Ich erinnere an den 30. September 1989 in der Botschaft in Prag, als Hans-Dietrich Genscher vom Balkon der Botschaft herunter verkündete, dass die dorthin geflüchteten DDR-Bürger ausreisen konnten. Dieser Jubel war unbeschreiblich. Es war der Jubel der Freiheit und ich bin stolz, für die Partei von Hans-Dietrich Genscher 16 Jahre später in diesem Parlament sitzen zu können.
Nur mit dem Willen zur Freiheit war es möglich, die deutsche Teilung zu überwinden und die Teilung Europas zu überwinden. Das wäre in der Diktatur nicht möglich gewesen. Dazu bedurfte es tatsächlich der Freiheit.
Meine Damen und Herren, ich habe es gesagt: Der 9. November bündelt wie kein anderer Tag die Geschichte Deutschlands und die Geschichte der Deutschen im 20. Jahrhundert. Dieser Tag ist für uns Mahnung – Mahnung vor den Gräueln des Jahres 1938, Mahnung vor der Wiederholung der Geschichte. Er ist ein Auftrag, die deutsche Einheit als ein Geschenk der Freiheit anzusehen und sie so zu gestalten. Denn eines möchte ich hier auch sagen: Der 9. November ist untrennbar mit dem Wort Freiheit verbunden.
Er zeigt, was passiert, wenn Freiheit nicht mehr da ist. Er zeigt, wohin es führt, wenn man die Freiheit verloren hat, und er zeigt, welches Glück die Freiheit gibt, wenn man sie aus eigener Kraft wiedergewinnt. Die Freiheit bleibt uns Auftrag, sie ständig wachsam im Auge zu behalten und zu behüten, damit sie uns allen weiter dient.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Rößler, Heimat an sich ist erst einmal kein Verdienst. Heimat kann man sich höchstens verdienen, das dann aber gerne. Heimat entsteht nach unserer Auffassung durch Handeln, und zwar gemeinsames Handeln, indem wir menschliche Verbindlichkeiten miteinander eingehen und auch nach vereinbarten Regeln und Gesetzen miteinander arbeiten und leben, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.
Die Frage nach dem Ziel beantworten Sie mit der Heimatduselei des Papiers, das Sie hier noch einmal angesprochen haben, nicht. Es heißt im Prinzip, dass Sie nur von Heimatliebe sprechen, die die Alteingesessenen empfinden. Dass das im Erzgebirge so ist, bestreitet kein Mensch und will denen auch keiner wegnehmen. Aber mit der Autosuggestion, die Nationalhymne abzusingen, ist es noch nicht getan, denn die Frage, was mit den Leuten passiert, die hier in Sachsen ihre Heimat finden wollen, die beantworten Sie nicht, das wagen Sie nicht. Das ist aber genau die Kernfrage: Was ist unser gemeinsames Ziel, wofür leben und arbeiten wir gemeinsam, wie soll das aussehen?
Ich habe mich sehr gefreut, dass Frau de Haas – auch eine Fraktionskollegin der CDU – darauf hingewiesen hat, dass in dem Thesenpapier, von dem Sie gesprochen haben, etwas Wichtiges fehlt, nämlich dass vor Gott alle gleich sind und dass man nicht automatisch davon ausge
hen kann, in einem christlichen Abendland zu leben. Wenn man im Alten Testament im 2. Buch Moses sich das noch einmal mit den Fremden und den Ägyptern ansieht und überlegt, wie das eigentlich zusammenhängt, dass man überall einmal in der Fremde auch Fremder ist – darauf wird ja verwiesen, dass man das nicht vergessen soll, auch wenn man dann im gelobten Land ist –, dann bin ich der Meinung, dass dieses Papier, das Sie hier so frenetisch feiern, im Kern das verfehlt, worum es geht, nämlich unser gemeinsames Ziel zu definieren und zu begreifen, damit wir wissen, wofür wir jeden Tag arbeiten, kämpfen und gemeinsam miteinander leben.
Die Nation, die hier so gerne beschworen wird, ist ein relativ junger Begriff in der Geschichte seit ein paar Jahrhunderten. Im 19. Jahrhundert war sie für Deutschland ein Glücksfall. Das hat dazu geführt, dass die Deutschen nicht mehr in Kleinstaaterei gelebt haben. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die Nationen in Europa potenziell immer im Kriegszustand miteinander und haben ganz willkürlich Kriegsbündnisse abgeschlossen. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben die Nationen begriffen, dass es klüger wäre, im Europa zusammenzuarbeiten, vielleicht auch, weil die Kolonisation im 20. Jahrhundert nämlich auch durch nationale Freiheitskampfbewegungen aufgelöst wurde und klar geworden ist, dass wir alle miteinander in Europa in unserem Wohlstand und unserem Wachstum davon abhängen, wie wir in Zukunft Rohstofffragen lösen. Ich kann Ihnen sagen: Die Lehre aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die mit Kolonialherrschaft und Krieg zu tun hatten, haben wir hoffentlich alle gezogen, das heißt, Kooperation über Ländergrenzen und Rassen hinweg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, dass der Fall der Mauer und die Erinnerung an unsere friedliche Revolution das letzte große Ereignis bleibt, das wir am 9. November mit deutscher Geschichte verbinden.
Herr Gansel, auf Ihre Volkserhebung können wir auf jeden Fall verzichten. Ich glaube, das ist ganz deutlich zu sagen.
(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Uwe Leichsenring, NPD: Das entscheiden Sie aber nicht!)
Die gute Antje Hermenau – ich wusste nicht, dass wir heute über unser Patriotismuspapier, über unsere CDUParteipolitik diskutieren – muss es ja tief beeindruckt haben. Ich lade Sie auch zur Diskussion ein. – Wir diskutieren hier über den 9. November.
Jetzt kommt mir noch eine Erinnerung, Herr Hahn. Wissen Sie, ich habe schon von meinem SoldatenratUrgroßvater erzählt. Mein Großvater war im Reichsbanner. Was ich von dem gehört habe …! „Wie war es denn
in der Weimarer Republik? Von der SA sind die von der einen Seite angegriffen worden und von den Kommunisten, die mit denen paktiert haben, auf der anderen Seite!“
Beide haben diesen demokratischen Staat, unsere erste Republik, nicht akzeptiert! Und, Herr Weiss, auch nicht unsere erste demokratische Verfassung.
da wäre ich ja schon froh, wenn Sie Verfassungspatriot wären; das sage ich ehrlichen Herzens. Wenn Ihre Partei verfassungspatriotisch wäre, dann wäre das ein ganz großer Fortschritt in Ihrer Parteigeschichte, und wir würden uns alle sehr freuen.
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Was erzählen Sie denn für einen Unsinn über unsere Partei?!)
Uns reicht allerdings wie anderen europäischen Völkern der Verfassungspatriotismus allein nicht aus, und auch Dolf Sternberger, der Vater dieses Begriffes, ging wie selbstverständlich davon aus, dass zum Verfassungspatriotismus noch mehr gehört.
Genau das, was du eigentlich willst, Antje, nämlich dass man sich mit dem Gemeinwesen identifiziert, dass man sich für das Gemeinwesen engagiert, dass man auch bereit ist, mehr zu geben als man zurückbekommt – –
Wir haben doch ein Problem in unserer Gesellschaft: Die Bindekräfte lassen nach und dadurch droht sie in ihre Bestandteile zu zerfallen. Wir müssen die Bindung in der Gesellschaft verstärken.
Wir in der CDU nennen es Patriotismus. Wenn andere das anders nennen wollen, ist das gut. Was wir brauchen, ist Engagement für das Gemeinwohl, Engagement für die Gesellschaft, sich einsetzen.
Und übrigens – das ist auch das entscheidende Angebot an die Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, die sich in unsere Gesellschaft integrieren müssen, und die wollen wissen – und wir wollen es auch wissen –, wohin sie sich denn integrieren sollen. Welche Identität haben wir denn überhaupt?
Und diese Identität müssen wir auch definieren – wie in jedem anderen Land auch, das Zuwanderung hat, wie in Amerika, wie in Australien und wo auch immer.
Wir werden diese Diskussion führen und wer zu uns kommt und unsere Solidarität zu Recht will, der muss natürlich auch die entsprechende Gegenleistung erbringen, und diese besteht eben – auch bei den Zuwanderern – im Engagement für unsere Gemeinschaft, für unsere Gesellschaft, und das ist legitim. Diese Diskussion wird die CDU führen, und zwar nicht nur in Sachsen, sondern bundesweit.
Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann Herr Staatsminister Winkler, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es in einigen Wortbeiträgen vorher gehört: Das Datum 9. November steht wie kein anderes Datum für die hellen, aber eben auch für die dunklen Seiten der deutschen Geschichte. Und wir Deutschen sind mit diesem Datum ganz eng verbunden, weil es eben an unsere Verantwortung erinnert: an die Verantwortung für Freiheit, an die Verantwortung für Frieden und an die Verantwortung für Demokratie.
Es wäre falsch, jetzt die Geschichte eines Volkes und einer Nation nur anhand eines Datums erklären zu wollen, aber man kann anhand eines Datums den Lauf der Geschichte skizzieren – eine Geschichte, die immer auch Bedeutung für große Teile der Welt oder für die ganze Welt hatte. Der 9. November – das haben wir gehört und ich will es bewusst noch einmal sagen, weil man es nicht oft genug wiederholen kann, um sich daran zu erinnern – spiegelt in einzigartiger und, wenn man so will, auch in bestechender Art und Weise das Auf und Ab in der Geschichte Deutschlands wider. Das Datum steht für Hoffnung, für Aufbruch einerseits; es steht andererseits aber auch für menschliche Abgründe, für niederträchtiges Denken. Beide Extreme sind durch den Lauf der Geschichte eng miteinander verbunden.
Die erste deutsche Freiheits- und Demokratiebewegung fand 1848 ihren Höhepunkt mit der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. War diese Bewegung zunächst von den Herrschenden noch geduldet, schlug ihr später zunehmend Feindseligkeit entgegen. Die Demokratie brauchte dann 70 Jahre und einen verheerenden Weltkrieg, bis sie wieder in Deutschland Fuß fassen konnte.