Protocol of the Session on April 6, 2006

Antrag der Linksfraktion.PDS

Als Antragstellerin hat zunächst die Linksfraktion.PDS das Wort. Die weitere Reihenfolge in der ersten Runde: CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht.

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort. Frau Abg. Lauterbach.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Möchten Sie von einem Arzt behandelt werden, der 16 Stunden Bereitschaftsdienst leistet und dabei fünfmal am Operationstisch steht? Wollen Sie in einem Krankenhaus liegen, in dem der Arzt im Laufschritt durch die Station hetzt und mehr Zeit mit Papierkram verbringt als am Bett seiner Patienten? Nein, von diesem Arzt möchte ich nicht operiert werden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Das ist aber die Situation in vielen Krankenhäusern, meine Damen und Herren. Genau aus diesem Grund habe ich Verständnis dafür, dass Ärztinnen und Ärzte ihre Praxis schließen, ihre Kliniken verlassen und für ihre Interessen auf die Straße gehen. Wenn ganze Berufsgruppen streiken, heißt das immer, dass sie ihre Interessen in unserer parlamentarischen Demokratie nicht anders durchsetzen können. Dass Ärzte auf die Straße gehen, heißt, dass sich Frust gegen unser Gesundheitssystem aufgebaut hat. Woher kommt dieser Frust?

An erster Stelle steht die Budgetierung der Gesundheitsausgaben, die immer mehr Bürokratie bedeutet und den Arztberuf deutlich erschwert. Klinikärzte müssen bereits 40 % ihrer Arbeitszeit für patientenferne Papierkriegsarbeit leisten.

Budgetierung bedeutet auch eine Rationalisierung von medizinischen Leistungen, das heißt eine Verschlechterung der ärztlichen Arbeitsbedingungen und der Patientenversorgung. Diese Rotstiftpolitik trägt dazu bei, dass der Arztberuf vom Traumjob immer mehr zum Jobtrauma wird. Das können wir nicht hinnehmen.

In Sachsen gibt es zirka 5 500 berufstätige Ärzte, davon 2 300 niedergelassene. Hochqualifizierte Klinikärzte arbeiten oft 52 Stunden in der Woche und sie müssen millionenfach unbezahlte Überstunden leisten, um die medizinische Versorgung sicherzustellen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Die Ärzteschaft im Osten muss für 80 % Lohn 120 % leisten.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Ein Skandal!)

Junge Ärzte haben es besonders schwer. Sie erhalten nach acht Jahren Studium und Promotion 1 200 Euro netto. Den niedergelassenen Ärzten geht es oft nicht wesentlich besser. Beide, Klinikärzte und niedergelassene Ärzte, leiden unter dieser Gesundheitsbürokratie und unter den schlechten Arbeitsbedingungen. Darunter leiden auch ihre Patienten.

Wesentlich mehr betroffen sind die nichtärztlichen Fachkräfte. Hierfür trägt zum Teil der Staat die Verantwortung – auch in Sachsen; denn an den Unikliniken und Landeskrankenhäusern tritt der Freistaat Sachsen als Arbeitgeber auf und hat damit eine Fürsorgepflicht übernommen.

Meine Damen und Herren, diese Probleme sind hausgemacht und haben in erster Linie nichts mit der Globalisierung zu tun, nichts mit Demografie und schon gar nichts mit dem medizinischen Fortschritt.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Sie sind das Ergebnis politischer Fehlentscheidungen, allem voran das Ergebnis einer chronischen Unterfinanzierung des Gesundheitssystems, indem man es Besserverdienenden ermöglicht, sich aus dem solidarischen Finanzierungsprinzip zu verabschieden.

Meine Damen und Herren, wenn wir die gesundheitliche Versorgung in Zukunft sicherstellen wollen, brauchen wir klare Perspektiven für die Zukunft in Praxen und Kliniken. Besonders notwendig ist die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung, damit Gesundheit endlich wieder ordentlich finanziert wird.

(Beifall der Abg. Caren Lay, Linksfraktion.PDS)

Eines sagen wir als Linkspartei ganz klar: Wer an den Ärztinnen und Ärzten, den Leistungsträgern im Gesundheitssystem, spart, der spart an der falschen Stelle.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Patientinnen und Patienten haben ein Recht auf eine qualifizierte Diagnostik und Therapie. Dazu braucht es Personal, das nicht am Rande der Erschöpfung steht. Mit den Protestaktionen haben es die Ärztinnen und Ärzte geschafft, auf die nicht länger hinzunehmenden Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen. Unterstützen auch Sie die berechtigten Proteste und Forderungen der Ärzteschaft! Sonst liegt unser Gesundheitswesen bald selbst auf der Intensivstation.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der CDU-Fraktion das Wort. Frau Nicolaus.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich haben auch wir Verständnis für die Ärzteproteste, aber so wie Sie, Frau Lauterbach, es dargelegt haben, ist es, denke ich, zu kurz gesprungen. Wir haben in Deutschland ein voll finanziertes solidarisches System. Das muss man zuerst beleuchten.

Wir haben also drei Sektoralbudgets: je eines im niedergelassenen Bereich, im stationären Krankenhausbereich und im Reha-Bereich. Natürlich kostet das System, das wir vorhalten – und hier sind wir beispielhaft –, viel Geld. Von wem kommt dieses Geld? Das Geld kommt von den Versicherten. Wir haben also im Gegensatz zu vielen anderen Ländern in Europa kein steuerfinanziertes oder durch Steuermittel unterstütztes System. Ich will das jetzt gar nicht weltweit fassen, sondern ich spreche von Europa.

Sicherlich können wir uns darüber streiten, wie sich die Dinge weiter gestalten sollen. Das wissen wir aber momentan noch nicht. Das ist im Fluss. Man diskutiert auf Bundesebene darüber. Das ist auch richtig, weil das eine oder andere vielleicht in eine Schieflage gekommen ist.

Wenn ich noch einmal zu den Ärzten zurückkomme – das möchte ich natürlich gern tun –, muss ich sagen, dass die Erfüllung der Forderungen der Ärzte insbesondere hinsichtlich der Bereitschaftsdienste bedeuten würde, dass 30 % mehr Kosten auf uns zukommen würden. Aber woher kommt dieses Geld am Ende? Darüber müssen wir auch diskutieren. Ich habe bereits dargelegt, dass wir ein solidarisches System haben. Also müssten die Versicherten die Kosten tragen. Eine Mehrwertsteuererhöhung wollen Sie ja auch nicht. Die haben Sie auch abgelehnt. Aber woher soll in einem geschlossenen System zusätzlich Geld kommen? Außerdem sind noch andere Dinge notwendig, um diese Weichen zu stellen.

Wenn wir den niedergelassenen Bereich betrachten, müssen wir sehen, dass wir ein propädeutisches System haben. Wir haben in Deutschland das dichteste Netz an Fachärzten, wenn man es gesamteuropäisch betrachtet. Natürlich ist es unzumutbar, wenn sich Quartalsabrechnungen so gestalten, dass die Ärzte drei Monate arbeiten und für einen Monat bezahlt werden. Das ist sicherlich nicht hinnehmbar. Die Ärzte könnten dann praktisch nach einem Monat ihre Praxis schließen. Das machen sie Gott sei Dank nicht. Auch dafür dürfen wir dankbar sein.

Wir sehen natürlich, dass Nachholbedarf besteht. Gerade in ländlichen Regionen ist es so, dass die pauschalen Budgets für die niedergelassenen Ärzte viele Herausforderungen in sich bergen, weil gerade in diesen Bereichen viele multimorbide Menschen leben, sodass sich angesichts der Budgets, die den Ärzten zur

Verfügung stehen, eine weitere Schieflage ergibt. Aber wir werden sehen, wie wir hier noch einmal einhaken können.

Lassen Sie mich noch eines beleuchten, zurückkommend auf die Krankenhausärzte: Die Ärzte streiten nicht nur für mehr Lohn, sondern sie streiten auch für eine Entbürokratisierung von der doppelten Buchführung. Sie müssen die Dinge, die sie praktiziert haben, in ihre Krankenkarten, also in die Patientenlisten, in ihre Blätter, eintragen und diese noch einmal bei den DRGs eintragen. Das ist zum Beispiel ein Punkt, bei dem man fragen kann: Muss das so sein, muss das in Zukunft so fortgesetzt werden?

Ist es zum Beispiel überhaupt notwendig, dass nur ausschließlich Ärzte Blutabnahmen durchführen oder Kanülen setzen dürfen? Das ist ein weiterer Punkt. Aber dort ist auch der Bundesgesetzgeber gefragt. Momentan regelt der Bundesgesetzgeber, dass Derartiges nur von den Ärzten durchgeführt werden darf, außer auf den Intensivstationen. Dort gibt es speziell ausgebildete Schwestern und Pfleger, die das selbst durchführen dürfen. Wir sehen, dass das ein weites Feld ist.

Ich möchte mich für meine Fraktion und für die Koalition aber auch dagegen wehren, nur diesen Ärzteprotest herauszunehmen und uns nur auf die Ärzte zu konzentrieren. Wenn wir hier darüber reden, dass mehr Honorar oder eine höhere Budgetierung für die Ärzte sein soll, dann müssen wir auch über die Schwestern, über die Physiotherapeuten und über vieles mehr sprechen. Das gehört auch zur Wahrheit.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Ja!)

Ich sehe also dieser Diskussion sehr gelassen entgegen. Wir sollten uns der Ärzte annehmen, wir sollten unsere Kraft aber vor allen Dingen darauf richten, eine gesunde Reformierung des Gesundheitssystems voranzubringen.

(Beifall bei der CDU)

Die SPD-Fraktion erhält das Wort. Herr Gerlach, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der großen bundesweiten Proteste und Streiks der Ärztinnen und Ärzte ist das Thema Gesundheitspolitik sehr wohl ein aktuelles. Das wird niemand bestreiten. Streik ist ein legitimes Grundrecht aller in Deutschland, auch das ist unbestritten. Unbestritten ist auch der Handlungsbedarf. Derzeit gibt es auf Bundesebene Gespräche über die Gesundheitsreform. Noch liegen allerdings keine Fakten auf dem Tisch, nichts, was sich zu diskutieren lohnte.

Alle Forderungen, die heute hier erhoben werden könnten, sind sicherlich bereits erhoben worden

und/oder sind bereits in die Gespräche aufgenommen worden. Strittig ist die Frage, was diese Aktuelle Debatte am heutigen Tag zur Problemlösung beitragen kann. Sicher wenig oder gar nichts.

Zum Thema will ich Folgendes sagen: Die sächsischen Ärztinnen und Ärzte, ob im niedergelassenen oder im Klinikbereich, haben sich äußerst verantwortungsvoll verhalten. Sie haben sich an den Protesten beteiligt – sichtbar und mit vielen guten Gründen im Gepäck –, sie haben aber auch alles unternommen, damit vor Ort keine Engpässe in der medizinischen Versorgung aufgetreten sind. Ich möchte mich dafür ausdrücklich bedanken und versichern, dass wir die Anliegen der sächsischen Ärzte sehr wohl aufgenommen haben und diese auch weitertragen werden.

Ein Beispiel dafür war das Treffen mit sächsischen Ärztevertretern Ende letzten Jahres in der SPDFraktion nach den Ärzteprotesten hier in Dresden. Ich habe dieses Treffen mit angeregt und andere gesundheitspolitische Sprecher dieses Hauses dazu eingeladen. Solche Gespräche sind zwar nicht so öffentlichkeitswirksam wie eine Aktuelle Debatte, dafür aber umso wirksamer. Das möchte ich Ihnen auch ins Stammbuch geschrieben haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion.PDS.

(Beifall der Abg. Margit Weihnert, SPD, und der Staatsministerin Helma Orosz)

Wir beschäftigen uns sowohl mit der Resolution der sächsischen Ärzteschaft als auch mit den Anregungen, die jeder Einzelne von uns aus Gesprächen vor Ort mit Medizinern, aber auch mit vielen Patientinnen und Patienten gewinnt.

Neben den derzeit im Gespräch befindlichen einzelnen technischen Punkten einer Reform, wie Zuzahlungen, Leistungseingrenzung, Punktwerte, Arzneimittelfinanzierung und vieles andere mehr, verlieren wir manchmal die gewaltigen gesellschaftlichen Dimensionen aus dem Auge. Da möchte ich auf das zurückkommen, was meine Kollegin gerade erzählt hat.

Wir haben in Deutschland eines der weltweit besten Gesundheitssysteme – eine Studie hat das vor Kurzem bewiesen – und ich habe nicht die Absicht, mir das von irgendjemandem hier ausreden zu lassen. Wir geben enorm viel Geld – Größenordnung: 500 Milliarden Euro – für unsere Gesundheit aus, was sich nur wirklich reiche Gesellschaften leisten können. Es gibt nicht wie in vielen anderen Ländern existenzielle Einschränkungen des Leistungskataloges. Dies alles dürfen wir uns nicht selbst kaputtreden, sondern wir müssen darum kämpfen, dies bei allen Diskussionen um Veränderungen zu bewahren.

Was mir aber angesichts der Ärzteproteste noch einmal deutlich geworden ist, möchte ich auch nicht verschweigen: Ich denke, dass wir die Verpflichtung haben, die Sorgen der Ärzteschaft sehr ernst zu nehmen. Das Arzt-Patienten-Verhältnis darf bei allen

Reformen nicht zerstört werden. Das Vertrauen zwischen Arzt und Patient ist grundlegend wichtig – nicht nur für die einzelnen Menschen, sondern auch für die Akzeptanz eines Gesundheitssystems insgesamt. Das darf bei allen differenzierenden und streitbaren Auseinandersetzungen nicht vergessen werden.

Eine kurze Replik auf das, was Frau Lauterbauch von der Linksfraktion.PDS gesagt hat. Sie haben eine Menge Beispiele gebracht und ich denke, dass das auch Beispiele sind, die Sie irgendwo real nachweisen können. Aber wenn Sie so pauschal sagen: „Die Ärzte haben alle 40 % Papierkriegarbeit“ – so haben Sie es genannt – „zu machen“, dann müssen Sie mir erst einmal nachweisen, dass das bei allen so ist. Ich weiß, dass es mehr geworden ist. Es ist nicht nur mehr geworden, weil wir es verlangt haben, sondern auch, weil es die Menschen verlangt haben und weil wir gesagt haben: Wir wollen eine höhere Qualität, wir wollen dass das nachprüfbar ist, und zwar nicht nur im Pflegebereich, sondern auch hier.