Protocol of the Session on November 9, 2005

Der Sozialdemokrat Scheidemann rief am 9. November 1918 die erste deutsche Republik aus, und wir wissen: eine Republik, die sich der Demokratie und dem Pluralismus verschreiben sollte. Nicht nur die Dramaturgie dieses 9. November 1918, sondern auch die weitere Geschichte der Weimarer Republik zeigen, auf welch wackeligen Füßen diese erste Demokratie auf deutschem Boden eigentlich stand. Ihre Gegner waren stetig versucht, sie zu schwächen und sie letztendlich als eine Art Betriebsunfall der deutschen Geschichte zu überwinden.

Schon kurz nach Scheidemann rief dann Liebknecht eine sozialistische Republik aus. Ihm und den Kommunisten schwebte eine Räterepublik vor; die freiheitlichdemokratische Ordnung war nicht gewollt.

Und auch von Rechts kamen die Angriffe. Der Kappputsch von 1920 stellte die Weimarer Republik auf eine harte Probe. Bezeichnenderweise am 9. November 1923 marschierte Hitler durch die Straßen von München und versuchte seinen Putsch zum Erfolg zu führen. Noch war die Demokratie stark und konnte sich dieser Feinde entledigen. Aber diese Feinde – Linke wie Rechte im Übrigen – taten alles, um der Weimarer Republik den Garaus zu machen. Eine Demokratie ohne Demokraten überlebt nicht lange. 1933 war die Demokratie am Ende und es begannen die zwölf finstersten Jahre der deutschen Geschichte. Eben jener Hitler, der am 9. November zehn Jahre zuvor gescheitert war, führte die Deutschen in ein totalitäres und menschenverachtendes Regime und letztlich fast in den kompletten Untergang.

Das tausendjährige Reich der Nationalsozialisten war das genaue Gegenteil von Demokratie, Freiheit, Menschenwürde und Nächstenliebe. Es war eine Antidemokratie mit rassischen Wahnvorstellungen. Nur 20 Jahre nach der Ausrufung der Weimarer Republik wendete sich Deutschland in der Pogromnacht des 9. November 1938 hinab in die Dunkelheit. Was von Goebbels Vasallen spöttisch und beschönigend als Reichskristallnacht bezeichnet wurde, war eine unwürdige Hatz auf Menschen. Aufgestachelt von den Nazis, bewegten sich die Deutschen zurück in das Mittelalter. Wenige – leider viel zu wenige – haben diesem Irrsinn widerstanden. Für sie blieben Nachbarn Nachbarn und Freunde Freunde, egal, welcher Religion oder Nationalität sie angehörten. Große Teile der Bevölkerung sahen in Gleichgültigkeit weg oder sahen sogar zu und ließen sich von den Nationalsozialisten verblenden. Aus diesem Zustand sind sie erst nach Jahren und einer totalen Niederlage in einem zerstörten Land wieder aufgewacht.

Die Frage muss gestellt werden: Sind wirklich alle wieder aufgewacht? Wenn ich heute in diesem Parlament Abgeordnete der NPD-Fraktion erlebe, die Hitler immer noch als einen großen Staatsmann bezeichnen, dann muss ich feststellen, dass offenbar die Verblendung in einigen Köpfen weiter anhält. Wer dies gerade vor den Ereignissen des 9. November 1938 und des sich anschließenden millionenfachen Mordes an Juden, Sinti und Roma, Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen immer noch

vertritt, ist eine Schande für unser Land und ist eine Schande leider auch für dieses Parlament.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 9. November 1938 symbolisiert den Tiefpunkt deutscher Geschichte. Der 9. November 1989 ist dagegen ein Glückstag für die deutsche Nation und für die ganze Welt. Eine friedliche Revolution mit brennenden Kerzen brachte das bestgesicherte Bauwerk der Welt, die Berliner Mauer, zum Einsturz. Wir erinnern uns sicherlich noch alle an diesen unvergesslichen Tag voller Freude, an Menschen, die sich jubelnd und weinend in den Armen lagen – ein Volk im kollektiven Glücksgefühl.

Und doch ist dieser 9. November 1989 untrennbar mit seinen Vorgängern 1918 und 1938 verbunden. Der Rassenwahn der Nazis hat Deutschland in den Untergang und in die Teilung geführt. Was von Deutschland ausgegangen ist, ist auf Deutschland zurückgefallen. Der Tag des Mauerfalls ist aber gleichsam das Symbol dafür, dass die Deutschen mit ernsthaftem Willen der ersten Demokratie vom 9. November 1918 eine weitere und eine beständigere Demokratie folgen lassen wollten. Gerade in der DDR war der Wunsch nach Freiheit und nach Demokratie stark ausgeprägt, so stark, dass er vom kommunistischen Regime nicht mehr unterdrückt werden konnte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist auch eine Folge des 9. November 1989, dass wir heute im Plenum einen Beauftragten für die Stasi-Unterlagen wählen können und somit versuchen können, den Opfern der Stasi-Diktatur zu helfen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Und gerade zu diesem leider dunklen Kapitel der Geschichte hätten Sie, Herr Dr. Külow, noch einiges beitragen können.

(Beifall bei der CDU)

Der 9. November 1989 ist auch ein Symbol für die gesamte Welt. Der Ostblock stürzte in sich zusammen. Die Staaten Osteuropas schlossen sich dem Modell von Freiheit und Demokratie an. Die Einigung Europas ohne Stacheldraht und Mauer wurde Wirklichkeit. Es ist der Siegeszug der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, ein Sieg, der hart erkämpft wurde und der immer wieder erkämpft werden muss.

Wenn uns das Datum 9. November eines lehrt, dann das, dass Licht und Dunkelheit geschichtlich fast wie in der Physik eng beieinander liegen. Das Datum lehrt uns, dass wir für Demokratie und Freiheit einstehen müssen, dass wir nicht wegsehen dürfen, wenn anderen Unrecht getan wird, und dass wir die Feinde der Demokratie mit allen Mitteln bekämpfen müssen.

Wenn wir uns dies an jedem 9. November eines Jahres in Erinnerung rufen, dann bleibt Geschichte lebendig und können wir aus den Erfahrungen lernen. Der 9. November bleibt mit der Geschichte der Deutschen unzertrennlich verbunden. Wir müssen uns diesem Datum stellen, nur dann wird sich ein 9. November 1938 nicht wiederholen, nur dann werden Intoleranz, Menschenverachtung, Hass und ideologischer Wahn keine Chance mehr haben. Dafür müssen wir alle gemeinsam jeden Tag aufs Neue kämpfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Aktuelle Debatte „9. November: Aufbruch in die Republik – Tag der Schande – Tag der Freiheit“, beantragt von den Fraktionen der CDU und der SPD, abgeschlossen.

Wir kommen zu

2. Aktuelle Debatte: Die Verantwortung der Staatsregierung für die Absicherung der medizinischen Versorgung in Sachsen

Antrag der Linksfraktion.PDS

Die Linksfraktion hat zuerst das Wort. Es folgen CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE, Staatsregierung. Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte die Linksfraktion.PDS, das Wort zu nehmen. Herr Dr. Pellmann, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will nicht hoffen, dass der 9. November ein weiteres Datum erhält, auf das wir in Zukunft aufmerksam gemacht werden. Denn am heutigen Tag finden bundesweit Protestaktionen von Ärzten statt, von Ärzten, die mit der gegenwärtigen Situation im Gesundheitswesen nicht zufrieden sind.

Nicht deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir die heutige Aktuelle Debatte beantragt. Wir wussten gar nicht, dass heute diese Aktion stattfindet, als wir den Antrag stellten, aber es ist eben ein Zufall, der deutlich macht, wie notwendig es ist, dass wir heute über das Problem im Komplex diskutieren.

Ich darf gleich einleitend sagen: Wir möchten nicht ausschließlich über das Problem des Ärztemangels im ambulanten Bereich sprechen, sondern unser heutiges Thema ist bewusst komplexer formuliert, komplexer im Hinblick auf den Gesamtanspruch, den wir auf diesem Gebiet haben sollten.

Lassen Sie mich daher einleitend auf vier Problemkreise aufmerksam machen, bei denen Handlungsbedarf besteht. Ich sage es bewusst, selbst wenn wir die Staatsregierung hier schon per Thema besonders in die Pflicht nehmen: Wir alle sind in der Verantwortung. Das möchte ich ausdrücklich sagen.

Es wäre sinnvoll, wenn es bei unserer heutigen Debatte um diese vier Problemkreise ginge.

Der erste Problemkreis. Selbstverständlich haben wir es nach wie vor mit einem Ärztemangel im ambulanten Bereich zu tun. Das, was im Kreis Torgau/Oschatz mit dem Modellprojekt versucht wurde, ist durchaus ein Schritt in die richtige Richtung. Wir laufen aber im Augenblick nach wie vor einem Zug hinterher, der bereits in Fahrt ist. Wenn wir nicht gemeinsame Anstrengungen unternehmen, wird es nicht ausreichen.

Ein Modell allein ist nicht ausreichend, hier muss es weitere Schritte geben.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Es wurde – ich will kritisch anmerken, dass der Ärztemangel mit den Händen zu greifen war, wenn man sich die Statistik und die Altersstruktur angeschaut hat – die Situation zu lange unterschätzt. Ich kann es der Staatsregierung nicht ersparen, das zu sagen: Sie musste erst – wir haben als Oppositionsfraktion kräftig dazu beigetragen – zum Jagen getragen werden. Inzwischen hoffe ich, dass sie bereits bei der Jagd ist – ohne es militaristisch zu meinen.

Der zweite Problemkreis. Wir haben es mit einer Situation im Krankenhausbereich zu tun, in der Ärzte zu Recht über sehr problematische Arbeitsbedingungen klagen.

Meine Damen und Herren, es muss uns doch zum Nachdenken führen, dass Ärzte auf die Straße gehen, ja sogar streiken, die eigentlich – das unterstelle ich zunächst jedem Arzt – für das Wohl der Patienten da sind und da sein wollen. Hier bedarf es grundlegender Überlegungen, wie das zu ändern ist.

Das Dritte hängt damit zusammen. Es stellt sich die Frage: Wie wollen wir ab 1. Januar 2006, wenn die Übergangsfrist mit dem Arbeitszeitregime laut Urteil des Europäischen Gerichtshofes abgelaufen ist, die notärztliche Versorgung in Sachsen sichern? Ich habe bisher noch keine entsprechenden durchgreifenden Lösungsansätze der Staatsregierung gehört. Vielleicht ist das heute zu erwarten.

Immerhin werden – so die Meinung und die Auffassung der zuständigen kassenärztlichen Vereinigungen und der Ärzteverbände – unter Umständen in Sachsen 1 000 Ärzte ab 1. Januar fehlen. Wir müssen heute auch darüber reden – darauf haben die Patienten und unter Umständen auch Notfallbetroffene ein Anrecht –, wie das gelöst wird.

Das Vierte wird oft unterschätzt, deswegen nenne ich es: Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir im öffentlichen Gesundheitsdienst weiter vorankommen. Im Augenblick – das ist meine Sorge – haben wir eher eine

Situation, in der die Kommunen aus der Kassenlage heraus hier Personal abbauen. Das können wir nicht länger hinnehmen.

Wir hatten – vielleicht erinnern Sie sich – vor zwei Jahren als Fraktion ein neues Gesetz zum öffentlichen Gesundheitsdienst eingebracht. Das wurde abgelehnt. Ich glaube aber, wir müssen es heute wieder einbringen, weil es aktueller denn je ist.

Hier leuchtet eine Lampe, das heißt, ich muss zum Schluss kommen. Ich werde in einem weiteren Beitrag Vorschläge machen, nicht dass Sie uns in Ihren eigenen Debatten unterstellen, wir würden nur eine Situationsbeschreibung liefern. Ich darf Sie schon jetzt in Spannung versetzen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Frau Strempel, bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Vor ungefähr einem Jahr lag uns bereits ein Bericht bzw. die Beantwortung einer Anfrage durch die Staatsregierung vor. Die Staatsregierung hat damals schon klar und deutlich aufgezeigt, welche Aktivitäten sie unter anderem unternimmt, um die ärztliche Versorgung im Freistaat Sachsen zu sichern. Die Antwort sah noch zusätzliche Fakten vor, um die weitere medizinische Versorgung zu sichern. Da viele Abgeordnete die Fakten nicht kennen, gedenke ich, diese zu Beginn meines Beitrags zu benennen.

Vor einem Jahr wurde eine Arbeitsgruppe unter der Federführung und auf Initiative des SMS ins Leben gerufen, die sich mit dem ambulanten, dem stationären und dem öffentlichen Gesundheitsbereich beschäftigt und nach Lösungen sucht. Nach wie vor arbeitet die Arbeitsgruppe.

Aus fachlicher Sicht eingebunden in die Arbeitsgruppen und natürlich auch direkt beteiligt sind ärztliche Vertreter, die Krankenkassen, die Krankenhäuser, der öffentliche Gesundheitsdienst sowie die Landesärztekammer. Wer kann besser die fachlichen Interessen und damit die Interessen der Klientel vertreten als diese von mir eben genannten Vertreter?

Lassen Sie mich für die Koalition noch einmal klar und deutlich Kompetenzen definieren. Die hoheitlichen Aufgaben für die Sicherstellung einer ambulanten Versorgung sind in § 75 des Sozialgesetzbuches V geregelt und diese hoheitlichen Aufgaben liegen bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Die Kassenärztliche Vereinigung hat auch die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Sie haben im Einvernehmen mit den Krankenkassen die kassenärztliche Bedarfsplanung durchzuführen. Die kassenärztliche Bedarfsplanung ist in erster Linie eine Regionalplanung.

Die KV und auch die Ärztekammern sind so genannte Zwangsverbände. Das heißt, an der ambulanten Versor

gung beteiligte Vertragsärzte müssen der KV oder der Kassenzahnärztlichen Vereinigung angehören.

Neben der Sicherstellung der Versorgung haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Aufgabe, auf dem Verhandlungswege mit den Krankenkassen die Höhe der Gesamtvergütung für die Vertragsärzte auf Landesebene zu vereinbaren.

Ob eine drohende Unterversorgung bei uns in Sachsen eintritt, wird durch einen Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen festgestellt. Das Beispiel wurde bereits genannt. Vor einem Jahr wurde Unterversorgung in Torgau-Oschatz festgestellt. Es waren die Initiativen des sächsischen Sozialministeriums, Maßnahmen ins Leben zu rufen, die bis heute für jeden Bereich gelten, wenn Unterversorgung festgestellt wird. Einige Maßnahmen benenne ich noch einmal kurz, denn die Öffentlichkeit sollte das auch erfahren.