Ich finde es verlogen, den schwarzen Peter nur den Schülern zuzuschieben und zu sagen, dass sie nicht ausbildungsfähig seien. Genauso wenig ist es richtig, nur auf die Wirtschaft zu schimpfen. Aber warum wird da nicht angesetzt? Warum holt man nicht die Akteure aus der Schule und dem beruflichen Umfeld an einen Tisch und berät, wie man dieses diffizile Problem angehen kann?
Sehen Sie nicht, dass es sich der Freistaat nicht mehr leisten kann, die Potenziale seiner Kinder so zu verschleudern?
Sehr geehrte Damen und Herren! Es gebe noch vieles, was ich ansprechen könnte. Ich möchte stellvertretend nur die Praxis der Berufsorientierung nennen. Aber da Sie heute alle noch das Sommerfest des Landtagspräsidenten begehen möchten, belasse ich es dabei.
Wir haben Ihnen heute einen Antrag sowie einen Änderungsantrag, der eine Erweiterung aus aktuellem Anlass ist, vorgelegt. Hier machen wir Ihnen Vorschläge, wie auf die derzeitige katastrophale Situation reagiert werden soll. Ich finde es bezeichnend, dass bis zur letzten Minute von der Koalition nichts vorgelegt wurde, sondern erst jetzt ein solch magerer Änderungsantrag. Ich finde es bezeichnend, dass man sich auf Bündnissen ausruht, deren Ergebnisse mehr als offen sind.
Die PDS erweckt mit ihrem Antrag den Eindruck, als müsste sie die Sozialpartner und die Staatsregierung durch einen Alarm wecken.
Sie haben ja selbst erwähnt, dass das Gremium, das diesbezüglich schon seit Jahren durchaus solide arbeitet, bereits wieder zusammengetreten war. Insofern bedarf es Ihres Alarms nicht. Die Aufgabe steht, wie auch in den Vorjahren. Die Aufgabe ist gewaltig, und es ist auch eines deutlich ausgedrückt, das Ziel ist beschrieben: jedem Jugendlichen ein Ausbildungsangebot! Das wird nicht in jedem Fall das Gewünschte sein, denn zu Wunsch und Realität gehört eben auch die passende Relation zwischen Leistungsvermögen und Anforderungen eines Berufes.
Nicht zu übersehen ist, meine Damen und Herren, dass wir uns in einer Umbruchsituation besonderer Art befinden. Einerseits sind erste Voraussignale des demografischen Umbruchs, sprich die Halbierung der Jahrgangsstärken, zu spüren, andererseits haben wir junge Leute in der so genannten Warteschleife in einem Umfang wie nie zuvor. Mehr als die Hälfte der zu erwartenden Bewerber kommt bereits aus einer berufsvorbereitenden Maßnahme. In absehbarer Zeit wird es so sein, dass sich die Situation vollkommen umkehrt, das heißt, dass Unternehmen in Größenordnungen auf der Suche nach geeigneten Bewerbern sein werden. Noch ist dies eben doch erst die Konstellation der Zukunft.
Was uns hingegen heute wie auch in den Folgejahren fortlaufend intensiv wird beschäftigen müssen, ist die Frage nach beruflichen Perspektiven für junge Menschen mit ungünstiger Ausgangsposition, für in verschiedener Weise benachteiligte Jugendliche. Auf diese Thematik will ich in der kurzen Zeit, die zur Verfügung steht, in gewisser Weise meinen Schwerpunkt setzen.
Wir erleben ja jetzt schon ein Umschlagen durch diesen demografischen Umbruch vom Überangebot an Ingenieuren hin zu einem Ingenieurmangel. Vergleichbares wird es in etwa acht Jahren für den Bereich der Facharbeiter geben. In einer ganzen Reihe von Berufen können wir diese Mangelsituation schon heute deutlich erkennen. Das Problem von gering Qualifizierten mit geringen beruflichen Perspektiven wird uns hingegen auf Dauer begleiten. Insofern ist es sinnvoll, dass man im Bündnis für Ausbildung genau hier einen Schwerpunkt setzt. Mit neuen kreativen Herangehensweisen unter Nutzung von ESF-Mitteln muss es darum gehen, noch differenzierter die tatsächlichen Kompetenzen der benachteiligten Jugendlichen aufzuspüren und sehr zielgerichtet fördernd berufliche Chancen zu eröffnen.
Es gibt, meine Damen und Herren, kaum jemanden, der nicht irgendwelche Talente hat. Diese gilt es zu entdecken und zu stärken. Das wird über das hinausgehen müssen, was in den schulischen Strukturen des Berufsvorberei
tungsjahres und ähnlichen Konstrukten bisher leistbar ist. Nichtsdestotrotz ein Kompliment an alle Berufsschullehrerinnen und -lehrer, die sich immer wieder vor diesen schweren Karren spannen.
Nun könnte man noch etwas zur Frage der Ausbildungsfähigkeit sagen. Diese Frage ist wirklich wert betrachtet zu werden. Ich habe schon die Erwartung, dass hier durch das, was wir im Bereich des Kindergartens angeschoben haben, durch die Dinge, die im schulischen Bereich diskutiert werden, noch manches zusätzlich leistbar ist. Insbesondere frühes Erkennen von Problemfällen und rechtzeitige angemessene Förderung können hier noch mancher künftigen Fehlentwicklung gegensteuern.
Damit sind wir aber sofort an der Stelle, an der deutlich wird, dass hierbei nicht nur Schulsystem und Lehrer eine Aufgabe haben, sondern dass es der Mitwirkung der Eltern und mancher fördernder Impulse aus der Gesellschaft heraus und eben auch junger Leute bedarf, die beizeiten wissen, was sie wollen. Es ist nicht nur an Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen zu arbeiten, sondern vor allem an der Bereitschaft, beizeiten auf einen Beruf zu orientieren, das schulische Leistungsverhalten darauf auszurichten und mit Neugier und Motivation in die Berufsausbildung einzusteigen. Dies kann nur dann gelingen, wenn uns wesentliche Erfolge in der Berufs- und Studienorientierung gelingen, Studienorientierung mit der Zielrichtung, mehr Schulabgänger für Naturwissenschaft und Technik zu interessieren und zugleich zu vermeiden, dass eine übergroße Zahl von Abiturienten als Bewerber um die eh schon knappen Ausbildungsplätze auftaucht. Berufsorientierung, um beizeiten den Schalter umzulegen in Richtung klarer Zielvorstellungen und darauf ausgerichteter schulischer Leistungen, aber auch mit dem Ziel, realistische Vorstellungen aufzubauen, um im ersten Anlauf in den richtigen Beruf einzusteigen und damit die Abbrecherquoten zu senken.
Man muss es immer wieder herausstellen, dass sich der Ausbildungsmarkt bei Weitem günstiger darstellen würde, meine Damen und Herren, wenn die Abbrecherquote von etwa 17 % nennenswert gesenkt werden könnte und der Verlust von Ausbildungsplätzen durch Nichtantritt trotz abgeschlossenen Ausbildungsvertrages vermieden würde.
Motivation ist immer wieder der Dreh- und Angelpunkt, von vielen Akteuren in der Wirtschaft bereits erkannt. Das Thema ist in den Arbeitskreisen Schule und Wirtschaft aufgegriffen. Wo sind die demotivierenden Einflüsse? Demotivierende Einflüsse der Eltern sind mir nur zu sehr nachvollziehbar, wenn jene gerade selbst Frustration am Arbeitsmarkt erleben. Trotzdem mein Aufruf: Diese negative Erfahrung darf nicht auch der nächsten Generation quasi als Erblast aufgebürdet werden!
Leider höre ich zu oft auch von No-Future-Stimmung, die von Lehrern verbreitet wird. Dem setze ich die Forderung entgegen, dass man sich in der Lehrerschaft an den
Kolleginnen und Kollegen orientiert, die erkannt haben, dass eine umfassende Mitverantwortung für die Zukunft der Jugendlichen bei ihnen liegt.
Ich will es einmal so ausdrücken: Erst wenn das „Produkt Schulabgänger“ am Markt sinnvoll untergebracht ist, hat der „Produktionskomplex Schule“ seine Aufgabe erfüllt. Daran, meine Damen und Herren, kann die Lehrerschaft in vielfältiger Weise mitwirken und sie sollte insbesondere die Angebote ernst nehmen, die von der Wirtschaft mit Tagen der offenen Unternehmen, mit dem Girl’s Day oder mit Praktika für Lehrer und Ähnlichem unterbreitet werden.
Aus langjährigen Erfahrungen, meine Damen und Herren, seit Anfang der neunziger Jahre biete ich Jahr für Jahr eine regionale Berufsbildungsmesse an. Aus dieser Erfahrung muss ich feststellen, dass in den Schulen unterschiedlich reagiert wird. Im Idealfall bereiten Lehrerinnen und Lehrer ihre Schüler mit Aufgaben und Berichtsbögen auf den Messebesuch vor und diskutieren anschließend mit den Jugendlichen über deren Eindrücke und Erfahrungen. Im anderen Fall bleibt möglicherweise meine Einladung schon im Direktorenzimmer liegen. In einer aktiven Mitwirkung der Lehrerschaft an einer motivierenden Berufsorientierung sehe ich beträchtliche Reserven.
Meine Damen und Herren! Für besonders bemerkenswert halte ich, dass Wirtschaft, Gewerkschaften, Kammern, Arbeitsverwaltung und Staatsregierung in einen Dialog für eine sächsische Berufsbildungsinitiative einsteigen wollen mit dem konkreten Ziel, dem dualen Ausbildungssystem neue Impulse zu verleihen. Dies ist dringend erforderlich, wissen wir doch, dass das duale System, sowohl was die Qualität der Ausbildung als auch deren Praxisnähe angeht, als auch was die Vermittlungschancen der Abgänger betrifft, anderen Ausbildungssystemen weit überlegen ist. Mit 58 % aller Schulabgänger, die im dualen Berufsausbildungssystem landen, haben wir im Westen Deutschlands sozusagen noch goldene Zeiten, in den Ostländern erreichen wir nur 33 %. Trotzdem gilt für beide, dass die Ausbildung vornehmlich in traditionellen Berufen stattfindet. Die Frage, wie neue Berufsbilder aus der Verschulung herausgelöst und dual ausgebildet werden können, kristallisiert sich immer mehr zu einer Zukunftsfrage heraus. Klar ist allerdings auch, dass wir diesbezüglich fallweise in den Bereich der Kooperation mit den Hochschulen vordringen müssen.
So weit, meine Damen und Herren, nur Aspekte in dem umfangreichen Feld der Frage, wie steht Berufsbildung derzeit in Sachsen da? Die Zukunft der beruflichen Bildung ist entscheidend, meine Damen und Herren, sowohl im Sinne der Entwicklungsmöglichkeiten junger Menschen als auch unter dem Aspekt, für die wirtschaftli
Ich bin davon überzeugt, dass die im Kollegium Lehrstellen und Fachkräfte für Sachsen zusammenarbeitenden Wirtschaftsvertreter, Gewerkschaften, Kammern, Arbeitsverwaltung – und auch der Landtag ist vertreten – in diesem Sinne engagiert arbeiten. Allen, zu deren täglichem Geschäft die Berufsausbildung gehört, sei für ihre Arbeit gedankt. Und nochmals der Appell an die Entscheider in der Wirtschaft: Nehmen Sie die mittel- und längerfristige Perspektive Ihres Unternehmens rechtzeitig in den Blick und bilden Sie heute aus!
(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Thomas Jurk – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das war zynisch, sonst nichts! Sie verspotten die Betroffenen!)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist es richtig, was Kollegin Klinger gesagt hat: dass wir uns bereits vor einem Jahr mit dem Thema beschäftigt haben. Es ist auch folgerichtig, dass wir uns im nächsten Jahr wieder mit dem Thema beschäftigen müssen. Ich möchte gern an die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion.PDS appellieren, darüber nachzudenken, ob es Sinn macht, bei einem so fragilen Thema eine populistisch geführte Debatte an den Anfang zu stellen und am Ende einzufordern, dass das einen gesellschaftlichen Konsens braucht. Es ist unstrittig, dass wir einen gesellschaftlichen Konsens in der Sache brauchen. Deshalb sollten wir bemüht sein, die Punkte, die wir gemeinsam erledigen können, gemeinsam anzupacken.
Ihr Auftritt hat mich in der Auffassung bestärkt, dass Sie versuchen, das Thema eher dazu zu nutzen, gegenüber Ihrer Klientel klar zu machen, dass Sie die einzige Fraktion im Landtag sind, die sich wirklich für die Ausbildungsmisere einsetzt. Das ist falsch. Das ist definitiv falsch. Es gibt eine Reihe von Initiativen der Koalition, es gibt eine Reihe von Initiativen aus dem Ministerium für Wirtschaft und Arbeit. Ich möchte appellieren, dass wir bei diesem Thema versuchen, den Konsens der demokratischen Fraktionen, der uns im Hause eigen sein sollte, zu wahren.
Richtig ist natürlich, dass wir ein Problem mit Altbewerbern haben. Richtig ist auch, dass wir generell ein Problem in der Frage der dualen Ausbildung haben. Unstrittig ist auch, dass wir uns seit einiger Zeit darum bemühen, dem sich abzeichnenden Fachkräftemangel, der allen bekannt sein müsste, die sich mit dem Thema auseinander setzen, etwas entgegenzusetzen, weil es dabei um die Wettbewerbsfähigkeit von Sachsen geht und darum, dass wir weiterhin innovative Produkte herstellen können und dafür Fachleute brauchen. All das ist unstrittig. Deshalb ist es sinnvoll, dass es gemeinsame Anstrengungen gibt
Dabei gibt es eine Reihe von Projekten, die gut funktionieren, und andere, die weniger gut funktionieren. In Sachsen gibt es immer den Versuch, den Konsens zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern herzustellen. Wir können darüber streiten, wie wir das erreichen wollen, das ist okay; aber unstrittig ist doch, dass wir jedem Jugendlichen in Sachsen eine Ausbildungsstelle anbieten wollen. Es sollte das Ziel sein, dass wir über die Wege streiten, die dorthin führen, aber nicht damit beginnen, uns gegenseitig vorzuwerfen, was wir alles nicht getan haben, um vielleicht selbst punkten zu können.
Ich glaube, dass das Kollegium Lehrstellen und Fachkräfte in Sachsen eine sinnvolle Einrichtung ist, die wertvolle Beiträge für die Diskussion zu diesem Thema liefert. Kollegin Klinger hat schon erwähnt, dass das Kollegium am 12.07. getagt und einen Beschluss gefasst hat. In diesem Beschluss ist deutlich geworden, dass man bemüht ist, jedem Jugendlichen ein Ausbildungsplatzangebot zu unterbreiten.
Das Problem ist aber – und das muss man immer wieder ansprechen; das tun wir als Sozialdemokraten auch –, dass wir einen Mangel an dualer Ausbildung haben und nur noch 40 % der Jugendlichen heute eine duale Ausbildung durchlaufen können. Weil das Problem so offenkundig ist, müssen wir eine Vielzahl von Maßnahmen im staatlichen Bereich anbieten, um den schwierigen Versuch zu unternehmen, zumindest ein Ausbildungsplatzangebot zu schaffen. Über dessen Qualität kann man in der Tat streiten; die Alternative wäre aber, nichts anzubieten. Insofern ist es richtig, dass wir mit der öffentlichen Hand den Versuch machen, dort gegenzusteuern.
Die Konsequenz daraus ist, dass es immer mehr vollzeitschulische Maßnahmen gibt, die in überbetrieblichen Einrichtungen stattfinden. Dadurch verlieren die Jugendlichen den Kontakt zur Praxis. Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass die Schule niemals die duale Ausbildung mit der Praxis im Betrieb ersetzen kann. Wir müssen alles daransetzen, dass die Jugendlichen, die eine Ausbildung anfangen möchten, öfter Betriebsluft schnuppern können.
Es freut mich, dass der Präsident der IHK Dresden, Hartmut Paul, das auch erkannt hat. Er sagt: „Betriebliche Ausbildung ist das bewährte und unverzichtbare Instrument zur Qualifizierung der zukünftigen Facharbeiter, worauf alle Unternehmen angewiesen sind. Chancen für die jungen Auszubildenden sind auch echte Chancen für sächsische Unternehmen, auch wenn einzelne Unternehmen das noch nicht erkannt haben.“ Da gebe ich ihm Recht. Es stimmt mich froh, dass es eine solche Aussage gibt. An diesem Punkt sollten wir miteinander weitermachen und ein Signal an die Öffentlichkeit senden.
Unser Änderungsantrag versucht, genau dort anzusetzen. Im Klartext heißt das: In der Auffassung, dass wir etwas
tun müssen, sind wir nicht weit voneinander entfernt und es geht um die Frage, was wirklich in der Koalition durch uns Sozialdemokraten realistisch umsetzbar ist. Der vorliegende Änderungsantrag ist, wenn man den Blick für die Rahmenbedingungen nicht verlieren will, ein Schritt in die richtige Richtung. Wir wollen versuchen, mit gezielten Maßnahmen darauf hinzuwirken, dass benachteiligte Jugendliche im Rahmen eines Ausbildungsplatzes oder Arbeitsangebotes integriert werden, was die Voraussetzungen dafür schafft, dass sie im Anschluss die Möglichkeit haben, eine Berufsausbildung anzutreten.
Gestört haben mich die Presseverlautbarungen der letzten Tage. Es klang so, als würden die Behörden der Staatsregierung angeblich das Ausbildungsplatzangebot reduzieren. Genau das Gegenteil ist der Fall. Man muss sich genau ansehen, über welche Ministerien wir hier reden. Im Wirtschaftsministerium standen 2005 56 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Genau diese Zahl wird auch 2006 angeboten. Insofern sollten sich alle anderen Ministerien ein Beispiel daran nehmen. So ist auch unser Punkt 3 im Änderungsantrag zu verstehen. Wir wollen, dass das Ausbildungsplatzangebot der Ministerien, also der Teil, in dem die öffentliche Hand, der Freistaat selbst ausbildet, verstetigt wird.
Ich bitte darum, dass Sie dem Änderungsantrag der Koalition Ihre Zustimmung geben. Dem Antrag der Linksfraktion.PDS können wir, so wie er vorliegt, leider nicht unsere Zustimmung geben.