Protocol of the Session on September 14, 2006

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Drittens. Ja, Frau Staatsministerin, wir brauchen auch in Sachsen mehr Kontrolleure. Ich habe es eben noch einmal ausgerechnet. Eine Angabe haben Sie mir dankenswerterweise Anfang des Jahres zukommen lassen. Dann müssten es bei den kommunalen Lebensmittelämtern circa 250 sein. Es fehlen 50, was die Iststärke betrifft. Also können wir uns hier nicht hinstellen und sagen, das reicht.

(Staatsministerin Helma Orosz: Habe ich nicht gesagt!)

Wir brauchen wenigstens eine Umsetzung der bereits gültigen Standards.

Deswegen viertens. Ihr Vorgänger, Herr Geisler, hat in dieser Beziehung viele Bittbriefe geschrieben. Wenn das eben nicht reicht, dann müssen Sie endlich eine von mir hier schon mehrfach betonte Forderung aufgreifen: es in das Gesetz als verbindliche Regelung hineinzuschreiben. Dann muss das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst novelliert werden. Es kann doch nicht sein, dass die Landkreise und kreisfreien Städte bei ihrer Finanznot, die sie alle haben – offenbar ganz im Unterschied zum Freistaat –,

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Ja, richtig!)

die Kontrollplanstellen ganz offensichtlich per Kassenlage festlegen. Das muss klar und deutlich benannt werden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Deswegen sage ich abschließend: Wir brauchen nicht nur Appelle. Als gebrandmarkter DDR-Bürger weiß ich, dass

Appelle verhallen. Wenn Sie appellieren, dass – Herr Heinz hat es auch wieder getan – die Verbraucher nur ein gesünderes Verbraucherbewusstsein an den Tag legen müssen, sage ich Ihnen: Mit mir als Sozialpolitiker nicht!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Was sollen denn diejenigen machen, die sich einfach kein Biofleisch oder kein teures Fleisch vom Fleischermeister um die Ecke leisten können? Wir wollen doch keine Mehrklassengesellschaft im Fleischverbrauch haben, wenn sie nicht ohnehin schon da ist!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wird von der NPD das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann frage ich die Fraktion der FDP. – GRÜNE? – Auch nicht. Dann frage ich noch einmal die CDU. – Bitte, Frau Pfeiffer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jahr für Jahr verzeichnet die Fleischbranche Milliardenumsätze. Allein 2003 lag der Umsatz bei mehr als 23 Milliarden Euro. Um uns allen das zu verdeutlichen: Das entspricht fast dem gesamten Wehretat der Bundesrepublik.

Diese Umsätze gehen auf Kosten der Verbraucher, wenn das gehandelte Fleisch nicht einwandfrei ist. Dagegen müssen wir etwas tun. Dass es zum Skandal kommen konnte, hat mehrere Ursachen. Ein zunehmender Preisdruck, eine unüberschaubare Arbeitsteilung innerhalb der Branche, ein zum Teil mangelhaftes Kontrollsystem und auch die Mitverantwortung des Verbrauchers durch seine Forderung nach guter Qualität – aber bitte zum billigsten Preis – sind allesamt Punkte, die uns dieses Dilemma brachten.

Halten Sie, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich das bitte vor Augen: 1970 gaben die Bundesbürger im Durchschnitt rund 30 % ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Heute sind es lediglich noch 15 %. Andere Dinge sind uns wichtiger geworden: ein schickes Auto, ein toller Urlaub, eine gute Wohnung. An anderen Sachen wird gespart. Wir alle sind angehalten, ein Umdenken der Menschen in den Köpfen zu fordern. Qualität kostet Geld. Das müssen wir alle wissen. Das soll keine Verbraucherschelte sein. Ich möchte, dass wir darüber nachdenken, dass billiges Fleisch nicht immer das beste ist, obwohl ich mir dessen bewusst bin, dass auch billiges Fleisch eine gute Qualität haben muss.

Der weitgehend gesättigte Markt, das Überangebot in bestimmten Produktkategorien und der Überhang an Verkaufsflächen im Lebensmitteleinzelhandel führen zu einem unakzeptablen Preisdumping. Natürlich freut sich der Verbraucher, wenn er für billiges Geld immer mehr Fleisch bekommen kann.

Im Fernsehen kam kürzlich ein Bericht über Leipzig. In Leipzig-Lindenau hat ein Geschäft aufgemacht: alles zum Billigpreis, alle Lebensmittel zum Discount-Preis. Dort

kann man, sage und schreibe, ein Kilo Wiener Würstchen für 1,38 Euro kaufen.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion.PDS, steht am Mikrofon.)

Herr Pellmann, ich lasse auch keine Frage zu. Nun kommen Sie mir nicht mit dem Hartz-IV-Empfänger, der ein Kilo Wiener Würstchen für 1,38 Euro kaufen muss! Ein Kilo Wiener Würstchen sind 48 kleine Wiener. Dabei frage ich uns alle, wer für dieses wenige Geld diese vielen Würstchen essen soll!

(Heiterkeit bei der CDU)

Dasselbe ist mit Joghurt. Fünf Paletten Joghurt für knapp 80 Cent. Also, liebe Leute, wenn wir so billig mit unseren Lebensmitteln umgehen, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn der Skandal an der Ecke lauert.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, gestatte ich nicht. – 2004 lag der Anteil des losen Fleisches bei 60 %. Die Tendenz ist sinkend. Die Verbraucher kaufen mehr abgepacktes Fleisch, mehr billiges Fleisch. Die wiederholten Fleischskandale in Deutschland bekommen wir nur in den Griff, wenn wir schärfere Kontrollen machen und wenn wir auch an uns selbst arbeiten. Ein potenzieller Täter schaut nicht erst ins Gesetz. Er überlegt vielmehr, wie hoch sein Risiko ist, erwischt zu werden. Das Strafrecht kann erst dann greifen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, wenn also verdorbenes Fleisch im Handel ist.

Viele von Ihnen – hauptsächlich von PDS und GRÜNE habe ich es gehört – fordern, Namen freizugeben. Ich bin fest der Meinung, dass das nicht der richtige Weg ist. Das beruhigt ein bisschen des Volkes Seele und vielleicht beruhigt es auch uns, alles getan zu haben, aber es ändert nichts am Skandal. Ich wünschte mir die Freigabe der Namen nicht nur im Fleischskandal, sondern ich wünschte mir, dass alle Stasi-Leute und alle sexuellen Straftäter freigegeben werden.

(Beifall bei der NPD)

Also nicht nur die eine Sorte. Vorsicht bitte, wenn die große Tageszeitung mit den vier Buchstaben Namenslisten druckt! Wir können nicht sicher sein, ob es die richtigen Namen sind.

Wir alle können etwas dagegen tun, meine Damen und Herren. Essen wir lieber ein wenig mehr Berliner und weniger Hamburger! Da geht es vielleicht der Figur nicht so gut, aber uns allen mit weniger Fleisch etwas besser.

(Beifall bei der CDU)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Wird von der Staatsregierung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren! Damit ist die 1. Aktuelle Debatte, beantragt von den Fraktionen der CDU und der SPD zum Thema „Schutz vor Gammelfleisch im Freistaat Sachsen“, beendet.

Wir kommen nun zu

2. Aktuelle Debatte

Die Verantwortung der Staatsregierung für die explodierenden Kosten beim City-Tunnel in Leipzig

Antrag der Linksfraktion.PDS

Zuerst spricht die Antragstellerin, die Linksfraktion.PDS, danach CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung. Die Debatte ist eröffnet. Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort. Herr Dr. Külow, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es fällt relativ leicht, einen Bogen vom Gammelfleisch zur Kostenexplosion beim Bau des Leipziger CityTunnels zu ziehen. Beide Skandale stinken zum Himmel.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die ablehnende Haltung gegenüber diesem Prestigeobjekt durch die Linksfraktion ist dem Hohen Hause hinlänglich bekannt. Eine Debatte um die Sinnhaftigkeit des Vorhabens, über die Wirtschaftsminister Jurk bekanntermaßen nicht diskutieren möchte, spare ich mir daher.

Der Linkspartei geht es heute mit der Aktuellen Debatte vielmehr um alarmierende neue Fakten, die unsere bekannte Kritik in allen Punkten bekräftigen und weiter

vertiefen. Die Kosten für den Tunnel explodieren. Da sich der Freistaat Sachsen im Jahr 2001 in die Bauherrenrolle gedrängt hat, muss uns diese finanzielle Last für den Landeshaushalt zutiefst beunruhigen. Immerhin schauen Bundes- und Landesrechnungshof inzwischen aus guten Gründen genauer in die Bücher.

Zwei Zahlen zur Erinnerung: 572 Millionen Euro wurden seit 2002 immer wieder als Gesamtsumme für Bau und technische Ausrüstung des City-Tunnels Leipzig genannt. Am 24. Juli 2006 machte die Linkspartei eine drohende Kostenexplosion, die in einer vertraulichen Unterlage der Deutschen Bahn zu finden war, publik. Demnach steht schon jetzt ein Mehraufwand von 26 Millionen Euro unverrückbar fest. Es können allerdings auch 73 Millionen Euro werden.

Das wären dann Mehrausgaben von 13 %. Wieso Staatsminister Jurk auf den Antrag der Linksfraktion.PDS am 4. September 2006 antwortete, eine Baukostenerhöhung sei „derzeit nicht eingetreten“, ist mir daher völlig schlei

erhaft. Es ist auch eine fadenscheinige Begründung, die uns weismachen will, es gebe angeblich neue Unwägbarkeiten im Baugrund. Was soll da eigentlich untersucht werden? Der Baugrund liegt seit Millionen Jahren unter der Stadt Leipzig. Er ist seit 1997 mit serienweisen Bohrungen analysiert worden. Oder wurde eben doch, entgegen allen Beteuerungen, ungenügend untersucht und an der falschen Stelle gespart? Warum bekommt die Baugesellschaft DEGES als Projektsteuerer ausgerechnet jetzt, im September 2006, als nach jahrelangem Verzögern endlich mit dem Vortrieb der Tunnelröhren begonnen werden sollte, kalte Füße? Warum lässt sie die startklare, etliche Millionen teure Vortriebmaschine lieber nutzlos herumstehen und produziert horrende Kosten wegen Stillstands in Millionenhöhe? Die vorläufige traurige Wirklichkeit des City-Tunnels Leipzig lautet: Kosten, Kosten, Kosten.

Die vor einigen Tagen von Minister Jurk abgegebene Erläuterung, dass die Kostensteigerung auf die allgemeine Steigerung der Baupreise zurückzuführen sei, ist dreist und klingt nach Verdummung.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Der Faktor Preise gehört zum kleinen Einmaleins jedes Bauherrn. Wenn er ausgerechnet für den City-Tunnel Leipzig nicht einbezogen wurde, so grenzt das an grobe Fahrlässigkeit. Herr Minister Jurk, erläutern Sie uns bitte nachher auch, wann Sie mit den geheimen Horrorzahlen der Mehrkosten, die Sie offenkundig Ende Juni kannten und die wir Ende Juli bekannt gegeben haben, eigentlich an die Öffentlichkeit gehen wollten. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie in Zeiten von Haushaltskürzungen und Sparbeschlüssen einen offenen Posten von möglicherweise 73 Millionen Euro lange Zeit verheimlichen könnten. Wusste denn wenigstens der Ministerpräsident Bescheid? Wenn nicht, dann ist der Skandal perfekt. Wenn ja, dann tauchen neue Fragen auf.

Noch eine praktische Empfehlung. Gehen Sie statt zur medialen Inszenierung der spektakulären Portikusverschiebung – allein die Werbeagentur hat für die Betreuung dieses Events vom SWMA übrigens 13 000 Euro erhalten –