Protocol of the Session on May 15, 2009

Viertens. Wir müssen uns aber auch darüber verständigen, dass wir alle Förderinstrumente in die Hand nehmen, um junge Familien im ländlichen Raum nachhaltig zu fördern. Wir dürfen den demografischen Faktor, der uns sachsenweit Probleme bereitet, aber im ländlichen Raum besonders hart durchschlägt, nicht verkennen. Deshalb macht es aus der Sicht der SPD Sinn, dass wir im ländlichen Raum das Angebot für Ganztagsschulen zügig erweitern. Wir müssen uns darüber Gedanken machen, dass wir ein wohnortnahes Schulangebot brauchen. Dazu kann ich mir durchaus vorstellen, dass wir dafür Schulen an mehreren Standorten nutzen.

Ich kann mir vor allem vorstellen, dass wir in Sachsen zukünftig Gemeinschaftsschulen als Regelschulen betreiben. Ich will mit einem kleinen Hieb auf die Befürworter der Änderung der Zweizügigkeit bei Mittelschulen Folgendes sagen: Wir müssen zumindest darüber nachdenken, ob das der richtige Weg ist. Es gibt eine Reihe von Standorten im ländlichen Raum, gerade was die Mittelschulen anbelangt, die nicht die Probleme hätten, wenn wir dort die Zweizügigkeit nicht festgeschrieben hätten.

Fünftens. Wenn wir den ländlichen Raum fördern und wollen, dass junge Familien in den ländlichen Raum ziehen oder dort bleiben, müssen wir dafür sorgen, dass die Kinder kurze Schulwege haben. Wir brauchen vor allen Dingen eine zeitgemäße Betreuung, das heißt, wir brauchen flächendeckende Kindertagesstättenangebote und Betreuungsangebote. Deshalb gilt aus unserer Sicht nach wie vor die Maxime unserer Politik: Kostenfreiheit von der Kita bis zur Hochschule.

(Beifall bei der SPD)

Warum sage ich das – auch mit Blick auf die Bildungspolitik?

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Karl Mannsfeld, CDU)

Kollege Mannsfeld, die Wahrheit schmerzt manchmal.

Wenn man sich mit diesen Fragen auseinandersetzt, wird man feststellen, dass die Abiturquote im ländlichen Raum wesentlich geringer ist als in den Ballungszentren, im städtischen Raum. Nun könnte man sagen, die Kinder sind vielleicht dümmer – das ist falsch. Es liegt an der Struktur des Bildungswesens, es liegt an der fehlenden Vernetzung von Bildungssystemen, und es liegt daran, dass diese Kinder in bestimmten Bereichen gar nicht die Chance haben, diesen Weg zu gehen.

Wenn wir uns die Zahlen einmal anschauen, dass Jugendliche im ländlichen Raum zu 24 % und im städtischen Raum zu 35 % zum Abitur kommen, dann ist das aus der Sicht der SPD nicht hinnehmbar. Darauf müssen wir reagieren.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Darüber hinaus – das habe ich schon gesagt – ist es wichtig, dass wir uns mit den Fördermitteln schwerpunktmäßig auf den ländlichen Raum konzentrieren, dass wir uns auf eine gute Versorgung verständigen und dass wir helfen, Grundangebote dort sicherzustellen, wo es der Markt nicht allein regeln kann. Dabei spreche ich vor allem das Thema Einkaufsmöglichkeiten an. Wir müssen organisieren, dass aus der Region für die Region produziert wird und damit regionale Wirtschaftskreisläufe gefördert werden.

Nach meiner Auffassung kann dabei ein Teilaspekt sein, dass wir den Genossenschaftsgedanken wieder stärker in den Blickpunkt rücken und uns Gedanken darüber machen, genossenschaftliche Einheiten stärker zu fördern, damit für die Menschen im ländlichen Raum weiterhin eine Grundversorgung gewährleistet wird.

Wenn wir bei der Grundversorgung sind, geht es natürlich auch um unser sechstes Ziel, das Thema Gesundheitsvorsorge, das medizinische System, die medizinische Vorsorge. Dabei geht es um ambulante und hauswirtschaftliche Hilfen. Wir müssen das Thema qualifizierte Pflege in den Blickpunkt rücken. Weiterhin geht es um die finanzielle Absicherung, damit die Menschen, die in der Pflege arbeiten, einen vernünftigen Lohn bekommen.

Ich selbst habe vor einiger Zeit die Herausforderung angenommen und über mehrere Tage den Pflegedienst im ländlichen Raum begleitet.

(Beifall der Staatsministerin Christine Clauß)

Dabei habe ich gesehen, was auf diejenigen zukommt, die dort pflegen, mit welchen Belastungen und Bedingungen sie teilweise leben müssen und welche Arbeitsbedingungen sie vorfinden. Wir müssen dringend etwas dafür tun, dass der Pflegeberuf eine andere gesellschaftliche Anerkennung erfährt.

(Beifall der Abg. Dr. Gisela Schwarz, SPD)

Es kann nicht sein, dass man der examinierten Krankenschwester auf die Schulter klopft, aber als examinierte Altenpflegerin etwas seltsam betrachtet wird. Da kommen

einem Bilder in den Kopf, die ich jetzt nicht weiter ausführen möchte. Das ist der falsche Weg. Wir müssen etwas dafür tun, dass diese Berufe gesellschaftlich anerkannt werden.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und der Staatsregierung)

Es geht auch darum, dass wir neue Wege nutzen müssen – Stichwort: Telemedizin. Wir müssen diese neuen Techniken einsetzen, um die medizinische Versorgung sicherzustellen. Das Thema Versorgungszentren ist angesprochen worden. Dort wird ein wichtiger Beitrag geleistet. Ich selbst kenne die Überlegung vom Krankenhaus in Bautzen/Bischofswerda. Dort gibt es einen Ausbau dieser Versorgungszentren an mehreren Standorten. Das ist alles richtig und gut.

Ein Punkt gefällt mir bei der Betrachtung nicht, wenn ich mir unsere Politik in den letzten Jahren anschaue, und zwar das Thema Pflegestützpunkte. Ich denke, es ist eine nicht hinnehmbare Politik, dass Sachsen das einzige Land ist, das diese Pflegestützpunkte nicht umsetzt. Ich weiß, dass es Modellversuche gibt, das anders zu regeln. Ich würde mir wünschen, dass wir die Vorgaben, die dort gemacht worden sind und an denen sich alle anderen Bundesländer beteiligen, auch in Sachsen umsetzen.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Ein weiterer Punkt ist der Erhalt der kulturellen Vielfalt. Das hat viel damit zu tun, dass man über Kultur die Lebensqualität verbessern kann und dass Menschen stärker den Wunsch verspüren, bestimmte Identitäten aufzunehmen und für sich selbst zu empfinden; denn Kultur ist eben mehr. Kultur ist auch ein Standortfaktor und die Quelle wirtschaftlicher Wertschöpfung. Deshalb darf die Teilnahme an Kultur, gerade im ländlichen Raum, aus der Sicht der SPD keine Frage des Geldbeutels sein.

(Beifall der Abg. Margit Weihnert, SPD)

Wir als SPD haben uns immer dafür eingesetzt – und da ist eine erfolgreiche Politik nachzuweisen –, dass wir eine Entfristung des Kulturraumgesetzes wollten, die umgesetzt worden ist. Es sind mehr Mittel in die Kulturräume geflossen. Ich denke, dass das ein richtiges und wichtiges Signal war.

Wenn wir uns den ländlichen Raum anschauen, müssen wir uns Gedanken über die Sicherheitslage im ländlichen Raum machen. Es gibt ein subjektives Sicherheitsempfinden, dass die Menschen der Auffassung sind, dass immer weniger Polizei und immer weniger Ansprechpartner für sie da sind. Darauf müssen wir reagieren. Man muss darüber nachdenken, ob man den Mut hat, dort antizyklische Politik zu betreiben. Sparen um jeden Preis ist nicht der richtige Weg. Wenn wir schon weniger Polizei haben, müssen wir zu mehr Technikeinsatz übergehen. Wir müssen auch darüber nachdenken, dass die Polizei, wenn sie ihre Aufgaben wahrnehmen will, dafür ausreichende Technik und Möglichkeiten zur Verfügung gestellt bekommt. Diese Aufgabe haben wir.

(Volker Bandmann, CDU: Kennzeichenlesegerät!)

Kollege Bandmann, ein Kennzeichenlesegerät im ländlichen Raum einzuführen führt wahrscheinlich dazu, dass wir demnächst wissen, wer die Kfz-Haftpflicht bezahlt hat und wer nicht. Sie werden doch nicht ernsthaft glauben, dass wir dadurch einen einzigen Kriminellen dingfest machen, weil er mit seinem privaten Fahrzeug einen Banküberfall begangen hat. Also, das kann nicht die Antwort sein.

(Beifall bei der SPD – Volker Bandmann, CDU: Die Praxis zeigt das aber!)

Wir sollten uns überlegen, wie wir Technik sinnvoll einsetzen, die den Menschen auch das Sicherheitsempfinden gibt, das sie brauchen.

Zum Schluss noch ein wichtiger Punkt: die Stärkung des Ehrenamtes: Hier haben wir einen besonderen Handlungsbedarf. Wenn man sich nicht nur das Wahlergebnis zur Landtagswahl ansieht, sondern auch die Wahlergebnisse zu den Kommunalwahlen, gibt es einen Zusammenhang zwischen Wahlergebnissen der Nazis in diesem Land und den ländlichen Strukturen. In den ländlichen Strukturen gibt es leider Gottes einen höheren Anteil von Wählerstimmen für die Neonazis, die auch hier im Saal sitzen. Deshalb ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, wie wir ausreichend Angebote für Jugendarbeit zur Verfügung stellen, dass wir gerade in kleinen Ortschaften alternative Angebote schaffen und die Angebote, die wir im Rahmen unseres Programms „Weltoffenes Sachsen“ bereitstellen, aufstocken. Denn wir müssen alles dafür tun, damit Toleranz und Demokratie in diesem Land gefördert werden.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Dazu gehören auch Überlegungen, wie wir im Ehrenamt Teile besonders fördern, zum Beispiel im Bereich der Sportförderung. Wenn wir uns im ländlichen Raum umsehen, wer dort vor Ort noch ehrenamtlich aktiv arbeitet – unser aller Dank gilt natürlich dafür, dass sie es tun –, dann stellen wir fest, dass das im Wesentlichen der Sport und die Feuerwehr sind. Deshalb müssen wir die Sportförderung auf eine neue Qualität bringen.

Eine neue Qualität ist aus der Sicht der SPD-Landtagsfraktion, dass wir uns zukünftig mit dem Thema eines Sportfördergesetzes auseinandersetzen sollten, in dem die finanzielle und ideelle Förderung des Sportes auf eine neue Stufe gehoben wird. Wir sind der Auffassung, dass den Kommunen ausreichend Geld zur Verfügung gestellt werden muss, um Sportförderung durchführen zu können. Dafür gibt es den Entwurf eines Sportfördergesetzes der SPD. Ich lade gern alle ein, mit uns darüber zu diskutieren.

Auch für den Bereich der Feuerwehren können wir uns vorstellen, neue Wege zu gehen. Es macht Sinn, für ehrenamtliche Feuerwehrleute Anreize zu schaffen. Eine Frage, die wir gemeinsam diskutieren werden – ich weiß, dass wir den Innenminister dabei mit im Boot haben –,

ist, ob wir nicht Anreize im Rahmen einer sogenannten Feuerwehrrente schaffen könnten. Auch das macht Sinn, um auf der einen Seite nicht nur das Thema Brandschutz zu realisieren, sondern auf der anderen Seite gerade im ländlichen Raum, wo die Feuerwehr eine wichtige soziale Rolle übernimmt, ein klares Signal zu setzen.

(Beifall bei der SPD)

Abschließend sei gesagt: Sachsen steht vor schwierigen Herausforderungen – das ist so –, aber nur besondere politische Anstrengungen können verhindern, dass der ländliche Raum zur Peripherie wird. Wir wollen, dass Sachsen in seiner Gesamtheit ein starkes Land bleibt und nicht, dass der ländliche Raum abgekoppelt wird. Denn sonst besteht die Gefahr, dass es zu einer weiteren sozialen Spaltung kommt zwischen denen, die in den Ballungszentren angesiedelt sind und dort alle Vorteile nutzen können, und jenen, die sich im ländlichen Raum abgehängt vorkommen.

Wir Sozialdemokraten stehen dafür, dass wir verantwortungsbewusst mit diesen Menschen umgehen und dafür Lösungen finden müssen. Ich bin mir sicher, dass wir das auch zukünftig tun werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile das Wort der Fraktion der NPD; Herr Dr. Müller, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatsminister Kupfer sprach vorhin mit blumigen Worten in seiner Regierungserklärung von der Zukunft des „Landes“ und schwelgte in der Auflistung angeblicher Erfolge in der Entwicklung des ländlichen Raumes. Doch wenn man sich die Entscheidungen der letzten Jahre und die reale politische Entwicklung ansieht, dann sieht die Zukunft des ländlichen Raumes eher düster aus.

Ich erinnere mich noch gut an die Debatten zur demografischen Entwicklung. Dort wurde von den derzeit hier herrschenden Parteien hinsichtlich des ländlichen Raumes vom notwendigen Entstehen sogenannter Entleerungsräume gesprochen, da das Erhalten der Versorgungsstandards zu beherrschbaren Kosten bei sinkender Bevölkerungszahl nicht mehr beherrschbar sei.

Doch punktgenau, kurz vor den Wahlen, fällt der CDUdominierten Staatsregierung plötzlich ein, dass man ja auch auf dem Land Wählerstimmen holen kann, und sie täuscht urplötzlich Aktionismus vor. Auch der Koalitionspartner SPD kommt ganz plötzlich aus dem politischen Nirwana hervor und präsentiert ein neues Leuchtturmprogramm für den ländlichen Raum, um noch ein paar Wählerstimmen zu erhaschen. Bisher fand SPD im ländlichen Raum gar nicht statt.

Die Kernfrage, die sich dabei jeder Wähler stellen sollte, ist aber, warum beide Koalitionsfraktionen nicht schon in den vergangenen fünf Jahren eine entsprechende Politik

verfolgt haben, um den ländlichen Raum zu stärken. Mir fallen dazu beispielsweise sofort die letzten Haushaltsverhandlungen ein.

Der letzte Doppelhaushalt, der mit der Mehrheit der Koalitionsstimmen verabschiedet wurde, hat deutlich gezeigt, dass gerade im ländlichen Bereich massiv gekürzt wurde. Nun plötzlich präsentiert sich die Koalition aber als Retter der Landbevölkerung. Besonders schlimm ist, dass die Mittelkürzungen für die kommenden Jahre gerade die Bereiche treffen, die für die Zukunft der ländlichen Regionen Sachsens und die dort lebenden Menschen von existenzieller Bedeutung sind. Zum einen betrifft dies Mittel, die für direkte Investitionen im ländlichen Raum, also in den Kommunen, vorgesehen waren und zum anderen die Mittel für die finanzielle Förderung von Investitionen, die die Grundlage für Arbeitsplätze im ländlichen Raum darstellen. Dass gerade diese Mittel den Kürzungen zum Opfer gefallen sind, zeigt deutlich, wie wenig sich die Politik von CDU und SPD eigentlich an der Zukunft der ländlichen Regionen orientiert und wie stark dies noch immer auf die urbanen Leuchttürme ausgerichtet ist.

In Bezug auf den ländlichen Raum läuft die Koalition mit ihrer Politik wieder einmal den Ereignissen hinterher. Sie haben sich in der Enquete-Kommission fast ausschließlich darüber Gedanken gemacht, wie man die ländliche Infrastruktur an den Bevölkerungsschwund und die Abwanderung der Jugend anpassen könnte, statt die Ursachen dieser Misere entschieden zu bekämpfen.

Aus der Sicht der NPD-Fraktion muss der Hauptschwerpunkt des Mitteleinsatzes zukünftig in der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Verbesserung der Einkommensmöglichkeiten im ländlichen Raum liegen, denn nur eine spürbare Verbesserung der Einkommenssituation im ländlichen Raum ist ein wirksames Mittel gegen die Abwanderung der Jugend aus den strukturschwachen ländlichen Bereichen in Sachsen. Jugend bedeutet Zukunft für das Land und seine Regionen. Dies spiegelt der im letzten Jahr beschlossene Haushalt aber leider kaum wider.