Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die bis jetzt noch amtierende Bundesregierung hat dazu einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der die Bundesbeteiligung bei Kosten für die Unterkunft und die Heizung bei Bezug von ALG II rückwirkend auf null setzen soll. Dies hat, wie nicht anders zu erwarten, einen Sturm der Entrüstung von Kommunen und Ländern verursacht. Wir sagen, dass es bei der zugesagten Gesamtentlastung bleiben muss. Dies ist die wesentliche Kernaussage unseres Ansatzes. Wie dies allerdings im Einzelfall erreicht wird, darauf wollen wir uns – im Gegensatz zu einigen anderen Anträgen, die heute zu diesem Tagesordnungspunkt vorliegen – nicht festlegen, und ich glaube auch, zu Recht, denn seriöserweise kann man bei der vorliegenden Zahlensituation kaum nachvollziehen, wie sich die Entwicklung im Einzelnen tatsächlich real vollzogen hat.
Insbesondere bei den Rechnungen des Bundes ist es zumindest bei mir so, dass ich sie kaum nachvollziehen kann. Die auch für unsere Fraktion und wohl auch für die Koalition unerwartet starke Steigerung der Fallzahl von ALG-II-Empfängern rechnet der Bund fast ausschließlich den Kommunen als fiktive Entlastung zu.
Bei Wohngeld geschieht dies auch gegenüber den Ländern, also auch gegenüber dem Freistaat, und hat zum Beispiel für den Freistaat Sachsen zur Folge, dass die Einsparung beim Wohngeld höher liegt als die tatsächliche Ist-Ausgabe 2004. Wenn man allein dieses Zahlenspiel betrachtet, stellt man fest, dass das nicht plausibel ist.
Fiktive Entlastungen zu qualifizieren, wenn derart viele unbekannte Größen im Spiel sind, ist nicht möglich und das versteht auch niemand, und es ist schon so, dass das zum Teil wie eine Theatervorstellung wirkt.
Was mich bedrückt, ist, dass bei dieser Diskussion die Betroffenen, die in ihrem Leben die konkrete Situation selbst spüren, dafür natürlich keinerlei Verständnis aufbringen können; dass sie sogar das Gefühl haben müssen, diese Diskussion wird auf ihrem Rücken ausgetragen.
All diesen Menschen – es sind in Sachsen nahezu 500 000 – möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen: Innerhalb der heutigen Debatte ist die Finanzverteilung zwischen den einzelnen staatlichen Ebenen so, wie wenn hinter einem Bankschalter gestritten wird, wer denn nun die Kontoführung oder die Kreditbearbeitung durchführt: Der Kunde selbst bekommt von dieser Diskussion in der Regel nichts mit. Deshalb noch einmal: Sie können davon ausgehen, dass Sie – unabhängig davon, wie dieser staatsinterne Streit gelöst wird – die Ihnen zustehenden gesetzlichen Leistungen erhalten werden. Wir als Landtag sind hier ebenfalls eher Zuschauer, denn es handelt sich um ein Bundesgesetz.
Die vorliegenden Anträge sind daher eher ein Aufhänger, eine Aufforderung für die Diskussion und weniger ein Beitrag zur Lösungsfindung.
Warum greift nun der Bund zu solch drastischen Maßnahmen wie dem Gesetzentwurf aus dem Hause Clement? Ein Blick in den Bundeshaushalt macht deutlich: Die Ausgaben für ALG II sind extrem aus dem Ruder gelaufen. Statt der geplanten 14,6 Milliarden Euro werden am Jahresende mindestens 26 Milliarden Euro nötig werden, die wir alle als Steuerzahler für das Arbeitslosengeld II aufwenden müssen. Die Ausgaben haben sich nahezu verdoppelt, und das, obwohl die meisten Betroffenen dies kaum spüren, ja, teilweise sogar weniger haben als vorher. Es ist also paradox: Die Allgemeinheit zahlt doppelt so viel wie geplant, doch die gefühlte Armut wächst. Kein Wunder, dass bei dieser Situation inzwischen viele kalte Füße bekommen haben.
Von den übrigen Löchern im Bundeshaushalt, die man bei solch einer Diskussion natürlich auch noch anführen könnte, will ich an der Stelle gar nicht sprechen.
Die Art und Weise der Hartz-IV-Gesetzgebung hat – das müssen wir unumwunden zugeben – Frust bei den Bürgern über den Staat und im Staat ausgelöst. Unseren Bürgern, die Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben, ist kein Vorwurf zu machen, wenn sie die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzes nutzen. Jeder Steuerzahler macht das genauso, wenn er seine eigene Steuererklärung fertigt und prüft.
Unabhängig von diesen inhaltlichen Fragen fordern wir umgehend Klarheit in der innerstaatlichen Finanzdebatte und die Beachtung des alten Grundsatzes: Pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten.
Unsere Kommunen stellen jetzt ihre Haushalte für 2006 auf und müssen deshalb jetzt wissen, mit welchen Größen sie zu rechnen haben.
Das waren einige wichtige Punkte zu dem Thema und ich hoffe, dass die nun folgende Diskussion dies in aller Sachlichkeit bestätigt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe Gäste! Ich glaube, die Lösung der anstehenden Probleme der Arbeitsmarktreform Hartz IV ist grundsätzlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es müssen sich alle demokratischen politischen, aber auch gesellschaftlichen Kräfte daran beteiligen, denn zu Hartz IV gab und gibt es nach meiner Auffassung keine Alternative.
„Das Arbeitslosengeld II hat die Kommunen finanziell stärker entlastet als in den Schätzungen angenommen; deswegen ist der Bundeszuschuss für die bei Kommunen verbleibenden Kosten für Heizung und Unterkunft nicht mehr notwendig.“
Kaum ein anderer Satz des Bundeswirtschaftsministers hat in der Vergangenheit für mehr politischen Wirbel gesorgt, Schlagzeilen überhäuften sich, kaum jemand behielt in der nachfolgenden Diskussion einen kühlen Kopf. Es gibt ja die Pressemitteilung des SSG, unterzeichnet von Tiefensee; Frau Orosz hat sich in der „Morgenpost“ gemeldet: „Sachsen macht mobil“.
Was war denn eigentlich geschehen? Das Bundeskabinett hat am 5. Oktober einen Gesetzentwurf zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, SGB II, beschlossen. Mit diesem Entwurf werden aus Sicht des Bundes die Ergebnisse der zum 1. Oktober 2005 erfolgten Überprüfung, Revision – die alle wollten! – in Hinsicht auf die Bundesbeteiligung für Kosten der Unterkunft umgesetzt.
Wichtig ist an dieser Stelle zu bemerken, dass das die Sicht des Bundes darstellt, der sich auf Zahlen beruft, die natürlich dann von den Kommunen zugearbeitet werden müssen. Und siehe da, nach diesem Satz, nach diesem Gesetz – das noch durch den Bundesrat muss – legten sie diese Zahlen dann auch vor, und zwar hat der Deutsche Landkreistag am vergangenen Freitag diese Kommunaldatenerhebung veröffentlicht.
Nun ist es ja mit Zahlen so eine Sache. Es ist immer die Frage, wer sie erarbeitet und wie man sie interpretiert. Schauen wir uns das einmal genauer an. Belastungsrechnung: Bund 13,25 Milliarden Euro, Kommunen 13,87 Milliarden Euro – da liegt man gar nicht so weit auseinander, wenn man das auf Bundesmaßstäbe hochrechnet –; Entlastungsrechnung Bund: Kommunen 12,92, also rund 13 Milliarden Euro, Land rund drei Milliarden Euro – in Summe also rund 16 Milliarden Euro, das sagt der Bund –, macht eine Entlastung ohne Sonderzahlungen von rund drei Milliarden Euro.
Die Kommunen machen eine andere Rechnung auf. Entlastung: Kommunen 10,3 Milliarden Euro, Land rund zwei Milliarden Euro, Summe rund 12,3 Milliarden Euro – macht nach Auffassung der Kommunen eine Belastung von 1,5 bis 1,6 Milliarden Euro.
Bei Hinzurechnung der bis jetzt geleisteten Zahlungen des Bundes von rund 3,2 Milliarden Euro bleibt erst einmal grundsätzlich festzustellen: Bei diesen Zahlungsströmen ist jetzt schon – selbst bei der Kommunaldatenerhebung – eine Entlastung der Kommunen von rund 1,6 bis 1,7 Milliarden Euro eingetreten.
Es geht also um einen Streitpunkt von rund 0,8 bis 0,9 Milliarden Euro, um das Ziel von 2,5 Milliarden Euro Entlastung grundsätzlich zu erreichen, und natürlich geht es darum, dass die Interpretation des Bundes nicht greift und hier eine Reduzierung der Bundeszahlung in Höhe von etwas über 29 % erfolgt.
Also noch einmal: Eine Revision war Wunsch aller Seiten, keiner rechnete aber mit solch unterschiedlichen Zahlen. Der Gesetzentwurf und die zugrunde liegenden Berechnungsergebnisse wurden zwischenzeitlich sowohl an die Länder als auch an die Gemeinden weitergeleitet.
Wir hoffen, dass in den nächsten Wochen in den entsprechenden Verhandlungen das unterschiedliche Zahlenmaterial abgeglichen wird, denn nur so kann eine Einigung für das laufende wie auch für die kommenden Jahre erzielt werden.
Es ist richtig und wichtig, sich mit diesem Antrag der Koalition dafür einzusetzen, dass die Nettoentlastung der deutschen Kommunen kommt, die Berechnungsgrundlagen nüchtern abgeglichen werden und, wenn sich herausstellt, dass sächsische Kommunen belastet werden, entsprechend mit der Bundesregierung verhandelt wird, so wie es auch in der entsprechenden Klausel der Fall ist; denn es geht um die Entlastung der gesamtdeutschen Kommunen. Ob es direkt zu einer Entlastung in der einzelnen Stadt oder im Landkreis führt, ist in dem Gesetz nicht geregelt.
Im Übrigen glaube ich, dass aufgrund der nunmehrigen Parteienlandschaft mit Angela Merkel bei der CDU und Matthias Platzeck bei der SPD, aber auch mit Wolfgang Tiefensee und Thomas de Maizière zukünftig im Ministerium im Bund die Ostländer-Repräsentanz sehr gewachsen ist. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir den entsprechenden Einfluss geltend machen können.
Schauen wir uns kurz an, wo die Probleme liegen, die aufgetaucht sind, und warum die Zahlen – Herr Albrecht hat sie genannt – aus dem Ruder gelaufen sind.
Ich glaube, dass sich die Schwächen der einzelnen Systeme, die bei Hartz IV zusammengefasst worden sind – Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe, Wohngeldberechnung –, also die Schwächen, die es in einzelnen Systemen gab, bei Hartz IV komprimieren und bündeln.
Man kann es am Beispiel von Dresden sehr deutlich machen. Waren im Januar 2005 noch 25 000 Bedarfsgemeinschaften registriert, erhöhte sich diese Zahl bis August 2005 auf rund 31 000, und damit erhöhten sich natürlich auch die entsprechenden Zahlungen der Kommune.
Wir haben also das Phänomen der Explosion der Bedarfsgemeinschaften durch Auflösung von eheähnlichen Gemeinschaften, aber auch durch den Auszug der Kinder.
Wir haben des Weiteren eindeutig Betrug, Untervermietung an Partner und Familien, Weitervermietung der vom Amt bezahlten Wohnungen, oder es wurde die Miete einfach nicht bezahlt, sie ist also nicht direkt an den Vermieter gegangen.
Wir haben aber auch das Problem Schwarzarbeit mangels Datenabgleich der entsprechenden Institutionen. Wir haben in den Kommunen das Problem der unangemessenen Wohnkosten. Wir haben die Übergangsfrist von sechs Monaten, die massiv zu Buche schlägt. Allein in Dresden schätzt man ein, dass rund 30 % der Bedarfsgemeinschaften – das sind hochgerechnet 8 500 – eine Überschreitung der Angemessenheit von 25 bis 75 % der Haushalte
Aus diesem Grund glaube ich, dass es vernünftig ist, mit einer entsprechenden Gelassenheit und Sachlichkeit mit dem Bund zu verhandeln. Dazu dient der Antrag der Koalition.
Ich glaube, man sollte im Auge behalten, dass man als Transferland in Ostdeutschland, in das jedes Jahr rund 110 Milliarden Euro aus dem Westen fließen, mit immer neuen und größeren Forderungen gegenüber dem Bund etwas vorsichtiger sein sollte.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Kollege Pecher, vielleicht sollte Ihnen einmal jemand beibringen, dass am 18. September Bundestagswahlen waren. Dass die SPD dabei derart eingebrochen ist, wie sie eingebrochen ist, hat vielleicht etwas mit Hartz IV zu tun.
Kollege Albrecht, Sie haben eine bemerkenswert sachliche Rede gehalten, nur, in einem stimme ich mit Ihnen nicht überein: Mit Sicherheit wird der Sächsische Landtag in dieser wichtigen Angelegenheit nicht Zuschauer bleiben können. Das wäre geradezu absurd.
Sie wissen, dass dieser so genannte Hartz-IV-Komplex auch Sache der Länderkammer ist. Deshalb freue ich mich, dass ich in der "Morgenpost" und auch in der „Leipziger Volkszeitung“ lesen konnte, dass es gestern einen Kabinettsbeschluss gab. Sachsen, so lese ich, wolle – eine Presseerklärung gibt es offenbar noch nicht – einer Bundesratsinitiative – meines Wissens von Rheinland-Pfalz und Niedersachsen – beitreten, die diesen Unsinn von Noch-Wirtschaftsminister Clement stoppt. Wenn das kein kleiner Erfolg der Linksfraktion ist!
So viel dazu. Jetzt aber zur Sache. Wir alle tun so, als gehe es hier vordergründig um ein Finanzproblem der Kommunen. Natürlich geht es auch um ein Finanzproblem der Kommunen, sogar um ein außerordentlich ernstes. Dazu wird mein Kollege Dr. Dietmar Pellmann noch sprechen, auch darüber, was es bei der Hartz-IVHauptstadt Leipzig bedeuten würde, würden diese unsinnigen Clement-Pläne wahr.