Protocol of the Session on June 23, 2005

(Karl Nolle, SPD: Stimmt doch gar nicht!)

Herr Herbst, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, Herr Brangs, nur zu!

Ich habe eine Frage an Sie: Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die bestehende Richtlinie so lange Gültigkeit hat, bis sie durch eine neue ersetzt wird? Insofern haben wir eine Richtlinie.

Herr Brangs, das ist korrekt. Aber wenn Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass Unternehmen vielleicht auch einige Monate brauchen, um sich auf eine neue Richtlinie einzustellen, die ja doch einige Veränderungen gegenüber der alten hat, weil der Schwerpunkt eben verschoben wurde, dann werden Sie, Herr Brangs und meine Damen und Herren, auch sehen, dass das keine Planungsgrundlage für ein Unternehmen ist und dass das an dieser Stelle völlig kontraproduktiv ist.

(Dr. André Hahn, PDS: Da hat er Recht!)

Ich möchte eines hinzusetzen: Ich habe mit gewissem Schrecken ein „SZ“-Interview mit Herrn Flath gelesen, der den Unternehmen hier die Schuld in die Schuhe schiebt.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, PDS)

Ich will überhaupt nicht abstreiten, dass es vielleicht Unternehmen gibt, die nicht in dem Maße ausbilden, wie sie es könnten. Aber generell Unternehmerschelte zu betreiben hilft uns keinen einzigen Ausbildungsplatz zusätzlich zu schaffen.

(Beifall bei der FDP)

Im Übrigen darf ich noch einmal kurz auf die Zeitschiene eingehen. Die Bemerkung zur Richtlinie über die Ausbildungsförderung ist ja kein Fakt, den nur ich aufgeworfen habe. Herr Lämmel hat es in der Zeitung vor zwei Monaten schon zu Recht bemängelt. Er hat Recht gehabt: Hier wurde im SMWA geschlafen.

(Staatsminister Thomas Jurk: Nein!)

(Lachen des Abg. Karl Nolle, SPD)

Das ist zumindest meine Meinung.

Die Probleme sind auch etwas vielfältiger. Das muss man zugeben. Nur noch jeder zweite Azubi wird im dualen System betrieblich ausgebildet. Das ist für die Betroffenen immer nur die zweitbeste Lösung. Da sind wir einer Meinung. Aber wir haben auch eine Abbrecherquote, die teilweise 25 % beträgt. Wir müssen uns doch einmal fragen: Wie kommt es eigentlich zustande, dass fast jedes vierte Lehrverhältnis aufgekündigt wird? Ich sage, das resultiert zum Teil aus völlig falschen Vorstellungen über den Lehrberuf. Hier gibt es Defizite, die in der Schule beginnen, die sicher auch in der Berufsberatung des Arbeitsamtes liegen;

(Karl Nolle, SPD: Sehr richtig!)

vielleicht teilweise auch an falschen Orientierungen, die Eltern geben. Stichwort mangelnde Ausbildungsfähigkeit. 10 % der Schüler verlassen die Schule ohne Abschluss. Weitere 10 % haben Abschlüsse, da werden Sie als Unternehmer sagen: Mit denen kann ich nichts anfangen. Das heißt, es sind über 20 %, die de facto ausbildungsunfähig sind. Ich sage ganz klar: Weder ein Ausbildungsbetrieb noch eine Berufsschule sind dazu da, ihren Azubis Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen. Es sind eben nicht nur Einzelfälle und es hat auch nicht – wie Herr Flath im „SZ“-Interview behauptet – mit Klagen und Wehmut von Unternehmen zu tun. Wenn man sich einmal anschaut, wie die Leistungen der nicht vermittelten Schüler sind, dann kommt man darauf, dass allein die Anzahl der Schüler, die in den Hauptfächern gleich oder schlechter 4 sind, von 1997 bis 2004 massiv angestiegen ist und mittlerweile genau die Hälfte der nicht vermittelten Bewerber ausmacht. Das sind Zahlen, die sogar dem sächsischen Wirtschaftsministerium vorliegen. Sie korrespondieren ja auch mit den Erfahrungen in der Praxis. Ich hatte in der letzten Woche ein Gespräch mit einem Handwerksmeister, der seit 30 Jahren Berufsausbildung macht. Er hat einen Azubi gehabt und zu ihm gesagt: „10 Kilogramm Wurst müssen gemischt werden. Können Sie bitte einmal 25 % einer Zutat abmessen?“ Da hat der Azubi nach dem Taschenrechner verlangt. Das, können Sie sagen, ist ein Einzelfall. Aber der macht, wie gesagt, seit 30 Jahren Berufsausbildung, also scheint es nicht nur ein Einzelfall zu sein.

(Stefan Brangs, SPD: Wer ist schuld?)

Wenn ich in die Berufsschulen schaue, dann wissen wir, wo die Probleme liegen, auch wenn im Antrag darauf hingewiesen wird, wir haben das Problem, dass wir schon jetzt einen akuten Lehrermangel an Berufsschulen haben, dass es eben nicht gelingt, Fachkräfte dafür zu gewinnen, dass der Stundenausfall mit über 7 % über dem aller anderen Schulformen liegt und dass wir auch Probleme mit der Disziplin von Berufsschülern haben, und zwar insbesondere mit denen, die eben keinen Partnerbetrieb in der dualen Ausbildung haben. Was ist zu tun? Die Rahmenbedingungen für die Ausbildungsbetriebe müssen natürlich verbessert werden. Das heißt Bürokratieabbau, das heißt Soziallasten reduzieren

und das heißt auch im Einzelfall – da gebe ich Herrn Lämmel ebenfalls Recht – einen Blick auf die Tarifverträge zu werfen. Die Kooperation in der Berufsausbildung und die Ausbildungsverbünde sollen gestärkt und ihnen nicht weitere Steine in den Weg gelegt werden, wie es leider auch heute noch Praxis ist.

Ich glaube, wir müssen uns dringend Gedanken zum Thema Berufsorientierung machen. Eine Umfrage unter Zwickauer Schülern hat ergeben, dass 41 % der Mädchen gern in den öffentlichen Dienst wollen und 17 % der Jungen. Das waren die vorrangigsten Ausbildungswünsche. Im Gegensatz dazu wollen 3 % der Mädchen einen Ausbildungsplatz in der Industrie suchen und 15 % der Jungen. Da haut etwas nicht hin, meine Damen und Herren! Die Wünsche, die die Bewerber haben, korrespondieren nicht im Mindesten mit dem, was die sächsische Wirtschaft braucht.

Allein zum Stichtag 31.12.2004 hat die sächsische Metallund Elektroindustrie 6 % mehr Ausbildungsplätze geschaffen, nicht weniger! Dafür gebührt diesen Unternehmen unser Dank.

(Beifall bei der FDP – Caren Lay, PDS: Reicht aber nicht aus!)

9 % der Bewerber bewerben sich nur für die Industrie. Aber genau dort ist es doch so, dass die Arbeitsplätze entstehen. Dort gibt es wirklich den konkreten Fachkräftebedarf. Den gibt es und er wird nicht erfüllt.

Natürlich ist die Situation äußerst schwierig und es liegt an allen Partnern, dazu beizutragen, die Ausbildungsplatzsituation zu verändern, zu entlasten. Das betrifft die Unternehmen, die aber – das sage ich ganz klar – zum Teil bereits in Vorleistung gegangen sind. Es betrifft auch die Tarifpartner. Es betrifft auch den Staat.

Ich halte, wie gesagt, die Unternehmerschelte, die selbst aus dem Kabinett gekommen ist, für das völlig falsche Signal an die Wirtschaft, weil sie diejenigen bestraft, die in Wirklichkeit bereits jetzt überproportional ausbilden. Das sind die kleinen und mittleren Unternehmen in Sachsen, die 80 % der Ausbildungsplätze stellen. Denen sollte einmal gedankt werden, anstatt sie ständig zu beschimpfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Ich rufe die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf, Frau Günther-Schmidt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihr Antrag, der Antrag der Koalition „Ausbildungsoffensive 2005“ verlockte mich, doch einmal zu schauen, was die Bilanz der Ausbildungsoffensive 2004 ist. Am 16.06. des vergangenen Jahres wurde zwischen der Bundesregierung und den Vertretern der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft ein Ausbildungspakt geschlossen. Dieser hat im Bundesdurchschnitt dazu geführt, dass ein Plus von 2,8 % an betrieblichen Ausbildungsstellen realisiert wurde. In Sachsen verzeichnen wir eine Stagnation der Ausbildungsverträge. Die Frage ist: Woran liegt das?

Wenn wir uns andere neue Bundesländer anschauen, die auch mit einer CDU-geführten Landesregierung leben, so stellen wir fest, dass es beispielsweise in Thüringen einen Ausbildungspakt zwischen Wirtschaft und Politik gibt, der dazu geführt hat, dass verbindliche Zusagen bestehen, dass die Kammern 16 000 Betriebe aufsuchen werden und man davon ausgeht, dass diese Verbindlichkeit tatsächlich ein nachweisliches Plus an betrieblichen Ausbildungsplätzen nach sich ziehen wird.

Eine solche Selbstverpflichtung der Wirtschaft hat man in Sachsen nicht hinbekommen. Die Frage ist: Woran liegt das? Das würde ich gern einmal genauer hinterfragen. Die Appelle und die Selbstbeweihräucherung, die Herr Lämmel hier betrieben hat, können es doch nicht gewesen sein.

Wir haben Ausbildungsplatznot. Wir haben Altbewerber, die das Ausbildungsplatzdefizit verschärfen. Wir sollten uns fragen, woran das eigentlich liegt.

In Sachsen ist es so, dass sich nur zirka drei Viertel der Auszubildenden in einer überbetrieblichen Ausbildung befinden. Die restlichen 25 % werden betrieblich ausgebildet. Im Bundesdurchschnitt ist dieses Verhältnis deutlich positiver. Da ist eine Relation von 90 : 10 zu verzeichnen. Das heißt, Sachsen hat durchaus auch hier Aufholbedarf, ebenfalls in der Frage, was die Flexibilisierung der Ausbildungsverträge anbelangt, beispielsweise die Verkürzung der Ausbildungszeiten. In Sachsen haben lediglich 8 % der Verträge diese Verkürzung berücksichtigt, während es im Bundesdurchschnitt 15 % sind. Wenn man aus Sicht der Wirtschaft schaut, dann muss man sagen: Eine Verkürzung der Ausbildungszeit könnte es durchaus attraktiv machen, einen Lehrling einzustellen.

Das Hauptproblem in Sachsen – wir haben es heute schon wiederholt gehört – ist die Frage der Altbewerber. Knapp die Hälfte der auf den Ausbildungsmarkt drängenden Jugendlichen sind solche, die in vorherigen Jahren die Schule verlassen haben. Darüber hinaus haben wir einen überproportionalen Anteil von jungen Menschen, die sich in Berufsvorbereitungs- und Berufsgrundbildungsjahren befinden. Das sind je nach Rechnungsweise bis zu 26 000 Jugendliche.

Die demografische Entwicklung gibt hier Potenziale frei, von denen wir erwarten können, dass in absehbarer Zeit ein Abbau des Lehrstellenüberhangs realisiert wird. Bereits 2005 erwarten wir 5 500 Schulabgänger weniger als im Jahr 2002 und bis 2008 sogar 18 400. Demgegenüber stehen Altersabgänge in den Unternehmen im Jahre 2005 in Höhe von 14 000 und im Jahr 2008 von 32 000. Das heißt, ins Haus steht uns ein Fachkräftemangel. Wenn die Wirtschaft in Sachsen nicht bereits heute anfängt, Bewerber anzunehmen, zu qualifizieren und zu Facharbeitern auszubilden, wird sie in den nächsten Jahren ein ganz massives Problem bekommen, die notwendigen Arbeitsplätze mit ausgebildeten Fachkräften zu besetzen.

Die verstärkte Integration dieser Altbewerber ist also das Gebot der Stunde. Lösungsstrategien könnten zum Beispiel die verstärkte Förderung von Ausbildungsverbünden, eine Modularisierung von Qualifizierungsbausteinen, die Anrechnung bisheriger Ausbildungszeiten von Ausbildungsabbrechern – wenn man von einem kaufmännischen Beruf in einen anderen wechselt, könnte

man bestimmte Grundzeiten anerkannt bekommen – und variable Ausbildungszeiten sein.

Wenn wir uns anschauen: Wo liegt das Problem?, dann kommen wir immer wieder zum sächsischen Schulwesen zurück. Ich danke Herrn Lämmel für seine kritischen Anmerkungen; ich werde wahrscheinlich öfter darauf zurückkommen müssen.

Es gibt eine Zwischenbilanz „100 Tage nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräfte – Nachwuchs in Deutschland“, aus dieser möchte ich zitieren: „Gleichermaßen müssen die Schulen sich vorrangig und rasch um eine Verringerung der hohen Zahl der Schulabgänger ohne Schulabschluss und ohne hinreichende Ausbildungsreife bemühen. Dazu müssen zum Beispiel die Schüler besser gefördert und mehr gefordert und die notwendigen Basis- und Schlüsselkompetenzen erfolgreicher vermittelt werden.“ – Das heißt, wir haben einen wesentlichen Auftrag auch an das sächsische Schulwesen. Ich hatte es bereits gesagt: Ein großer Teil der Bewerber, die sich jedes Jahr als Altbewerber in der Warteschleife wiederfinden, sind Schüler ohne Hauptschulabschluss oder Schüler, die die Mittelschule nur mit einem schlechten Hauptschulabschluss verlassen haben. Wir haben eine Risikogruppe von 23 %, und wir sollten uns Gedanken machen, wie wir damit umgehen; beispielsweise, indem wir Brennpunkt-Mittelschulen – solche Schulen, die einen hohen Prozentsatz von schlechten Schulabschlüssen realisieren – besser fördern, mit mehr Lehrerstellen ausstatten und hier unsere Prioritäten setzen.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gibt es aus den Fraktionen noch Redebedarf? – Herr Pietzsch, CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider ist Frau Klinger von der PDS nicht mehr da; es hat mich jedoch schon etwas betroffen gemacht, was sie hier gesagt hat und wie sie vor allen Dingen die Arbeit der vielen, vielen regionalen Akteure bewertet hat. Aber vielleicht einen guten Rat an Sie – Ihre Fraktion kann es Ihnen vielleicht übermitteln: Mit Ihrer Halli-Galli-Mentalität werden Sie keine zusätzlichen Ausbildungsplätze finden.

(Beifall bei der CDU)

Für die CDU-/SPD-Koalition steht fest: Unabhängig von Finanzierungsfragen müssen die betroffenen jungen Menschen unmittelbar nach Beendigung der Schule gefordert und gefördert werden, damit ihnen durch eine berufsbezogene Ausbildung überhaupt die Teilnahme an der Arbeitswelt ermöglicht wird.

(Caren Lay, PDS, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Herr Pietzsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich möchte meine Ausführungen komplett vortragen, die Zeit ist ohnehin knapp genug.