Die Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD, die Herren Hähle und Weiss, waren wohl der Meinung, man müsse endlich einmal einen Schaufensterantrag zum Problem
feld der Berufsorientierung und der Ausbildungsplatzsuche junger Sachsen stellen. Damit das Ganze auch unverbindlich bleibt und die Staatsregierung ja nicht unter wirtschafts- und sozialpolitischen Handlungszwang gesetzt wird, haben CDU und SPD am 14. Juli dieses Jahres einen harmlos schlichten Berichtsantrag gestellt, auf den die Staatsregierung dann genauso harmlos und schlicht am 30. September geantwortet hat.
Meine Damen und Herren! Sie kennen den Wortlaut des Antrages und Sie kennen die Stellungnahme der Staatsregierung. Dass die vorliegenden Antworten der Staatsregierung keinem jungen Sachsen ernsthaft bei der Berufsorientierung und der Ausbildungsplatzsuche helfen, liegt auf der Hand. Dass die Altparteien in Sachsen keine neue Politik für mehr Berufsorientierung und Ausbildungsplatzangebote Jugendlicher betreiben werden, ist genauso klar. Eher träte noch der Papst zum Islam über, als dass sich unter den herrschenden Verhältnissen etwas an der Ausbildungs- und Berufsmisere junger Menschen ändern würde.
Fraglos kann eine schulisch gestützte Berufsorientierung Schülerinnen und Schülern einen wichtigen Kompass für die weitere Lebensplanung in die Hand geben. Um die Berufsfindung zu erleichtern, gibt es in Sachsen Betriebspraktika und Betriebserkundigungen sowie einen Berufswahlpass, der den Übergang von der Schule in das Berufsleben erleichtern soll. Es gibt, wie in anderen Bundesländern, auch hier in Sachsen die Landesarbeitsgemeinschaft Schule-Wirtschaft mit ihren vollmundigen Presseerklärungen und schönen Absichtsbekundungen. Doch das Grundproblem eines eklatanten Lehrstellen- und Arbeitsplatzmangels erfährt dadurch nur eine kosmetische Oberflächenbehandlung.
Die entscheidende Frage lautet in diesem Zusammenhang aber: Was nützt die beste Berufsorientierung junger Menschen, wenn sie in diesem Land unter den gegebenen politisch-wirtschaftlichen Verhältnissen ihre Berufswünsche gar nicht umsetzen können? Mit diesem ganzen parlamentarisch und medial aufgeputzten Klimbim, der unter dem Namen Berufsorientierung läuft, wird kein einziges wirksames Instrument geschaffen, um mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze für die Jugendlichen in Sachsen zu schaffen. Was nützt das erfolgreichste Betriebspraktikum und die interessanteste Betriebsbesichtigung, wenn die betreffenden Betriebe aber nicht ausbilden wollen oder wegen der gesamtwirtschaftlichen Lage, zum Beispiel durch den Kaufkraftmangel weiter Bevölkerungskreise oder ruinöse Billigkonkurrenz aus Osteuropa, schlicht nicht ausbilden können?
Bereits in der letzten Plenardebatte habe ich die entscheidenden Zahlen, die auch durch parlamentarische Sonntagsreden, durch vollmundige Presseerklärungen und immer neue Ausbildungspakte nicht aus der Welt geschafft werden, genannt. So fehlten nach Angaben des Vorstandes der Gewerkschaft Ver.di Mitte dieses Jahres bereits bundesweit mehr als 300 000 Ausbildungsplätze.
Selbst die Bundesagentur für Arbeit, bekannt für kunstvolle Rechenoperationen und ideenreiche Statistikbereinigung, teilte mit, dass im August dieses Jahres bundesweit 145 000 Ausbildungsplätze fehlten. Das sind damit noch einmal 14 000 mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die IG Metall mutmaßt sogar, dass in Deutschland gegenwärtig eine Million junger Menschen unter 25 Jahren ohne berufliche Perspektive sind. Das sind die traurigen Fakten und die politisch dafür Verantwortlichen sitzen auch in diesem Haus.
Der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen ist ein völlig folgenloser Berichtsantrag, der nichts, aber auch gar nichts politisch und wirtschaftlich zum Besseren wenden wird, sondern nur etwas Sand in die Augen der jungen Betroffenen streuen soll, die sich weiterhin vergeblich um Ausbildungs- und Arbeitsplätze in diesem Land bemühen werden.
Deswegen müssten wir den Antrag eigentlich ablehnen. Weil er aber auch ein Schlaglicht auf ein durch die Altparteien verschuldetes Problem wirft und wir hoffen, dass sich ernsthafte politische Debatten an diesen Antrag irgendwann einmal in diesem Haus anschließen werden, werden wir uns bei diesem Antrag enthalten.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Pietzsch, Sie haben darauf hingewiesen, dass die Stellungnahme der Staatsregierung sehr, sehr positiv klingt. Das ist richtig, aber sie geht am Problem vorbei. Nur kann man das dieses Mal der Staatsregierung überhaupt nicht vorwerfen, denn wenn man so fragt, wie es die Koalitionsfraktionen getan haben, braucht man sich nicht zu wundern, wenn genau diese Antworten herauskommen, die am Problem vorbeigehen.
Nachdem ich Ihren Redebeitrag gehört habe, Herr Pietzsch, muss ich feststellen, dass Sie auch hier im Hause am Problem vorbeigeredet haben – ganz im Gegensatz zum Beispiel zu Ihrem Kollegen aus der SPD, Herrn Brangs, der sehr wohl die Sache in einen Gesamtzusammenhang gestellt hat, nämlich das, was wir auf Landesebene für die Berufsorientierung tun, der aber auch deutlich gemacht hat, wo die Probleme liegen.
Die Probleme liegen nämlich darin, dass wir auf der einen Seite momentan eine hohe Anzahl von Jugendlichen haben, die wir nur schwer in Ausbildung und Beruf vermitteln können, aber auf der anderen Seite eine demografische Entwicklung auf uns zukommt, die dazu führen wird, dass wir bereits in fünf Jahren eine umgekehrte Situation haben werden, nämlich mehr Altersabgänger als Schulabgänger. Wenn man sich noch anschaut, dass nach Studien, die auch allgemein bekannt sind, eine große Anzahl von Hauptschulabgängern, etwa 20 bis 25 %, als gar nicht ausbildungsfähig angesehen wird, dann schließt
sich diese Schere schon viel, viel früher, nämlich bereits 2006/2007. Das ist eigentlich das Problem, vor dem wir stehen: auf der einen Seite deutlich weniger Schulabgänger, aber bei diesen wenigeren Schulabgängern immer noch ein erheblicher Anteil von nicht ausbildungsfähigen Menschen.
Wenn man sich einmal anschaut, woran das liegt, da gibt es Untersuchungen hinsichtlich der Notendurchschnitte in den Hauptfächern der nicht vermittelbaren Bewerber. Hier wird deutlich, dass 50 % der nicht vermittelbaren Bewerber in den Hauptfächern einen Notendurchschnitt schlechter als Vier haben. Man kann nicht so tun, als ob bei uns alles in Ordnung wäre.
Wir sind im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in der Diskussion schon viel, viel weiter. Das Thema ist dort in diesem Sachzusammenhang bereits diskutiert worden. Das Problem ist in diesen Beratungen im Ausschuss auch von der Staatsregierung bereits erkannt worden. Es ist ja nicht so, als ob das nicht wahrgenommen würde. Nur die Debatte, die Fragestellung und die Antworten suggerieren, als ob hier alles in bester Ordnung wäre. Es ist nicht in bester Ordnung. Wir haben im Ausschuss auch schon diskutiert, wo wir ansetzen müssen. Aber die Debatte, die bisher hier geführt wurde, geht an den Problemen tatsächlich vorbei.
Sie nehmen auch nicht zur Kenntnis, welche Berufswünsche die jungen Menschen haben. Es gibt eine Umfrage der Uni Chemnitz aus dem Jahr 2003, die junge Menschen gefragt hat, wo sie denn arbeiten wollen. Da sagten 30 %: öffentlicher Dienst, bei den weiblichen waren es aber über 40 % öffentlicher Dienst. Ich meine, dass bei der Berufsorientierung junger Menschen hier im Freistaat eben doch nicht alles in Ordnung ist.
Um es deutlich zu machen: Das ist kein einseitiger Schuldvorwurf an irgendjemanden. Ich bin der Auffassung, dass wir im Bereich Schule etwas tun müssen, dass aber auch die Wirtschaft hier Defizite hat. Die Wirtschaft hat noch lange nicht überall erkannt, dass diese demografische Entwicklung auf sie zukommen wird; denn in Kenntnis dieser demografischen Entwicklung müssten sich viele Unternehmen viel stärker um junge Menschen bemühen – auch um so genannte Problemfälle –, weil sie sonst ihren beruflichen Nachwuchs nicht mehr decken können.
Ich denke aber auch, wie gesagt, dass wir im Bereich Schule etwas tun müssen, denn ein Durchschnitt schlechter als Vier kommt ja auch irgendwoher. Wir müssen uns gemeinsam – eigentlich über viele Ministerien hinweg: Wirtschafts-, Kultusministerium – Gedanken machen, wie wir Veränderungen herbeiführen können. Sicherlich gibt es gute Projekte in verschiedenen Schulen, engagierte Lehrer in verschiedenen Regionen; aber wir wissen auch, dass es bei den Lehrern genauso ist wie bei jedem Mitar
beiter in der freien Wirtschaft: Es gibt Leute, die aktiv, engagiert und motiviert sind, und andere eben weniger. Das ist kein Vorwurf an die Lehrerschaft, aber das ist eine Sache, die wir gemeinsam zur Kenntnis nehmen und bei der wir versuchen müssen, die Punkte, in denen es Schwierigkeiten gibt, gemeinsam abzustellen.
Ich würde mir wünschen – und bin mir sicher, der Minister wird es nachher tun –, dass man seitens der Staatsregierung diese Problemlage insgesamt darstellt und nicht so tut – wie bisher seitens der CDU in ihrem Redebeitrag oder auch die Staatsregierung in der schriftlichen Stellungnahme –, als ob bei uns in Sachsen alles in Ordnung wäre, denn so ist es beileibe nicht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns heute wieder mit einem Berichtsantrag zu befassen – nach dem Motto: Wie gut, dass wir darüber gesprochen haben! –: die Ausbildungsorientierung in Sachsen. Ich kann nicht erkennen, wo hier ein Problemlösungsansatz enthalten sein soll.
Wir wissen es seit Jahren: In Sachsen haben wir immer weniger Ausbildungsplätze als Bewerber, und es liegt nicht nur an der Wirtschaft, dass wir nicht alle jungen Menschen vermitteln können, sondern es kommen auch immer, jedes Jahr viele, viele Schulabgänger mit unzureichenden Kenntnissen, die auf den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt strömen. 25 % aller Ausbildungsverhältnisse werden beendet, bevor die Lehre abgeschlossen wurde. Das sollte uns zu denken geben. Es ist ja nicht nur die Vorstellung, dass man einen Beruf mit romantischen Idealen verbindet und dass man enttäuscht wurde, sondern häufig ist es ja auch so, dass die ehemaligen Schüler die Leistungen, die gefordert wurden, nicht bringen.
Wir haben 10 % Schüler, die die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen, wir haben 25 % Risikogruppe, das heißt, sie können nicht ausreichend rechnen, lesen und schreiben. Wie soll jemand beispielsweise Metzger werden, wenn er nicht Prozentrechnen kann und wenn er beispielsweise Salz und Wasser verwechseln würde. Das geht einfach nicht.
Wir müssen also vonseiten der Wirtschaft unheimlich viel Kraft und Kompetenz aufwenden, um diese Schüler oder Auszubildenden auf den Stand der Dinge zu bringen. Das halte ich für das schwerwiegendste Problem. Dazu kommt aber in der Stellungnahme überhaupt nichts zum Ausdruck. Uns wird berichtet, welche Möglichkeiten es gibt, Schule und Wirtschaft zu vernetzen; aber es wird nicht beschrieben, wie es denn möglich wäre, das Problem zu lösen.
Wir haben Schulabgänger, die nicht ausbildungsreif sind – das ist das eigentliche Kernproblem: unzureichende
Ausbildungsreife. Bislang gibt es in den Berufsschulen für diese Schüler, wenn sie nicht vermittelt wurden, das Berufsvorbereitungs- und das Berufsgrundbildungsjahr. Diese Ausbildungs- oder schulischen Vollzeitmaßnahmen werden immer mehr dem Rotstift geopfert. Das heißt, Schülerinnen und Schüler, die ihre Berufsschulpflicht bis zum 18. Geburtstag erfüllen müssen, werden eben nicht mehr berufsvorbereitet oder berufsgrundgebildet, sondern müssen ihre Zeit „absitzen“ – bis zum 18. Geburtstag in ganz normalen Berufsschulklassen. Das ist unwürdig und geht gänzlich am Thema vorbei.
Es wurde vorhin gesagt, wir müssen dafür sorgen, dass mehr Betriebspraktika ermöglicht werden. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob tatsächlich ein Betriebspraktikum die Entscheidung für oder gegen einen Beruf nach sich zieht. Ich bin mir viel mehr sicher, dass Kinder bereits in viel, viel früheren Phasen überlegen, welchen Beruf sie haben wollen, und ich bin irritiert, wenn ich mit jungen Menschen – 13-, 14-, 15-Jährigen – spreche und sie frage, was sie denn dereinst werden wollen, wenn sie mir auf diese Frage antworten: Das weiß ich nicht! Eigentlich erwarte ich schon von einem drei- oder vierjährigen Jungen, dass er mir mindestens auf diese Frage antwortet: Ich möchte mal Lokführer werden!
Ich denke, kleine Kinder müssen auch schon eine Vorstellung davon haben, dass sie irgendwann einen Beruf erlernen wollen – müssen – sollen – können. Es gibt auch Kindergärten, die schon Betriebsexkursionen machen; ich weiß das aus eigener Erfahrung. Mein Kind war damals beispielsweise in einer Schuhfabrik; er war total begeistert, wusste aber, dass er nie dort arbeiten will, weil es viel zu laut war.
Es gibt Schulklassen, die während des normalen Unterrichts in Unternehmen gehen. Beispielsweise kann man sich im Biounterricht anschauen, wie in einem Fischgeschäft gearbeitet wird. All solche Dinge gibt es; Kinder ziehen daraus ihre Schlüsse. Ich halte das für außerordentlich wichtig.
Ich möchte noch einmal auf die Kooperation von Schule und Wirtschaft zurückkommen. Es gibt den Ort Cunewalde mit etwas über 5 600 Einwohnern. Der Anstieg der sozialversicherten Beschäftigten ist plus 6 %, der Rückgang der Arbeitslosigkeit in letzter Zeit minus 12 %, der Anstieg der örtlichen Industriebeschäftigten plus 46 %, der Anstieg der Industrieproduktion auf das Zweieinhalbfache, jährlich 20 Ausbildungsverträge – mit steigender Tendenz – und die örtliche Mittelschule ist mit Mitwirkungsentzug 5. Klasse belegt worden.
Die Unternehmen aus der Region haben protestiert; elf Unternehmen haben sich diesem Prozess angeschlossen –
ich zitiere: „Im ländlichen Raum haben Schulen eine besondere Bedeutung. Schulabgänger erhalten in den Unternehmen des Ortes eine Ausbildung. Man kennt sich und ist gut verzahnt. Um zukünftig den Berufsnachwuchs zu sichern, werden die Unternehmen frühzeitig in den Schulen auf die Ausbildungsangebote aufmerksam machen. Praktika werden absolviert, gemeinsame Projekte durchgeführt, Unternehmen unterstützen die Arbeit der Schulfördervereine in erheblichem finanziellem Umfang. Die Zusammenarbeit Unternehmen und Schule wird sich weiter vertiefen und damit positive Aspekte in der schulischen Ausbildung setzen. Wir Unternehmen brauchen für die Lehrlingsausbildung und damit für die Zukunft unserer Unternehmen motivierte Mittelschulabgänger mit ordentlichen Noten, um ihnen hier vor Ort eine Perspektive geben zu können.“
Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Wird das gewünscht? – Von der SPD? – Der Linksfraktion.PDS? – Frau Klinger, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie legen hier einen Berichtsantrag vor, der oberflächlicher nicht sein könnte.