Protocol of the Session on October 6, 2005

Ich würde gern noch einmal die erste Zeile Ihrer Begründung zitieren: „Mängel bei der Berufsausbildung konnten in den letzten Jahren analysiert und mit Projekten erheblich reduziert werden.“ Da frage ich mich, wofür wir den Berichtsantrag noch brauchen, wenn alle Mängel schon behoben sind. Meine Kollegin Frau Bonk hat bereits ausgeführt, welche Notwendigkeiten wir im schulischen Bereich sehen.

Meine Damen und Herren, Berufsorientierung heißt Lebensorientierung! Knapp 400 verfügbare Ausbildungsberufe lassen eine vom eigentlichen Beruf ausgehende Orientierung nicht mehr zu. Qualifikation und Kompetenzen, die nur auf ein Berufsbild zugeschnitten sind, sind in einer schnelllebigen Gesellschaft wie der unseren nicht von großer Dauer.

Deshalb ist es notwendig, den Jugendlichen von heute Fähigkeiten zu vermitteln, die von langer Gültigkeit sind. Diese sollten sich sowohl an Bedürfnissen der Jugendlichen selbst als auch an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientieren. In einer Wissensgesellschaft hat lebenslanges Lernen oberste Priorität. Auch darauf müssen wir unsere Jugendlichen vorbereiten. Ihnen müssen die notwendigen Wege aufgezeigt und die nötigen Instrumente in die Hand

gegeben werden, um selbstständig und selbstbestimmt ihr ganzes Leben lang weiter lernen und sich weiterbilden zu können.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Diese neuen Aufgaben im Bereich der Berufsorientierung können nicht allein von Lehrkräften der allgemein bildenden Schulen geleistet werden.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Sondern?)

Nun, meine Damen und Herren von der CDU und der SPD, ich komme wieder auf das eingangs getätigte Zitat zurück. Wir von der Linksfraktion sehen es eben nicht so, dass die Mängel bei der Berufsorientierung beseitigt wurden. Herr Brangs hat vorhin selber ausgeführt, wie hoch die Zahl der abgebrochenen Ausbildungen im vergangenen Jahr gewesen ist. Ich denke, das ist immer noch ein Alarmzeichen dafür, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Wir finden eben, dass gerade im Bereich der geschlechterspezifischen Berufsorientierungen vieles im Argen liegt.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die von Mädchen am häufigsten gewählten Ausbildungsberufe sind nach wie vor Bürokauffrau, Arzthelferin, Einzelhandelskauffrau, Zahnarzthelferin und Friseurin. Deshalb stehen die Chancen schlecht, in einem dieser Berufe einen Ausbildungsplatz zu ergattern.

Ausbildungsberufe, in denen es gute Chancen gibt, wie Elektronikerin in der Maschinentechnik, Verfahrensmechanikerin und Glaserin, werden von Mädchen nicht nachgefragt. Das geschieht, weil sie sich oft gar nicht der Möglichkeit bewusst sind, einen solchen Beruf zu ergreifen. Sie erleben andere Frauen – wenn sie aufwachsen, vor allem ihre Mutter, ihre Tanten und ihre Lehrerinnen – und sehen, welche Berufe diese Frauen ausüben: Lehrerin, Verkäuferin oder Ähnliches. Die Mädchen orientieren sich daran und wollen wiederum solche Berufe ergreifen.

Man muss Mädchen von frühester Kindheit an alle Wege in das berufliche Leben offen halten. Außerdem beweist die Realität immer wieder, dass Mädchen und Frauen gerade in Handwerksberufen oft deutlich besser als ihre männlichen Kollegen abschneiden. Das haben die Gesellenprüfungen, die gerade gelaufen sind, wiederum bewiesen: 85 % der Mädchen, aber nur 72 % der Jungen haben erfolgreich abgeschnitten.

Die Wirtschaftsregion Chemnitz-Zwickau GmbH hat bei der Uni Jena eine Studie in Auftrag gegeben. Unternehmen, Schülerinnen und Schüler sowie Studentinnen und Studenten wurden und werden in drei Phasen befragt. Auf die Frage an die Unternehmen, welches für sie die größte Stärke der Wirtschaftsregion sei, antworteten 82 %, dass es hier gutes Fachpersonal gebe.

Ich muss hinzufügen: Noch! Die Studie prophezeit, dass der Anteil der unter 30-jährigen Beschäftigten in der Automobilindustrie bis zum Jahr 2011 auf unter 10 % sinken wird. Unter 10 % – das muss man sich einmal

vorstellen! Auch und gerade im Hinblick auf den zu erwartenden Fachkräftemangel sehen wir von der Linksfraktion sehr großen Handlungsbedarf.

Ich will darauf hinaus, dass mit dieser Studie eine wirkliche Analyse vorgelegt wird, auf deren Grundlage es möglich ist, konkrete Schritte einzuleiten. Insoweit wünsche ich mir mehr Initiative vonseiten der Staatsregierung. Erstellen Sie endlich eine Analyse, die den Fachkräftebedarf der nächsten 20 Jahre in Sachsen darstellt!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wir haben schon gehört, welche schulischen Möglichkeiten es in der Berufsausbildung gibt. Weitere Aspekte sind die Lehrerfortbildung und die Einbeziehung der Eltern. Die neuen Medien, insbesondere das Internet, bieten vielfältige Informationsmöglichkeiten. Dieser Punkt ist mir in der Antwort der Staatsregierung deutlich zu kurz gekommen. Man kann sich aber im Internet nicht nur über Berufe an sich informieren; man findet dort auch Materialsammlungen für die Unterrichtsgestaltung durch Lehrer, aber auch für Eltern. Sicherlich können Sie – Frau Orosz hat Stellung genommen; sie ist nicht da – in der Antwort nicht alles aufführen.

Ich habe im Netz ein Projekt aus Köln gefunden, das ich erwähnen möchte. Es heißt „Der Pate“ und wendet sich an Jugendliche, die den Wunsch haben, sich eine Zukunftsperspektive zu erarbeiten, und dabei eine Begleitung auf Zeit akzeptieren. Sie werden nämlich von Seniorinnen und Senioren begleitet; es handelt sich also um ein generationenübergreifendes Projekt. Ein Ziel besteht darin, die Generationen in einem verantwortungsvollen Miteinander ins Gespräch zu bringen, jungen Menschen zu helfen, ihre Zukunftsperspektive zu entwickeln, und den Älteren dadurch eine sinnerfüllende Aufgabe zu bieten. Das Projekt dient der Vorbeugung der Jugendarbeitslosigkeit, dem Abbau von Vorurteilen und der Annäherung zwischen den Generationen. Auch so etwas hätte ich mir in der Antwort der Staatsregierung gewünscht.

Allgemein ist zu sagen, dass wir uns eine sinnvolle Koordination und Vernetzung der vielen einzelnen Projekte, die in der Antwort der Staatsregierung genannt werden, wünschen. Wir wollen, dass Synergieeffekte entstehen und genutzt werden können. Insoweit wünsche ich mir ein konsequenteres Vorgehen der Staatsregierung.

Meine Damen und Herren! Ich bin der Meinung, dass ich mit meinem Redebeitrag – wie schon meine Kollegin Bonk – genügend Anregungen gegeben und Verbesserungsvorschläge unterbreitet habe. Ich hoffe, dass endlich gehandelt und nicht, wie Herr Morlok es gesagt hat, am Thema vorbei geredet wird. Ferner hoffe ich, dass Sie in Zukunft solche oberflächlichen Anträge lassen.

Danke schön.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann Herr Staatsminister Flath, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jugendliche sollen nach ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie mit Blick auf eine spätere berufliche Erfüllung zum Ende ihrer Schulzeit mit klaren und realistischen Vorstellungen die Entscheidung für ihre berufliche Zukunft treffen können. Nur im Zusammenwirken von Arbeitsagenturen, Unternehmen, Kammern, allgemein bildenden sowie berufsbildenden Schulen und Eltern kann es gelingen, den Übergang von der Schule in den Beruf erfolgreich zu gestalten.

Mit der Novellierung des Schulgesetzes haben wir deshalb die Schulen verpflichtet, den Kontakt mit Partnern aus der Wirtschaft zu suchen. Inzwischen gibt es dafür zahlreiche gute Beispiele. Impulsgebend und unterstützend wirkt hierbei die Landesarbeitsgemeinschaft Schule – Wirtschaft. Sie führt interessierte Schulen und Unternehmen erfolgreich zusammen und begleitet zahlreiche Projekte. Solche Kooperationsbeziehungen brauchen wir in noch größerer Zahl, weil der Fachkräftenachwuchs nur gemeinsam gesichert werden kann und beide Seiten dafür Verantwortung tragen.

Vor Schule und Berufsberatung steht die Aufgabe, an der Entwicklung einer Berufswahlkompetenz mitzuwirken und den Berufsfindungsprozess zu unterstützen. Alle Anstrengungen sind sogleich mit dem Ziel verbunden, Ausbildungs- und Studienabbrüche zu vermeiden und die Zahl der Studierwilligen zu erhöhen.

Eine Schlüsselrolle kommt dabei der stärkeren Praxisorientierung schulischer Bildung zu. Die Einführung des neuen Profilkonzeptes an Mittelschulen und Gymnasien schafft dafür gute Voraussetzungen. Daneben sichert vor allem das neue Fach Wirtschaft – Technik – Haushalt – Soziales eine ökonomische Grundbildung aller Mittelschüler.

Sehr konkrete Erfahrungen sammeln Schülerinnen und Schüler in den gegenwärtig rund 80 sächsischen Schülerfirmen sowie bei Wirtschaftsplanspielen und speziellen Projekten.

Daneben gibt es zahlreiche aktuelle Vorhaben und Initiativen. So soll die unlängst vom Kultusministerium und der Bundesagentur für Arbeit getroffene Kooperationsvereinbarung bei den Schülerinnen und Schülern zu klaren Vorstellungen vom Berufsleben beitragen. Dieses Anliegen wird bisher vor allem durch die obligatorischen Betriebspraktika für Schüler allgemein bildender Schulen unterstützt.

Ab dem Schuljahr 2006 dehnen wir die Woche der offenen Unternehmen, eine bislang insbesondere in Südwestsachsen erfolgreiche Form der Berufsorientierung unter Federführung des Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit, auf ganz Sachsen aus.

Mittelfristig führen wir flächendeckend den Berufswahlpass ein. Dabei handelt es sich um ein Instrument, das die Berufsorientierung jedes einzelnen Schülers bis zum Schulabschluss unterstützt und diesen Prozess dokumentiert.

Im Mittelpunkt all unserer Vorhaben stehen zwei Ziele, die wir aus meiner Sicht nur im Dialog und damit gemeinsam erreichen können: erstens unseren Schülerinnen und Schülern eine berufliche Perspektive zu bieten und zweitens den Fachkräftebedarf der heimischen Wirtschaft zu sichern. Dazu brauchen wir eine Allianz unserer Schulen mit der Wirtschaft. In einer solchen Allianz finden Schüler und Eltern kompetente Partner für eine erfolgreiche Berufsorientierung.

Insgesamt kann die Antwort der Staatsregierung so schlecht nicht gewesen sein; denn wenn man genau zugehört hat, konnte man feststellen, dass sich die Fraktionen überwiegend einig sind. Die Staatsregierung wollte auch nicht den Eindruck erwecken, es sei alles paletti. Es ist vielmehr deutlich geworden, dass noch eine große Aufgabe vor uns steht und dass wir besser werden müssen.

Auch bei Ihnen, Herr Morlok, habe ich keinen Widerspruch festgestellt; ich kann das unterschreiben. Wir sollten mit dem Begriff „ausbildungsunfähige Jugendliche“ allerdings etwas vorsichtiger umgehen. Es ist richtig, dass 10 % Schulabgänger ohne Abschluss zu viel sind. Wir müssen aber auch offen sagen, dass es sich bei der Hälfte davon um Abgänger von Förderschulen handelt. Darunter sind einige, die einfach nicht in der Lage sind, einen Abschluss zu bringen. Diese sollten wir nicht mit dem Begriff „ausbildungsunfähig“ konfrontieren; denn das wäre demotivierend.

Damit bin ich bei dem Beitrag der NPD-Fraktion. Sie sagen, Berufsorientierung sei „Klimbim“, weil es anschließend ohnehin keine Ausbildungsstellen und keine Arbeit gebe. Das ist Demotivation.

(Alexander Delle, NPD: Nein! Das ist Realität!)

Ihre Fraktion hat natürlich ein besonderes Interesse an Demotivation, weil Sie genau aus diesem Lager Wählerstimmen schöpfen wollen.

(Alexander Delle, NPD: Das stimmt überhaupt nicht!)

Es wird deutlich, dass die demografische Katastrophe auch Chancen bietet; das muss man auch einmal sehen. Wenn die Wirtschaft in Kürze großen Bedarf haben wird, dann sollten wir die Demotivation in eine Motivation der Jugendlichen umwandeln. Insoweit sehe ich großen Bedarf.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich erteile Herrn Staatsminister Jurk das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie alle kennen den berühmten Satz von Antoine de Saint-Exupery: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um

Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“

Dies ist, wenn auch aus einem anderen Zusammenhang heraus, eine geeignete Beschreibung von Berufsorientierung. Um im Bild zu bleiben: Das weite Meer ist eine vielfältige und komplexe Wirtschaft, die Übernahme von Verantwortung für den eigenen Lebensunterhalt und damit für ein selbstbestimmtes Leben und zugleich auch Übernahme von Verantwortung für die Mitmenschen, darunter eben auch die Schwachen der Gesellschaft.

Dieses „Meer“ hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch gewandelt. Auf zukünftige Fachkräftebedarfe ist bereits während der Debatte eingegangen worden.

Die Berufsorientierung ist nicht nur für junge Menschen eine große Herausforderung. Genauso gilt das für Eltern, Schulen, Berufsberater der Arbeitsverwaltung und die Unternehmen selbst. Sie werden sich möglicherweise wundern, dass ich die Eltern an erster Stelle genannt habe. Das ist gut begründet. Wir haben Anfang 2005 eine Evaluation des Gesamtsystems der Unterstützung der sächsischen Lehrstellenbewerber durchgeführt. Die befragten Jugendlichen gaben an, dass sie in erster Linie durch ihre Eltern bei der Berufswahl unterstützt worden sind. Ich halte das für eine wichtige, aber bisher weitgehend vernachlässigte Seite der Berufsorientierung: nicht nur darauf zu schauen, wo Fachkräfte künftig gebraucht werden, sondern eben darauf, welche Begabungen und Fähigkeiten entdeckt und entwickelt werden können. Wer könnte die Jugendlichen besser dabei beraten als die Eltern, aber auch ihre Lehrer?

Unternehmer berichten häufig, dass sie nicht nur teilweise schlechte Schulzeugnisse zu sehen bekommen, sondern auch einer großen Orientierungslosigkeit gegenüberstehen. Typisch dafür ist jener vom ZDF gefilmte Bewerber, der auf die Frage, warum er Fleischer werden möchte, antwortet, dass er mit dem schlechten Schulzeugnis keine bessere Lehrstelle bekomme. Auch manche leistungsstarken Jugendlichen machen ähnliche Fehler, indem sie in klassische Modeberufe drängen. Jungen zum Beispiel wollen Kfz-Mechaniker, Mädchen Frisöse werden. Welche Chancen dabei verspielt werden, auch unter unserer derzeit schwierigen wirtschaftlichen Situation, zeigt das Betriebspanel 2004 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die befragten 1 094 Betriebe repräsentieren 8,2 % der Beschäftigten Sachsens und gaben an, 2 000 Lehrstellen mangels geeigneter Bewerber nicht besetzt zu haben. Das mag möglicherweise übertrieben sein. Fakt ist, dass diese Unternehmen die offenen Lehrstellen nicht an die Arbeitsverwaltung gemeldet haben, weil sie die vermeintlich fruchtlosen Gespräche mit orientierungslosen Bewerbern scheuen. Gerade eine fachlich ordentliche Kompetenzanalyse würde den jungen Menschen nicht nur eine bessere Orientierung geben, sondern auch einen zusätzlichen Motivationsschub. Ich halte es auf der anderen Seite für unglaublich demotivierend, dass die gesamte Diskussion

um Lehrstellen bei jungen Menschen den Eindruck erwecken kann, chancenlos zu sein. Wir haben es ja auch heute in der Debatte wieder gehört.