Protocol of the Session on September 23, 2005

Entlastung durch ambulante Angebote (Kurzzeit-, Tagesbetreuung, Angebote für demenzkranke Menschen usw.)

Ansporn im Sinne von Mutmachen und

die gesellschaftliche Anerkennung.

Diese drei Aufgaben sind hierbei von großer Bedeutung.

Wichtig ist aus unserer Sicht, bei den Ehrenamtlichen für eine ständige Schulung zu sorgen, die natürlich auch angeboten wird.

Daran schießt sich nahtlos der nächste Bereich an, dem wir uns verstärkt widmen wollen: Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf umfassende und individuelle Beratung. Ich weiß, dass es viele Einrichtungen und zuständige Stellen gibt. Ein Vorschlag, der noch aktuell ist und mancherorts umgesetzt wurde, ist die trägerunabhängige Pflegeberatung. Dieses Modell müssen wir allerdings in der Koalition erst noch diskutieren. Eine solche Beratung ist am individuellen Hilfebedarf orientiert, viel zielgenauer und kann damit kostengünstigere Angebote machen.

„Ambulant vor stationär“ erfordert den weiteren Auf- und Ausbau ambulanter Versorgungsstrukturen und sozialer Netze. Angesichts der Familienstrukturen – weniger Kinder, Kinder ziehen weg; Sie haben auch solche Beispiele genannt – sind andere soziale Netzwerke zu organi

sieren. Der Trend zur stationären Pflege muss durch einen Hilfemix vor Ort, durch intelligente Netzwerke aufgehalten werden. Ich halte das für eine ganz wichtige Aufgabe.

Es kommt ein Punkt hinzu, der bei der Einführung der Pflegeversicherung ganz bewusst ausgeklammert wurde: die Leistung für demenzerkrankte Menschen. Sie ist notwendig. Das ist natürlich zuerst eine Bundesaufgabe. Pflegebedürftigkeit hat auch geistige und psycho-soziale Aspekte einzubeziehen und dem dann folgenden erhöhten Betreuungsaufwand Rechnung zu tragen. Das gilt auch für die ambulanten Versorgungs- und Betreuungsangebote.

Im Bereich des Wohnens brauchen wir statt herkömmlicher Einrichtungen verstärkt Konzepte des betreuten und altengerechten Wohnens.

Zur stationären Pflege möchte ich auch noch etwas sagen. In Sachsen werden bekanntermaßen Pflegeleistungen – darum kann man überhaupt nicht herumreden – im Bundesvergleich am schlechtesten vergütet. Hier muss genau aufgepasst werden, dass sich diese Entwicklung nicht noch verschärft. Wir brauchen gut ausgebildetes und ausreichendes Personal und eine Vergütung, die den hohen psychischen und physischen Anforderungen der Tätigkeit gerecht wird. Wer solche Menschen in der Familie hat – ich habe sie –, die in diesem Bereich arbeiten, der weiß, was die Leute leisten müssen. Hier möchte ich mich ausdrücklich dem anschließen, was Sie vorhin als Dank an diese Menschen gesagt haben.

Daneben ist natürlich auch die Qualitätssicherung nicht zu vernachlässigen. Hier sind die Voraussetzungen durch die Bundesregierung gelegt worden, auch wenn nach dem 1. Pflegequalitätsbericht des MDK noch Anstrengungen nötig sind. Gezeigt hat sich jedoch in den letzten Jahren, dass Qualitätsmanagement die Pflegequalität spürbar verbessert.

Der von uns getragene und im Koalitionsvertrag festgeschriebene Grundsatz „ambulant vor stationär“ erfordert, dass wir von einem angebotsorientierten zu einem bedarfsorientierten Hilfesystem kommen. Wir werden in dieser Koalition versuchen, das zu lösen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Danke schön. – Für die NPD-Fraktion ist mir Herr Baier gemeldet. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder Mensch braucht hin und wieder, sei es für kurze oder für lange Zeit, vorübergehend oder für immer, fremde Hilfe. Diese wird allerdings entsprechend den verschiedenen Lebenssituationen gern unterschiedlich benannt. Bei Säuglingen und Kleinkindern scheut sich niemand, von Pflege zu sprechen. Das Gleiche gilt nach Unfällen oder Operationen. Doch wie sieht es im Alter aus?

Hier finden wir bereits sprachliche Abstufungen. Man hört, dass der Betroffene von gelegentlicher Unterstützung oder gelegentlicher Hilfe spricht. Vielen alten Menschen ist es unangenehm, sogar peinlich, sich als pflegebedürftig zu bezeichnen.

So geht es auch vielen Menschen, die aufgrund einer Behinderung ihr Leben lang auf fremde Hilfe angewiesen sind. Niemand möchte gern gepflegt werden, denn Pflege macht abhängig, macht unselbstständig, und wer Pflege braucht, scheint schwach zu sein.

Für uns Nationaldemokraten sind soziale und Pflegeleistungen aber keine Almosen, für die sich die Bedürftigen schämen müssen, sondern ein Recht und ein Anspruch.

Ich habe die letzten 20 Jahre hauptberuflich im Rettungsdienst und in der Alten- und Krankenpflege gearbeitet, davon zehn Jahre als Pfleger und Geschäftsführer in einem privaten Krankenpflegedienst. Somit kenne ich mich im Pflegebereich ganz gut aus und denke, ich weiß, wo der Schuh drückt.

So wird zum Beispiel die Einstufung in eine Pflegestufe nach bestimmten Kriterien wie pauschalen Zeitvorgaben für die notwendige Hilfe bzw. Pflegeleistung vorgenommen. Hier steht nicht etwa der pflegebedürftige Mensch im Vordergrund, sondern es sind Punkte, Zahlen und Zeiten. Wem auch nur ganz wenige Punkte, Zahlen oder einige Minuten dieser pauschale Vorgaben pro Tag fehlen, der erhält halt keine oder keine höhere Pflegestufe. Der Bedürftige muss dann auf die dringend benötigte Hilfe verzichten oder diese aus eigener Tasche bezahlen, was für viele aber unmöglich ist.

Die Relationen zwischen Zeitvorgaben und der Bezahlung der zu erbringenden Leistung haben sich in den letzten Jahren ebenfalls zuungunsten der Pflegebedürftigen entwickelt. Um wenigstens einigermaßen wirtschaftlich arbeiten zu können – denn auch Angestellte in der Pflege müssen bezahlt werden, Herr Pellmann, auch in der privaten –, bleibt kaum noch Zeit für ein paar nette Worte oder dafür, über Probleme, Sorgen und Ängste der Pflegebedürftigen zu sprechen.

Hier möchte ich noch einmal Herrn Pellmann kritisieren. Sie sprachen sich gegen Privatisierung in der Pflege aus,

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion.PDS: Nach wie vor!)

und zwar aus Gründen des Gewinns oder des Profits. Das ist nicht richtig. Die meisten privaten Pflegeeinrichtungen, besonders in der ambulanten Pflege, arbeiten zu niedrigeren Tarifen als gemeinnützige. Oder glauben Sie, Sozialstation, Arbeiterwohlfahrt oder Diakonie arbeiten für Gotteslohn? – Nein.

Da die Rahmenbedingungen für eine menschenwürdige Pflege immer mehr aus den Fugen geraten sind, kommen für die Pflegekräfte zu der sowieso schon schweren körperlichen Belastung oft noch seelische Konflikte hinzu. Der Bund der Pflegeversicherten hat ausgerechnet, dass bereits jetzt BRD-weit rund 135 000 Pflegekräfte

fehlen. Aber unter diesen Umständen werden sich wohl immer weniger Menschen für eine Arbeit in der Pflege entscheiden.

Spürbare Anhebungen der Pflegesätze waren in den letzten zehn Jahren auch nicht zu erkennen – und dies bei stetig steigenden Betriebskosten. Ich nenne noch ein Beispiel: Nehmen wir die früher an Pflegeeinrichtungen einmal jährlich ausgezahlte Investitionskostenzulage, welche sich an der Anzahl der nach SGB XI zu Pflegenden orientierte. Diese wurde kurzerhand gestrichen und soll von den Pflegeeinrichtungen nun auf die Bedürftigen umgelegt werden. Hinzu kommt ein absurder bürokratischer Aufwand, zum Beispiel in der Pflegedokumentation. Jede noch so kleine Pflegeleistung muss schriftlich festgehalten werden. Leidtragende sind wiederum die Alten und Kranken, denn alles geht von der Zeit ab, die eigentlich für diese verwendet werden könnte und sollte.

Die meisten zu Pflegenden haben ihr Leben lang gearbeitet, Kinder groß gezogen, die Steuer und Beiträge für Krankenkassen gezahlt, Beiträge, mit denen sie sich eigentlich Anspruch auf Pflege und Hilfe im Alter oder bei Krankheit erworben haben und nun zumindest um einen Teil davon betrogen werden.

Ich habe mich auch mit Pflegekräften aus stationären Bereichen unterhalten. Diese klagen ebenfalls ihr Leid über zunehmende Bürokratie, schlechte Personalschlüssel sowie darüber, dass immer mehr ausgebildete Fachkräfte durch ungelernte Hilfskräfte ersetzt werden. Warum? – Natürlich auch wieder, um Kosten zu sparen. Auch das geschieht sicherlich nicht zum Wohle, sondern eher zum Nachteil der Patienten und Pflegebedürftigen.

Es wird anscheinend völlig vergessen, dass die Pflege von Menschen nicht immer kurz, unter Zeitdruck und wie am Fließband durchgeführt werden kann. Die Bundesregierung hat zwar einen Zehn-Punkte-Plan zum Abbau des Bürokratismus in Pflegeheimen vorgelegt, aber ich glaube, hierbei handelt es sich eher um eine Willensbekundung ohne spürbare praktische Umsetzung.

Um auf den Punkt zu kommen: Wir brauchen einen Abbau der bürokratischen Hürden. Die Kriterien zur Eingliederung in die Pflegeversicherung müssen gelockert werden und es muss einfach mehr Geld für Pflegebedürftige bereitgestellt werden. Dies ist aber kaum zu bewerkstelligen, indem zum Beispiel Frauen, die Kinder groß gezogen haben, dann, wenn diese Kinder aus dem Haus sind, zur Kasse gebeten werden, um höhere Beiträge in die Pflegeversicherung einzuzahlen. Das, meine Damen und Herren der SPD, waren Ihre Forderungen auf Bundesebene. Solche Forderungen sind nicht sozial. Das ist asozial.

Unter den von mir aufgeführten Punkten würde auch meine Fraktion die Haltung der Staatsregierung in dieser Frage interessieren. Wir werden dem Antrag der Linksfraktion.PDS zustimmen.

(Beifall bei der NPD)

Frau Schütz spricht für die FDP-Fraktion. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir über die sozialen Versicherungssysteme sprechen, dann stehen oft Arbeitslosenversicherung und Rente im Vordergrund, das Thema Pflege leider viel zu selten, obwohl wir mittendrin in diesem gesellschaftlichen Problem stehen: mehr Pflegebedürftige, aber immer weniger Pflegende in der Familie durch den demografischen Wandel, steigende Kosten bei einer alternden Gesellschaft, zukünftig weniger Erwerbstätige und auch jetzt schon weniger Beitragszahler durch den Abbau von Arbeitsplätzen. Durch die lohngebundene Finanzierung der Pflegeversicherung belasten wir dazu noch zusätzlich den Faktor Arbeit.

Pflege betrifft den Teil der Menschen, die unsere Fürsorge am nötigsten haben. Es trifft in der Regel die älteren Menschen, aber auch Jüngere ab Mitte fünfzig sind von Pflegeleistungen abhängig. Diese Menschen brauchen nicht nur Betreuung und medizinische Leistungen, sondern auch Zuwendung und psychologische Betreuung. Dafür sind die vielfältigsten Konzepte notwendig, die vor allem das Leben der älteren Menschen miteinander vor Ort unterstützen, der sozialen Vereinsamung entgegenwirken und auch den besonderen pflegerischen Bedarf der Demenzkranken berücksichtigen. Ich denke da gerade an gerontopsychiatrische Tagespflege oder Tagesstätten, wie es in Brandenburg bereits praktiziert wird.

Ganz wichtig, vor allem in der Pflege: ambulant vor stationär. In der Stellungnahme der Staatsregierung ist jedoch eine gegenteilige Entwicklung aufgezeigt worden. Waren es im Jahr 2001 noch 32 980 Pflegebedürftige, die ambulant betreut werden konnten, so waren es im Jahr 2003 nur noch 31 510 Pflegebedürftige im ambulanten Bereich. Dies ist ein Rückgang um 4,5 %.

Im stationären Bereich war im gleichen Zeitraum eine Steigerung um fast 11 % zu verzeichnen, nämlich von 32 935 Pflegebedürftigen auf 36 551 Pflegebedürftige. Dazu stellt das Sächsische Staatsministerium für Soziales fest, dass eine stetige Verlagerung der Ausgaben in den vollstationären Bereich stattfindet und die gesetzlichen Steuerungsinstrumente ungenügend sind, um den Grundsatz „ambulant vor stationär“ auch in der Praxis zu etablieren. Hier muss dringend gegengesteuert werden.

Doch so eindeutig die Aussagen und Zahlen der Staatsregierung hinsichtlich der stationären und ambulanten Pflege sind, so nebulös sind sie, wenn es um die Zukunft der Pflege geht. Der Antrag der Linksfraktion.PDS wollte die Position der Staatsregierung hinsichtlich einer Bürgerversicherung, des Umstiegs auf eine kapitalgedeckte Pflegeversicherung oder der Notwendigkeit der privaten Zusatzversicherung wissen. Dies sind in der Tat die zukunftswichtigen Fragen. Umso wichtiger und notwendiger ist eine ausführliche Beantwortung und Bericht- gebung der im Antrag unter Buchstabe b genannten Ausführungen, um die Tendenz und Richtung der Staatsregierung zu erfahren.

Mit der vorliegenden Stellungnahme scheint sich die Staatsregierung halbherzig der Situation ergeben zu haben. Nicht, was die statistischen Zahlen betrifft, aber zur Weiterentwicklung und zum Reformbedarf der Pflegeversicherung hat sich – ich zitiere – „die Staatsregierung bisher noch keine abgeschlossene Meinung gebildet“ und sieht dazu – ich zitiere wieder – „zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Notwendigkeit“. Unter Buchstabe c in der Stellungnahme zum vorliegenden Antrag, ein paar Zeilen weiter, stellt sie allerdings selber fest, dass weiterer Reformbedarf für die Pflegeversicherung besteht.

Auch wir als FDP-Fraktion sehen Reformbedarf. Im Gegensatz zur Staatsregierung haben wir allerdings eine Meinung und auch ein zukunftsfähiges Konzept. Zuoberst steht die Forderung nach einem gleitenden Übergang in ein nachhaltiges und generationsgerechtes Pflegeversicherungssystem – weg von der Zwangsversicherung hin zur Pflicht zur Versicherung. Ein gleitender Übergang in ein kapitalgedecktes Pflegeversicherungssystem und der Aufbau von Altersrückstellungen sind zu schaffen.

(Beifall bei der FDP)

In einem kapitalgedeckten Pflegeversicherungssystem besteht auch kein Zusammenhang mehr zwischen der Höhe des Erwerbseinkommens und dem individuellen Versicherungsbeitrag. Diese Abkehr von der lohngebundenen Finanzierung der Pflegeversicherung ermöglicht es, endlich den Teufelskreis von hoher Arbeitslosigkeit und steigenden Beiträgen bzw. Rekorddefiziten – im Jahr 2004, Herr Gerlach, Sie hatten es bereits angedeutet, um es genau zu sagen, bereits in einer Höhe von 823 Millionen Euro – endlich zu verlassen.

Ambulante Pflege so weit wie möglich bzw. die Pflege im häuslichen Umfeld wird umfassend unterstützt und soll Vorrang vor stationärer Pflege haben. Weiterhin natürlich ein Bürokratieabbau auch in der Pflege.

Notwendig ist des Weiteren, dass die Streitereien darüber, was Pflegeleistungen und was Leistungen der Krankenkassen sind, endlich aufhören und dass dieser Streit nicht mehr auf dem Rücken der Pflegebedürftigen ausgetragen wird. Wir halten dabei eine Lösung mittels Pauschalregelung für möglich.

Dies alles macht es notwendig, die Berichtgebung der Staatsregierung nachdrücklich zu fordern; denn auf die Meinung zu einer Reform, die sich die Staatsregierung bilden sollte, warten wir. Wir sehen eine Reform in der Pflegeversicherung als dringend notwendig an.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön. – Frau Herrmann von den GRÜNEN beschließt die erste Runde der Abgeordneten. Bitte sehr, Sie haben das Wort.