Es ist keine Luftblase. Die PDS geht in ihrem Gesetzentwurf offenbar ja auch davon aus, dass die Erhöhung der Landespauschale auf 1 800 Euro ausreichend ist, einen Rechtsanspruch umzusetzen. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Und genau diese Erhöhung der Landespauschale wird kommen und den Kommunen eben den Spielraum geben, dass allen Kindern der Zugang zu Betreuung, Bildung und Erziehung offen steht.
In keinem anderen Bundesland gibt es gegenwärtig einen so weit gefassten Rechtsanspruch von null Jahren bis zum Ende der 4. Klasse, wie Sie es hier verlangen. Und wie gesagt, auch dort mussten Ihre Kolleginnen und Kollegen Kompromisse machen.
Ich zitiere einmal aus der Koalitionsvereinbarung von Mecklenburg-Vorpommern: „Die Landesregierung wird schrittweise Betreuungsangebote für alle Kinder ab dem 2. Geburtstag einführen“ – dem 2. Geburtstag! – „mit dem Ziel eines Rechtsanspruchs.“ Das aktuelle Gesetz von Mecklenburg-Vorpommern sieht aber diesen Rechtsanspruch überhaupt nicht vor.
Und auch in Berlin – – Na, das ist halt so bei Verhandlungen, Kollege Porsch! Aber ich denke, das, was jetzt hier erreicht wurde, müssen Sie auch einmal anerkennen!
In Berlin sieht es noch ungünstiger aus. Auch dort gibt es Zugangskriterien, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion.
Ich denke, wir werden uns mit Ihrem Gesetzentwurf im entsprechenden Ausschuss befassen, wir werden uns mit dem Gesetzentwurf befassen, der notwendig ist, die Koalitionsvereinbarung umzusetzen, und da warten wir mal die weiteren Diskussionen ab.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Als am 1. Januar 2002 das neue Kindertagesstättengesetz in Kraft trat, welches vorher mit der absoluten Mehrheit der CDU-Fraktion hier in diesem Plenum durchgesetzt wurde, waren die erheblichen Mängel dieses Gesetzes schon offensichtlich. Ich denke hier insbesondere an den Landeszuschuss, welcher durch die Pauschalregelung die Kommunen mit vielen Krippenkindern benachteiligt.
Ich denke an die fehlende Definition von pädagogischer Fachkraft im Gesetz, welche die notwendige pädagogische Qualität – gerade in finanzschwachen Kommunen – beeinträchtigen könnte. Ich denke an die fehlenden gesetzlich festgeschriebenen Mindestöffnungszeiten von Kindertagesstätten, welche eine Verschlechterung des Angebotes an die Eltern möglich machen.
Ich könnte noch mehr Mängel aufzeigen, will es aber bei diesen Eckpunkten belassen. Gerade in einer Zeit, in der Kreise in diesem Plenum ständig den Bildungsstandort Sachsen bemühen und ihn sichern möchten, gilt es, in die Zukunft zu investieren. Die Zukunft eines jeden Landes sind nun einmal die Kinder als die nachwachsende Generation. Die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern müssen daher für uns zu einem politischen Thema höchster Priorität werden. Die Auffassung, dass Kindertagesstätten ausschließlich familiär ergänzenden Charakter haben, ist zu überwinden. Bildung und Erziehung des Kindes müssen ein ganzheitlicher Auftrag des Gemeinwesens sein und können nicht nur auf die Eltern abgewälzt werden.
Allerdings ist es selbstverständlich, dass das Primat der Erziehung unserer Kinder bei den Eltern liegen muss. Dies ist ein verfassungsmäßig garantiertes Recht.
Meine Damen und Herren! Kindertagesstätten sind trotzdem keine Kinderverwahranstalten. Sie sind Teil eines zusammengehörigen Systems von Bildung, Erziehung und Betreuung. In diesem Zusammenhang ist auch die außerordentliche Betreuung zu verstehen, um welche es im vorliegenden Gesetzentwurf geht. Allerdings – dies gilt es noch einmal deutlich herauszustreichen –: Wenn meine Fraktion von der Notwendigkeit der Entwicklung eines ganzheitlichen Konzepts für die Bildung und Erziehung von Kindern spricht, sind folgende Grundsätze strikt einzuhalten:
Zum Ersten muss eine politische Neutralität des Bildungswesens sichergestellt sein. Dies verdeutliche ich an dieser Stelle so explizit, weil diese eigentlich selbstverständliche Forderung leider in der Praxis nicht immer gegeben ist. Bildungseinrichtungen sind keine Orte der politischen Beeinflussung, dies muss hier einmal ganz deutlich gesagt werden! Zu guter Letzt ist auch eine religiöse Neutralität zu wahren.
Diese wichtigen Punkte müssen die Grundlage eines jeden Bildungskonzeptes sein. Wenn Teile dieses Plenums wieder einmal die Kostenfrage für die Durchsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfes bemühen, lassen Sie sich gesagt sein: Ausgaben für Kindertageseinrichtungen sind keine verlorenen Zuschüsse. Sie sind Investitionen von hohem volkswirtschaftlichem Ertrag. Es ist immer sehr leicht, sich hinter Kostenfragen zu verstecken. Da erklären Sie außerhalb dieses Hauses den Menschen, dass sie aus Kostengründen auf Investitionen in die Zukunft verzichten sollen. Jedes betriebswirtschaftliche Unternehmen würde vermutlich mit solch einer Willkürpolitik eine kräftige Bauchlandung machen. Wir haben hier eine Verantwortung für die Menschen in Sachsen, wir haben eine Verantwortung für die Zukunft unseres Freistaates. Eine Bauchlandung können wir uns in dieser Frage nicht leisten. Meine Fraktion wird deshalb diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Gesetzentwurf geht an der Wirklichkeit vorbei. Rechtsanspruch heißt hundertprozentige Bereitstellung von Plätzen und geht an den Betroffenen vorbei. Warum? Erstens. Die durchschnittliche Inanspruchnahme – auch bei Mehrangeboten von Krippenplätzen – liegt durchschnittlich bei zirka 38 % für Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren. Durchschnittlich deshalb, weil die Inanspruchnahme bei den 0- bis 1-Jährigen bei zirka 12 % liegt, bei den 2- bis 3-Jährigen bei zirka 40 % und bei den 4- bis 5Jährigen bei zirka 70 %. Wir haben im Hort eine ähnliche Verteilung, jedoch in umgekehrter Reihenfolge. Dort haben wir die hohe Inanspruchnahme in der 1. und 2. Klasse, die niedrigere in der 4. Klasse. Schon allein deshalb würde sich ein Rechtsanspruch auf hundertprozentige Bereitstellung von Plätzen nicht ergeben.
Zweitens. Der Rechtsanspruch, den die Eltern, Mutter oder Vater, für ihre Kinder nicht wahrnehmen können, weil das Angebot, das derzeit zur Verfügung steht, mit einer Öffnungszeit von 7:00 Uhr bis 16:00 Uhr, auch bei einem Rechtsanspruch von 9 Stunden viel zu unflexibel ist. Wenn wir von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf reden, dann brauchen wir Flexibilität. Flexibilität, die den Kindern Stabilität bietet, den Eltern Sicherheit und die Träger von Kindertageseinrichtungen nicht in ein Loch ungedeckter, aber aus ihrer Sicht erforderlicher Betriebskosten stürzt. Flexibilität, die die Träger von Kindertageseinrichtungen gern leisten wollen, aber derzeit nicht können.
Drittens geht dieses Gesetz leider an der Wirklichkeit vorbei, wenn ich das In-Kraft-Treten – und das sei mir gestattet – am 1.1.2005 sehe. Dann frage ich mich, wie weit Sie denn tatsächlich an der Wirklichkeit sind. Die Budgetplanungen bei den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe sind so weit abgeschlossen, und eine Angebotssteigerung von 70 % im Krippenbereich ist in den nächsten Jahren bei der derzeitigen Ausgangslage nicht erreichbar. Planungen zur bedarfsgerechten Bereitstellung von Plätzen in Kindertageseinrichtungen laufen jährlich auf der Grundlage des Sozialgesetzbuches VIII. Dort heißt es nun einmal: „… an den Bedürfnissen der Betroffenen …“, und nicht an ihnen vorbei, und das sollte Grundlage aller unserer Gesetze sein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Rechtsanspruch für Kinder auf einen Platz in einer Kindertagesstätte ist dringend notwendig, um unser Bildungssystem voranzubringen.
Wir haben erhebliche Defizite bei den Schulanfängern, wir haben immer höhere Quoten, die Förderschulbedarfe nach sich ziehen. Wenn wir da keine Verbindlichkeit hineinbringen und schon über die Frage der Zugangskriterien und die Frage der Finanzierbarkeit debattieren,
dann geht das gänzlich am Thema vorbei. Es geht hier um die Frage der Zugangsgerechtigkeit und der Chancengerechtigkeit. Darauf sollten wir unser Hauptaugenmerk legen.
Die unsägliche Praxis in den Kommunen, den Landkreisen und den Städten, Kinder auszuschließen, weil sie eine bestimmte soziale Herkunft vorweisen – sie sind Kinder von Sozialhilfeempfängern oder von Arbeitslosen –, muss beendet werden. Das schaffen wir nur, wenn wir Rechtssicherheit garantieren, indem wir verbindliche Zugänge sichern.
Es geht um die Frage, ob wir Bildungsdefizite aufgrund sozialer Herkunft ausgleichen können. Wir können das. Der Schatz der frühen Jahre wird im Vorschulbereich gehoben. Darauf müssen wir ganz besonderen Wert legen. Es kommt darauf an, dass wir eine soziale Teilhabe ermöglichen.
Vorhin fiel das Stichwort, dass die Familie für die Erziehung der Kinder verantwortlich ist. Natürlich hat die Familie die höchste Priorität, aber wir müssen Kindern auch ermöglichen, sich in der Gesellschaft aufzuhalten und nicht von vornherein ausgeschlossen zu werden, nur weil die Eltern arm sind. Außerdem dürfen wir nicht vergessen: Es geht auch um die demografische Entwicklung – nicht um die Frage, ob so und so viele Kinder geboren werden, sondern was wir diesen Kindern ermöglichen: ob wir Zuzug ermöglichen, ob wir den Standort Sachsen auch für Eltern, für junge Menschen attraktiv machen.
Ich möchte einen weiteren Punkt in die Debatte einbringen: die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ich halte dies wirklich für eine überkommene Sicht. Es geht nicht um die Frage, ob die Mutter Zeit hat, arbeiten zu gehen, oder ob der Vater Zeit hat, arbeiten zu gehen, sondern es geht um die Frage, ob dem Kind ermöglicht wird, von frühester Kindheit an Zugang zu professioneller Bildung zu erlangen.
Hier sind wir bei dem Punkt Professionalisierung. Wir als Grüne sind der Auffassung, mittelfristig zu ermöglichen, dass Erzieher und Erzieherinnen eine Hochschulausbildung haben.
Die Bundesrepublik und Österreich sind die einzigen europäischen Länder, die keinen akademischen Abschluss in dieser Branche erwarten. Das müssen wir dringend überwinden; das kostet Geld und das sollte uns die Sache wert sein.
Wenn es um die Elternbeiträge geht – das Stichwort Drittelfinanzierung ist gefallen –, sollten wir dringend darüber nachdenken, ob wir diese nicht vom Einkommen der Eltern abhängig machen und hier eine Staffelung und damit Gerechtigkeit schaffen sollten. Wir haben dann niederschwelligere Zugänge auch für sozial Schwächere.
Gibt es noch Redebedarf bei den Fraktionen; es ist noch Restredezeit vorhanden? – Die PDS-Fraktion, Herr Abg. Neubert; Sie haben noch 3 Minuten Redezeit.
Ich habe geglaubt, dass das, was im Koalitionsvertrag drin steht, auch Realität wird und ernst gemeint ist. Ich möchte noch einmal vorlesen: „Deshalb werden Zugangskriterien, die Kinder von diesem Bildungs- und Erziehungsangebot ausschließen, abgelehnt.“ Das, was ich heute hier erlebe, ist die gleiche Diskussion, die wir immer führen.
Frau Nicolaus hat wie immer ganz nebulös dargeboten: Wir wollen es nicht, aber wir werden auch nichts dagegen tun von Landesebene aus. Das halten wir für falsch.