Protocol of the Session on March 17, 2006

Mit einer nach wie vor hohen Investitionsquote und höchstmöglichen Vergaben der öffentlichen Hand an die einheimischen Bauunternehmen hat das Land das ihm Mögliche getan. Schon im zweiten Halbjahr 2005 hat sich die konjunkturelle Dynamik wieder merklich verstärkt, angetrieben von industrie- und wirtschaftsnahen Dienstleistungen. Alle Prognosen sprechen dafür, dass sich dieser positive Trend auch in diesem Jahr fortsetzt. 17 % der Unternehmen planen, ihre Investitionsausgaben aufzustocken. Die Auftragslage der Industriebetriebe stimmt positiv. Unternehmensnahe Dienstleistungen profitieren davon. Ich zitiere den Konjunkturexperten Gerit Vogt im heutigen Interview mit der ddp: „Sachsens rückläufiges Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr bleibt eine Ausnahme.“ Es werde die Wirtschaft im Freistaat in diesem Jahr wieder überdurchschnittlich stark wachsen. Aufgrund anhaltend starker Exporte und der steigenden Binnennachfrage werde für das Jahr 2006 ein Zuwachs von 2,1 % erwartet. Der Freistaat liegt damit deutlich über dem erwarteten Bundesdurchschnitt von 1,7 %. – Alles klar?

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das betrifft aber nicht die Arbeitslosen!)

Werte Kolleginnen und Kollegen von der FDP! Vielleicht sollten Sie an bestimmte Themen nicht so flüchtig herangehen. Dann erscheint Ihnen vielleicht der Landtag auch

nicht als ein Raumschiff, von dem aus Sie die Erde betrachten.

(Beifall bei der CDU)

Dass die Binnenkonjunktur weiter lahmt und davon die verbrauchsorientierten Branchen, zum Beispiel der Einzelhandel, betroffen sind, ist kein sächsisches Sonderproblem, sondern nur bundespolitisch zu lösen. Auch hier haben wir positive Tendenzen bei Investitionen in langlebige Konsumgüter und auch durch die Fußball-WM.

Unter den gegebenen Umständen hat die Wirtschaftsdynamik nur bedingten Einfluss auf den Arbeitsmarkt. So gehen beispielsweise in der Bauwirtschaft mehr Arbeitsplätze verloren als im kapitalintensiv produzierenden Gewerbe. Wir sind in hohem Maße abhängig von den Reformen auf Bundesebene.

Sie können versichert sein, dass die Koalition im Freistaat die erfolgreiche Wirtschaftspolitik der letzten Jahre fortsetzen wird: solide Haushaltspolitik, Innovation, Bildung, Infrastruktur, effektiver Einsatz der Mittel, einfach Ausspielung der Vorteile des Wirtschaftsstandortes Sachsen. Darauf setzen wir auch weiter.

Noch etwas: Ein Großteil der wirtschaftlichen Entscheidungen – das wissen Sie auch – wird aus dem Bauch getroffen, sind Vertrauen der Unternehmer und Mitarbeiter in die Zukunft. Mit Ihrer Schwarzmalerei erweisen Sie, werte Kollegen von der FDP, der sächsischen Wirtschaft einen Bärendienst. Es ist nur gut, dass niemand darauf hört.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort. Frau Mattern, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Petzold, durch Ihre rosarote Brille scheinen die Tatsachen nicht zu dringen; denn es ist doch wohl so, dass wir in Sachsen noch nie ein Wirtschaftswachstum hatten, das hoch genug war, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Mittlerweile stagniert das Wirtschaftswachstum.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Bei der Arbeitslosenquote hat das Land Sachsen andere Bundesländer, wie zum Beispiel MecklenburgVorpommern, inzwischen eingeholt und dieser Trend, meine Damen und Herren, ist doch nicht neu. Er hat sich langfristig eingestellt. Während es 1995 in Sachsen 293 000 Arbeitslose gegeben hat, sind es heute über 400 000. Das Wachstum stieg und fiel zwischen minus 1,0 und plus 1,9 %. Unabhängig von diesen Schwankungen war es doch nie so, dass zusätzliche Arbeitsplätze entstanden sind.

Immer wieder heißt es, es müssten mindestens 2,0 bis 3,0 oder 5,0 % Wirtschaftswachstum sein, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Dagegen erhebt sich selbst in der

Wirtschaftswissenschaft kaum ein Widerspruch. In diesem Zusammenhang muss man sich eigentlich nur zwei Fragen stellen: Warum ist es so, dass vor allem diejenigen Unternehmen, die stark wachsen und über steigende Gewinne verfügen, Entlassungen vornehmen und die Zahl ihrer Arbeitsplätze verringern? Wieso ist in Deutschland von 1970 bis 2004 die Zahl der Arbeitslosen von 150 000 auf über vier Millionen angestiegen, obwohl das Bruttoinlandsprodukt in diesem Zeitraum von 987 auf nahezu 2 000 Billiarden Euro anstieg, sich also verdoppelte?

Ich frage die Verfechter der Wachstumsthese, warum die Arbeitslosigkeit bei jährlichem Wirtschaftswachstum von 2,2 % über 34 Jahre hinweg zunahm und warum sie ab einem Wachstum von genannten 3 % abnehmen soll. Das ist eine Rechnung, meine Damen und Herren, die nicht aufgeht, und es zeigt sich: Die Autorität der Wachstumsverfechter entspricht offensichtlich der von mächtigen Medizinmännern. Dieser Zauber der Wachstumsverfechter wird unsere Probleme eben nicht lösen können.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Manchmal hilft der Blick in die Realität. Es gibt Veröffentlichungen, in denen der Zusammenhang zwischen international führenden Ländern bei Wirtschaftswachstum und den entsprechenden Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt gezeigt wird. Können Sie erklären, warum unter den zehn führenden Ländern ein Wirtschaftswachstum bei denjenigen Ländern zu finden ist, die eine niedrige Arbeitslosigkeit international über Jahre hinweg haben?

Ich kann einen Erklärungsversuch unternehmen. Zum Beispiel haben wir Großbritannien mit einer halb so hohen Arbeitslosigkeit wie die Bundesrepublik Deutschland. Dort hat man das Problem zum Beispiel über Energiesteuern gelöst oder zu lösen versucht, indem man einfach Energie stark besteuert und damit natürlich auch Produkte langfristig und dauerhaft haltbar gemacht hat. Somit wurde ein ganz anderer Steuerungsmechanismus eingeleitet, der in Deutschland eben nicht stattfindet. Davon sind wir weit entfernt.

Sie können in die skandinavischen Länder schauen. Dort sind ganz andere Steuerungsmechanismen auf der Tagesordnung und man hat dort auch viel niedrigere Arbeitslosenzahlen als hier und trotzdem ein ganz prosperierendes Wirtschaftswachstum.

Es ist ein Fakt, meine Damen und Herren, wir leben nun einmal – das müssen wir uns hier in Sachsen tatsächlich eingestehen – in einer Zeit des Null- und Minuswachstums. Dabei ist es Aufgabe der Politik, Ideen zu entwickeln und Maßnahmen zu ergreifen, um trotzdem Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Ich denke, dass einige von

Ihnen der Auffassung sind, dass das nicht funktionieren kann. So etwas kann auch nur funktionieren, wenn sich eine Arbeitsmarktpolitik entfaltet, die den heutigen Bedingungen gerecht wird. Damit bin ich an dem Punkt angelangt, den man der Staatsregierung tatsächlich vorwerfen muss: dass es eine aktive Arbeitsmarktpolitik eben nicht gibt. Ich habe sogar den Eindruck, dass die Arbeitsmarktpolitik zeitweise gänzlich eingestellt worden ist.

Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Arbeitsplätze können auch ohne Wirtschaftswachstum geschaffen werden. Ich sehe dabei vier Felder, nämlich erstens den von der Linksfraktion.PDS vorgeschlagenen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, zweitens geht es um Beschäftigungsmöglichkeiten im Rahmen der regionalen Wirtschaftsentwicklung, zum Beispiel um strukturschwache Regionen zu entwickeln, die längst von jeglichem Wirtschaftswachstum abgekoppelt sind, drittens um die Möglichkeit, ohne Mehrkosten die Ein-Euro-Jobs zu klassischen 20-Stunden-Arbeitsverhältnissen umzuwandeln, und viertens ist der Bereich der gesamten sozialen Infrastruktur ein weiteres Feld, um Arbeitsplätze zu schaffen, die von der Jugendhilfe bis hin zur Altenpflege noch weit gehend zu wenig entwickelt sind.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich frage die FDPFraktion, wie sie auf den Titel der Aktuellen Debatte gekommen ist, denn er geht gänzlich an der Realität vorbei. Er hängt – das kann man schon so sagen – einer alten Ideologie nach. Wir leben eben nicht mehr im Zeitalter des Fordismus und der Massenproduktion. Wirtschaftswachstum ist heute kein Patentrezept mehr, um Arbeitslosigkeit abzubauen. Meine Damen und Herren, es ist an der Zeit, dass Sie endlich über Ihren ideologischen Schatten springen und die Realität zur Kenntnis nehmen.

(Gelächter bei der FDP)

Unsere Analysen, Vorschläge und Ideen liegen auf dem Tisch.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Herr Brangs, bitte.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Vor lauter Ideologie werfen die keinen Schatten!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 08.03. verkündete Herr Morlok in einer Pressemitteilung: „Sachsens Aufschwung ist gebremst. Dies wird zu einer ernsthaften Gefahr für Arbeitsplätze führen.“ Ich gebe Ihnen in der Tat Recht, Herr Morlok. Es wird Sie überraschen, dass ich Ihnen zustimme: Wir haben Probleme und können einige Daten nicht als zufrieden stellend hinnehmen. Das ist richtig.

Allerdings – und mein Kollege von der Koalition hat dazu schon etwas gesagt – gibt es durchaus positive Aspekte,

zum Beispiel nach einer Information des Statistischen Landesamtes bei einem Vergleich im produzierenden Gewerbe und bei den Dienstleistungen. Ich will das nicht weiter ausführen, denn das hat Kollege Petzold schon getan. Wir müssen nach Jahren einer im Vergleich zum Rest von Deutschland durchaus guten Wirtschaftsentwicklung in Sachsen – das hat auch etwas damit zu tun, dass wir Flutgelder bekommen haben – jetzt feststellen, dass der Alltag eingetreten ist. Das ist aber nicht nur in Sachsen so, sondern in der gesamten Bundesrepublik.

Bei den Hinweisen, die von der FDP-Fraktion immer wieder gemacht werden, dass man diese Probleme mit neoliberaler Angebotspolitik lösen könnte, sind sie bisher scheinbar den Beweis schuldig geblieben. Die von der FDP-Fraktion gemachten Schlussfolgerungen sind aus meiner Sicht typisch. Sie fordern gebetsmühlenartig den Abbau von Arbeitnehmerrechten, sie reden von Flexibilisierung, von der Minimierung gesetzlicher Standards und davon, dass die Bürokratie abgebaut werden müsste. In Ihrer Logik – wenn es denn eine Logik gibt, ich sehe keine – müsste es dazu kommen, dass wir neue Arbeitsplätze haben. Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind Sie diesen Beweis bisher schuldig geblieben.

Sie brauchen nur nach Sachsen-Anhalt zu sehen. Dort hatten Sie eine Legislaturperiode Zeit, der Bevölkerung zu zeigen, was die FDP alles leisten kann.

(Widerspruch bei der FDP)

Nachdem ich mir die neuesten Umfrageergebnisse angeschaut habe, die man in der Tat mit Vorsicht genießen muss, kann man feststellen, dass die Gefahr vorhanden ist, dass Sie nächste Woche abgewählt werden. So gut kann Ihre Politik demnach nicht gewesen sein.

(Widerspruch bei der FDP)

Die ist hervorragend, das werde ich Ihnen gleich sagen.

(Beifall bei der SPD)

Was sollen diese Debatten? Einzig und allein haben sie folgenden Zweck: Sie versuchen populistisch ein sehr komplexes Thema mediengerecht auszuschlachten. Sie verweigern sich aber im Kern der Abarbeitung der Probleme in Sachsen. Wenn es Ihnen um Lösungen gehen würde und wenn Sie Interesse daran hätten, dass wir gemeinsam Maßnahmen entwickeln, die unbefriedigende Arbeitsmarktsituation in Sachsen zu verändern, dann sollten wir das gemeinsam in den Ausschüssen tun oder durch Initiativen im Landtag, aber nicht durch Aktuelle Debatten.

Als Ökonom, lieber Kollege Morlok – ich bin sehr gespannt, was Sie sagen –, müssten Sie wissen, dass gerade die niedrige Konsumneigung in Deutschland damit zu tun hat, dass leider landauf, landab Pessimismus verbreitet wird und die Ökonomie zwangsläufig hängt. Im Klartext: Ökonomie und Psychologie hängen sehr eng miteinander zusammen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Oder weniger Arbeitslose, mehr Wirtschaftswachstum!)

Weniger Arbeitslose, mehr Wirtschaftswachstum – in der Tat, Kollege Porsch, auch das ist so.

Wenn man den Zusammenhang zwischen positiver Stimmung in der Bevölkerung und Wirtschaftswachstum bejaht, ist die Debatte, die wir hier gerade führen, kontraproduktiv.

(Beifall des Abg. Mario Pecher, SPD)

Sie verbreiten Hiobsbotschaften, obwohl Sie als Mitglied der Partei der Unternehmer Interesse daran haben sollten, dass solche Hiobsbotschaften nicht in die Öffentlichkeit gelangen. Wenn ich mir heute die „Freie Presse“ ansehe, dann überrascht mich das nicht. Der Fraktionsvorsitzende der FDP ist der Auffassung, dass wir in einem Raumschiff sitzen und von hier aus auf weit entfernte Planeten schauen, und wir müssten uns nur als Halbtagspolitiker betätigen. Jetzt ist mir klar, warum Sie solch eine niveauarme Debatte führen.