Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie verstehen Sie denn das, wenn uns Herr Dr. Müller hier etwas über „einheimische Lebensinteressen“ erzählt? Verstehen Sie das wie ich, dass das heißt, deutsches Gammelfleisch auf dem Tisch in Polen oder Tschechien ist nicht ganz so schlimm, Hauptsache, es landet nicht auf deutschen Tischen?
(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und der SPD – Dr. Johannes Müller, NPD: Ach Gott! Ach Gott! Ach Gott!)
Jedenfalls hat sie uns wieder, die Debatte über Gammelfleisch – im Januar hieß es, glaube ich, Ekelfleisch –, und wir müssen uns doch die Frage stellen, ob es hier um Einzelfälle geht, sogenannte schwarze Schafe. Oder ist das, was wir hier sehen, nur die Spitze des Eisberges, und den Rest sehen wir eben nicht? – Hier wird ein Missstand auf dem Lebensmittelmarkt deutlich, auf den bisher nicht angemessen reagiert wurde.
In Sachsen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurden im Jahr 2003 18,8 % aller Fleischproben beanstandet. Das zeigt der Jahresbericht der Landesuntersuchungsanstalt 2004. Dabei handelt es sich – das gebe ich zu – nicht in erster Linie um Gammelfleisch und verdorbenes Fleisch, sondern da sind auch die Hygienemängel mit benannt. Aber an der Zahl an sich zeigt sich, wie ernst die betreffenden Vorschriften genommen werden.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir mehr Transparenz in diesem Bereich. Deshalb wollen wir weiter gehende Informations- und Veröffentlichungspflichten. Was in anderen Bereichen selbstverständlich ist, gibt es in der Fleischbranche nicht. Oder haben Sie schon mal etwas von verschiedenen Fleischmarken gehört? Verbraucher und Verbraucherinnen wissen zu wenig über die Hersteller in der Fleischbranche. Markenfleisch ist nahezu unbekannt. Biofleisch hat nur eine kleine Marktnische. Und so ist die Geheimniskrämerei in der Fleischbranche an der Tagesordnung.
Hier muss Politik ansetzen. Diese Anonymität muss durchbrochen werden. Verursacher müssen genannt werden.
Nun haben sich die Verbraucherminister und -ministerinnen von Bund und Ländern letzte Woche auf einen 13Punkte-Plan geeinigt. Das ist ein neuer Aufguss des 10Punkte-Programms vom letzten November. Welche Wirkung hatte das? – Es fehlen doch nach wie vor ausreichende Kontrollen, es fehlen Konzepte und konkrete Selbstverpflichtungserklärungen für mehr Haushaltsmittel. Wie wollen Sie ohne zusätzliche Mittel die Kontrolldichte und die personelle Ausstattung der Prüfbehörden verbessern?
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wird auch immer noch am Verbraucherinformationsgesetz gebastelt. Dabei führt uns der neuerliche Skandal doch deutlich vor Augen, was nötig ist: umfassende Information für Verbraucherinnen und Verbraucher. Was jetzt in dem Gesetz stehen soll, wird dafür nicht ausreichend sein.
Für uns GRÜNE ist Verbraucherschutz nichts Passives, sondern ein Bündel von Rechten, das jeder Bürgerin und jedem Bürger dazu verhilft, ihre/seine Kaufentscheidung mündig zu treffen. Diesen Ansatz hat unser Entwurf zu einem Verbraucherinformationsgesetz vom Dezember 2005.
Union und FDP haben Verbraucherinformationsrechte wiederholt abgelehnt und jetzt bedauern sie öffentlich, dass es hundertprozentige Lebensmittelsicherheit nicht geben kann. Natürlich gibt es sie nicht. Aber die Frage ist doch, wo wir uns auf einer Skala von null bis einhundert Prozent Sicherheit wiederfinden. Die bewusste Kaufentscheidung der Verbraucher trägt eben entscheidend zur Sicherheit bei.
Die Interessen und der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher müssen wichtiger sein als die Interessen der
Industrie. Wir fordern deshalb die Staatsregierung auf: Bessern Sie Seehofers Gesetzentwurf nach! Schaffen Sie eine Informationspflicht für Unternehmen! Lassen Sie Ausnahmen wegen Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen nur eingeschränkt zu! Machen Sie die Informationen zugänglich!
In Bezug auf die Lebensmittelkontrollen fordern wir die Staatsregierung auf: Verbessern Sie die personelle und finanzielle Ausstattung der staatlichen und kommunalen Lebensmittelüberwachung! Verbessern Sie die BundLänder-Koordination! Wir brauchen bundeseinheitliche Qualitätskontrollen der Lebensmittelkontrolle. Ermöglichen Sie, dass Mitarbeiter die staatlichen Überwachungsstellen auf Missstände in ihrem Betrieb aufmerksam machen können, ohne dass ihnen die Kündigung droht!
Nicht zuletzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, stehen Lebensmittelüberwachung und Tierschutz im engen Zusammenhang. Nicht nur, weil für beides die Veterinärämter zuständig sind. Für etliche Tierarten, zum Beispiel Rinder, Puten, Kaninchen und Wildtiere, existieren keine konkreten gesetzlichen Haltungsanforderungen. Das erschwert Eingriffe der Amtstierärzte bei tierschutzwidriger Haltung. Die Haltung beeinflusst die Qualität des Fleisches. Wenn dabei Gesichtspunkte der Qualität schon keine Rolle spielen, ist der gedankliche und offenbar auch der tatsächliche Schritt bis zum Gammelfleisch nicht weit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Grünen fordern Transparenz. Wir wollen wissen, wer was macht und dass draufsteht, was drin ist. Wir fordern Informationsrechte für Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber Behörden und gegenüber der Industrie. Wer panscht, wer abzockt, wer betrügt, muss öffentlich bekannt gemacht werden.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie zuerst eine kurze Bemerkung zu meinen Vorrednerinnen. Wir benutzen eine Aktuelle Debatte auch, um uns zu informieren, um einen Sachstand dargelegt zu bekommen, und insofern ist es legitim und natürlich auch mit der Geschäftsordnung vereinbar, wenn die Ministerin zuerst spricht.
Es wurde bemängelt, dass Fleisch ein anonymes Produkt sei. Dem möchte ich entgegenhalten, dass es in der Vergangenheit ausreichend Versuche von Landwirten gab, Markenfleischprogramme zu initiieren. Sie hatten nur den einen Nachteil: Das Fleisch kostete ein klein wenig mehr als das im Supermarkt angebotene, sodass es von den Verbrauchern nicht angenommen wurde. Es ist also kein
Versäumnis der Politik, dass es derartige Programme nicht gibt. Wir haben derartige Programme reichlich gefördert, sie wurden aber letzten Endes durch den Verbraucher nicht angenommen.
Ich denke, zum Lebensmittelskandal wurde von meinen Vorrednern bereits das Notwendige gesagt, vor allem, was die Leistungen unserer Kontrolleure betrifft. Ich möchte ein anderes Bild beleuchten. Die eigentlich Leidtragenden sind wieder einmal die Landwirte und nicht die Verursacher des Skandals. Die Landwirte leiden unter einem veränderten Kaufverhalten. Es wird weniger verkauft, der Preis verändert sich, die Erlöse werden geringer, die Wertschöpfung geht ebenfalls zurück. Das wird dadurch verstärkt, dass zurzeit in den Medien ein Wettbewerb herrscht, wer das älteste, das überlagertste und das meiste Fleisch dieser Art findet. Ich möchte jedem empfehlen, einmal in der eigenen Kühltruhe nachzuschauen. Da wird man, so denke ich, auch fündig werden. Ich kann aber nur davon abraten, dieses Fleisch dann auf den Tisch zu bringen. Man sollte sich lieber so verhalten, wie wir es von der Industrie und den Fleischern erwarten.
Ich möchte an dieser Stelle feststellen, dass Fleisch nach wie vor das in Deutschland bestuntersuchte Lebensmittel ist.
Ich möchte hier herausarbeiten, was die Ursachen für die immer wieder auftretenden Skandale sind. Dazu sind der starke Wettbewerbsdruck, das Preisdumping und hohe Entsorgungskosten anzuführen. Es sei mir gestattet, auf das hinzuweisen, was wir uns dabei leisten: Erst stellen wir fest, ob das Tier für die menschliche Ernährung geeignet ist. Was der Mensch nicht zur Ernährung braucht, verwerten wir als Sondermüll und erlauben nicht einmal, es für die Tierernährung einzusetzen. Nach aktuellen Gesetzentwürfen soll es nicht einmal mehr erlaubt sein, diese Abfälle für die Herstellung von Biodiesel zu verwenden.
Deshalb ist es nur logisch, dass immer wieder mit krimineller Energie versucht wird, diese „auffällige“ Ware weiterzuverwenden und sie, anstatt sie teuer zu entsorgen, doch noch mit etwas Wertschöpfung zu verkaufen. Wo versucht wird, mit krimineller Energie Gesetze zu umgehen, werden die hier genannten Maßnahmen schwerlich greifen. Auch das Verbraucherinformationsgesetz ist dabei wenig hilfreich.
Wir werden natürlich die Kontrollen noch lückenloser gestalten. Darunter leiden werden die Anständigen. Ich erinnere nur an die Kampfhundediskussion. Ich erinnere an die Verschärfung des Waffenrechts. Auch hier haben wir die Bedingungen verschärft, ohne das eigentliche Übel, den illegalen Waffenbesitz zum Beispiel, an der Wurzel zu packen. Die Kriminellen werden neue Schlupflöcher finden.
Ich möchte zwei, drei Maßnahmen anregen, die bis jetzt noch nicht im Gespräch sind, aber mit wenig Aufwand sehr wirkungsvoll wären und den Kriminellen die Arbeit wesentlich erschweren würden. Das wäre erstens eine Meldepflicht des Empfängers bei den Behörden für nicht
ordnungsgemäß angelieferte Ware. Das wäre zweitens das Aussetzen des Gewährleistungsrechts, das heißt ein Rücknahmeverbot für nicht ordnungsgemäß angelieferte Ware durch den Anlieferer und eine Entsorgungspflicht des Belieferten, natürlich zulasten des Anlieferers. Hilfreich wäre auch ein Datumsstempel mit dem Schlachttag auf dem Schlachtkörper. Dies ist zwar noch nicht Gesetz, wird aber derzeit bereits in einigen Schlachthöfen praktiziert und wird durch die Weiterverarbeiter gut angenommen.
Hilfreich, aber wenig praktikabel ist ein Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis. Ich würde mir wünschen, dass das auch für die Primärprodukte gilt.
Ich möchte in der mir zur Verfügung stehenden Redezeit noch auf Gesetzeslücken hinweisen. So ist es nach wie vor möglich, dass Fleisch aus Drittländern, zum Beispiel Brasilien, das dort mit Mitteln erzeugt wurde, die in der EU längst verboten sind, in Deutschland offiziell verkauft werden darf. Ich erinnere hier an Chloramphenikol als Masthilfsmittel bei Geflügel. Ich möchte auf Mängel bei der Kennzeichnungspflicht für Kaninchen und Geflügel hinweisen.
Zum Abschluss meiner Rede möchte ich dem Verbraucher, der bei all dem eine Schlüsselrolle spielt, zurufen: Kauft lieber bei einheimischen Direktvermarktern als bei anonymen Dreckvermarktern!
Wird von der FDP-Fraktion noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte die Linksfraktion.PDS. Herr Dr. Pellmann, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Heinz, ich muss mich schon sehr wundern. Sie halten hier eine Rede, als ob überhaupt nichts gewesen sei.
Ich glaube, so können wir uns den Dingen nicht stellen. Dann versuchen Sie noch, die bereits ergriffenen notwendigen Maßnahmen zu negieren.
Lassen Sie mich deshalb erneut auf die Situation der Lebensmittelkontrolle in Sachsen zurückkommen. Wir haben das hier schon oft thematisiert. Es gibt kaum andere Themen, über die wir so häufig gesprochen haben. Ich erinnere nur an die Debatte, die wir im Jahr 2000 über BSE hatten. Damals gab es zu Recht einen großen Aufschrei. Aber als sich die Medien nicht mehr so oft damit beschäftigten, ging die Aufmerksamkeit wieder zurück.
Ich hoffe, dass dieser erneute Lebensmittelskandal, der dieses Mal von Bayern ausging, endlich zu weiteren und tief greifenderen Maßnahmen führt.
Dabei könnten wir, glaubten wir allein der Statistik, in Sachsen möglicherweise sagen: Wir sind gar nicht so schlecht. Ich will der Statistik auch glauben. Aber wir
sind deutschlandweit eben in der vierten Liga. Das ist das Problem. Selbst wenn Sachsen demnächst in die dritte Liga aufsteigt, reicht das noch nicht.
Deswegen sollten wir der Staatsregierung folgende Forderungen mit auf den Weg geben, damit es nicht nur beim Aufschrei bleibt, sondern sich wirklich etwas ändert:
Erstens. Es muss endlich Schluss sein mit der Kleinstaaterei auf diesem Gebiet. Gammelfleisch hält sich nicht an Ländergrenzen innerhalb des Bundesgebietes. Dabei stimme ich mit Herrn Seehofer überein, der bundeseinheitliche Standards fordert. Auch die Staatsregierung soll sich dafür und möglicherweise auch für mehr Bundeskompetenz einsetzen.
Zweitens. Ross und Reiter müssen genannt werden. Wenn sich das auf Bundesebene nicht durchsetzen lässt, dann müssen wir das in Sachsen tun. Wir haben bereits jetzt die gesetzlichen Möglichkeiten dafür.
Ich sage knallhart: Wer in Größenordnungen mit der Gesundheit der Verbraucher spielt, hat kein Recht, sich auf den Datenschutz zu berufen.