Protocol of the Session on July 20, 2006

Natürlich darf der Bund seine Haushaltsprobleme nicht auf dem Rücken der Kommunen austragen, sondern muss die gegebenen Zusagen einhalten. Die nächsten Streitpunkte sind ja bereits absehbar. Kurz vor dem Kabinettsbeschluss über die Ausgaben von Hartz IV wurde im Etat von Bundesarbeitsminister Müntefering auch noch die Deckungsklausel für etwaige Mehrkosten beim ALG II geändert. Nur eine Milliarde Euro kann Steinbrück im Etat der Eingliederungshilfen abzweigen, wenn die Kosten für die Langzeitarbeitslosen erneut über den Planzahlen liegen sollten, was mit Sicherheit der Fall sein wird.

Ursprünglich sollte der Posten „Eingliederungshilfen“ mit insgesamt 6,5 Milliarden Euro als Reserve für das ALG II dienen. Das heißt, er wurde sage und schreibe um ein Sechstel des Ursprungssatzes reduziert. Das zeigt, dass trotz der zu Zeiten der WM-Euphorie geräuschlos durchgepeitschten größten Steuererhöhung seit 1949 auch der nächste Haushalt wieder auf Kante genäht sein und der Dauerstreit zwischen Bund und Ländern um die Finanzierung von Hartz IV in die nächste Runde gehen wird.

Die NPD-Fraktion hält die ganze Hartz-IV-Regelung mit ihren zahlreichen Folgeproblemen für eine Bankrotterklärung der etablierten Politik, wie sie dramatischer nicht ausfallen kann – und das auf Kosten auch der sächsischen Kommunen.

(Beifall bei der NPD)

Herr Morlok von der FDP-Fraktion, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wurde bereits angesprochen, die Themen Hartz IV und KdU sind nicht zum ersten Mal Gegenstand der Debatte hier im Landtag. Wir haben darüber schon des Öfteren gesprochen, insbesondere am 9. November letzten Jahres zum gleichen Sachverhalt und der gleichen Situation. Dazu gab es vier Anträge von verschiedenen Fraktionen mit der gleichen Zielrichtung.

Damals hat SPD-Minister Clement versucht, die Zuschüsse des Bundes für Kosten der Unterkunft für die Kommunen rückwirkend zum 01.10.2005 zu streichen. Damit wären 250 Millionen Euro für sächsische Kommunen verloren gegangen. Erst ein Machtwort der Bundeskanzlerin nach der Bundestagswahl zum Streichungsversuch durch SPD-Minister Clement hat dafür gesorgt, dass diese Kürzung von 250 Millionen Euro nicht zum Tragen gekommen ist.

Nun haben wir die gleiche Situation. Wir haben einen SPD-Minister – nur heißt er jetzt nicht mehr Clement, sondern Steinbrück –, der genau das Gleiche versucht und auch kräftig am Bundeszuschuss für die Kosten der Unterkunft kürzen möchte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das erklärt vielleicht, nachdem Herr Rohwer den Antrag der Koalitionsfraktionen wenigstens noch begründet und Herr Pecher darauf verzichtet hat, dies zu begründen,

(Mario Pecher, SPD: Nein, ich habe mich der Meinung von Herrn Rohwer angeschlossen!)

weil er dann seinem eigenen Parteifreund Steinbrück hier hätte massiv in die Parade fahren müssen.

(Beifall bei der FDP)

Wir diskutieren hier über ein Thema, das die Genossen sinnvollerweise parteiintern klären sollten.

(Mario Pecher, SPD: Na, na!)

Die Begründung von Herrn Steinbrück für die Kürzungen ist, dass wir durch das Hartz-IV-Korrekturgesetz Kosteneinsparungen hätten und man deshalb das Geld nicht brauchen würde. Die Situation sieht allerdings vollkommen anders aus. Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften in Sachsen stieg von Januar 2005, also seit Hartz IV, bis Juni 2006 um 36 %. Im gleichen Zeitraum hat sich die Zahl der Arbeitslosen in Sachsen um 18 % verringert. Das heißt also, Hartz IV hat sich schon seit Langem von der Entwicklung des Arbeitsmarktes abgekoppelt. Wenn wir uns die aktuellen Zahlen in 2006 anschauen, können wir feststellen, dass auch in 2006 die Zahl der Bedarfsgemeinschaften weiter steigt. Die Begründung, wie sie Herr Steinbrück anführt, ist vollkommen haltlos.

Wir werden dem Antrag zustimmen, weil er inhaltlich richtig ist. Aber ich finde es unerträglich – ich habe das schon angesprochen –, dass, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihre Parteifreunde in der Bundes

regierung jedes Jahr diese Diskussion vom Zaun brechen und wir im Landtag einen Antrag beschließen müssen. Die Bundesregierung versucht, allen Kommunen schamlos in die Tasche zu greifen. Anstatt einen solchen Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, hier im Plenum einzubringen, könnten Sie bei Gelegenheit auf dem nächsten Bundesparteitag Ihrer Partei einen solchen Antrag einbringen und dort eine klare Beschlusslage herbeiführen, damit uns diese Diskussion in den nächsten Jahren erspart bleibt.

(Beifall bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen! Es ärgert mich auch, dass die Kommunen bei den Verhandlungen in Berlin wieder einmal nicht am Tisch sitzen sollen. Das ist das Grundproblem der gesamten Kostenverlagerung auf die Kommunen. Hier ist dringender Handlungsbedarf geboten. Das sehen auch die Kommunen so. Das sieht auch die SPD so. Ich darf einmal Ihren Parteifreund Christian Ude, Präsident des Deutschen Städtetages, zitieren: „Die Hartz-IV-Gesetzgebung hat gezeigt, wie unsinnig es ist, die Kommunen nicht ausreichend anzuhören und zu beteiligen. So kommen Gesetze zustande, die weltfremd und viel zu bürokratisch sind.“ – Recht hat Herr Ude.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Mario Pecher, SPD)

Die Fraktion der GRÜNEN, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt einen sehr schönen Sammelband von Stefan Zweig mit dem Titel „Sternstunden der Menschheit“.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Als ich Ihren Antrag, meine Damen und Herren von der Koalition, las, kam mir doch die Idee, man sollte auch einen Band mit dem Titel „Sternstunden des Parlaments“ herausgeben. Dieser Antrag mit der Drucksache 4/5860 würde darin sicherlich ganz vorn einen Platz bekommen.

Schon beim Lesen des Titels „Kosten der Unterkunft – Interessen von Freistaat und Kommunen wahren!“ jagt es einem einen kalten Schauer über den Rücken angesichts der Gestaltungskraft, die hier in Worte fließt. Wer es bei den Worten nicht gemerkt hat, wird spätestens bei dem kraftvollen Ausrufezeichen vor Ehrfurcht erstarren. Der Antrag drückt allenfalls auf einer metaphorischen Ebene aus: Hier sind Parlamentarier am Werk, die etwas erreichen, die Verkrustungen aufbrechen und die Zukunft in die Hand nehmen wollen.

(Heiterkeit und Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Was wollen diese Parlamentarier? Sie wollen weniger Geld ausgeben. An dieser Stelle verbindet sich die Gestaltungskraft mit der Innovation und gelangt dadurch auf

eine höhere Ebene des Seins. Denn hier sind selbstlose Menschen tätig, und nicht nur das Land, nein, auch die Kommunen in Sachsen sollen weniger bezahlen.

Meine Damen und Herren! Wo findet sich in heutiger Zeit noch so viel Altruismus? Sicherlich kann man sagen: Im Sächsischen Landtag gibt es noch diese Mischung aus politischer Verantwortung, Gemeinsinn und jenem Blick fürs Große und Ganze, den unser Staat so dringend braucht.

(Heiterkeit der Abg. Klaus Tischendorf und Regina Schulz, Linksfraktion.PDS, und Antje Hermenau, GRÜNE)

Meine Damen und Herren! Dieser Antrag ist auch ein Zeichen von Selbstlosigkeit. Will sich die Koalition in den Vordergrund drängen und vielleicht die vorgetragenen Probleme innerhalb der eigenen Partei lösen, da sowohl in Dresden als auch in Berlin dieselbe Verantwortung getragen wird? Nein, das Rampenlicht ist die Sache dieser Koalition nicht. Das gönnen sie in selbstloser Art und Weise der Landesregierung.

Aber welche hohe Aufgabe wird hier übertragen? Die Botschaft lautet: Lasst uns alle weniger zahlen! Wer wie unsere Fraktion das Ziel wohl erahnt, den Weg aber noch nicht kennt, dem kann die Koalition auch nicht weiterhelfen. In dieser Drucksache schlägt sich die hohe Kunst des politischen Handwerks nieder, sodass sich die Bürgerinnen und Bürger draußen im Land verwundert fragen, was dieser Nonsens soll.

Sie haben einen Satz aufgeschrieben, der so etwas von selbstverständlich ist, dass es noch einfacher nicht geht. Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist so nicht verhandelbar. Wir haben bereits einen Antrag zur Verteilung der Mittel für die Kosten der Unterkunft eingebracht. Wir hätten großes Interesse, ernsthaft über diese Problematik zu sprechen. Für eine sachgerechte Erörterung liefert dieser Antrag leider keinen Ansatz. Darauf kann man nur kabarettistisch antworten. Bitte nehmen Sie bei diesem Thema zur Kenntnis: Ja, alle wollen weniger zahlen. Als Politiker sind wir aber in der Pflicht, Wege aufzuzeigen, wer weniger bekommt bzw. wer mehr bezahlen soll.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Richtig!)

Was hier vorliegt, ist nicht zu überbieten, und zwar an Banalität.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Es ist schade um jede Minute, die man mit solchen Papieren verbringt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie das nächste Mal eine Anregung brauchen, wie man die Sitzung des Landtages strafft, dann kommen Sie getrost zu mir. Ich hätte da so eine Idee.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und der FDP – Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS: Klasse!)

Möchte sich noch jemand an der Diskussion beteiligen? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Sie haben den Wunsch, Herr Minister Buttolo? – Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche in Vertretung von Frau Staatsministerin Helma Orosz.

Der vorliegende Antrag knüpft an den gleich lautenden Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD vom Oktober 2005 an. Dazu hat Frau Orosz an dieser Stelle am 9. November sowie mit Schreiben vom 29. Dezember 2005 Stellung genommen. Die heutigen Ausführungen setzen am damaligen Stand an.

Wie Sie wissen, sieht das im Dezember 2005 beschlossene Gesetz zur Änderung des II. Sozialgesetzbuches die Fortschreibung der Bundesbeteiligungen an den Leistungen für Unterkunft und Heizung lediglich bis zum 31.12.2006 vor. Es bestand bereits damals unter allen Beteiligten Konsens, dass im Laufe des Jahres 2006 eine tragfähige Finanzierungslösung für die Zeit ab 1. Januar 2007 gefunden werden muss.

Die Ministerpräsidenten haben sich am 22. Juni 2006 mit der Bundeskanzlerin auf ein dreistufiges Verfahren verständigt. Erstens. Die Fachministerien der Länder und des Bundes ermitteln eine Datenbasis zur Vorbereitung einer politischen Entscheidung. Zweitens. Die Vertreter der Bundesregierung werden sich auf Ministerebene und von sechs Ländern auf Ministerpräsidentenebene auf einen Vorschlag für einen konkreten Lösungsweg verständigen. In einem dritten Schritt erfolgt eine gemeinsame Beschlussfassung aller Ministerpräsidenten über den gewählten Lösungsansatz auf der Jahreskonferenz am 19. und 20. Oktober 2006.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das hätte ich nicht erwartet!)

Zur Ermittlung einer gemeinsamen Datenbasis fand bereits am 17. Juli 2005 ein erstes Treffen im Bundesministerium für Arbeit und Soziales statt. Dazu ist Folgendes zu berichten: Es sind die gleichen Schwierigkeiten zutage getreten, die bereits im vergangenen Jahr bei der Ermittlung einer gemeinsamen Datenbasis aufgetreten sind. Während die Länder, gestützt auf die Ergebnisse der flächendeckenden kommunalen Datenerhebung, im Saldo eine Nettobelastung in Höhe von 3,17 Milliarden Euro ermittelt haben, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Nettoentlastung in Höhe von 0,45 Milliarden Euro errechnet. Nach der Länderberechnung muss sich also der Bund an den kommunalen Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 5,67 Milliarden Euro beteiligen, wenn die zugesagte Entlastung der Kommunen um 2,5 Milliarden Euro erreicht werden soll. Das entspricht einer Beteiligung von 42,1 %. Nach den Berechnungen des Bundes wird das zugesagte Entlastungsvolumen von 2,5 Milliarden Euro bereits dann erreicht, wenn sich der Bund mit 15 % an den Leistungen

für Unterkunft und Heizung beteiligt. Diese Quote entspricht einem Ausgleichsvolumen von rund zwei Milliarden Euro. Das ist exakt der Betrag, den die Bundesregierung im Haushalt 2007 veranschlagt hat.

Die Diskrepanz von drei Milliarden Euro erklärt sich im Wesentlichen aus den unterschiedlichen Daten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales konstruierte ein fiktives Bild der Finanzfolgen, während sich die Kommunaldatenerhebung um ein reales Bild bemüht. Das wird besonders augenfällig bei der Ermittlung der Entlastung der Kommunen in der Sozialhilfe. Nach der Kommunaldatenerhebung sind die Ausgaben des Jahres 2005 im Vergleich zum Vorjahr um zehn Milliarden Euro zurückgegangen. Nach der Berechnungsmethode des Bundes sollen jedoch die Entlastungen bei knapp 13 Milliarden Euro liegen. Dabei wird den Kommunen ein Großteil der Mehrkosten, die durch den exorbitanten Anstieg der Fallzahlen bedingt sind, als Entlastung zugerechnet. Für diese Mehrkosten sind jedoch allein die vom Bund im SGB II vorgenommenen Leistungsausweitungen verantwortlich. Dieser Dissens wird sich nur im Rahmen eines politischen Gesamtkompromisses lösen lassen.

Der Dissens über die gemeinsame Datenbasis und das daraus abzuleitende Ausgleichsvolumen ist aber nur ein Konfliktbereich. Das andere Konfliktthema ist, wie dieses Ausgleichsvolumen über die 16 Länder auf die Kommunen zu verteilen ist. Bereits den Entscheidungen im Vermittlungsausschuss im Dezember 2004 und Juni 2005 waren lange kontroverse Diskussionen vorausgegangen, wie die Entlastungen von 2,5 Milliarden Euro gerecht zu verteilen sind.

Durch den damals gefundenen Kompromiss konnte zwar keine gleichmäßige Entlastung aller Länder erreicht werden. Insbesondere die Stadtstaaten sowie einzelne Flächenländer wie Hessen und Schleswig-Holstein wurden, bezogen auf die Zahl der Einwohner, überdurchschnittlich entlastet. Durch den Kompromiss konnte aber wohl gewährleistet werden, dass zumindest im Jahr 2005 kein Land durch die Reform im Saldo netto belastet wurde. Dagegen kann die Nettoentlastung im Jahr 2006 aufgrund der regional unterschiedlichen Ausgabenentwicklung nicht mehr für alle Länder sichergestellt werden. So werden nach den Berechnungen des Deutschen Landkreistages die Länder Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr im Saldo nicht mehr entlastet, sondern sogar netto belastet werden.

Vor diesen Hintergrund überrascht es nicht, wenn Länder wie Nordrhein-Westfalen ihren bisherigen Verteilungsmodus auf den Prüfstand stellen. Dies gilt auch für die Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen, über die die ostdeutschen Länder bis 2009 in jedem Jahr 840 Millionen Euro netto zum Ausgleich ihrer Sonderlasten im Zusammenhang mit der Hartz-IV-Reform erhalten. Sachsen erhält davon einen Anteil von netto 2,68 Millionen Euro.

Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Interessenlagen zwischen Bund und Ländern einerseits und den Ländern untereinander andererseits zeichnet sich bereits jetzt ab, dass die Suche nach einem gerechten Finanzausgleich schwierig wird. Es versteht sich von selbst, dass die Sächsische Staatsregierung einer Finanzlösung nur zustimmen wird, wenn die Interessen des Freistaates wie auch die Interessen der sächsischen Kommunen gleichermaßen gewahrt sind.