Protocol of the Session on November 10, 2005

Tagesordnungspunkt 3

2. und 3. Lesung der Entwürfe

Gesetz zur Umsetzung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes

Drucksache 4/1566, Gesetzentwurf der Fraktion der FDP

Drucksache 4/2723, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Kindertageseinrichtungen

Drucksache 4/2232, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der SPD

Drucksache 4/3245, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend

Es ist eine allgemeine Aussprache vorgesehen. Aus dem Grunde erteile ich dann in folgender Reihenfolge das Wort: FDP, CDU, SPD, Linksfraktion.PDS, NPD, GRÜNE; Staatsregierung, wenn gewünscht.

Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte, dass die Fraktion der FDP das Wort nimmt. Frau Schütz, bitte. Sie merken, zu spät kommen lohnt sich manchmal.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Um das richtig zu stellen: Ich war schon da, bin nur noch einmal hinausgegangen. Das hat mir offenbar den schwierigen Zwischenfall erspart.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich werde zu beiden Gesetzentwürfen sprechen. Der Besuch von Kindertageseinrichtungen ist nicht Verwahrung oder einfache Betreuung, sondern ist und soll auch viel mehr ein Teil der frühkindlichen Bildung und Erziehung sein sowie der Vereinbarkeit von Beruf und Familie dienen. Dies – das ist die gute Nachricht – ist hier in den demokratischen Fraktionen Konsens. Damit sind wir in Sachsen moderner als im Rest der Republik.

Es freut mich auch, dass die Koalitionsfraktionen nach eigenem Bekunden eine Anregung aus unserem Gesetzentwurf in Bezug auf die Kindertagespflege in anderen geeigneten Räumen aufgegriffen haben.

Beide Gesetzentwürfe sehen vor, dass Kindertagespflege nun auch in anderen Räumen als denen der Tagespflegepersonen oder der Kindeseltern möglich ist. Schade ist nur, dass bei der Formulierung des CDU-SPDGesetzestextes und in den Ausschussberatungen ein gewisses Misstrauen gegen diese Flexibilisierung zum Ausdruck kam und gleich noch eine Erhöhung des Bürokratieaufwandes hinterhergeschoben wurde. Daher würde

ich mich freuen, wenn Sie in diesem Punkt dem FDPGesetzentwurf den Vorzug geben würden. Auch in den übrigen Teilen des Gesetzentwurfs der CDU und der SPD sieht man zwar Fortschritte, der große Wurf, ein für Deutschland beispielgebendes Gesetz zu schaffen, ist es allerdings nicht geworden.

Ein Fortschritt ist das starke Bekenntnis, dass Kindertageseinrichtungen ein Ort der Bildung sind. Der Bildungsplan, zurzeit noch als Entwurf vorliegend, soll als verbindliche Grundlage der besseren Bildung und Chancengleichheit am Start des Bildungslebens gegeben werden. Dies ist nach unserer Meinung der richtige Weg. Gleiches gilt für die Einführung des Schulvorbereitungsjahres.

Die Erhöhung des Landeszuschusses an die Gemeinden ist ebenfalls zu begrüßen, war aber längst überfällig. Nur konnte es eben auch unter diesem Gesetz nicht sichergestellt werden, dass diese Mehrgelder, die wir hier im Parlament beschlossen haben, tatsächlich auch zu Mehrausgaben in den Kindertageseinrichtungen führen. Das war es dann aber auch schon. Die Koalition ist auf halbem Wege stehen geblieben.

Wenn man den Anspruch hat, dass es Kindertageseinrichtungen für alle geben soll, weil es für die Entwicklung und die Bildung der Kinder wichtig ist, dann muss man das auch so deutlich im Gesetz zum Ausdruck bringen. Trotz einer Umformulierung im Gesetz sind Zugangsbeschränkungen für Kindertageseinrichtungen, zum Beispiel für Kinder von Arbeitslosen, weiterhin möglich. Die jetzige Soll-Formulierung lässt nach unserer Meinung weiterhin Ausnahmen zu. So können Kinder von ein bis drei Jahren in Ausnahmefällen, beispielsweise bei der Bedarfsplanung von Kindertagesplätzen, ganz ausgeschlossen werden. Eine zeitliche Beschränkung des

Besuches der Kinderkrippen ist ohne Probleme auch weiterhin möglich. Doch wer keine ganztägige Betreuung bei der Arbeitsagentur nachweisen kann, gilt als nicht vermittelbar – ein Teufelskreis, der vor allem für viele Frauen Arbeitslosigkeit verlängern kann. Dies ist für uns als FDP-Fraktion nicht akzeptabel.

(Beifall bei der FDP)

Bei den Kindergärten besteht für die Drei- bis Sechsjährigen zwar ein Rechtsanspruch aus der Bundesgesetzgebung heraus, dieser schließt aber nach wie vor nicht aus, dass auf Landesebene Kinder von Arbeitslosen lediglich halbtags in den Kindergarten gehen dürfen. Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Kindergartens und besonders des Schulvorbereitungsjahres für einen guten Start ins Schulleben ist die mögliche Ungleichbehandlung von Kindern, deren Eltern Arbeit haben, und denen, deren Eltern von Arbeitslosigkeit betroffen sind, nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der PDS)

Sehr geehrte Damen und Herren! Die FDP-Fraktion will, dass alle Kinder, egal ob die Eltern arbeitslos sind oder nicht, in die Kindertageseinrichtung gehen können. Deshalb haben wir entsprechende Änderungsanträge in das Plenum eingebracht. Damit wollen wir dem Gesetzentwurf den Inhalt geben, der dem Anspruch des Gesetzes gerecht wird. Das Gesetz hat auch Mängel, was die Bedeutung der BegleiterInnen im Bildungsprozess, der Bildungsvermittler und -vermittlerinnen, nämlich der Erzieher und Erzieherinnen, angeht. Diese haben trotz Mehraufgaben, auch aus dem vorliegenden Gesetzentwurf, nicht die Möglichkeit von Vor- und Nachbereitungszeiten im Rahmen ihrer Arbeitszeit. Auch Fragen der Fort- und Weiterbildung sowie die Fortentwicklung des Qualifizierungsniveaus müssen wir zukünftig weiter diskutieren.

Wenn wir den Anspruch haben, dass Kindertageseinrichtungen Orte der Bildung, Betreuung und Erziehung sind, müssen wir als Landesgesetzgeber und damit als Lobbyvertreter tätig werden und eine Verbesserung der Stellung von Erzieherinnen und Erziehern erreichen. Was die Bedeutung und die Stellung der Kindertageseinrichtungen angeht, will die FDP-Fraktion eine Kita-Landschaft, die beispielgebend für eine moderne Familien- und Bildungspolitik ist. Wir wollen daher den Besuch von Kindertageseinrichtungen unabhängig von finanziellen Überlegungen der Eltern machen. Wir brauchen in Deutschland, und Sachsen kann hier Vorreiter werden, einen neuen Schwerpunkt bei den staatlichen Auf- und Ausgaben. Bildungs- und Familienpolitik müssen meiner Meinung nach mehr Gewicht bekommen. Wir geben in Deutschland Geld für alles Mögliche aus, was wünschenswert ist. Meiner Meinung nach ist die Subventionierung von Eigenheimen, Steinkohle und Windkraftanlagen als nachrangig zu betrachten. Hier müssen wir in Sachsen und in Deutschland klare Entscheidungen treffen.

Der Anfang in Sachsen sollte sein, dass das Schulvorbereitungsjahr ab 2007 kostenfrei ist. Es ist das wichtigste Jahr für die Kinder, um einen guten Start in die Schule zu haben. Auch wenn das den Freistaat etwa 30 bis 40 Millionen Euro kosten wird, sind wir der Ansicht, dass dies im neuen Doppelhaushalt 2007/2008 leistbar sein wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen, es gibt noch vieles, was die FDP-Fraktion gern verbessern würde. Das vorliegende Gesetz von CDU- und SPDFraktion stellt aber insgesamt eine Verbesserung der bestehenden Gesetzeslage dar. Wir werden daher dem Gesetzentwurf von CDU- und SPD-Fraktion zustimmen, werben natürlich gleichzeitig für unseren Gesetzentwurf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der CDUFraktion das Wort. Herr Krauß, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kinderkrippe, Tagespflege, Kindergarten und Hort stehen für SPD und CDU an der Spitze der politischen Agenda. Innerhalb dieses und des nächsten Jahres geben wir in diesem Bereich 94 Millionen Euro mehr aus – 94 Millionen Euro zusätzlich innerhalb von zwei Jahren. Allein den Landeszuschuss haben wir pro Kind und Jahr um 136 Euro erhöht, sodass wir nun auf 1 800 Euro kommen. Wir investieren in ein Schulvorbereitungsjahr 223 Euro pro Kind und Jahr. 129 Grundschullehrerstellen waren nötig, um die Schuleingangsphase zu gestalten. Auch hier haben wir viel Geld in die Hand genommen. Wir haben 15 Millionen Euro pro Jahr in ein Programm gesteckt, um Kitas zu bauen und zu renovieren.

(Beifall bei der CDU und der Staatsministerin Helma Orosz)

Wieso messen wir dem Kindergarten und der frühkindlichen Bildung einen so hohen Stellenwert bei? Wir könnten uns ja auch auf unseren Lorbeeren ausruhen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bescheinigt uns in ihrem Bericht aus dem vorigen Jahr, an der Weltspitze zu stehen: „Die neuen Bundesländer verfügen bereits über eines der am besten ausgebauten (Systeme der frühkindlichen Betreu- ung, Bildung und Erziehung) auf der Welt.“

Im Kindergarten haben wir in Sachsen einen Versorgungsgrad von 102 %, in der Krippe von 38 %. Jedes Kind hat Anspruch auf einen Kindergartenplatz. So gut wie jede Familie, die einen Krippenplatz sucht, bekommt einen.

Sachsen ist im innerdeutschen Vergleich Spitze. Den westlichen Bundesländern sind wir Meilen voraus. Während man sich in Bayern oder Baden-Württemberg gerade die passenden Schuhe aussucht, um sich auf den Weg zu machen, sind wir bereits in Siebenmeilenstiefeln unter

wegs in die Zukunft. In Baden-Württemberg gibt es für 3,5 % einen Krippenplatz, bei uns sind es zehn Mal so viel. Im Westen ist es normal, dass die Betreuung mittags endet. In Sachsen klingen solche Berichte aus Bayern, Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz wie Berichte aus Jerewan, wie Berichte aus einer fernen Welt.

Die Kindergärten sind für Sachsen ein Riesenstandortvorteil, weil bei uns Frauen und Männer Familie und Beruf weit besser unter einen Hut bringen können als im Westen unseres Vaterlandes.

(Beifall bei der CDU und der Staatsministerin Helma Orosz)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf unseren Lorbeeren werden wir uns nicht ausruhen. Deswegen haben wir das neue Kita-Gesetz auf den Weg gebracht. Wir werden weiterhin in die frühkindliche Bildung und Erziehung investieren, weil wir damit in die Zukunft investieren. Der volkswirtschaftliche Nutzen dieser Investition liegt auf der Hand. Eine Untersuchung der Universität Bielefeld kam zu folgendem Ergebnis: „Der fiskalische Nutzen dieser Investitionen beläuft sich auf bis zu vier Euro für einen investierten Euro.“ Die Unternehmensberatung McKinsey rechnete vor, dass Vorschulprogramme eine Rendite von 12 % versprechen, drei Mal so viel wie eine Hochschulausbildung. US-amerikanische Studien zeigen, dass Kinder aus benachteiligten Familien, die im Alter von drei und vier Jahren an einem hochwertigen Vorschulprogramm teilgenommen haben, im Alter von 40 Jahren eher einen höheren Schulabschluss erlangt hatten, eher berufstätig waren, weniger in kriminelle Aktivitäten verstrickt waren als Kinder, die kein Vorschulprogramm durchlaufen hatten.

Wer früh investiert, muss später nicht reparieren. Noch einmal: Jeder Euro, den wir in Krippe, Tagespflege, Kindergarten und Hort investieren, zahlt sich aus.

Wie Sie wissen, investieren wir vor allem in die frühkindliche Bildung. Die frühkindliche Bildung ist der zentrale Baustein unseres neuen Kita-Gesetzes. Im Gesetz verankern wir unseren Bildungsplan sowie das Schulvorbereitungsjahr. Dieses Schulvorbereitungsjahr verknüpfen wir mit der Schuleingangsphase. Im letzten Kindergartenjahr, im so genannten Schulvorbereitungsjahr, finanzieren wir drei zusätzliche Stunden für die Bildung unserer Kinder. Wir bezahlen im letzten Halbjahr Grundschullehrer, die in den Kindergarten kommen und das Schulvorbereitungsjahr mitgestalten. Ziel ist ein fließender Übergang vom Kindergarten in die Schule.

Der Bildungsplan ist ein Leitfaden. Kinder sollen erfahren, dass Bewegung Spaß macht. Sie sollen lernen, wenn man einen Euro ausgibt, dass dann kein Euro mehr da ist. Sie sollen lernen, dass Geld nicht an den Bäumen wächst und die Kuh nicht lila ist. Kinder sollen im Kindergarten Antworten auf ihre Fragen bekommen. Warum ist der Himmel blau? Woher kommen die kleinen Kinder? Wo wohnt der liebe Gott?

Nicht in allen Familien kommen die Eltern ihrer Erziehungsverantwortung nach. Während ein Kind aus einer Mittelschichtfamilie bis zur Einschulung mit seinen Eltern 1 700 Stunden Bilderbücher anschaut oder Märchen vorgelesen bekommen hat, sind es bei einem Kind aus der sozialen Unterschicht gerade einmal 24 Stunden. Das ist ein Siebzigstel von dem der Mittelschichtfamilie. Wir brauchen uns dann auch nicht zu wundern, dass bei Reihenuntersuchungen in Dresden-Gorbitz oder Prohlis bei 45 % der Kinder gravierende Sprachdefizite festgestellt wurden. Deswegen sollen die Kinder auch unsere deutsche Sprache, das Sprechen lernen. Kinder sollen in den Krippen und Kindergärten auch das Singen lernen.

(Zuruf von der NPD)

Das kann auch die Nationalhymne sein, aber da Herr Prof. Porsch noch nicht einmal in der Lage ist, die Nationalhymne zu singen, können wir es von den Kindern nicht erwarten.

(Heiterkeit bei der CDU und der Linksfraktion.PDS)

Hoffmann von Fallersleben hat auch einige schöne Kinderlieder geschrieben, zum Beispiel „Summ, summ, summ, Bienchen summ herum“ oder „Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald“. Wenn Sie in Ihrer Fraktion vielleicht heute Abend damit anfangen zu üben, dann können Sie in ein, zwei Jahren auch die Nationalhymne singen, Herr Prof. Porsch.

(Beifall bei der CDU – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Bei uns ruft es aus dem Wald heraus, wie Sie hineinrufen!)

Zurück zum Text. Das Lernen, von dem ich spreche, hat nichts mit dem Lernen zu tun, wie es uns noch viel zu häufig vorgestellt wird. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung macht Lernen Spaß.

(Unruhe bei der Linksfraktion.PDS)

Man muss aber auch zuhören, Herr Prof. Porsch, sonst kann man nicht lernen!