Offensichtlich braucht es ja die Skandale, wie den Fleischskandal im Dezember, um Bewegung in die Debatte und in die Politiker zu bringen. Zum Glück für die Verbraucher landete das Ekelfleisch dann doch nicht in aller Munde.
Wir nehmen den Antrag der Koalition, dass der Freistaat Sachsen den Skandal nunmehr zum Anlass nimmt, den Verbraucherschutz zu befördern, erstaunt auf. Dass von Ihnen, von der CDU die Initiative kommt – ich zitiere – „für die zügige Verabschiedung eines Verbraucherinformationsgesetzes einzutreten“, ist eine ganz neue Qualität, denn der Freistaat Sachsen war in der Vergangenheit Teil jenes Bollwerks aus unionsgeführten Bundesländern, die einen wirksamen Verbraucherschutz durch ein entsprechendes Gesetz verhindert haben.
Seit Jahren fordert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bereits ein solches Verbraucherinformationsgesetz. Bereits zweimal hat die Union ein wirksames Gesetz abgelehnt: 2002 ließ die Unionsmehrheit im Bundesrat das Gesetz scheitern, und im September 2005 haben Union und FDP
die Verbraucherinformationsrechte aus dem im Bundesrat verabschiedeten Lebensmittel- und Futtermittelrecht gestrichen.
Was soll ein Informationsgesetz für die Verbraucher? Da sind wir wahrscheinlich ziemlich unterschiedlicher Auffassung. Bei Ihnen steht darüber „gesunde Lebensmittel“, und ich weiß nicht, ob Herrn Kupfer klar ist, dass es im Verbraucherinformationsgesetz um mehr als Lebensmittel geht.
Was soll ein solches Gesetz? Es soll die Konsumenten in die Lage versetzen, selbst zu entscheiden, was auf ihrem Teller landet. Wirksamer Verbraucherschutz führt die Bürgerinnen und Bürger aus der Abhängigkeit von den Produzenten und Behörden. Wirksamer Verbraucherschutz stellt Informationen zur Verfügung und ist in diesem Sinne Teil einer umfassenden Prophylaxe und Selbstbestimmung.
In der Vergangenheit hat sich die Union dagegen gesperrt, dass der Verbraucher umfassende Informationen über die Belastungen der Lebensmittel mit Fungiziden, Insektiziden, Herbiziden und anderen Pestiziden erhält, und wir können deshalb noch gar nicht glauben, dass das jetzt anders werden soll. Das so genannte Gammelfleisch ist die Ursache der heutigen Debatte – die Problemlage reicht aber viel weiter.
Lassen Sie mich zum Beispiel die Statistik des Inlandabsatzes von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen in Deutschland anführen. Dieser Statistik ist zu entnehmen, dass allein in Deutschland Jahr für Jahr 34 678 Tonnen oder, wenn Ihnen das besser gefällt, rund 34,5 Millionen Kilogramm Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden. Das entspricht etwas weniger als einem Pfund Pflanzenschutzmittel pro Kopf der Bevölkerung. Fast ein Pfund Gift für jeden von uns! Diese Statistik erfasst nicht die Gifte, die über den Import von Lebensmitteln zu uns kommen.
Ich will Ihren Blick für die Punkte schärfen, auf die es beim Verbraucherinformationsgesetz ankommt. Dem Bundestag liegt ein Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 15.12. letzten Jahres vor. Die wichtigsten Punkte darin sind erstens Transparenz, zweitens Informationsrechte, drittens Auskunftspflichten.
Transparenz – das heißt, ganz lapidar gesagt, Verbraucher und Öffentlichkeit müssen wissen, was los ist und was drin ist. Dreh- und Angelpunkt dabei wird sein, ob Verbrauchern ein Informationsrecht über vorhandene Daten bei Behörden eingeräumt wird oder ob sie weiterhin auf Lust oder Unlust der Verwaltungen angewiesen sind. Verbraucher müssen frühzeitig erfahren können, wer panscht, wer abzockt und wer betrügt, und das nicht nur bei Lebensmitteln, sondern auch bei Dienstleistungen; ich verweise auf Hygienemängel in der Imbissstube.
Unternehmen sollen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit verpflichtet werden, verbraucherrelevante Informationen herauszugeben. Der Verbraucher hat ein Recht darauf zu erfahren, ob seine Gesichtscreme mit Hilfe von Tierversuchen entwickelt wurde oder ob die Milch gebende Kuh mit genverändertem Soja gefüttert wurde. Dafür haben wir in Sachsen ein Beispiel. Sie wissen, dass Sachsenmilch die einzige Großmolkerei Deutschlands ist, die behauptet, ihre Milchlieferanten nicht auf die gentechnikfreie Fütterung der Kühe verpflichten zu können, und das, obwohl sich bekanntermaßen drei Viertel der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland gegen Genfood aussprechen.
Die schon geltenden Informationsmöglichkeiten der Behörden müssen um den Bereich der Vorsorge erweitert werden, zum Beispiel wenn Eltern von Kleinkindern wissen wollen, ob Obst und Gemüse auch unterhalb der Schwellenwerte mit Pestiziden belastet sind. Jetzt, nach den Skandalen, plant die Bundesregierung ein Verbraucherinformationsgesetz. Es soll zügig – im Schulterschluss mit der Wirtschaft, versteht sich – in einer Schmalspurversion vorgelegt werden. Das ist vermutlich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Koalition hier im Freistaat einigen könnte. Mit unserem umfassenden Gesetzentwurf hat das wahrscheinlich nicht viel zu tun.
Ich erspare mir Bemerkungen zum 10-Punkte-Programm. Nur so viel: Das Verbraucherinformationsgesetz kommt darin gar nicht vor. Es wird lediglich in einem Diskussionspapier erwähnt. Aber auf die Details, die ich genannt habe, wird es ankommen, wenn wir kein Seifenblasengesetz haben wollen.
Frau Kollegin, Sie haben soeben gesagt, die Firma Sachsenmilch/Müllermilch sei die einzige in Deutschland, die ihre Bauern nicht verpflichte, nur gentechnikfreie Futtermittel zu verwenden. Können Sie das bestätigen? Verpflichten alle anderen deutschen Molkereien ihre Bauern und ihre Lieferanten entsprechend?
Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass Sachsenmilch die einzige Molkerei ist, die behauptet hat, sie könnte sie nicht darauf verpflichten. Das war meine Aussage.
Unser Verständnis von Verbraucherrechten ermöglicht den Bürgern eine Entscheidung darüber, welche Produkte sie essen wollen und welche nicht. Wir wollen den Bürgern
die Möglichkeit geben, über Ernährungsfragen und ihren Stellenwert für die persönliche Gesundheit – unter Umständen hängt daran das gesamte Gesundheitswesen – selbst zu bestimmen.
Wir stimmen Ihrem Antrag trotzdem zu, und zwar im Sinne eines Vertrauensvorschusses, und hoffen, dass wenigstens Teile Ihrer Koalition unter Verbraucherschutz etwas Ähnliches verstehen wie wir.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gesundheitlicher Verbraucherschutz hat Vorrang, gesundheitlicher Verbraucherschutz muss Vorrang haben – vor den wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen, die die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher gefährden und ihre Branche in Verruf bringen. Wer Lebensmittelskandale zukünftig vermeiden und das Krisenmanagement verbessern will, der darf nicht nur bei der Lebensmittelkontrolle ansetzen, sondern der muss auch bei der Verbesserung der Informationsrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher und bei der Auskunftserteilung durch die Behörden ansetzen.
Warum ist das so wichtig? Wie hängen Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz zusammen? Zum einen, weil sich Verbraucherinnen und Verbraucher dann selbst besser schützen können, wenn sie die Namen der Hersteller vergammelter, verseuchter oder ansonsten unappetitlicher Ware kennen. Aber verbesserte Verbraucherrechte wirken auch präventiv; denn es wirkt natürlich disziplinierend auf die Hersteller, wenn sie befürchten müssen, dass ihre Namen öffentlich genannt werden, wenn sie zum Beispiel verdorbene Ware in Umlauf bringen. Diese abschreckende Wirkung ist gewollt.
Mit Punkt 2 des Koalitionsantrages sollte deshalb folgerichtig die Einführung eines Verbraucherinformationsgesetzes auch auf Bundesebene gefordert werden. Wir als Linksfraktion anerkennen auch die erstaunliche Lernfähigkeit der Union. Zwar ist der Begriff „Verbraucherschutz“ in der Bezeichnung des Ministeriums von der ersten Stelle, an die er eigentlich gehört, an die dritte Stelle gerutscht und das ehemalige BMVEL heißt jetzt merkwürdigerweise BMELV; aber immerhin, auf Bundesebene gibt es ein Verbraucherministerium und damit eine Bündelung der Kompetenzen. Davon sind wir in Sachsen immer noch weit entfernt.
Erst auf der letzten Landtagssitzung haben Sie unseren Entwurf eines Informationsfreiheitsgesetzes, in dem es im Grunde um den gleichen Gedanken ging, abgelehnt, und
das zu Hochzeiten des Gammelfleischskandals. Es freut mich also, dass Sie so schnell hinzugelernt haben.
Nur, wenn diese Offenheit bereits vorher da gewesen wäre, dann hätten wir schon längst ein Verbraucherinformationsgesetz; denn bislang sind alle Versuche, ein solches einzuführen, an der sinnlosen Blockadehaltung und der Klientelpolitik der CDU gescheitert. Auf Bundesebene haben Sie – Frau Herrmann erwähnte es bereits – den Gesetzentwurf der rot-grünen Bundesregierung abgelehnt – auch Sachsen hat das getan – und auf Landesebene den Verbraucherinformationsgesetzentwurf der PDS.
Sie kennen sicherlich die Diskussion auf Bundesebene um das von Minister Seehofer geplante Verbraucherinformationsgesetz. Ihm wird von der Opposition vorgeworfen, dass seine Vorstellungen nicht weit genug gingen. Ein Verbraucherinformationsgesetz, das seinen Namen verdient, muss Folgendes sicherstellen: Wir brauchen Auskunftsrechte der Verbraucher gegenüber den Behörden und gegenüber den Unternehmen. Die Öffentlichkeit muss erfahren, welche Unternehmen verdorbenes Fleisch einkaufen, verarbeiten und auftischen. Man muss in diesen Fragen Ross und Reiter beim Namen nennen. Wir brauchen ferner mehr Befugnisse der Behörden. Sie müssen von sich aus und auch bei kleinen Verstößen die Öffentlichkeit informieren können. Wir brauchen einen Informationsbericht. Schließlich muss ein Verbraucherinformationsgesetz, wenn es wirkungsvoll sein soll – auch das haben wir heute schon von den GRÜNEN und der FDP gehört –, über Lebensmittel hinausgehen und Bedarfsgegenstände umfassen.
Meine Damen und Herren! An diese bundespolitische Diskussion knüpft der Änderungsantrag der Linksfraktion an. Das Misstrauen, verehrte Frau Kollegin Deicke, das Sie uns hier gegenüber der Bundesregierung unterstellt haben, ist angesichts der Ankündigungen von Minister Seehofer, nur ein Schmalspurgesetz einzubringen, durchaus begründet. Wir wollen kein Schmalspurgesetz. Wenn wir die Staatsregierung beauftragen, auf Bundesebene tätig zu werden, dann sollten wir ganz konkret sagen, was sie dort tun soll. Nur durch unseren Änderungsantrag bekommt Ihr Antrag überhaupt einen Sinn; denn das, was im Koalitionsantrag steht, wird ohnehin von Minister Seehofer gemacht. Mit der Annahme unseres Änderungsantrages hätte die heutige Debatte konkrete Folgen und einen konkreten Sinn.
Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Wenn das nicht der Fall ist, Frau Staatsministerin Orosz; bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Es ist in der Tat so: Die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Lebensmitteln muss für uns höchste Priorität haben. Als im November
bei Routinekontrollen der amtlichen Lebensmittelüberwachung in anderen Bundesländern die heute schon genannten Missstände im Fleischhandel aufgedeckt wurden, haben die zuständigen sächsischen Lebensmittelüberwachungsbehörden unverzüglich reagiert und kurzfristig außerplanmäßige Kühlhauskontrollen durchgeführt. Neben den acht großen EG-zugelassenen Kühlhäusern wurden flächendeckend auch alle sonstigen Kühlhäuser sowie weitere Lagerräume von Fleischverarbeitungsbetrieben überprüft. Bei der Kontrolle der insgesamt 329 Objekte wurden keine nennenswerten Verstöße gegen die einschlägigen Rechtsvorschriften festgestellt. Insoweit sind die Staatsregierung und die ihr nachgeordneten Behörden ihrer Verantwortung für die Lebensmittelsicherheit und den Schutz der sächsischen Verbraucherinnen und Verbraucher zeitnah und entschlossen nachgekommen.
Natürlich haben Vorfälle mit dem Gammelfleisch zu einem Vertrauensverlust bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern geführt. Ich denke, das ist unbestreitbar. Aber lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal klarstellen: Es waren hier kriminelle Kräfte am Werk, die das Vertrauen der Menschen in die Sicherheit der Lebensmittel leichtfertig aufs Spiel gesetzt und vor allen Dingen das Ansehen der ganzen Branche in Misskredit gebracht haben.
Von unseren sächsischen Betrieben waren nur einzelne als Empfänger verdächtiger Fleischlieferungen betroffen. Sie waren aus anderen Bundesländern beliefert worden.
Der Ihnen vielleicht aus den Medien bekannte Fall hat gezeigt, wie verantwortungsbewusst die belieferte Firma gehandelt hat. Sie hat die gelieferte Charge mutmaßlich verdorbenen Fleisches von sich aus gemeldet und reklamiert und dieses Fleisch nicht für Verarbeitungszwecke genutzt. Ich will damit sagen, es war richtig, die Verantwortlichkeit für die Sicherheit der von ihnen hergestellten Waren bzw. in den Verkauf gebrachten Lebensmittel bei den Lebensmittelunternehmen anzusiedeln. Herr Wehner, das ist auch so. Nicht die Lebensmittelprüfer aus den Landkreisen und Kreisfreien Städten sind zunächst zuständig, sondern die eben genannten Unternehmen. Das sieht der Gesetzgeber so vor. Diese müssen ihre Eigenkontrollen und Rückverfolgbarkeitsmechanismen auch noch weiter ausbauen. Lebensmittelkontrolleure, Lebensmittelchemiker, amtliche Tierärzte und Amtstierärzte haben die Wirksamkeit der Eigenkontrollmechanismen bei den Betriebskontrollen zu überprüfen. Wenn Sie so wollen, handelt es sich dabei um eine amtliche Gegenkontrolle der privatwirtschaftlichen Kontrollmechanismen oder – kurz ausgedrückt – um die Kontrolle der Kontrolle.
Meine Damen und Herren! Ich darf auch darauf verweisen, dass die Sächsische Staatsregierung, damals noch unter Zuständigkeit meines Kollegen Steffen Flath, bereits vor einigen Jahren eine Allianz für sichere Lebensmittel in Sachsen gegründet hat, in der sich sowohl Verarbeiter, der Handel, die Produzenten als auch Verbraucherschutz
behörden gemeinsam diesem Thema widmen. Ich glaube, wir können heute feststellen: bisher erfolgreich.
Die Häufigkeit dieser Betriebskontrollen wird sich zunehmend an Risikogesichtspunkten orientieren, so auch in Sachsen. Zu diesen Risikogesichtspunkten gehört die Zuverlässigkeit des Inhabers bzw. Geschäftsführers ebenso wie die Wirksamkeit der betrieblichen Qualitätssicherungssysteme und die Anzahl und Schwere der in der Vergangenheit festgestellten Verstöße. Außerdem gewährleistet das für alle Lebensmittelüberwachungsbehörden im Freistaat verbindlich eingeführte Qualitätsmanagementsystem, dass die strengen Regeln zur Lebensmittelsicherheit auf einem landesweit einheitlich hohen Niveau angewandt und die Zusammenarbeit der einzelnen Behörden noch besser koordiniert werden.
Meine Damen und Herren! Sachsen braucht sich also auf dem Gebiet der amtlichen Lebensmittelüberwachung nicht zu verstecken. Bei den entsprechenden Ländervergleichen zur Leistungsfähigkeit und der Qualität der amtlichen Lebensmittelüberwachung hat Sachsen, Herr Kollege Wehner, immer gut abgeschnitten und Spitzenplätze belegt. Allerdings muss ich auch deutlich machen, dass eine Überwachung, egal in welcher Art und Weise sie stattfindet, niemals eine hundertprozentige Sicherheit garantieren kann. Die Überwachungen basieren auf dem Stichprobenprinzip und das ist auch die Aufgabe der Lebensmittelüberwachung. Es ist schlicht und ergreifend nicht möglich, jede Portion Eis vor der Freigabe amtlich zu prüfen.
Besondere Probleme bereiten aber auch die so genannten Geschäftemacher, die mit offenkundig krimineller Energie am Werk sind. Die behördliche Tätigkeit eines Lebensmittelüberwachungs- und Veterinäramtes ist nicht primär auf die Entdeckung und Ahndung krimineller Machenschaften ausgerichtet, sondern vielmehr herrscht der Grundsatz Belehrung und Beratung vor Bestrafung. Diese Herangehensweise erscheint für eine sonst redliche und verantwortungsbewusst handelnde Branche auch heute noch angemessen. Zur Aufdeckung und vor allem zur Unterbindung illegaler Machenschaften ist sie aber offenkundig nicht ausreichend.