Meine Damen und Herren! Mit diesem Entschließungsantrag, den die PDS vorlegt, können wir uns deshalb nicht anfreunden. Dieser Antrag verfolgt ein verkehrspolitisches Konzept, in dem es heißt: Rückwärtsgang eingelegt und dann mit Volldampf aufs Abstellgleis.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sind ja leider schon einiges gewöhnt, was die Qualität der Antworten der Staatsregierung auf Kleine und Große Anfragen aus den Reihen des Parlaments betrifft. Die Antwort auf die Große Anfrage der PDS erreicht jedoch noch einen weiteren Tiefpunkt. Nicht allein die Tatsache, dass der Umfang der Antworten kaum den Umfang der Fragen übertrifft, zeigt, dass viele Fragen offen bleiben. Die Qualität der Antworten, auf die es ja vielleicht viel mehr ankommt, zeugt von einem Desinteresse am Thema und auch von schlichter Ignoranz. Im Grunde genommen wäre es ehrlicher gewesen, wenn Sie unter die Große Anfrage geschrieben hätten: Zusammenfassende Antwort auf die Fragen 1 bis 60: Das ist uns nicht bekannt, dazu ist keine Aussage möglich, das können wir nicht beurteilen, dafür sind wir nicht zuständig, dazu wollen wir nichts sagen. Die Zukunft der Eisenbahn in Sachsen ist für uns eigentlich kein Thema.
Dort, wo Sie sich einmal mehr als zwei Zeilen abringen, sind Ihre Antworten dann auch noch fragwürdig. Bestenfalls kann ich Ihnen, Herr Minister Jurk, vielleicht noch konzedieren, dass Sie mit dem Agieren der Deutschen Bahn AG mit Herrn Mehdorn an der Spitze auch über Kreuz liegen und das nur nicht so laut sagen wollen. Vielleicht flüchten Sie sich deshalb in diese Nichtinformationspolitik. Das wird uns aber in den durchaus drängenden Fragen, die die PDS hier berechtigterweise aufwirft, keinen Schritt weiterbringen.
Bevor ich in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit darlege, wie wir, die GRÜNEN, uns zum geplanten Börsengang der Bahn positionieren, möchte ich mit ein paar Beispielen – meine Vorredner haben es auszugsweise auch schon getan – auf die Sprünge helfen.
Auf die Frage B 5, welche Bedeutung die geschwärzten Teile des Gutachtens zum Börsengang haben, antworten Sie lapidar: „Dazu ist keine Aussage möglich, da die geschwärzten Teile nicht bekannt sind.“
Frau Dr. Runge, ich glaube, Sie haben es auch schon zitiert. Da kann ich Ihnen gern weiterhelfen. In der übrigens völlig unrechtmäßig geschwärzten Passage steht Folgendes: „Den größten Anteil am Effekt investiver Fehlallokation hat nach Einschätzung der DB AG eine Verlangsamung bis zuweilen Verminderung der Stilllegung unwirtschaftlicher Teile des Schienennetzes nach einer Trennung. Eine eher staatsnahe Infrastrukturgesellschaft wäre“ – so die Argumentation „nicht in der Lage, Rationalisierungen des Netzes in dem Ausmaß und der Geschwindigkeit wie ein privatisierter integrierter Konzern vorzunehmen.“ – Zitiert nach der Zeitschrift „Der Fahrgast“, Ausgabe 2/2006.
Wenn ich jetzt einmal versuche, ad hoc dieses Betriebswirtschaftsberater-Deutsch zu übersetzen, so heißt es: Wir sind dagegen, weil wir gern stilllegen wollen und das vorher nicht so genau sagen wollen.
Daraus ergibt sich eindeutig der logische Schluss, dass die Deutsche Bahn nach einem integrierten Börsengang solche Streckenstilllegungen in großem Umfang plant. Herr Mehdorn hat in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass ihn politische Vorgaben eigentlich nicht scheren. Umso wichtiger wäre es, dass sich der Verkehrsminister eines Landes und vielleicht auch der Bundesverkehrsminister, der sein Parteifreund ist, einmal für bestimmte politische Vorgaben stark machen. Ihrer Antwort auf die Große Anfrage der PDS kann ich ein solches Bemühen leider überhaupt nicht entnehmen.
In der Frage B 15 erheischt die PDS Auskunft über den Realismusgehalt der im Gutachten genannten Verkehrsprognosen. Auch hier fällt der Staatsregierung nicht viel mehr ein, als noch einmal festzustellen, dass die Hauptlast des Verkehrs auch künftig vom Verkehrsträger Straße bewältigt werden müsse. Keine Spur von politischem Steuerungswillen in eine Richtung, die diese verhängnisvolle Entwicklung beeinflussen könnte. Sie planen offensichtlich in Ihrem Haushaltsentwurf wieder Unsummen für Straßenneubauprojekte, noch bevor Sie den Landesverkehrsplan überarbeitet haben.
Vielen Dank, Frau Kollegin Raatz, Sie waren der absolute Höhepunkt dieser Debatte bisher, denn wir haben wirklich eine Information bekommen: Die Koalition beabsichtigt, noch Ende dieses Jahres den Verkehrsplan vorzulegen. Ich bedanke mich ausdrücklich.
Nein, Herr Staatsminister. Ich habe das doch zitiert. Sie kennen doch hoffentlich Ihre eigene Koalitionsvereinbarung. Da steht ausdrücklich drin: Mitte des Jahres 2005. Wir haben es auch schon des Öfteren diskutiert, Herr Staatsminister. Lassen Sie mich jetzt bitte weiterreden.
In der Frage C 2 gibt Ihnen die PDS einige Stichworte in Bezug auf die Frage, wie sich der Börsengang auf die
Einführung eines integrierten Taktfahrplanes, die Revitalisierung stillgelegter Bahnstrecken und leer stehender Bahnhofsgebäude auswirken könnte. Sie antworten auch hier ausweichend: „Es wird so viel Eisenbahninfrastruktur und Eisenbahnverkehr vorgehalten werden, wie zur Sicherung der umweltverträglichen Mobilität der Bevölkerung erforderlich und finanzierbar ist.“ Wir gratulieren. Ich hätte Ihnen gewünscht, dass Sie einmal deutlicher werden und klar sagen, was Sie für erforderlich halten.
Wenn die PDS zu den Aktivitäten des Bahnvorstandes fragt, den Konzern als internationalen Logistik- und Mobilitätsdienstleister zu entwickeln, dann antworten Sie, als hätten Sie die Frage gar nicht gelesen, „es wäre nicht vorteilhaft, die Entwicklung zu einem kundenfreundlichen Eisenbahnunternehmen zu unterbinden“ – so wörtlich.
Da wundert es dann auch nicht mehr, dass auf die Frage nach Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Schiene wie Bestellung von Flugbenzin oder Einführung der Mehrwertsteuer für internationale Flüge wieder einmal auf den europäischen Rahmen verwiesen wird. Was sollten Sie auch antworten, Herr Jurk, der im nationalen Rahmen gerade die Mehrwertsteuer erhöht und der Kürzung der Regionalisierungsmittel im Bundesrat seine Zustimmung gegeben hat?
Folgerichtig lautet die Antwort auf die Frage, zu welchen Fragen der Bahnreform Sie beabsichtigen, eigene Vorschläge aus der Sicht Sachsens in die politische Debatte einzubringen: „Der Freistaat Sachsen wird sich bei den Fragen, in denen die sächsischen Interessen berührt werden, einbringen.“
Entschuldigung, Herr Minister – wenn ich das lese, dann fühle ich mich tatsächlich für dumm verkauft. Ich hätte es doch gern etwas genauer. Aber Sie wollen nicht antworten. Ich fürchte, Sie können es auch nicht, weil Sie keine eigenen Vorstellungen zur Bahnpolitik haben und nach wie vor viel zu autofixiert sind, um die Tragweite der hier zu fällenden Entscheidung auch nur zu begreifen.
„Insoweit erübrigt sich eine vertiefte Auseinandersetzung.“ So antworten Sie auf Frage D 10. Dies steht symptomatisch für alle Antworten, die Sie hier schriftlich niedergelegt haben.
Natürlich sind wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Schritt weiter. Es zeigt sich wieder einmal, dass Sie zwar hier und da „Umweltpolitik“ als Etikett auf Ihre Programme draufkleben, konzeptionell aber den Erfordernissen weit hinterherlaufen.
Das muss ich auch in Richtung PDS sagen, die mir jetzt so applaudiert hat. Soweit ich es den bisherigen Aussagen dieser Partei und auch den vermuteten Intentionen ihrer Fragestellungen entnehmen kann, will sie eigentlich den Status quo beibehalten und lehnt einen Börsengang der Bahn rundweg ab. Es tut mir Leid, aber ich fürchte, in dieser Frage bin ich mit Kollegen Martens einig: Das kann auch nicht die Lösung sein. Es verkennt, dass die Ziele, die die im großen Konsens 1994 im Bundestag beschlossene Bahnreform verfolgte, in den gegenwärtigen
Strukturen nicht erreicht worden sind. Das zentrale Ziel war mehr Schienenverkehr. Das wurde bisher zu wenig erreicht. Nach wie vor agiert die DB AG wie ein Staat im Staate. Es bleibt ihrer unternehmerischen Entscheidung überlassen, was mit dem Schienennetz passiert.
Das führt dann zu solchen Absurditäten wie der, dass seit 1999 1,4 Milliarden Euro Fördermittel nicht verbaut worden sind.
Bei den so genannten natürlichen Monopolen wie dem Schienennetz funktionieren Märkte jedoch am besten, wenn diese Monopole in öffentlicher Hand verbleiben. Der Staat stellt sicher, dass alle Marktteilnehmer zu gleichen Konditionen Zugang zur Infrastruktur haben. Eine Vollprivatisierung der Straßen, bei der zum Beispiel einem Betrieb die Zufahrtsstraße verweigert würde, ist undenkbar, bei der DB AG aber Alltag.
Neben vielen anderen Punkten, die ich hier noch aufführen könnte, möchte ich auf die Befürchtungen der Beschäftigten, bei einem Börsengang ihre Arbeitsplätze zu verlieren, eingehen. Seit der Bahnreform hat sich die Zahl der Beschäftigten im Bereich Schiene von 386 000 auf 164 000 mehr als halbiert. Das geschah unter dem Dach eines integrierten Staatskonzerns, dessen Struktur von Gewerkschaftsseite zum Teil vehement verteidigt wird. Das verstehe ich dann aber auch wieder nicht. Wir fordern allerdings bei jeder Privatisierungsvariante, dass der Beschäftigungssicherungsvertrag bis 2010 für alle Beschäftigten in vollem Umfang erhalten bleibt. Gleiches gilt für die erkämpften Tarife und die Rechte der Behinderten.
Wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN treten seit Jahren konsequent für eine Trennung von Netz und Betrieb im Schienenverkehr ein. Wir schlagen ein „Wachstum Schiene“-Modell vor, das auf dem getrennten Modell des Primon-Gutachtens aufbaut. Der DB-Konzern wird dabei die Basis für eine künftige Schieneninfrastrukturgesellschaft, die für die Infrastruktursparten zuständig ist. Die Transportgesellschaften werden aus dem Konzern herausgelöst. Die Infrastrukturgesellschaft bleibt zu 100 % im Besitz des Bundes. Außer dem Gleisnetz zählen dazu alle Infrastrukturen, die zu einem reibungslosen Eisenbahnbetrieb notwendig sind, also Bahnhofsgebäude, Energieversorgungssysteme, Fahrgastinformationssysteme usw. Diese Gesellschaft soll einen klaren gesetzlichen Auftrag haben, nämlich die Wahrung der öffentlichen Interessen und des Gemeinwohls im Sinne des Grundgesetzes. Sie soll die Infrastrukturkapazitäten neutral verwalten und das Netz auch unter Einbindung privater Unternehmen bewirtschaften. Außerdem kann sie einheitliche Fahrgastinformationen und durchgehende Fahrkarten für den gesamten öffentlichen Verkehr gewährleisten.
Besonders sinnvoll sind diese Ansätze übrigens, wenn sie mit einer Regionalisierung der Infrastruktur einhergehen. Da die staatlichen Zuschüsse für den Betrieb des regionalen Nahverkehrs ohnehin zunehmend im Wettbewerb vergeben werden, könnte dies auch auf die Infrastrukturbewirtschaftung ausgedehnt werden. Dies ließe sich wesentlich erleichtern, wenn die regionalen Netze ohne Fernverkehrsbedeutung in die Verantwortung der Länder kämen. Als finanzieller Ausgleich könnten den Ländern dafür Mittel aus dem bestehenden Bundesschienenwegeausbaugesetz übertragen werden.