Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen fordern mehr Mut zur Selbstständigkeit. Was wir gehört haben, ist, dass es ein Wachstum geben soll. Wie es zu diesem Wachstum kommen soll, wurde uns jedoch nicht dargelegt. Einer der vielen Vorschläge in diesem Bereich ist, für mehr Nachfrage zu sorgen – auch staatlicherseits.
Es wird uns geschildert, dass es zu einem Klimawandel kommen soll. Wer an dem gegenwärtigen Klima – auch im Bereich der Selbstständigen, dass es also nicht die entsprechende Existenzgründungsquote gibt – Schuld trägt, wird nicht gesagt. Auch wie dieser Klimawechsel vonstatten gehen soll, wird nicht ausgeführt. Zum Schluss wird noch auf den Neid auf den Porsche fahrenden Unternehmer verwiesen, wobei ich mich frage, welche statistischen Untersuchungen dies bisher hergeben.
Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Koalitionsfraktion, fordert „Mehr Mut zur Selbstständigkeit“. Was Sie hier vorlegen, wenn man den Antrag liest, ist „Mehr Mut zum Berichtswesen“.
Sehen wir uns Ihren Antrag an! Sie fordern, dass dargestellt werden soll, wie viele Existenzgründungen es seit 2002 in Sachsen gab, in welchen Bereichen es diese Existenzgründungen gab, welchen Einfluss die sächsischen Hochschulen, Gründungszentren sowie futureSAX auf die Existenzgründer hatten usw. usf. Ich sage Ihnen: Das, was Sie fragen, wissen schon Leute in Sachsen. Die IHK weiß es zum Teil – lesen Sie nur den aktuellen Wirtschaftsatlas 2005! Die Journalisten wissen es – lesen Sie die Zeitung! Wir wissen es, wenn wir unsere eigenen Kleinen Anfragen lesen, und die Menschen wissen es zum Teil auch, beispielsweise aus bestimmten Bereichen des persönlichen Erlebens heraus.
Sie, meine Damen und Herren von der CDU – so habe ich es gestern gesagt –, betreiben geistige Arbeitsverweigerung. Was uns heute hier dargeboten wird, zeigt, dass Sie nicht einmal bereit sind, das zu lesen, was schon vorliegt, und um mit der Bibel zu sprechen: Mit sehenden Augen können Sie nicht sehen, mit hörenden Ohren können Sie nicht hören.
Ja, das muss unserer Meinung nach ein Ende haben. Nehmen Sie doch erst einmal das zur Kenntnis, was vorliegt, und legen Sie danach Vorschläge vor. Aber es kann ja sein, dass Sie dafür etwas länger brauchen; und so fordern Sie mit Ihrem Antrag, dass all die Daten, die der Wirtschaftsminister eruieren soll, im Mittelstandsbericht zusammengefasst werden sollen. Wann soll dieser Mittelstandsbericht erscheinen? Im Jahre 2008, sprich: in zwei Jahren – wir haben jetzt 2006. Sie, Herr Bolick, sagen, Sie wollen danach eine Auswertung dieser Daten vornehmen. Dies wird dann ja nicht eher als im Jahre 2009 geschehen und die entsprechenden Vorschläge können vielleicht im Jahr 2010 politisch umgesetzt werden.
Was Sie hier machen, ist nichts weiter als das, was in der Planwirtschaft üblich war: erst einen Bericht zu fordern, dann lange abzuwarten und danach irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen, die eigentlich heute schon zu ziehen sind, und Lösungen für Probleme zu finden, die eigentlich heute schon klar sind.
Welches sind denn die Probleme in Sachsen? Ja, wir haben zu wenige Großunternehmen, und – Herr Pecher hat es ausgeführt – noch einmal BMW wird es wohl kaum geben. BMW kostet über 800 Millionen Euro an Steuerzuschüssen – dafür, dass sich das Unternehmen angesiedelt hat.
Welche Probleme haben denn die kleinen und mittelständischen Unternehmen? Sie haben zu wenige Mitarbeiter in der Forschung und Entwicklung. Was stellen wir, Herr Pecher, bei den Ich-AGs fest, die Sie befürworten? Selbst die IHK stellt fest, dass das Gründungsgeschehen zwar belebt wurde, es in diesem Bereich jedoch keine nachhaltigen Effekte gibt. Lesen Sie nur im Wirtschaftsatlas nach!
Welche Probleme haben wir an den Hochschulen, auf die Sie, Herr Bolick, verwiesen haben? In Sachsen gibt es wesentlich weniger Promovenden auf einen Professor als
im Bundesdurchschnitt. Übrigens: Jeder Promovend zieht Drittmittel heran, da er sehr oft auch Drittprojekte betreut.
Was stellen wir im Bereich der wissenschaftlichen Bildung fest? Wir haben eine geistige Abwanderung zu verzeichnen. Jährlich gibt der Freistaat 600 Millionen Euro für seine Hochschulabsolventen aus und 300 Millionen Euro für die Berufsschulen. Die Zahlen sind klar und offen und besagen, dass viele von den Besten einfach abwandern. Genau dafür bieten Sie keine Lösung, obwohl die Lösungen seit Jahren offen auf dem Tisch liegen und von uns immer wieder vorgetragen werden.
Sie wollen sich mit anderen Bundesländern vergleichen. Natürlich kann man dies tun. Aber auch Sachsen hat Besonderheiten, deshalb geht es darum, im Wesentlichen die Potenziale zu nutzen. Wir müssen endlich von Ihrem quantitativen Berichtswesen wegkommen, hin zu qualitativen Veränderungen. Wir haben es vor Jahren bereits vorgeschlagen, und selbst CDU-Kollegen wollten es: Es sollte in Sachsen eine Technologiestiftung geben, eine Technologiestiftung, die dafür sorgen soll, dass zum Beispiel Absolventen der Hochschulen hier bleiben. Solche Technologiestiftungen gibt es in anderen europäischen Ländern. Allerdings hat sich die Koalition bis zum heutigen Tage einem solchen Vorschlag verweigert.
Ich kann nur feststellen: Dieser Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, ist ein erster Schritt, ihn von Ihrer Seite aus wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Unserer Meinung nach müsste es wesentlich schneller gehen. Aber wir sagen einmal: Bedächtiger Fortschritt ist auch ein Fortschritt, und daran werden wir Sie nicht hindern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Regierungskoalition ist mit dem Titel „Mehr Mut zur Selbstständigkeit“ überschrieben. Wenn man weiterliest, bekommt man den Eindruck, dass die Etablierten selbst nicht so recht wissen, worum es letztlich geht; denn die Fragen, über deren Stellung der Landtag befinden soll, verraten, dass man im Bereich der Existenzgründung offensichtlich im Dunkeln tappt.
Auch die Bemerkung in der Begründung, dass die Selbstständigenquote noch unterentwickelt ist und die besondere Zielsetzung der Regierungskoalition die Bestandsanalyse und die Bestandspflege ist, ist eine reine Absichtserklärung, mehr nicht. Ganz offenkundig soll der Antrag der Regierungskoalition, die es aufgrund der Faktenlage nun wirklich besser wissen sollte, im besten Fall Betriebsamkeit vortäuschen, im schlimmsten Fall drückt sich aber wohl eher unbeabsichtigt die Rat- und Konzeptlosigkeit aus, die in der nach wie vor herrschenden Arbeitslosigkeit ihren Ausdruck findet.
Die Bereitschaft zum großen Wagnis einer Selbstständigkeit ist hiervon sicherlich nicht losgelöst zu betrachten. Angesichts der katastrophalen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt, die durch die Untätigkeit und Unfähigkeit der Etablierten verursacht wurden, bedarf es tatsächlich großen Mutes, um heute noch den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Die aktuellsten Zahlen zum Gründungsgeschehen belegen dies. So wurden im Dezember 2005 3 644 Gewerbe angemeldet. Darunter befanden sich 3 171 Neuerrichtungen. Gegenüber Dezember 2004 war die Zahl der Gewerbeanmeldungen um 2 206 niedriger. 2 695 Gewerbe wurden hingegen wieder abgemeldet. Dabei handelte es sich bei 2 298 um die Aufgabe des Gewerbes – im Vergleich zum Vorjahresmonat 171 Abmeldungen mehr. Das Jahr 2005 betrachtet, standen im Freistaat Sachsen 45 014 Gewerbeanmeldungen 34 816 Abmeldungen gegenüber.
Daraus lassen sich bei aller gebotenen Zurückhaltung gewisse Schlüsse ziehen, vor allem der, dass der Schritt in die Selbstständigkeit auch in Sachsen einem Himmelfahrtskommando gleicht, das schon nach kurzer Zeit für die Allermeisten mit der Gewerbeabmeldung endet, und die ist oftmals gleichbedeutend mit der Pleite.
Warum das so ist, kann jeder im „Mittelstandsmonitor 2006“ nachlesen. Dort heißt es – Zitat –: „Wie im Vorjahr ist der Anstieg der Gründungsintensität auf die wachsende Zahl von Gründungen aus Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Diese gehen jedoch im Jahre 2005 aufgrund einer Verschärfung der Fördervoraussetzungen wieder etwas zurück. Steigende Gründungs- und Liquidationszahlen implizieren eine Zunahme der Unternehmensfluktuation. Für die relativ hohe Fluktuation sind vermutlich die Gründungen aus Arbeitslosigkeit mitverantwortlich. Diese finden hauptsächlich in Branchen mit geringer Kapitalintensität und niedrigen Markteintrittsbarrieren wie dem Bauhandwerk und den unternehmensnahen Dienstleistungen statt. Nur ein vergleichsweise geringer Anteil der arbeitslosen Gründer beschäftigt Mitarbeiter. Weil bei ihnen das Auswegmotiv, das heißt der Wunsch, der Arbeitslosigkeit zu entkommen, eine relativ große Bedeutung hat gegenüber dem Chancenmotiv, das heißt der Erwartung, mit dem Unternehmen hohe Erträge zu erwirtschaften, sind sie bestrebt, das Investitionsrisiko niedrig zu halten. Die volkswirtschaftlichen Wirkungen des jetzigen Gründungsbooms dürften daher eher kritisch zu sehen sein. Von den Gründungen aus Arbeitslosigkeit gehen kaum zusätzliche Beschäftigungseffekte aus. Sie steigern den Verdrängungswettbewerb in Branchen mit geringer Kapitalintensität, die ohnehin durch eine hohe Fluktuation gekennzeichnet sind. Die für den technologischen Fortschritt entscheidenden wachstumsträchtigen Wirtschaftssektoren profitieren nur unterproportional vom Anstieg der Gründungszahlen.“
Damit, meine Damen und Herren, ist im Grunde alles gesagt. Es ist klar, dass in der Zeit der Massenarbeitslosigkeit, für die sich derzeit in Sachsen eine offizielle Quote von annähernd 20 % ergibt, das Auswegmotiv ausschlaggebend ist, also der Wunsch, der Arbeitslosig
Dabei ist die etablierte Politik unehrlich genug, den Betroffenen zu verschweigen, dass die Rückkehr in die Arbeitslosigkeit selbst bei größtem persönlichem Einsatz vorprogrammiert ist, weil das herrschende globalisierte Wirtschaftssystem der Mehrzahl der Menschen kaum noch eine Chance gibt, auch und gerade in Sachsen.
Gerade für Sachsen sind aufgrund des demografischen Zusammenbruchs um das Jahr 2020 herum, der sich bildenden Entleerungsräume, wie die etablierte Politik die neuen Verödungszonen so nett umschreibt, und damit verbunden des Zusammenbruchs jeglicher wirtschaftlicher Nachfrage die Zukunftsaussichten mehr als düster. Das gilt leider auch für die Mehrzahl der Versuche, über den Weg der Selbstständigkeit der Arbeitslosigkeit zu entrinnen.
Den Etablierten geht es dabei wie so oft offensichtlich nicht um die Menschen, sondern um das Aufpolieren von Statistiken, um das eigene Versagen zu verbergen bzw. zu relativieren. Geändert werden die Verhältnisse dadurch nicht, weil sich am Wesen des Raubtierkapitalismus dadurch nichts ändert.
Meine Damen und Herren, trotz aller Substanzlosigkeit des Antrages der Regierungskoalition wird meine Fraktion, die NPD, dem Antrag zustimmen, da selbstverständlich einem reinen Berichtsantrag bzw. der Erstellung eines Mittelstandsberichtes nichts im Wege steht.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! All das, was zur Qualität dieses Antrages zu sagen ist, hat mein Kollege Hilker bereits ausführlich gesagt.
Er ist auch mein Kollege, weil auch ich Abgeordneter dieses Hauses bin. Ich denke, dass wir miteinander vereinbaren können, dass wir uns gegenseitig als Kollegen bezeichnen, auch wenn wir verschiedenen Fraktionen angehören.
Aber ich will eines hinzufügen: Wenn der CDU, die sich ja gern auch die Stichworte „Selbstständigkeit“ und „Mittelstand“ auf ihre Fahne heftet, nach über 15 Jahren Regierungsbeteiligung nichts anderes, nichts Besseres einfällt, als zu diesem Thema einen Berichtsantrag zu
Es ist richtig, dass wir die Selbstständigkeit fördern müssen. Wenn wir uns die Berufswünsche von jungen Menschen anschauen, wird auch deutlich, wie wenig attraktiv Selbstständigkeit ist. Daher unterstützen wir Sie natürlich, wenn Sie den Mut zur Selbstständigkeit fördern wollen. Gar keine Frage. Aber das ist nur die Überschrift des Antrags. Anschließend geht es nur um Existenzgründungen. Genau hier sieht man, dass Sie von der Situation in Sachsen tatsächlich keine Ahnung haben.
Schauen wir uns einmal an, wie die Betriebsdichte in Sachsen aussieht. In Sachsen haben wir 2 800 Betriebe je 100 000 Einwohner. Im Durchschnitt Westdeutschlands sind es 2 500. Die Zahl der Betriebe, die Betriebsdichte, ist nicht das Problem, das wir hier haben. Wir brauchen nicht mehr Existenzgründer. Wir brauchen Unternehmen, die wachsen. Es ist natürlich richtig, dass viele dieser Existenzgründer tatsächlich Ich-AGs sind, weil sie aus der Arbeitslosigkeit herauskommen wollten. Deswegen ist diese Zahl vielleicht ein bisschen verfälscht.
Wenn wir einmal einen Blick auf die Dichte der Industriebetriebe werfen – dabei handelt es sich ja wohl nicht um Ich-AGs –, stellen wir fest, dass wir in Sachsen im Jahre 2005 eine Dichte von 68 Industriebetrieben je 100 000 Einwohner hatten. 68 in Sachsen, 62 in Bayern, 51 in Hessen, 58 in Nordrhein-Westfalen. Lediglich Baden-Württemberg liegt mit 81 Industriebetrieben darüber. Daran zeigt sich: Auch bei den Industriebetrieben ist nicht die Anzahl der Betriebe unser Problem, sondern ihre Größe.
Wenn man sagt, Selbstständige würden durch Bürokratie abgeschreckt, ist das richtig, Kollege Pecher. Selbstverständlich werden sie dadurch abgeschreckt. Aber dann darf man das hier am Mikrofon im Sächsischen Landtag nicht nur beklagen, sondern dann muss man etwas tun. Wir haben im Landtag einen Antrag zu einem Bürokratiekosten-TÜV eingebracht. Wir wollten also etwas tun. Diesen Antrag haben Sie im vergangenen Plenum abgelehnt. Also, reden Sie nicht nur, sondern tun Sie endlich auch einmal etwas!
Selbstständigkeit hat etwas mit Risiko zu tun. Der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens ist auch eine Risikoprämie. Sie ist wahrscheinlich höher als der Spareckzins, wenn das Unternehmen erfolgreich ist. Das gehört zusammen: dass eben der erfolgreiche Unternehmer, wenn er ein Risiko eingeht, dann, wenn er es gut macht, auch entsprechend gut verdient. Aber statt das zu fördern und zu unterstützen, führen Sie eine Reichensteuer ein
und nehmen dem Unternehmer den Erfolg dadurch wieder weg. Das ist doch genau das falsche Signal. Sie reden so und handeln anders. Das ist die Verlogenheit dieser Debatte.