Protocol of the Session on December 10, 2004

(Lachen und Zurufe bei der CDU: Frage!)

Herr Präsident, ich will hier ernsthaft feststellen: Es darf hier jeder, der mit einer Zwischenfrage ans Mikrofon tritt, seine Frage begründen und den Hintergrund darstellen. Mir wird das seit gestern schon verwehrt. Herr Hatzsch hat es getan und jetzt macht es das Plenum.

Ich frage noch einmal: Ist Ihnen aufgefallen, dass Sie jetzt zwar über ein wichtiges Problem gesprochen haben, aber nicht über das, was ich angerissen habe? Ich wollte Sie fragen, ob Sie wissen, dass es auch in der DDR-Schule eine soziale Auslese aufgrund der sozialen Herkunft gab, die nicht reguliert war und nicht durch Quotierung entstanden ist, sondern einfach weil die Schule so funktioniert hat, und ob Sie wissen, dass dazu auch in der DDR – wenn auch ganz wenig – publiziert wurde. Wenn Sie nicht wissen, wer publiziert hat, dann sage ich es Ihnen hinterher.

Herr Prof. Porsch, so kennen Sie mich ja auch. Ich will doch nicht

behaupten, dass ich nach drei Wochen alles gelesen habe, was es an Studien gibt. Aber ich kann Ihnen versprechen, dass ich mir die Mühe machen werde, Beiträge anzuschauen, wenn ich Hinweise mit Quellenangaben bekomme. Deshalb habe ich Ihre Frage so beantwortet, wie ich sie verstanden habe, und dabei belassen wir es.

Nun komme ich zurück zum Thema „‚Pisa‘ und die soziale Auslese im Bildungswesen“. Sie haben völlig Recht: Die Auswertung der Studie hat ergeben, dass das ein Problem in Deutschland ist, dem man sich widmen muss. Ich will noch einmal wiederholen, dass Sachsen bei der Studie „Pisa 2000“ im Vergleich nicht schlecht dastand, ich will aber auch sagen, dass wir, wenn man den Koalitionsvertrag liest und sich anschaut, was wir in den letzten Jahren im Bildungssystem auf den Weg gebracht haben, durchaus dieses Problem im Auge haben und dass wir uns bemühen wollen, in der Schule allen Kindern eine Chance zu geben und für einen vernünftigen Ausgleich zu sorgen.

Ich will aber auch dazusagen, dass es eine Illusion bleiben wird, Frau Abg. Bonk, dass die Schule alles, was im Elternhaus geschieht oder eben nicht geschieht, jemals ausgleichen könnte. Die Schule kann sich immer nur darum bemühen, den Kindern möglichst ihre Chancen zu erhalten und sie zu unterstützen. Das wird unser Weg sein.

Danke.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung und vereinzelt bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

Ich erteile jetzt der Fraktion der PDS das Wort. Frau Falken, bitte.

Ich bin Lehrerin und fange mit etwas Positivem an.

(Staatsminister Thomas Jurk: Mit der Anrede!)

Ach, – Entschuldigung. Verzeihung, Herr Präsident!

Wir wechseln gerade, aber Sie dürfen jetzt schon.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! So ist das, wenn man sich schon mal etwas Positives zu sagen vornimmt.

Fraktionsübergreifend sind wir einer Meinung. Ich muss Ihnen sagen, das finde ich eigentlich ganz toll. Ich habe nach den ersten Sitzungen hier im Landtag nicht erwartet, dass uns das wirklich gelingt; denn fraktionsübergreifend sind wir der Auffassung, wir brauchen eine veränderte Lernkultur. Das habe ich von allen Fraktionen bisher gehört. Dazu stehen wir auch in der PDS.

Für eine veränderte Lernkultur brauchen wir aber – das ist notwendig – Voraussetzungen. Eine Voraussetzung dafür ist die soziale Integration und nicht die soziale Auslese. Wir brauchen in unseren Schulen individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen. Wir brauchen

zunehmend – gehen Sie in die Grundschulen und hören und schauen Sie sich das an! – massive Sprachförderung.

(Beifall bei der PDS)

Unter den derzeitigen Bedingungen, die wir an unseren Schulen haben, ist eine verbesserte Lernkultur überhaupt nicht möglich. In der jetzigen Situation, die wir an den Schulen haben, wird eine veränderte Lernkultur nicht funktionieren.

Ich sitze jede Woche im Bezirkspersonalrat und höre mir an, wie der Mangel verwaltet wird, nicht wie Schule gestaltet wird.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Hört, hört!)

Schauen Sie sich die Abordnungspraxis, die derzeit an unseren Schulen herrscht, an. Wir haben in Sachsen fast gar keine Schule mehr, in der alle Lehrer nur an einer Schule arbeiten. Sie wandern von Schule zu Schule und von Ort zu Ort. Wir haben inzwischen im Freistaat Sachsen Schulen – ich kann Ihnen gern eine Liste mitbringen –, an denen mehr Gastlehrer unterrichten als Kollegen, die zum eigenen Stammpersonal gehören.

Herr Lehmann, wackeln Sie nicht mit dem Kopf. Ich komme nachher gerne herum und zeige Ihnen, welche das sind.

Das ist katastrophal. Der aktuelle Rechnungshofbericht sagt aus, dass der Ausfall an den Mittelschulen um 46 % höher ist, als die Staatsregierung ausgewiesen hat.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Hört, hört!)

Ich halte das für äußerst bedenklich.

Ich habe gestern einen Brief von einem Schüler aus der 9. Klasse einer Mittelschule erhalten. Er schreibt mir, dass er in der vergangenen Woche in seiner Schule 100 Ausfallstunden gezählt hat. Dabei hat er nur die reinen Ausfallstunden und nicht die, in denen sie noch beschäftigt worden sind, berücksichtigt. Das ist die klare Situation, die wir derzeit an den Schulen haben.

Streichung von Ergänzungsbereichen und Förderunterricht sind gang und gäbe. Das ist das Normale an unseren Schulen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Hört, hört!)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! – Leider ist er nicht da. Hoffentlich haben wir ihn noch nicht verloren.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Er ist in der Schule!)

Der Ministerpräsident hat gestern in seiner Rede gesagt, er wolle bestmögliche Förderung für unsere Schüler. Sie kommen nicht darum herum, dass ich Ihnen heute Teile aus dem Brief des Regionalschulamtes Dresden vortragen muss. Das bedeutet: Bestmögliche Förderung unserer Schüler heißt: Kürzung und Streichung des Ergänzungsbereiches – der Brief ist vom 30.11.2004 –, Zusammenlegungen von Gruppen – Werken, Schulgarten –, Zusammenlegungen von Klassen, obwohl wir einen entsprechenden Klassenteiler haben, Kürzungen von zusätzlichem Grundbereich. In dem zusätzlichen Grundbereich,

liebe Kolleginnen und Kollegen, stecken alle Förderstunden. Da stecken im Übrigen auch die zwei Stunden, die für die Schuleingangsphase zusätzlich zur Verfügung stehen. Die streichen wir jetzt auch noch. Zusammenlegung von Ethik und Religion, lassen Sie sich das bitte einmal auf der Zunge zergehen!

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Hört, hört!)

Es gibt Kürzungen und Streichungen, um Reservestunden anzuhäufen, weil der Ausfall droht, Kürzungen und Streichungen von Anrechnungsstunden für Beratungslehrer. Beratungslehrer sind die qualifizierten Lehrer, die sich gerade für die Kinder, die im sozialen Bereich Probleme haben, engagieren wollen, sollen und müssen. Sie sind sogar dafür ausgebildet.

Für mich war dann wirklich die Krönung, dass in diesem Schreiben auch noch steht, dass sie die Referendare, selbst im ersten Ausbildungsjahr, ohne Mentoren in den Unterricht lassen. Ich weiß wirklich nicht, was dabei herauskommen soll. – Das ist ein Brief.

Ich bin jede Woche bei Personalversammlungen an Schulen. Ich kann Ihnen sagen, das ist nicht nur ein Brief, sondern das ist die Realität.

(Beifall bei der PDS – Dr. André Hahn, PDS: Leider!)

Wir brauchen keine Stellenstreichungen im Lehrerbereich. Wir brauchen auch keine Stellenstreichungen im Mittelschul- und Gymnasialbereich, damit wir sie dann an die Grundschulen geben. Die 800 Stellen für die Schuleingangsphase sind zwingend notwendig, so schnell wie möglich. Wir können nicht noch ein halbes Jahr warten. Aber damit haben wir nur den Schuleingangsbereich abgedeckt. Was ist mit dem Rest, den ich Ihnen gerade vorgelesen habe? Dafür brauchen wir auch zusätzliche Stellen.

(Beifall bei der PDS)

Wir haben im Grundschulbereich ein Lehrerpotenzial, das engagiert ist und das ein Arbeitsvermögen zur Verfügung hat. Wir brauchen eine hohe Allgemeinbildung in unserer Gesellschaft. Wir brauchen längeres gemeinsames Lernen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU! Ich frage mich eigentlich schon eine ganze Weile: Wovor haben Sie Angst?

Frau Falken, kommen Sie bitte zum Ende.

– Ich gebe mir Mühe. Haben Sie davor Angst, dass die Opposition und die SPD, weil sie eigentlich auch ein gemeinsames längeres Lernen möchte, Recht haben könnten? Davor brauchen Sie keine Angst zu haben, weil das so ist. Das ist bewiesen.

(Beifall bei der PDS)

Angst haben sollten Sie davor, dass Wählerinnen und Wähler – in dieser Wahlperiode wird Bildungspolitik ein

Schwerpunkt sein – Sie zur nächsten Wahl noch mehr abstrafen.

(Beifall bei der PDS)

Ich schaue in die Runde der CDU-Fraktion. – Frau Henke.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wichtig ist, dass wir uns an und für sich in jedem Plenum in den vergangenen Jahren über Schule unterhalten haben. Das werte ich schon einmal als positives Zeichen.