Protocol of the Session on January 26, 2006

beenden und erteile der CDU- bzw. SPD-Fraktion das Schlusswort. Frau Abg. Weihnert, bitte.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, die Auseinandersetzung zu diesem Thema hat gezeigt, dass jeder an seiner Stelle viel zu tun hat: dass die Kommunen tatsächlich integrierte Stadtentwicklungsprogramme aufstellen und wir die Rahmenbedingungen setzen, dass Städte neben einem sicherlich quantitativ notwendigen Rückbau qualitative Städte erhalten. Dies müssen wir gemeinsam gegenüber der Bundesregierung deutlich machen, damit unsere Städte lebens- und liebenswert werden. Ohne lebenswerte Städte entwickelt sich keine Wirtschaft. Ohne lebenswerte Städte bleiben die Menschen nicht hier. Beides ist miteinander verbunden.

Mit dieser Aussprache ist unser Antrag erledigt.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Vielen Dank. – Damit erübrigt sich eine Abstimmung zu diesem Antrag und ich kann den Tagesordnungspunkt beenden.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 4

Kostenfreie Kindertagesbetreuung in Sachsen

Drucksache 4/4029, Antrag der Linksfraktion.PDS

Hierzu können die Fraktionen wie gewohnt Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde ist Linksfraktion.PDS, CDU, SPD, NPD, FDP, die GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile der Einreicherin das Wort. Für die Linksfraktion.PDS spricht Herr Abg. Neubert, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte ein Zitat an den Anfang meiner Rede stellen: „Ab 2007 werden alle Kinder beitragsfrei den Kindergarten besuchen können. Die Kosten trägt das Land.“ Diese Aussage entstammt keinesfalls einem Gesetzentwurf der Linksfraktion.PDS. Vielmehr ist sie dem am Wochenende beschlossenen Landeswahlprogramm der CDU in Rheinland-Pfalz entnommen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Wir sprechen also heute über ein Thema, welches sich inzwischen bei allen Parteien größter Beliebtheit erfreut. Das war nicht immer so, aber es ist sehr gut so. Es ist noch gar nicht so lange her – ich habe mal in den Reden der 1. Legislaturperiode geschmökert –, da witterten manche Herren von der CDU noch in jeder Kinderkrippe, in jedem Kindergarten ein DDR-Relikt, in welchem die

sozialistische Kollektivierung der lieben Kleinen betrieben und die Erziehungsautorität des Elternhauses untergraben wird. Das Zitat erspare ich Ihnen an dieser Stelle.

(Rita Henke, CDU: Schade!)

Sehr geehrte Damen und Herren! Nur mit großer Mühe und nur dank des Druckes der Opposition in diesem Haus und der Courage einiger CDU-Sozialpolitiker konnte der umfassende Rückbau des Systems vorschulischer Kinderbetreuung verhindert werden.

Nicht verhindert werden konnte jedoch ein zum Teil leichtfertiger Kapazitätsabbau in den neunziger Jahren, der sich jetzt rächt; eine Verschlechterung der Rahmenbedingungen, nachfolgend die Einführung von verschiedenen Zugangskriterien; und ein Letztes: die ständig steigende Belastung der Eltern durch steigende Elternbeiträge.

Es ist noch nicht allzu lange her, als man noch als Spinner und bestenfalls Utopist galt, wenn man nach einer Umkehr dieser Entwicklung rief oder gar eine Ausweitung des Rechtsanspruches auf ganztägige Bildung in Kitas forderte. Damit verbunden sind selbstverständlich die Abschaffung von Zugangskriterien oder eben eine kostenfreie Kinderbetreuung – in unseren Vorschlägen an erster Stelle der beitragsfreie Hort.

Das hat sich offensichtlich und glücklicherweise gründlich geändert. Schon im Landtagswahlkampf schrie das Thema von den Wahlplakaten. Ich zitiere: „Die Kinderbetreuung hat für uns weiterhin eine oberste Priorität. Von daher wird es auch keine Abstriche beim Sächsischen Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen geben“, verkündete die CDU; die SPD versprach ein kostenloses Vorschuljahr und die FDP rief nach kostenlosen Kitas.

Sehr geehrte Damen und Herren, nach der Landtagswahl sah die Wirklichkeit leider ein wenig anders aus. Obwohl die SPD an die Regierung kam, wurde nichts aus dem kostenlosen Vorschuljahr und auch das CDU-Diktum – keine Abstriche und höchste Priorität – ist angesichts der vor wenigen Wochen im Rahmen der Kita-Gesetzesnovellierung in Sachsen beschlossenen Aufweichung, beispielsweise der Ausstattungs- und Qualitätsstandards, dem weiterhin möglichen Ausschluss von Kindern und den ungenügenden Rahmenbedingungen in den Kitas, leider nicht allzu weit her.

Der von unserer Fraktion vorgeschlagene, in unserem alternativen Haushalt sowohl im letzten Jahr als auch bei den beiden Haushaltsverhandlungen vorher solide finanziell untersetzte und realistische Einstieg in eine kostenfreie Kinderbetreuung – nämlich der kostenfreie Hort – wurde von Ihnen hingegen in Bausch und Bogen abgelehnt. Das hinderte jedoch die Koalition nicht daran, auch im vergangenen Jahr verbal richtig aufzudrehen. Im Schwung des Bundestagswahlkampfes forderte der Herr Ministerpräsident Milbradt neben seinem höchst dubiosen Familienwahlrecht auch gleich einmal eine allgemeine Kindergartenpflicht. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Fachtagung der Familienpolitik in der Dreikönigskirche.

Freilich fand die Innovation leider nur verbal statt; praktische Schritte folgten daraus nicht. Im Gegenteil, der von unserer Fraktion, aber auch von vielen Fachexperten geforderte Rechtsanspruch auf eine ganztägige Bildung, Erziehung und Betreuung in Kitas wurde im Zusammenhang mit der Novellierung des Kita-Gesetzes erneut abgelehnt. – Wer nicht einmal den Rechtsanspruch schaffen will, sollte von der Pflicht besser nicht sprechen, Herr Ministerpräsident.

Nach der Bundestagswahl, meine Damen und Herren, ging die Diskussion nun aber richtig los. In der großen Koalition auf Bundesebene bringen SPD und CDU fast täglich neue familienpolitische Vorschläge in die Öffentlichkeit – vom Elterngeld, über die steuerliche Begünstigung bis hin zur kostenfreien Kinderbetreuung –; jeder Vorschlag davon in verschiedenen und immer neuen Varianten. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Debatte setzte die neue Familienministerin Frau von der Leyen mit ihrer Aufforderung an Landes- und Kommunalpolitiker ausgerechnet in der „Bild am Sonntag“: „Senkt die Kita-Gebühren oder schafft sie ganz ab!“

Sehr geehrte Damen und Herren, nun kann man spekulieren. War es nur Blauäugigkeit, war Frau von der Leyen

tatsächlich der Meinung, dass in der Landes- und Kommunalpolitik einfach noch niemand auf die Idee gekommen ist, oder war es Unverfrorenheit angesichts der Tatsache, dass die Bundesregierung gerade einseitig Geld in die steuerliche Bevorzugung gut verdienender Eltern gesteckt hat, welches sie auch in die allgemeine Förderung der Kindertagesstätten für alle Kinder oder besser noch in eine besondere Förderung der Kinder aus einkommensschwachen Elternhäusern hätte stecken können?

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Weniger wohlmeinend könnte man durchaus auch von Zynismus sprechen angesichts der bekanntermaßen leeren Kassen in den Kommunen, die noch immer unter den zusätzlichen Belastungen stöhnen, die mit den so genannten Hartz-IV-Gesetzen des Bundes „übergeholfen“ worden sind.

Aber all diese Kritik stellt natürlich eines nicht infrage: Notwendig ist sie schon, die kostenfreie Kita, und zwar aus mindestens zwei Gründen. Erstens wächst nach „Pisa“ und dem verschämten Blick nach Nord- und Westeuropa die Einsicht, dass es sich bei Kitas nicht um KleinkinderVerwahranstalten handelt, sondern Bildungsinstitutionen, die für das Lernen der Kinder und auch für das soziale Lernen eine in der modernen Gesellschaft eigentlich unverzichtbare Rolle spielen. Kitas sind für das Lernen mindestens ebenso wichtig wie Schulen oder Hochschulen; insofern entbehrt ja auch die Einlassung des Herrn Ministerpräsidenten zur Kindergartenpflicht in Analogie zur Schulpflicht durchaus nicht einer gewissen Logik.

Allerdings wissen wir auch: Herr Milbradt würde am liebsten heute statt morgen Studiengebühren erheben, und da graust mir schon etwas vor dem Tag, an dem Herr Milbradt auch die Schule zur Dienstleistung umdefiniert, die es dann nicht mehr kostenlos geben dürfte. In privaten Schulen werden ja heute noch oder schon wieder Schulgelder erhoben, und in einer solchen neoliberalen Marktlogik sind dann allerdings Kita-Gebühren nichts Verwerfliches.

Wir hingegen, sehr geehrte Damen und Herren, halten daran fest – und ich hoffe, wir bleiben bzw. sind nicht die Einzigen –, dass Bildung als ein frei und für jedermann zugängliches öffentliches Gut eine zwingend notwendige Grundvoraussetzung für ein Minimum an Chancengleichheit in dieser Gesellschaft ist – ein unverzichtbarer Bestandteil des europäischen Sozialstaates, den wir verteidigen. Das Wissen um die zentrale Bedeutung der frühkindlichen Bildung in einer Kindertagesstätte erfordert in der Logik dieses europäischen Sozialstaates heute einen kostenfreien oder zumindest sehr kostengünstigen Zugang zu Kindertagesstätten, wie es ihn anderswo in Nord- und Westeuropa gibt. Schauen Sie nach Schweden, schauen Sie nach Frankreich oder nach Großbritannien. Selbst in Italien und Spanien ist der durchschnittliche Elternanteil an der Kita-Finanzierung deutlich niedriger als in Deutschland.

Aber es gibt noch einen zweiten Grund: Eine kostenlose oder preisgünstige Kita ist wesentlich sozial gerechter als Steuervorteile für Eltern, denn die Vorteile für die steuerliche Absetzbarkeit sind bei den Besserverdienenden wesentlich höher. Warum aber sollen Kinder in der staatlichen Unterstützung unterschiedlich viel wert sein? Nein, staatliche Unterstützungen für Kinder haben nichts im Steuersystem verloren, denn da sind sie sozial ungerecht.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die große Koalition geht bei der Debatte um die Absetzbarkeit letztlich von folgender Grundannahme aus: Eltern, die viel arbeiten, haben einen großen Bedarf an Kinderbetreuung und haben dementsprechend dann aber auch ein hohes Einkommen, von welchem sie die Betreuungskosten steuermindernd absetzen können.

Sehr geehrte Damen und Herren! Bei dieser Grundannahme wird allerdings zweierlei vergessen: Zum Ersten gibt es nicht wenige Menschen – es werden eher mehr –, die durchaus von früh bis abends hart arbeiten, ohne dass sie dafür ein Einkommen beziehen würden, welches ihnen erlauben würde, größere Beträge steuerlich geltend zu machen. Auch ein Vollzeitjob geht eben nicht zwangsläufig mit einem hohen Einkommen einher, welches die Finanzierung beispielsweise einer privaten Tagesmutter oder gar eines Kindermädchens erlauben würde. Daran sollten wenigstens diejenigen denken, die jahrelang Lohnzurückhaltung gepredigt haben, und irgendeiner müsste auch Frau von der Leyen einmal über diesen Teil der Arbeitswelt aufklären.

Zum Zweiten: Väter und vor allem Mütter, die nicht berufstätig sind, sind dies in den meisten Fällen nicht deshalb, weil sie Familie und Beruf nicht miteinander vereinbaren können, und schon gar nicht deshalb, weil sie sich frei und selbstbestimmt für Kindererziehung statt für Beruf entschieden hätten. Nein, sie sind deshalb nicht berufstätig, weil es schlicht und einfach keinen Arbeitsplatz für sie gibt. Nicht die Kinder sind die Ursache der Arbeitslosigkeit, und deshalb wird eine bessere Kinderbetreuung an der Arbeitslosigkeit nichts Wesentliches ändern. Aber Kitas als Bildungseinrichtungen können dazu beitragen, dass die soziale Benachteiligung und teilweise die Ausgrenzung der arbeitslosen Eltern nicht noch mit voller Wucht deren Kinder trifft.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Kinder von arbeitslosen oder einkommensschwachen Eltern dürfen nicht aus Kitas ausgeschlossen werden – weder durch die immer noch geltenden Zugangsbeschränkungen noch durch die unbezahlbaren Gebühren.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Überhaupt keine Gebühren!)

Im Gegenteil, sie bedürfen der besonderen Unterstützung und Förderung. Vor diesem Hintergrund möchte ich auch noch einmal auf den Bildungsplan hinweisen. Wir unterstützen ausdrücklich den Bildungsplan und dessen Veran

kerung im Kita-Gesetz. Aber er wird konterkariert mit dem Problem, dass Kinder aus der Betreuung ausgeschlossen werden und nicht in den Genuss des Bildungsplanes und der Qualitätssteigerung kommen können.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang einen kleinen Seitenschwenk. Sie wissen, dass wir die Pläne der Bundesregierung für ein Elterngeld unterstützen; die Idee ist nicht ganz neu. Wir halten es auch für richtig, das Elterngeld als Lohnersatzleistung am Einkommen zu orientieren. Das hat sich in Skandinavien und auch in der DDR bewährt.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Dr. Fritz Hähle, CDU: Was?)

Nur darf das im Umkehrschluss nicht dazu führen, dass Geringverdiener und Arbeitslose infolge des Elterngeldes schlechter dastehen als bisher. Mit einer solchen Ausgestaltung des Elterngeldes würden wir uns auch nicht abfinden. Neben der Höchstgrenze von 1 800 Euro für das Elterngeld muss es eine Mindestgrenze in Höhe von zirka 900 Euro geben. Ob Elterngeld oder die sich daran anschließende Kindertagesbetreuung – wir sollten immer vor Augen haben, dass unter den gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Elternschaft nicht nur mit Berufstätigkeit, sondern auch – das ist der Unterschied zur DDR – mit einer länger dauernden unfreiwilligen Arbeitslosigkeit vereinbar sein muss. Elternschaft darf in diesem Fall nicht in völliger Armut der Eltern und der Kinder enden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Familienpolitik, die vor dem fortbestehenden Risiko der Arbeitslosigkeit der Eltern die Augen verschließt, ist von vornherein auf Sand gebaut und wird nicht die erhofften Wirkungen zeitigen. Gerade in dieser Beziehung wären kostenfreie Kitas wie natürlich auch die schulgeldfreie Schule und das gebührenfreie Studium außerordentlich hilfreich.

Nun sind wir keine Illusionisten und Populisten, die sagen, die Kindertagesstätten sollten ab morgen kostenlos sein; das überlassen wir der CDU in Rheinland-Pfalz und wollen es uns nicht anmaßen. Wir werden auch CDU und SPD den Populismus nicht übel nehmen. Wir verlangen aber, dass es nicht beim Populismus bleibt, sondern dass die hiesige Koalition, die mit der auf der Bundesebene zumindest farblich konform ist, mit uns einen Fahrplan für die nächsten Jahre zu einem tatsächlichen Übergang zur Kostenfreiheit von Kitas entwickelt. Bis 2010 ist genügend Zeit, die notwendigen Umschichtungen im Haushalt zu planen. Schwerpunkte müssen neu gesetzt werden. Das sehen übrigens zwei Drittel der Deutschen so, wie eine Befragung im Auftrag des „Stern“ von gestern zeigt.

Natürlich können wir dabei den Bund nicht aus der Verantwortung entlassen. Es reicht eben nicht, wenn Frau von der Leyen in Zeitungsinterviews und Talkshows mit einem durchaus sympathischen Lächeln sympathische Dinge sagt. Wir erwarten, dass sich der Bund entspre

chend finanziell beteiligt. Wir wollen nicht länger die Kleinstaaterei im Bildungswesen, das heißt auch nicht bei Kindergarten und Kinderkrippe.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Das soll uns freilich nicht hindern – das betone ich –, den Vorsprung des Ostens in der Betreuungsdichte zu verteidigen und als einen unserer wenigen Vorteile wirklich zu nutzen. Vor diesem Hintergrund, meine sehr geehrten Damen und Herren, bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.