Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst Respekt den beiden Koalitionsfraktionen. Wenn ich in der Vergangenheit eine Vorlage zum Jugendstrafrecht oder Jugendvollzug las, jagte mir ein Schauer über den Rücken, weil ich immer damit rechnen konnte, dass es um die Herabsetzung des Straffälligenalters oder um die Verschärfung und Anwendung des Erwachsenenrechts auf alle Heranwachsenden usw. geht. Das macht der Antrag nicht. Der Antrag hat durchaus einen beachtlichen Modernitätsansatz, sei es die wohltuende Wirkung des Koalitionspartners SPD
oder vielleicht eine kleine Referenz an den anderen potenziellen Koalitionspartner FDP, der gerade im Bundestag vehement und berechtigt um ein längst ausstehendes Jugendstrafvollzugsgesetz kämpft – wie auch immer.
Von der Anlage her ist der Antrag nur zu begrüßen und unter diesem Aspekt in dem Hohen Haus, wie ich hoffe, als Auftakt, nachdem die Staatsregierung recherchiert und berichtet hat, in einer intensiven Debatte weiter zu begleiten.
Ich will zwei oder drei Aspekte unter dem Blickwinkel hervorheben, dass wir keine Vereinfachungen zulassen. Das Jugendstrafrecht kennt den Begriff der Sanktion nicht. Wenn Sie in die Kommentare zum Jugendgerichtsgesetz schauen, finden Sie den Begriff nicht. Man spricht immer von den Rechtsfolgen des Jugendstrafrechts. Die Rechtsfolgen sind in drei Säulen definiert, also in den Erziehungsmaßregeln, den Zuchtmitteln und der Jugendstrafe. Nebenbei bemerkt hat sich Herr de Maizière 1990 bei den Zuchtmitteln abbedungen, dass die im Einigungsvertrag nicht so genannt werden darf. Die Überschrift musste für die ehemalige DDR geändert werden, weil de Maizière mit dem Begriff „Zuchtmittel“ nichts anfangen konnte.
Ich will gar nichts unterstellen, da die Redebeiträge von Herrn Schiemann und Herrn Bräunig zum Teil unterschiedlich auf die Problematik der Jugendstrafe eingingen. Die Jugendstrafe hat die Voraussetzung schädlicher
Neigungen oder besonderer Schwere der Schuld. Exakt in den drei Säulen müssen wir versuchen, die Modernität, die sich durch die Entwicklung Europas ergibt und die uns, wenn wir es anwenden, auch finanziell entlasten kann, aufzugreifen. Nach unserer Überzeugung ist das ein Thema – insofern bedauere ich es sehr, verehrte Frau Ministerin, verehrter Herr Minister, vielleicht betrifft es nicht unmittelbar Ihr Ressort –, bei dem sich das Kabinett querbeet um die Problematik Jugendstrafrecht, Jugenddelinquenz und Ähnliches mehr kümmern müsste, weil eine ganze Reihe von Effekten enthalten sind, die mit Erziehungsfragen und Wertefragen im Kontext stehen.
Zu der Problematik aus unserer Sicht noch folgenden Gedanken; Kollege Schiemann hat es anklingen lassen. Jugendliche befinden sich aufgrund biologisch-sexueller und psychischer Entwicklungsprozesse im Allgemeinen in einem Übergangsstadium, was mit bestimmten Unsicherheiten im Verhältnis zu ihrer eigenen Persönlichkeit, Identität und ihrer Rolle im Verhältnis zu Verhaltensregeln verbunden ist.
Dementsprechend – das ist die andere Seite – besteht in dieser Zeit eine größere Beeindruckbarkeit als beim erwachsenen Straftäter und damit eine größere Bedeutung eines möglichst breiten Angebots von Erziehungsmaßnahmen; also Erziehungsangebote im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich komme noch einmal darauf zurück. Kollege Schiemann wird mir vielleicht gleich wieder Recht geben können. Als wir vor zwei Jahren mit dem Verfassungs- und Rechtsausschuss drei Tage in London waren, um Erfahrungen des britischen Strafrechtssystems zu studieren, generell des Rechtssystems, also eines Richterspruchsrechts, cash law etc., war es für uns tatsächlich zunächst einmal – das gebe ich gern zu – so, dass wir mit der ideologischen Vorbelastung hin fuhren und gesagt haben: Die führen uns jetzt zu den Briten, weil die Briten schon ab dem 12. Lebensjahr Strafmündigkeit haben, weil Law and Order generell großgeschrieben wird, viele Überwachsungskameras etc. pp.
Ich sage einmal, unser Aha-Effekt war, als wir am ersten Tag im Ministerium erklärt bekamen, dass der Haushalt vor zehn Jahren umsortiert worden ist. 25 % der Mittel, die bei der Justiz waren, sind – zu Kultus würden wir sagen – in den Bildungsbereich hineingenommen worden. Im Bildungsbereich ist ein umfängliches Ressort aufgebaut worden zur Intervention bei delinquenten Jugendlichen. Sie machen dort 60 bis 70 % der Jugendstraftaten mit Interventionsmaßnahmen wett, mit einem ganz intensiven System der Betreuung von straffällig gewordenen Jugendlichen oder straffällig hochgradig gefährdeten Jugendlichen, das die Eltern einbezieht, das – wie wir sagen würden – Vereine, den Freizeitbereich, Kulturmaßnahmen und Ähnliches mehr einbezieht.
Vom 12. bis zum 18. Lebensjahr steht dort absolut die Intervention vor der Strafe, auch vor den Zuchtmitteln, meinethalben auch vor der gemeinnützigen Arbeit. Sie reagieren – deshalb auch im Kultus angesiedelt – mit
Maßnahmen, die vorrangig pädagogischer Art sind, und sagen nach zehn Jahren: Wir haben erhebliche finanzielle Mittel eingespart.
Kollege Schiemann, ich kenne das nicht anders bei Ihnen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie alles, was Sie sagen, auch glauben.
Ich weiß nicht, wie Sie es hinbekommen wollen, dass wir es politisch im Parlament noch erleben – ich meine es jetzt biologisch –, jedem unserer Jugendlichen, der in Haft sitzt, eine Arbeit zu geben. Wir haben momentan eine Verteilungsquote mit Arbeit von ungefähr 20 %.
Wenn ich die Justizvollzugsanstalten durchgehe, dann habe ich die Regel, dass der 14-, 15-Jährige, der zum ersten Mal logischerweise wegen schwerer Straftaten in den Vollzug geht, mit 26-, 27-Jährigen auf derselben Station ist, weil gerade noch die Jugendstrafe von Heranwachsenden vollstreckt wird.
Wir haben mitnichten momentan ein Mittel, Einfluss darauf zu nehmen, dass wir im Jugendstrafvollzug ein hinreichendes Bildungsangebot und ein hinreichendes Angebot von Arbeitsplätzen bereithalten können. Das lässt sich im Prinzip meiner Auffassung nach nicht mit der Studie allein machen. Das hat ganz handgreifliche, auch rechtliche Korrekturen zur Voraussetzung. Es geht dann nur mit rechtlichen Festlegungen. Die Anstaltsleiter, die Anstaltsbeiräte oder wer immer sich um die Sache bemüht, werden das mit Sicherheit nicht allein richten können.
Nichtsdestotrotz gibt es eine ganze Reihe von hochgradig brisanten Problemen in der Vollziehung dieser Fragen des Jugendstrafrechts, wiederum in diesen drei Säulen. Ich bestreite überhaupt nicht, dass die Problematik – jetzt nenne ich mal den Begriff – der Zuchtmittel nicht effektiv ist, dass es teilweise viel zu lange dauert, bevor die Arbeit zugewiesen wird, dass es unsinnige gemeinnützige Arbeit gibt, die keinen entsprechenden Effekt bringt oder den Wert von Arbeit nicht erbringt und Ähnliches mehr.
Wir müssen letzten Endes auch sehen, dass wir im Freistaat Sachsen nach wie vor innerhalb der ostdeutschen Länder ganz deutlich, aber auch innerhalb der Bundesrepublik einen vorderen Platz in der Quote der Sanktionen – Ihr Sprachgebrauch – der Rechtsfolgenvollziehung mit Freiheitsentzug haben. Wir haben einen viel zu hohen Grad der Jugendstrafen.
Jetzt kommt nämlich Folgendes: Wenn Sie sich die Rückfallstatistik bei jungen und heranwachsenden Straftätern ansehen, liegt die höchste Rückfallquote bei den jugendlichen Straftätern, die eine Jugendstrafe von mehr als einem Jahr bekommen haben. Dort liegen wir in der höchsten Rückfallquote. Diejenigen, die eine Jugendstrafe
unter einem Jahr bekommen haben, liegen in der Rückfallquote schon um 15 % niedriger. Deutlich niedriger in der Rückfallquote liegen diejenigen, die im offenen Vollzug als Jugendliche ihre Strafe verbüßt haben.
Wenn wir die Frage des Gutachters, des Bediensteten und Ähnliches mehr daneben stellen, ist es letztendlich eine Erfahrung des Wegschließens, dass das Unterbringen im Vollzug, was Rückfallquote, was Delinquenz anbetrifft, mitnichten etwas bringt. Wir brauchen bei Jugendlichen gerade wegen dieser Persönlichkeitsspezifik andere Mittel.
Ich sage und gehe gutwillig davon aus: Das will die Koalition. Deswegen wird in dieser Hinsicht der Antrag von uns ganz wesentlich unterstützt werden.
(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, des Abg. Enrico Bräunig, SPD, und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einer von der damaligen Justizministerin Brigitte Zypries in Auftrag gegebenen und Anfang 2004 veröffentlichten Studie kam zum Ausdruck, dass etwa die Hälfte derjenigen, die eine Jugendstrafe vollständig verbüßt hatten, innerhalb von vier Jahren wieder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden. 77,8 % derjenigen Täter, die zu einer Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden, begingen zudem unmittelbar nach der Entlassung aus der Haft erneut Straftaten. 45,1 % mussten in den Strafvollzug zurückkehren.
Andere Studien ergaben sogar noch höhere Rückfallquoten von 80 bis 90 % innerhalb des Beobachtungszeitraumes von vier bis fünf Jahren, die zu einer erneuten Haftstrafe führten. Auch die zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe wartete demnach mit einer allgemeinen Rückfallquote von zirka 75 % auf.
Allerdings ist hier zweierlei zu beachten: zum einen, dass eine Jugendstrafe heute überhaupt nur dann verhängt wird, wenn der Jugendliche entweder zuvor schon mehrmals wegen erheblicher Straftaten verfolgt wurde oder eine besonders schwerwiegende Tat begangen hat, zum anderen, dass dadurch in den Haftanstalten eine Konzentration von sozial, psychisch und kriminell erheblich Vorbelasteten stattfindet.
Auch wenn das Jugendstrafrecht zuallererst dem Erziehungsgedanken verpflichtet ist, ist es unter den gegebenen Umständen klar, dass an die pädagogische Beeinflussbarkeit jugendlicher harter Krimineller trotz aller gutmenschlichen Phraseologie keine hohe Erwartung gestellt werden darf, sondern zum Schutz der Allgemeinheit das repressive Element im Vordergrund stehen muss.
Gerade die Bagatellisierung von Jugendstraftaten in den letzten Jahrzehnten hat gezeigt, dass es so wie bisher nicht
weitergehen kann. Es stößt mittlerweile allseits auf großes Unverständnis, wenn schwere Straftaten ohne eine deutlich ahndende Antwort bleiben und so den Rechtsbruch auch im Umfeld des jugendlichen Straftäters als hinnehmbar erscheinen lassen.
Es muss demgegenüber deutlich gemacht werden, dass neben Erziehung und Hilfe auch die Repression im Jugendstrafrecht einen legitimen Stellenwert hat.
Da mutet es kurios an, dass das Jugendgerichtsgesetz zur Nutzung von so genannten formlosen Erziehungsverfahren ermuntert und dabei den so genannten Täter-OpferAusgleich hervorhebt, der bereits von der Jugendgerichtshilfe eingeleitet werden kann. Damit sollen eine Stigmatisierung des Jugendlichen als kriminell vermieden und ganz nebenbei die Gerichte entlastet werden. Zu weniger Jugendkriminalität hat dies freilich nicht geführt. Im Gegenteil. Diese Art der Erledigung von Strafverfahren hat bisher gerade bei Gewaltdelikten den Tätern ganz unangemessen signalisiert: War ja nicht so schlimm.
Vielmehr kommt es darauf an, jugendlichen Ersttätern mit einer sofortigen kurzen und harten Strafe zu signalisieren: Halt, so nicht!
Insofern ist der Jugendarrest sicher das bessere Mittel. Auch hier sind zwar die Rückfallquoten mit etwa 70 % hoch, jedoch immerhin geringer als bei Haftstrafen. Nicht nur im Sinne eines möglichen Abschreckungseffekts, sondern auch unter dem Aspekt des Schutzes der Gesellschaft vor jugendlichen Gewalttätern ist es notwendig, die längst gescheiterte weiche Welle gegen unbelehrbare Kriminelle aufzugeben.
So haben jüngste Erfahrungen gezeigt, dass es auch nach dem Jugendstrafvollzug schuldfähige Täter gibt, die hoch gefährdet bleiben, ohne dass dieser Gefährlichkeit mangels Krankheitswert durch Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus begegnet werden kann.
Eine Sicherungsverwahrung für Jugendliche und Heranwachsende, auf die Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt, ist bisher kaum möglich. Hier muss sich etwas ändern. Anstatt sich also Gedanken über die Haftpflichtversicherung von Kriminellen, die leichtere Vermittlung gemeinnütziger Arbeit durch die Jugendgerichtshilfe und die intensivere Betreuung der Täter zu machen, sollte die Politik endlich das Augenmerk auf den Schutz der Gesellschaft richten und auch schwerere Rechtsbrüche nicht weiter bagatellisieren. – In der Hoffnung, dass den Worten von Herrn Schiemann einmal Taten folgen werden, stimmen wir dem Berichtsantrag zu.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu meinem Vorredner nur so viel: Was wir gestern an rechtspolitischer Höhlenmale
rei erleben durften, ist heute fröhlich fortgesetzt worden. Das kommt davon, wenn man vom Wesen des Jugendstrafrechts nicht allzu viel mitbekommen hat!
Der Antrag der Koalitionsfraktionen, der sich mit dem Jugendstrafrecht beschäftigt, ist vom Ansatz her zu begrüßen, meine Damen und Herren. Das Jugendstrafrecht und insbesondere der Vollzug des Jugendstrafrechtes müssen modernisiert und den jetzigen Anforderungen angepasst werden. Dies ist in der Vergangenheit leider zu zögerlich und auch nur unvollkommen getan worden. Richtig, im Mittelpunkt des Jugendstrafrechts steht vor allen Dingen das erzieherische Einwirken auf einen Täter, dessen Tat sich in der Regel als Teil einer kriminellen Episode darstellt; ein Einwirken auf einen Täter, um ihn davon abzuhalten, eine kriminelle Karriere einzuschlagen. Dies ist das Ziel des Jugendstrafrechts. Die Mittel dafür – es ist gesagt worden – sind ein differenziertes Instrumentarium von Sanktionen.
Ich möchte die Diskussionen über die eigentlichen strafrechtlichen Fragen nicht weiter vertiefen. Dies ist im Mai vorigen Jahres bereits in einer Anhörung im Landtag getan worden. Nein, es geht uns darum, dass wir uns der Frage des Systems des Vollzuges widmen. Jugendstrafrecht hat den Vorteil, dass es viele flexible Möglichkeiten zur Verfügung stellt, um auf jugendliche und heranwachsende Straftäter einzuwirken. Dies setzt allerdings einen kompetenten und leistungsfähigen Jugendstrafvollzug voraus. Eine Rahmenregelung zum Jugendstrafvollzug fehlt, meine Damen und Herren.
Obwohl bereits das Bundesverfassungsgericht 1972 zum Strafrecht allgemein gesagt hat, dass die überkommenen Vorstellungen des besonderen Anstaltsverhältnisses nicht ausreichend seien, um Grundrechtseinschränkungen und Maßnahmen im Strafvollzug zu legitimieren, und dies auch für den Jugendstrafvollzug gelte, ist es bis heute nicht gelungen, ein die Rahmenbedingungen insgesamt vorgebendes Strafvollzugsgesetz zu erlassen. Dieser Antrag – das muss ich kritisieren – enthält dazu leider nichts. Wir von der FDP hätten es begrüßt, wenn in diesem Antrag wenigstens die Aufforderung an die Staatsregierung enthalten wäre, sich Gedanken über die Schaffung eines solchen Jugendstrafvollzugsrechtes zu machen. – Dies enthält der Antrag nicht, und das ist zu kritisieren.
Lassen Sie mich zu den einzelnen Punkten so viel anmerken: Es gibt natürlich immer wieder Bedarf, die Maßnahmen und Vollzugsregelungen, die im Jugendstrafvollzug vorhanden sind, zu evaluieren und anzupassen. Allerdings gibt es einige Dinge, die der Antrag fordert, welche die Staatsregierung sicher ohne größeren Zeitverzug erledigen kann. Wenn hier Vergleichsstudien im Bereich der Sanktionsforschung angesprochen werden, ist darauf hinzuweisen: Es gibt solche Studien bereits. Es gibt Studien auf Bundesebene über die Wirksamkeit der verschiedenen Sanktionen im Jugendstrafrecht. Dort – wie auch in anderen Studien von Ländern bereits festgestellt – ist es so, dass die informelle Erledigung der
formellen Erledigung in Verfahren deutlich überlegen ist und ambulante Sanktionen effektiver als stationäre Sanktionen arbeiten. Hierzu wurde bereits mehrfach angesprochen, dass die Insassen von Jugendstrafanstalten hinterher eine wesentlich höhere Rückfallquote zu verzeichnen haben als die Teilnehmer an ambulanten Programmen.