Protocol of the Session on December 7, 2005

Herr Lehmann, genau darum geht es auch heute. Sie brauchen mir keine Nachhilfe darüber zu geben, dass die Menschen heute mobil sein müssen, aber wir haben ein völlig anderes und auch umfassenderes Verständnis von Mobilität. Die Mobilität für alle Menschen dieser Gesellschaft wird nicht gesichert, wenn man nur Straßen baut. Wir wollen die vorhandenen Mobilitätsbedürfnisse intelligent befriedigen. Dabei wird in Zukunft dem ÖPNV eine viel größere Bedeutung zukommen müssen als bisher. Sie und die schwarz-rote Bundesregierung meinen Straßenbau, ich meine Mobilität für alle und – ich sage es ganz klar – nicht nur für den 35-jährigen männlichen Arbeitnehmer mit Arbeitsplatz.

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Ich spreche auch von der Mobilität des Schülers, der auch außerhalb des Hin-und-Her-Transports von und zur

Schule vielleicht einmal in der Kreisstadt ins Kino gehen möchte, ohne für die Fahrkarte den doppelten Preis der Kinokarte bezahlen zu müssen, wenn überhaupt noch ein Bus fährt.

(Volker Bandmann, CDU: Herr Lichdi, die holen sich doch heute eine DVD!)

Ich spreche von der Mobilität der Arbeitslosen, die sich weder einen Zweit- und oft auch keinen Erstwagen leisten können. Ich meine auch die Mobilität der Mutter, die die Familieneinkäufe erledigen muss, auch wenn es im Ort keinen Supermarkt mehr gibt. Ich spreche auch von der Mobilität der Senioren, die ein Recht darauf haben – ich möchte fast sagen, ein Menschenrecht –, noch eigenständig den notwendigen Arztbesuch in der Kreisstadt wahrzunehmen. Diesen Gruppen ist mit einer Ausweitung der Investitionen im Straßenbau nicht geholfen, mit einer Kürzung der Nahverkehrszuschüsse aber wesentlich geschadet.

Wir können auch nicht auf der einen Seite die Pendlerpauschale einschränken, was ich richtig finde, ohne auf der anderen Seite attraktive Angebote zu machen, die es ermöglichen, vom Auto auf einen preiswerten ÖPNV umzusteigen. So wird die Strategie „Weg vom Öl!“, die die neue Bundesregierung zumindest verbal von den GRÜNEN übernommen hat, nicht gelingen können.

Die FDP, anwesend durch Herrn Morlok, durch einen Abgeordneten – ich begrüße Sie herzlich –, hat bei Bekanntwerden der Kürzungspläne gleich verlauten lassen, dass die Einschnitte nicht zu Einschränkungen führen müssten.

Unser Ziel ist auch nicht die Steigerung der Ausgaben für den ÖPNV, sondern eine Steigerung der Fahrgastzahlen. Dafür braucht es auch aus unserer Sicht eine Änderung der Strukturen im öffentlichen Verkehr. Wir wissen ebenso, dass wir für eine effektivere Verteilung der Mittel sorgen müssen. Durch Ausschreibungen können die Preise für den Schienenverkehr nach Erfahrungen anderer Länder um 20 % und mehr gedrückt werden. Der Automatismus, dass die Deutsche Bahn AG fast automatisch alle Aufträge erhält, kann so nicht bestehen bleiben. Die Mittelvergabe muss an klare Leistungskriterien gebunden sein. Die günstigsten Unternehmen mit dem besten Service für die Fahrgäste müssen zum Zuge kommen.

Auf Bundesebene – das ist zwar nicht Bestandteil dieses Antrages – setzen wir uns daher auch dafür ein, dass die Eisenbahninfrastruktur vom DB-Konzern abgetrennt und möglichst an die Länder übergeben wird.

Herr Minister Jurk, ich komme jetzt zur sächsischen Verkehrspolitik, denn bei Lichte betrachtet machen Ihre Berliner Parteifreunde genau das, was Sie seit langem auch in Sachsen machen und was die SPD auch nicht geändert hat. Ich spreche davon, dass 90 % der GVFGMittel in die Straße fließen und nur 10 % in den ÖPNV.

Will man Ihrem Koalitionsvertrag glauben, möchten Sie zur Abfederung der Leuchtturmpolitik bei der Wirtschaftsförderung den ländlichen Raum an die Städte

anbinden. In Straßen investieren Sie fleißig, für Bahn und ÖPNV bleibt noch weniger übrig. Ich frage mich, wie das alles zu Ihrem neuen Förderschwerpunkt „Bahntechnik“ passen soll, auf den Sie so stolz sind.

Ich habe auch mit Interesse in der Presse vom 29.11. gelesen, dass Sie sich künftig für ein neues Finanzkonzept beim Schülerverkehr einsetzen wollen. Wenn Sie aber sagen, dass Sie Linien – – Entschuldigung, das war Kollege Flath. – Herr Kollege Flath sagte, dass die „Linien und Fahrzeiten beim normalen Linienverkehr noch stärker als bisher auf den anfallenden Schülerverkehr ausgerichtet werden sollen“. Wenn Sie das tun, dann verstärken Sie die verhängnisvolle Weichenfehlstellung in der bundesdeutschen und der sächsischen Verkehrspolitik. Dann wird eben die Straße weiter gegenüber dem ÖPNV bevorzugt.

Das ist doch genau das Problem: dass in weiten Teilen des Landes öffentlicher Nahverkehr außerhalb des Schülerverkehrs schon jetzt kaum noch stattfindet. Ich sage auch ganz klar, dass die Teilfinanzierung des Schülerverkehrs aus den Regionalisierungsmitteln eine Fehlverwendung von Mitteln ist, es ist ein Missbrauch von Mitteln.

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

Dieser Meinung – da kann man auch mal klatschen, danke – war übrigens auch Frau Kollegin Raatz. Wir haben mit großem Interesse Ihre Pressemitteilung – ich glaube, sie war von 2000 oder 2001 – gelesen, in der Sie zu Recht gegeißelt haben, als damals dieser Weg in Sachsen eingeschlagen wurde.

Ich halte fest, dass die Regionalisierungsmittel nicht der Finanzierung des Schülerverkehrs dienen sollen, sondern der Aufrechterhaltung eines umfassenden – ich betone: umfassenden – öffentlichen Personennahverkehrs. Sachsen ist aber den Weg gegangen, die Kosten für die Schülerbeförderung aus dem eigenen Haushalt herauszukürzen und dafür Regionalisierungsmittel einzusetzen.

Genau dieser Missbrauch erleichtert die Absicht Ihrer schwarz-roten Parteifreunde in Berlin, den fatalen Schluss, die zweckentfremdeten Zuschüsse, kürzen zu können. Wir müssen – und das beantragen wir unter Punkt 3 – auch hier zu einer verursachergerechten Finanzierung zurückkehren. Wer meint, mit flächendeckenden Schulschließungen Geld im Haushalt einsparen zu können, muss dann auch für die daraus entstehenden steigenden Schülerbeförderungskosten aufkommen und soll sich nicht für seine Schulschließungspolitik noch bei Bundesmitteln für Bus- und Bahnfahrer bedienen.

Vielleicht kommt man bei einer ganzheitlichen Betrachtungsweise dann auch dazu, dass die eine oder andere Schulschließung auch finanziell nicht so lohnend ist. Über die bildungspolitischen Aspekte dieser Frage haben wir ja hier schon oft diskutiert.

Ich fasse zusammen:

Es besteht wohl Einigkeit in diesem Hause, dass Sachsen eine Kürzung der Zuschüsse für den Nahverkehr im Bundesrat ablehnen muss.

Ich gehe weiterhin davon aus, dass die Staatsregierung uns berichten wird – vielleicht auch jetzt schon, Herr Jurk –, wie sich die Regionalisierungsmittel in den letzten Jahren entwickelt haben und wie sich die geplanten Kürzungen im Land Sachsen auswirken würden.

Drittens muss es uns gelingen, die Vergabe der Nahverkehrszuschüsse transparenter zu gestalten, mehr Wettbewerb zuzulassen und an Leistungskriterien zu knüpfen.

Die große Koalition in Berlin plant aus Finanznot und Fantasielosigkeit einen Kahlschlag im öffentlichen Verkehr. Wir lehnen diese Verkehrswende rückwärts entschieden ab, aber auch in Sachsen. Herr Jurk, jetzt haben Sie Gelegenheit dazu, Sie können jetzt mitteilen, wie Sie diesen verhängnisvollen Weg nicht weiter mitgehen wollen. Bitte, gehen Sie auch auf die anderen Punke ein, die ich genannt habe.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS – Staatsminister Thomas Jurk: Ist auch dringend nötig, weil Sie so viel Falsches erzählt haben!)

Ich melde mich dann vielleicht noch einmal.

Die CDUFraktion, bitte; Herr Prof. Bolick.

(Staatsminister Thomas Jurk: Herr Bolick, jetzt sagen Sie mir doch, wo die Kürzungen herkommen! Ich weiß es nicht.)

Ich weiß es auch nicht. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier wurde mit Zahlen herumgeworfen, hier wurden Horrorszenarien erzeugt, die überhaupt jeder Grundlage entbehren. Es wurde keine Quelle genannt. Nur weil irgendwo mal jemand über bestimmte Dinge nachdenkt, scheint das schon Fakt zu sein.

Herr Lichdi, auf der einen Seite beklagen Sie, dass die Minister sich angeblich nur für den Straßenbau entschieden hätten, auf der anderen Seite beklagen Sie aber, dass unsere Mittel in nicht unerheblicher Höhe, die wir für Bahn und öffentlichen Nahverkehr zur Verfügung haben, gekürzt werden sollen. Nach Ihrem Reden gibt es diese eigentlich überhaupt nicht. Ich verstehe das nicht.

(Zuruf von der Linksfraktion.PDS: Das ist ja eine Logik!)

Man fragt sich: Wo ist die Substanz dieser gesamten Angstschürerei? – Die Damen und Herren von der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN leben möglicherweise davon. Wo hat denn die neue Bundesregierung konkret Position bezogen, dass sie tatsächlich schon im kommen

den Jahr den gesetzlich garantierten Anspruch der Länder – der ist gesetzlich garantiert, Herr Lichdi – auf die Regionalisierungsmittel beschränken will?

(Johannes Lichdi, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Mir ist nichts bekannt davon und ich glaube, Herr Jurk wird dazu noch klar Stellung nehmen. Gerüchte und Überlegungen einzelner Damen und Herren, sei es nun in Berlin oder anderswo, gibt es immer. Aber das ist kein Grund für Hysterie.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Bitte, Herr Lichdi.

Vielen Dank. – Herr Kollege Bolick, ist Ihnen die Pressemitteilung des Deutschen Landkreistages vom 2. Dezember dieses Jahres bekannt mit der Überschrift „Kürzungen im Nahverkehr treffen ländliche Räume hart“? „Der Deutsche Landkreistag lehnt die von der Bundesregierung angekündigte Kürzung der Mittel in Höhe“ usw. ab.

Sie mögen vielleicht der Linksfraktion.PDS und uns hier Populismus oder Panikmache vorwerfen, aber wollen Sie das auch dem Deutschen Landkreistag vorwerfen?

Werden wir in Deutschland von der Bundesregierung regiert oder vom Landkreistag, Herr Lichdi?

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Tatsache ist und bleibt, dass schon nach bisheriger Gesetzeslage ab dem Jahr 2007 eine Revision der Regionalisierungsmittel angesagt war. Das weiß jeder, aber Sie haben es mit keinem Wort erwähnt. Das ist nichts Neues. Alle, die sich mit der Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs sachlich auseinander gesetzt haben, wissen genau, dass es wirklich harter Verhandlungen bedarf, die gegenwärtige Höhe der Bundeszuschüsse auch künftig festzuschreiben. Mit „harte Verhandlungen“ drücke ich mich sicherlich zurückhaltend aus. Wir haben immer dafür gekämpft und werden dies auch weiter tun.

Aber die Löcher im Bundesetat sind jedem bekannt; und wenn gespart werden muss, muss man natürlich an jede Position denken und nachfühlen, was dort möglich ist. Dass der Bund als Zahler und der Freistaat als Empfänger dieser Leistungen unterschiedliche Interessenlagen haben, ist klar; und wenn Sie uns unterstellen, dass wir als Freistaat möglicherweise dafür nicht entsprechend in die Bütt, in die Verhandlungen gehen, ist dies unredlich.

Für die CDU-Landtagsfraktion ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns darum bemühen, auch für die kommenden Jahre die Bundeszuschüsse für den öffentlichen Personennahverkehr so hoch wie möglich zu halten, damit der Freistaat in Sachsen weiterhin ein attraktives Angebot sichern kann. Diese Selbstverständlichkeit hat

die Koalition festgestellt und klargestellt. Wir wollen diese Klarstellung, damit Sie uns nicht vorwerfen, mit der Ablehnung Ihrer Anträge würden wir Hand an den ÖPNV legen.

Unabhängig von der heutigen Debatte bleibt jedoch die wichtige Aufgabe der Staatsregierung zu klären, wie und mit welchen Prioritäten der öffentliche Personennahverkehr auf Straße und Schienen in den kommenden Jahren aussehen soll. Deshalb haben sich CDU und SPD im Koalitionsvertrag auch darauf verständigt, dass die Staatsregierung gemeinsam mit den Verkehrsverbünden eine ÖPNV-/SPNV-Konzeption für ganz Sachsen erstellen wird. Ich weiß, dass dies nicht ganz einfach und ein umfangreiches Unternehmen ist sowie viele Interessen und Interessenten unter einen Hut gebracht werden müssen. Dennoch mahne ich an, diese Konzeption schnellstmöglich auf den Tisch zu legen. Sie kann die Debatte um den ÖPNV nur versachlichen. Nach den vorangegangenen Beiträgen ist dies dringend nötig.

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit gleich einige Wünsche äußern, die ich an die künftige Konzeption habe.

Erstens. Da ist zunächst eine ausführliche Beschreibung des Status quo: Welche ÖPNV-Leistungen werden wo zu welchem Preis bereitgestellt und wie werden diese Leistungen vom Bürger angenommen?