So viel dazu. Jetzt aber zur Sache. Wir alle tun so, als gehe es hier vordergründig um ein Finanzproblem der Kommunen. Natürlich geht es auch um ein Finanzproblem der Kommunen, sogar um ein außerordentlich ernstes. Dazu wird mein Kollege Dr. Dietmar Pellmann noch sprechen, auch darüber, was es bei der Hartz-IVHauptstadt Leipzig bedeuten würde, würden diese unsinnigen Clement-Pläne wahr.
In erster Linie geht es um die Betroffenen. Das sollten wir bitte nicht vergessen. Ich sage es deshalb, weil man in der Presse auch anderes lesen kann, und zwar nicht nur Vernünftiges, sondern man kann zum Beispiel Aussagen
von Arnold Vaatz lesen. Er ist bekanntlich kein Hinterbänkler der CDU, sondern immer noch ein ziemlich einflussreicher Politiker.
Was sagt er? Er sagt, er hätte überhaupt nichts dagegen, wenn die Hartz-IV-Gelder oder das Arbeitslosengeld II an das niedrigere Ostniveau angeglichen würden. Es streitet niemand mehr darüber, dass die Angleichung nötig ist. Arnold Vaatz hat nichts dagegen. Er stimmt damit Dieter Althaus zu, der dies bekanntlich vorgeschlagen hat.
Ich denke, diese Stimmen sollte man außerordentlich ernst nehmen. Wir werden uns vorbehalten, das zu thematisieren.
Es sollten vier Milliarden Euro aus dem System herausgezogen werden – wir reden jetzt überhaupt nicht über Missbrauch –, obwohl – ich nehme meinen Heimatkreis Delitzsch – für rund 30 Arbeitssuchende genau eine freie Stelle zur Verfügung steht. Da sehen Sie, was Hartz IV bis jetzt geleistet hat. Jeder kann es für seinen eigenen Landkreis oder seine Stadt durchdeklinieren.
Ich möchte zunächst in aller Bescheidenheit daran erinnern, dass unser Antrag die schöne Drucksachen-Nummer 4/3079 trägt. Das ist nach Adam Ries immer noch etwas weniger als 3216. Das ist die Antragsnummer der Koalitionsfraktionen.
Herr Kollege Friedrich, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie die Absenkung des ALG II von Westniveau auf Ostniveau als Beitrag zur Herstellung der sozialen Gerechtigkeit im Lande empfinden?
Wir haben einen anderen Vorschlag. Das ist eine andere Debatte. Wir sind für eine Grundsicherung. Da müssen wir eine andere Debatte aufmachen. Ich werde mich jetzt zum Thema äußern.
13 Tage nach unserem Antrag hat es die Koalitionsfraktion für wichtig und richtig befunden, ihren Antrag, der heute laut Geschäftsordnung als Erster behandelt und abgestimmt werden muss, einzureichen. Man hätte dies alles ohne Schwierigkeiten bereits am 10. Oktober zur 32. Landtagssitzung bereden und besprechen können, wenn die Koalition die Größe besessen hätte, unseren als dringlich bezeichneten Antrag, dessen Dringlichkeit offensichtlich war, zuzugestehen. Diese Größe hat sie aber nicht besessen. Was soll’s, wir leben damit.
Was wollen wir? Wir wollen, anders als die Koalition, zwei Punkte. Wir wollen – ich will das, was Herr Albrecht gesagt hat, nicht wiederholen –, dass dieser Unsinn gestoppt wird und dass die Kommunen die versprochenen Entlastungen bekommen.
Wir wollen weiterhin – das steht weder im Koalitionsantrag noch im Antrag der FDP; ich äußere mich hier nur zu den Anträgen der demokratischen Fraktionen –, dass die Gefahr von zwangsweisen Wohnungswechseln aufgrund unzureichender Zuschüsse für Heizung und Unterkunft gesehen und in dem Revisionsschema über die Höhen verhandelt wird – auch das ist ein massives Problem; Dr. Pellmann wird darauf noch eingehen –, sodass diese Gefahr für die Betroffenen ausgeschlossen wird.
Wir wollen neben der Sache mit den Kommunen, dass sich die Staatsregierung dafür einsetzt, dass es künftig für diese Aufgaben eine Regelfinanzierung durch den Bund gibt; denn wir haben den Grundsatz: Wer bestellt, der bezahlt. Hartz IV hat der Bund erfunden, deshalb ist der Bund auch in der Verantwortung, deshalb ist der Bund auch in der Finanzverantwortung.
Wie es zu dem Problem gekommen ist, muss ich nicht weiter erläutern. Der Kern ist, dass es bis heute kein einvernehmliches Revisionsschema gibt. Der Bund meint, seines sei richtig. Er hat aber kein Einvernehmen mit den Ländern und Kommunen erzielt. Deshalb kommen diese krass unterschiedlichen Zahlen überhaupt erst aufs Tablett. Dass man hier unterschiedlicher Meinung ist, ist nicht das Schlimme. Das Schlimme ist, dass aus dem NochClement-Ministerium – ich kann es nicht anders sagen – eine regelrechte Schmähschrift herausgekommen ist unter dem reißerischen Titel: „Vorrang für die Anständigen, gegen Missbrauch, Abzocke und Selbstbedienung im Sozialstaat“. Kurze Zeit später haben die „FAZ“ und auch der „Spiegel“, den ich immer sehr geschätzt habe, und andere Publikationsorgane nachgezogen. Sie haben eine regelrechte Hetzkampagne gegen die Leistungsempfänger entfacht, was wir schärfstens verurteilen, weil damit kein einziges Problem gelöst wird.
Sicher gibt es wie bei jedem Sozialtransfer auch hier Missbrauch. Aber seriöse Kritiker, wie beispielsweise Prof. Dr. Hans-Günther Hennecke vom Landkreistag oder Dr. Gert Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindetag, hängen das Missbrauchsproblem wesentlich tiefer
und mahnen zur Sachlichkeit. Sie schätzen, dass die Missbrauchsquote nicht höher als bei anderen Sozialtransfers ist und um die 5 % liegt. Selbst wenn es null Missbrauch geben würde, wäre die exorbitante Kostenentwicklung bei Hartz IV nicht gestoppt worden. Das sind Aussagen von kommunalen Spitzenvertretern, die wissen, wovon sie reden.
Zum Abschluss: Was Hartz IV – sollte es so bleiben, wie es ist – wirklich kosten würde, kann im Moment noch niemand sagen. Ob es richtig ist, was der Deutsche Städtetag mit seiner Beteiligung von 34,4 % meint, das wird man sehen. Wichtig ist, dass es ein einvernehmliches Revisionsschema gibt, damit sich Bund, Länder und Kommunen hierin einigen, wenn man schon keine Mehrheiten hat, Hartz IV ganz abzuschaffen – was die Meinung der Linksfraktion ist –, und wenigstens dort Einvernehmen erzielt wird.
Damit möchte ich enden und ich bitte recht herzlich um die Zustimmung zu unseren beiden Punkten. Ich bitte dann später um punktweise Abstimmung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett hat am 5. Oktober 2005 im Entwurf ein Zweites Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch beschlossen. Kernpunkt der Änderung ist der geplante Wegfall der Beteiligung des Bundes an den von den Kommunen zu tragenden Kosten von Unterkunft und Heizung für erwerbstätige Hilfsbedürftige.
Nicht genug, dass nach Plänen der Bundesregierung die Beteiligung von 29,1 % durch den Bund gestrichen werden soll, nein, bisher gezahlte Leistungen sollen auch an den Bund zurückgezahlt werden. Bundesweit heißt dies für die Kommunen, dass 3,2 Milliarden Euro bereits gezahlter Leistungen rückerstattet werden müssen. Für Sachsen bedeutet dies eine Rückzahlung von 240 Millionen Euro.
Meine Damen und Herren! Der Geschäftsführer des Sächsischen Landkreistages, Herr André Jacob, bringt es auf den Punkt, wenn er aus seinem Herzen keine Mördergrube macht und feststellt: „Was die Bundesregierung beschlossen hat, ist Wortbruch.“ Anders kann man diesen Gesetzentwurf in der Tat nicht bezeichnen.
Im Rückblick hatte alles so harmonisch angefangen. Im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat wurde im Juli 2004 vereinbart, dass sich der Bund an den Kosten für Unterkunft und Heizung beteiligen werde. Diese Regelung wurde im § 46 Abs. 6 Satz 1 des Sozialgesetzbuches II festgehalten. Den Kommunen wurde eine Entlastung von 2,5 Milliarden Euro versprochen. So weit, so gut. Doch leider ist es anders gekommen, als die Bundesregierung seinerzeit angekündigt hatte.
Im März 2005 fand zwischen Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden die erste Revisionsverhandlung statt. Das Bundeswirtschaftsministerium und der Bundeswirtschaftsminister Clement legten Datenmaterial vor, das allerdings weit entfernt vom Datenmaterial der kommunalen Spitzenverbände war. Die kommunale Datenerhebung wies erhebliche Mehrkosten auf, die im Gegensatz zur Datenerhebung des Wirtschaftsministeriums standen. Insgesamt besteht für die kommunale Ebene im Vergleich zu den Schätzungen des Bundeswirtschaftsministeriums ein um 4,07 Milliarden Euro höherer Finanzbedarf. Dies bedeutete im Umkehrschluss, dass die Beteiligung des Bundes an den Wohnkosten in Höhe von bisher 29,1 % auf 34,4 % angehoben werden müsste. Anstatt hier, wie besprochen, einen Datenabgleich der Ergebnisse mit den Ergebnissen der kommunalen Spitzenverbände vorzunehmen, suchte die Bundesregierung keinen Ausgleich, sondern verschob die Verhandlungen, um nun mit einem Gesetzentwurf vorzusprechen.
Eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertretern der kommunalen Spitzenverbände, der Bundesländer und des Statistischen Bundesamtes legte Zahlen vor, die eine andere Sprache sprechen als die Erhebung der Bundesregierung, die nun die Streichung und die Rückzahlung begründen soll. Die Realität im Hinblick auf die versprochenen Einzahlungen von 2,5 Milliarden Euro für die Kommunen spricht ebenfalls eine andere Sprache.
Meine Damen und Herren! Diese versprochene Entlastung hat überhaupt nicht stattgefunden. Im Gegenteil, die Kommunen stöhnen über immer neue Kosten, die sich aus der Einführung der Hartz-IV-Gesetze ergeben. Allein in Sachsen ist im Gegensatz zum Jahr 2004 eine Fallerhöhung von Hartz IV von 30 % zu verzeichnen. Es ist eine Tatsache, dass Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums die tatsächlichen Kostenfolgen durch Hartz IV verschleiern. Zunächst beruhen sie auf einer gesetzlich nicht vorgegebenen Schätzung aus unvollständigen Daten. Weiterhin geht die Bundesregierung irrigerweise davon aus, dass die Kostenexplosion auch ohne Hartz IV in der kommunalen Sozialhilfe stattgefunden hätte, wodurch den Kommunen für 2005 fiktive Kostenentlastungen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro gegengerechnet werden, die allerdings nie entstanden sind. Zudem behauptet der Bund kurzerhand irreale Einsparungen der Bundesländer, die sie nun an die Kommunen weitergeben sollen.
Meine Damen und Herren! Sollte die Bundesregierung tatsächlich mit dieser Unverschämtheit durchkommen, dann wird es für die Städte und Kreise in Sachsen dunkel werden. Ich möchte dies exemplarisch an zwei Beispielen verdeutlichen.
Im Landkreis Kamenz zum Beispiel würden auf einmal neun Millionen Euro fehlen. Dies bedeutet einen unausgeglichenen Haushalt, wobei auch Pflichtaufgaben nicht mehr erfüllt werden könnten. Landrätin Petra Kockert kann für ihren Kreis keine finanziellen Entlastungen entdecken, die eine derartige Rückforderung rechtfertigen würden.
Im Landkreis Meißen entstünde ein Defizit von 7,3 Millionen Euro. Auch hier würden ähnliche Probleme wie in Kamenz auftreten.
Diese beiden Beispiele sind keine Ausnahmen, sondern der Regelfall. Die Bundesregierung hat offensichtlich die Bodenhaftung verloren, was bekanntlich auch am 18. September 2005 bei der Bundestagswahl quittiert wurde.
Ohne Druck aus den Ländern und den Kommunen steht jedoch zu befürchten, dass auch eine große Koalition nicht auf den Boden der Tatsachen zurückkehren wird.
Meine Damen und Herren! Dass hier akuter Handlungsbedarf herrscht, darüber sind wir uns offenbar alle einig, denn mit Ausnahme der GRÜNEN, die sich lieber Projekten wie der „coolen Schule“ oder dem „Girls’ Day“ anstelle realer Probleme der Bürgerinnen und Bürger des Freistaates widmen, liegen uns heute nämlich Anträge vor, die sich mit den Problemen der Kommunen im Zusammenhang mit den Kosten von Unterkunft und Heizung für Bedürftige auseinander setzen.
Meine Damen und Herren der FDP-Fraktion! Ihre Initiative zielt auf eine Vermittlung zwischen den Kommunen und den Ländern auf der einen und dem Bund auf der anderen Seite. Leider sind Sie hier einem Irrtum unterlegen, denn die Entschließung der Bundesregierung ist ein Gesetzentwurf, der erst die zuständigen Gremien passieren muss. Bis dahin bleibt alles beim Alten. Nichts ändert sich. Daher wird nichts weiter übrig bleiben, als die Annahme dieses Gesetzes im Bundesrat zu verhindern.
Wenn man den Worten der Sozialministerin auf der letzten Ausschusssitzung des Sozialausschusses glauben kann, dann scheint in dieser Frage zwischen den Bundesländern ein Konsens zu bestehen. Man kann also davon ausgehen, dass die Staatsregierung den gesamten Landtag hier in Sachsen hinter sich weiß, wenn am 25. November 2005 dieses Thema bei der Bundesratsdebatte besprochen wird.
Es sollte daher kein Problem sein, wenn sich der Landtag heute unserer Forderung anschließt, die Ablehnung der Pläne der Bundesregierung einheitlich zu erklären. Es wäre sicher ein gutes Signal für die Kommunen im Freistaat, dass alle Fraktionen im Sächsischen Landtag in einer solch wichtigen Angelegenheit an einem Strang ziehen. Daher werbe ich für die Annahme unseres Antrages.