Die Krönung des ganzen Verfahrens ist die so genannte Kundentheorie: Mit Studiengebühren wird alles besser, „denn die Studenten sind zahlende Kunden, um die man sich im eigenen Interesse kümmern muss“. Bildung wird damit ganz klar zur Handelsware erklärt, die mit Studiengebühren erkauft wird. Bildung wird zur Ware.
Herr Wöller hat vorhin von Ideologie gesprochen. Ich will jetzt sozusagen ideologisch antworten. Nichts verdeutlicht stärker als dieses Bild „Bildung wird zur Ware“, was hinter dem Vorstoß zu Studiengebühren steht. Es ist eine eiskalte neoliberale Ideologie.
Es ist das Prinzip der Ökonomisierung aller Lebensbereiche mit der Folge: Wer stark und reich ist, kommt voran, und die Schwachen bleiben auf der Strecke.
Wir haben, wie andere Fraktionen im Sächsischen Landtag auch, ein anderes Ziel: Wir stehen für das Recht auf Bildung, ein Recht, das für alle Menschen gilt. Wir stellen uns der Situation, dass die Geburt zurzeit in starkem Maße über Bildungschancen entscheidet. Wer eine Gesellschaft zusammenhalten will, wer dafür sorgen will, dass diese Gesellschaft zukunftsfähig wird, der darf die Chancenungleichheit nicht verschärfen, sondern muss sie abbauen. Dazu tragen Studiengebühren nicht bei.
Ich frage, ob es weiteren Redebedarf gibt. – Von der Linksfraktion.PDS ist noch Herr Prof. Dr. Porsch gemeldet.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Principiis obsta!, wussten schon die alten Römer. Wehret den Anfängen! Aus diesem Grund kann man hier nicht oft genug bestimmte Dinge sagen, auch wenn es Wiederholungen sind, aber Wiederholung ist die Mutter der Weisheit.
Der Ministerpräsident soll wissen, dass ihm hier mit seinen Vorschlägen für Studiengebühren eine Phalanx
gegenübersteht. Die Geschäftsordnung lässt es leider nicht zu, aber wenn ich darum bitten würde, dass all jene aufstehen, die für ihr Studium bezahlt haben, dann wären das nur sehr, sehr wenige.
Wer in der DDR studiert hat, hat mit Garantie nichts fürs Studium bezahlt. Ich gebe zu, das Fernstudium war zeitweilig ausgenommen, Herr Hähle. Wer nach 1970 in der Bundesrepublik ein Studium absolvierte, konnte dies auch gebührenfrei tun. Es bleibt eine geringe Zahl von Mitgliedern des Hohen Hauses, die auf eigene Rechnung an einer Privathochschule oder im Ausland studiert haben bzw. solche, die vor 1970 mit ihrem Studium in der Bundesrepublik begonnen haben. Zu Letzteren gehöre ich selbst und auch der Ministerpräsident. Wir waren in den sechziger Jahren mit etwa 250 DM pro Semester belastet. Aber 1970 wurden in ganz Deutschland die Studiengebühren mit dem Argument abgeschafft, man würde damit mehr soziale Gerechtigkeit herstellen. Das Argument war richtig. Ich weiß nicht, was sich daran heute geändert haben sollte!
Deshalb weiß ich auch nicht, warum man heute plötzlich wieder über die Einführung von Studiengebühren nachdenkt. Es denken nicht wenige derjenigen darüber nach, die allesamt kostenlos studiert haben. Ich sage, das ist selten frech.
Geändert hat sich offensichtlich etwas ganz anderes: Geändert hat sich die Bereitschaft, soziale Gerechtigkeit zu finanzieren, und zwar bei denen, die dazu in der Lage sind und per Grundgesetz verpflichtet werden. Sie wollen nicht mehr! Sprechen wir doch diese einfache Wahrheit aus. Privat geht vor Katastrophe, ist heute die Losung. In eine Katastrophe steuern wir, wenn wir den Zugang zum Studium über Gebühren endgültig zu einem Sozialprivileg machen. Wir steuern in die individuelle Katastrophe jener, die, von Bildung und Wissen ferngehalten, in der Wissensgesellschaft nicht bestehen können, und wir steuern in die Katastrophe der Gesellschaft, die ihre Talente aus sozialen Gründen verkümmern lässt und so selber auf Dauer verkümmern wird.
Der Ministerpräsident dreht aber alles um und nennt Studiengebühren sozial gerecht, weil ansonsten und angeblich die Gesellschaft einer kleinen Gruppe den Weg in ein überdurchschnittlich hohes Einkommen finanzieren würde. Studiengebühren sollen sozial gerecht sein. Der Ruf nach Wiedererhebung der Vermögensteuer zum Beispiel wird als Neidkampagne denunziert. Das alles steht so im neoliberalen Katechismus, allerdings fernab von jeglichem Bezug zum wirklich Notwendigen. Tatsächlich nämlich braucht die Gesellschaft Akademiker und muss deshalb ihre Ausbildung finanzieren. Deutsch
land hat zu wenig Hochschulabsolventinnen und -absolventen. Man möchte im Lichte der Logik des Ministerpräsidenten fragen: Waren die Verantwortlichen 1970 alle doof? Ich verbürge mich für das Gegenteil, denn 1970 fiel die Entscheidung unter dem Eindruck der ersten großen Nachkriegsrezession ab 1966 aufgrund wissenschaftlicher Analysen über den zukünftigen Bedarf an Hochschulabsolventen und den dafür hinderlichen Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungschancen.
In der gleichen Situation sind wir heute. Wir haben Probleme in der Wirtschaft und in der Rekrutierung von Akademikern, weil die sozialen Schranken zu hoch sind. Die Ergebnisse können wir schon in der Pisa-Studie nachlesen. Dort haben wir den Beweis, dass soziale Auslese schon beim Zugang zu höherer Bildung beginnt. Dann kommen noch Studiengebühren hinzu.
Nehmen wir aber einmal das gute Beispiel. Es hat sich jemand aus bildungsfernem Umfeld zum Studium durchgekämpft. Was nun? Der Mensch muss für die Gebühren und seinen Lebensunterhalt jobben oder es hilft ein Stipendium. Geht es aber nach dem Ministerpräsidenten, bleibt dieses Stipendium ein Darlehen. Der sozial Schwache, der mit wesentlich mehr Aufwand zum Studium kam und im Studium wesentlich mehr Aufwand treiben musste, geht noch mit einem Schuldenberg ins Berufsleben. Wodurch soll das gerechtfertigt sein?
Herr Ministerpräsident, Ihnen schweben die autonomen Hochschulen vor, die im Wettbewerb um Studenten und damit im Wettbewerb um Einnahmen stehen. Dadurch werden neue Abhängigkeiten entstehen. Profitstreben tritt an die Stelle der Freiheit von Forschung und Lehre und wird sie zerstören.
Kommerzielle Verwertbarkeit statt Entwicklung wird den Output der Hochschulen bestimmen. Viele Disziplinen, vor allem die Geisteswissenschaften, werden tendenziell verschwinden. Wer Verantwortung verspürt, kann das nicht gutheißen und wird deshalb weiter gegen Studiengebühren kämpfen. Das sind auch nicht wenige. Wir, die Linkspartei.PDS, gehören dazu. Ich gehöre ohnehin dazu, heute genauso wie schon vor 1970.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mich stört an dieser Debatte, dass man ein Denkverbot für diesen Landtag erlassen will.
Da hat der Ministerpräsident einmal laut über etwas nachgedacht – was in anderen Bundesländern gang und gäbe ist, was in aller Welt längst Usus ist und was sich an
vielen Stellen in der Welt bewährt hat –; hier hingegen sagen alle: Das, was ihr machen wollt, ist unsozial von A bis Z; niemand wird mehr studieren können, wenn es Studiengebühren gibt! – Andere Länder beweisen das genaue Gegenteil.
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Er verbietet mir das Denken! – Gegenruf von der CDU: Zuhören!)
ich möchte nur einiges erklären. – Ich verbiete Ihnen überhaupt nicht das Wort, aber ich muss nicht jedem Versuch nachgeben, die Sache noch einmal in Ihre Richtung zu drehen.
Bis jetzt hat kaum jemand etwas zu dem Exzess gesagt, der hier in Bezug auf die Studiengebühren aufgeführt wird.
Es ist klar: In der Koalitionsvereinbarung steht nichts dazu. Wir akzeptieren auch, dass wir insofern keinem Gesetz zustimmen können, das die Einführung von Studiengebühren in Sachsen ermöglichte. Das halte ich für einen Nachteil, aber damit muss jeder zurechtkommen, solange es diese Koalition gibt.
Die Hochschulrektoren fordern uns in ihrer Mehrheit regelrecht auf, zumindest einmal darüber nachzudenken, ob man Studiengebühren einführen könnte. Gedacht wird dabei nur an eine nachgelagerte Gebühr. Natürlich darf niemand vom Studium ausgeschlossen werden. Wenn beispielsweise pro Semester 500 Euro verlangt werden würden, dann wären dies im Jahr 1 000 Euro. Wer fünf Jahre studierte, hätte sich dann einen „Schuldenberg“ von 5 000 Euro aufgeladen.
Wenn derjenige anschließend gut verdient – besser als andere, die keinen akademischen Abschluss haben –, dann wird es für ihn ein Leichtes sein, diesen Betrag seiner alten Uni voller Dankbarkeit zurückzugeben.
Einerseits wird ein nicht ganz kostenloses Studium auch ein Anreiz für die Universitäten sein, entsprechende Qualität zu bieten.
Andererseits könnten die Studenten dann, wenn sie wie jetzt in überfüllten Hörsälen säßen und keinen Seminarplatz bekämen, von ihrer Uni auch etwas fordern, statt wie jetzt nur protestieren zu können.
Die andere Seite wird sagen, ihr fehle dazu das Geld, um das alles in die Reihe zu bekommen. Ich sage ja nicht, dass wir in Sachsen Studiengebühren einführen können. Ebenso wussten wir vor dieser Debatte, dass der Ministerpräsident in Freiberg eine Rede gehalten hat, in der es einzelne Positionen gibt, zu denen wir ebenfalls unterschiedlicher Auffassung sind. Das ist in einer Koalition völlig normal und das halten wir auch gut miteinander aus. Ich nehme diese Debatte aber gern zum Anlass, Ihnen hier einige grundsätzliche Überlegungen zur Notwendigkeit der Veränderung des sächsischen Hochschulrechts darzustellen.