterworfen werden müssen, sondern dass der Schutzstatus bereits mit der Eintragung als Weltnaturerbe in die UNESCO-Liste besteht.

Aufgrund des sorgfältigen und umfänglichen Auswahlverfahrens und der völkerrechtlichen Verpflichtung erscheint auch hier ein weiteres Verfahren überflüssig. Einer konstitutiven Schutzgebietserklärung bedarf es daher nicht mehr. Die vorgesehene Kennzeichnung und Eintragung in ein Verzeichnis haben vielmehr eine deklaratorische Bedeutung. Vor einem Eintrag in die Welterbeliste kann das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft das Gebiet oder Teile davon nach den Voraussetzungen in dem Verfahren des § 52 Sächsisches Naturschutzgesetz einstweilig sicherstellen. Dies kann sogar notwendig werden, um die Bedingungen für eine Eintragung in die Welterbeliste zu erhalten und so die Glaubwürdigkeit der Bewerbung zu unterstützen.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Gemeinsam mit den anderen Abgeordneten unserer Fraktion freue ich mich bereits auf die Beratung dieses Gesetzentwurfes in den Ausschüssen. Ich bitte Sie daher, den vorgeschlagenen Überweisungen zuzustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Gesetz zum Schutz des UNESCO-Welterbes in Sachsen an den Innenausschuss – federführend –, den Ausschuss für Umwelt und Landwirtschaft, den Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien, an den Verfassungs-, Rechts und Europaausschuss sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen. Wer dem

Vorschlag der Überweisung an die von mir genannten Ausschüsse seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist dies einstimmig so beschlossen und der Tagesordnungspunkt 2 beendet.

Aufgerufen ist

Tagesordnungspunkt 3

1. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Erleichterung kommunaler Bürgerentscheide

Drucksache 4/6608, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auch hierzu liegt keine Empfehlung des Präsidiums vor, eine allgemeine Aussprache durchzuführen. Es spricht daher nur die Einreicherin, die Fraktion GRÜNE. Herr Lichdi, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Hähle und Herr Lehmann, ich freue mich immer, dass allein der Umstand, dass ich hier ans Pult trete, Sie schon zur Weißglut bringt. Das zeigt auch, dass Sie sehr nervös sind.

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Aber ich wollte eigentlich zu unserem Gesetzentwurf sprechen, und wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen, werde ich sie gern gestatten. Wir haben vor ungefähr drei Wochen in den Medien eine Umfrage vorgefunden, in der Aussagen zur Zufriedenheit mit der Demokratie in Ost und West getroffen wurden. Darin war wieder einmal festzustellen, dass die Demokratiezufriedenheit im Osten signifikant geringer sei als im Westen. Dies ist ein Phänomen, das wir schon länger kennen, und ich denke, das bedrückt uns in diesem Hause alle. Ich meine, wir sollten uns als Politiker die Frage stellen, wie wir auf dieses Phänomen reagieren. Natürlich ist es richtig: Eine erfolgreiche Politik ist das beste Mittel gegen die Demokratieverdrossenheit. Aber sie ist nicht das einzige Mittel. Ich denke, da helfen auch keine Appelle, sondern wir sind als Politikerinnen und Politiker aufgerufen, Mittel und Instrumente zu entwickeln, um den Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen, mit ihrer Demokratie zufrieden zu sein.

Daraus ergibt sich die Frage: Wie können wir dies erreichen? Nach unserer Auffassung geht das nur, indem wir den Bürgerinnen und Bürgern Demokratie als wertvoll und nützlich in ihrem persönlichen Lebensbereich erlebbar machen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Lichdi?

Ja, bitte.

Bitte, Herr Rohwer.

Herr Lichdi, nachdem Sie angefangen haben, von der Demokratieverwurzelung in der Bevölkerung zu sprechen, nun meine Frage: Wäre es nicht dazu hilfreich, den Bürgerentscheid zur Waldschlößchenbrücke in Dresden umzusetzen?

(Beifall bei der CDU und des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Ach, Herr Rohwer!

(Heiterkeit bei der CDU und der NPD)

Mein Kollege Dr. Gerstenberg hat doch gerade darauf hingewiesen, dass wir in diesem Hause zwei oder drei heftige Debatten zu diesem Themenbereich hatten, und in dieser Debatte haben sowohl mein Kollege als auch ich und andere Redner meiner Fraktion – auch im Stadtrat; Sie haben die Debatten vielleicht auch verfolgt – wirklich hinlänglich zu dieser Frage Stellung genommen.

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Insbesondere habe ich vor etwa drei Wochen im Dresdner Stadtrat zu dieser Frage ausführlich Stellung genommen, und ich möchte jetzt eigentlich gern den Gesetzentwurf vorstellen. Um Sie zufriedenzustellen, wiederhole ich ihn gern noch einmal. Aus unserer Sicht ist unsere Haltung bezüglich der UNESCO nicht zu konfrontieren, die UNESCO nicht vor den Kopf zu schlagen,

(Heinz Eggert, CDU: Es bringt nichts! – Zurufe der Abg. Dr. Martin Gillo und Prof. Dr. Günther Schneider, CDU – Weitere Zurufe von der CDU)

sondern eine Lösung zu suchen, politisch –

(Starke Unruhe im Saal)

Herr Präsident?!

und rechtlich absolut vereinbar mit der Pflicht, den Bürgerentscheid zur Waldschlößchenbrücke umzusetzen.

Meine Damen und Herren! – –

Okay, meine Damen und Herren, Sie wollen gern stören. Gestatten Sie mir bitte, dass ich in meiner Rede fortfahre!

Ich bedaure, dass Sie nicht in der Lage sind, einmal sachlich der Einbringung eines Gesetzentwurfes zuzuhören.

(Rita Henke, CDU: Mit dem Bürgerentscheid!)

Es geht nicht um die Frage Waldschlößchenbrücke, sondern es geht um die Frage, wie wir mit der Demokratie umgehen und welche Aufgaben und Pflichten wir als Politiker haben. Offensichtlich wollen Sie sich dieser Frage nicht stellen. Dies nehmen wir sehr interessiert zur Kenntnis.

(Zuruf des Abg. Heinz Lehmann, CDU)

Wir als GRÜNE wollen jedenfalls mehr Bürgerentscheide über mehr Gegenstände in den Gemeinden und Kreisen ermöglichen und diese erleichtern. Wir wollen insbesondere auch eine Ausweitung der Gegenstände auf Kommunalabgaben. Wir sehen nicht ein, warum nicht Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auch über Tarife, Entgelte und Kommunalabgaben möglich sein sollen; und bevor Sie von der CDU jetzt wieder austicken, darf ich Sie auf den Freistaat Bayern hinweisen, in dem diese Regelung seit ungefähr fünf oder sechs Jahren sehr erfolgreich umgesetzt wird. Ich denke, was in Bayern geht – worauf Sie sich ja immer so gern berufen –, sollte auch in Sachsen möglich sein. Das Entscheidende, was dort passiert, ist nämlich, dass dann die Politikerinnen und Politiker und die Verwaltung den Bürgerinnen und Bürgern erklären müssen, warum diese oder jene Abgabensatzung notwendig ist oder warum dieses oder jenes Entgelt zu erhöhen ist.