Protocol of the Session on May 14, 2009

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Zweitens. Dafür trägt der Staatsminister der Justiz die politische Verantwortung. Da er diese Verantwortung nicht für mich sichtbar wahrnimmt und da es sich um ich weiß nicht den wievielten Fall in diesen Angelegenheiten handelt, frage ich mich, ob der Sprecher der Staatsanwaltschaft in heimlichem Einverständnis mit Herrn Mackenroth handelt. Keine Ahnung! Ich kann jedenfalls keine Aktivitäten seitens des Justizministers in dieser Frage erkennen.

Aber der Fall Nolle wirft auch noch andere Fragen auf. Hier müssen wir auch sehr sorgfältig formulieren. Ich sage es einfach mal so. Für mich drängt sich eindeutig der Verdacht auf, dass hier ein missliebiger Abgeordneter mit den Mitteln der Justiz mundtot gemacht werden soll. Ich sage das ganz bewusst. Ich glaube in dieser Frage nicht mehr, dass es sich tatsächlich um ein Verfahren handelt, das die Justiz rein aus rechtlichen Aspekten heraus eingeleitet hat. Ich glaube, hier wurde gedreht, um Karl Nolle in ein schlechtes Licht zu rücken. Wenn dem tatsächlich

so ist – und deshalb sind die Fragen von Klaus Bartl wirklich im Hohen Haus zu beantworten –, wäre das ein schlimmes Zeichen für den Zustand unserer Justiz.

Es gibt ja noch andere Fälle. Ich möchte nur daran erinnern, wie die Staatsanwaltschaften mit allen Zeugen, Beamten und Mitarbeitern von Verwaltungen in Sachsen umgehen, die eine andere Version über den sogenannten Sachsensumpf und die Aktenaffäre verbreiten. Das ist schon sehr erstaunlich. Aufgrund einer Kleinen Anfrage von mir im März kam heraus, dass mehr als 70 Disziplinar- und Ermittlungsverfahren in dieser Angelegenheit gegen Journalisten, Mitarbeiter der sächsischen Verwaltung und andere geführt werden. Das ist mittlerweile ein Großverfahren. All das geschieht offensichtlich, um die Version der Staatsregierung zu stützen.

Die Staatsanwaltschaft hat sich demaskiert, als sie im Dezember 2008, ohne dass die Vernehmung eines Zeugen beendet war, ohne dass überhaupt eine Presseberichterstattung erfolgte, allein auf eine Agenturmeldung hin ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte. Offensichtlich steht die Staatsanwaltschaft Dresden zähnefletschend – ich muss es so plakativ sagen und entschuldige mich auch gleich dafür – in den Startlöchern, beobachtet, was im Untersuchungsausschuss passiert und hat im Grunde schon das Fax bereitgelegt, um die neue Anklage herauszuschießen. Das ist eine Verfahrensweise, die auch mit dem Respekt vor dem Parlament und dem Untersuchungsauftrag nichts zu tun hat. Die politische Verantwortung dafür trägt der Justizminister.

Herr Kollege Schiemann, ich möchte Ihnen im Namen meiner Fraktion meinen Respekt für Ihre große Rede ausdrücken.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Sie haben gezeigt, dass auch eine regierungstragende Fraktion in der Lage ist, wenn es darauf ankommt, die Kontrolle der Staatsregierung auszuüben. Dafür meinen ausdrücklichen Dank und meinen Respekt.

(Beifall des Abg. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE, bei der Linksfraktion und der FDP)

Ich erteile das Wort der Linksfraktion; Herr Bartl, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Schiemann, ich schließe mich dem bekundeten Respekt ausdrücklich an. Ich will nur etwas richtigstellen. Es ist nicht richtig, dass wir uns zum ersten Mal wegen des laxen Umgangs der Staatsanwaltschaft – und dafür trägt tatsächlich der Justizminister die politische Verantwortung, jedenfalls dann, wenn es um Immunitätsangelegenheiten geht – beschwert haben. Ich darf darauf hinweisen, dass es unsere Fraktion war, die vor etwa drei Monaten im Geschäftsordnungs- und Immunitätsausschuss im Fall Nicolaus ausdrücklich erklärt hat, dass die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft offenkundig rechtswidrig ist.

Obgleich die Abgeordnete erklärt hat, dass sie alle Unterlagen, die ihr Verfahren betreffen, bereithält und der Amtsleiter eine entsprechende Erklärung vorlegt, dass das abgeholt werden kann, wird dennoch durchsucht. Das ist einfach rechtswidrig. Ich bedaure es sehr, dass die Aufhebung der Immunität durch die Stimmen der CDU zustande kam, während wir uns enthalten haben. Davon wissen Sie vielleicht nichts, Herr Schiemann.

Wir waren genauso diejenigen, die im Fall Hermsdorfer gesagt haben, dass es nicht korrekt ist. Das hatte nie etwas mit Abgeordneten unserer Fraktion zu tun. Es geht um das prinzipielle Problem, dass wir das Parlament in seiner Funktionsfähigkeit und den Abgeordneten auch vor politischem Missbrauch von Strafverfahren über diesen Weg schützen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Inzwischen hat es verschiedene Fraktionen betroffen. Uns betraf es zum Beispiel ähnlich im Jahr 2005 am Tage des Wahlauftaktes in Leipzig. An dem Tag, als der Spitzenkandidat der Fraktion, Prof. Dr. Porsch, den Wahlkampf eröffnen will, wurde bekannt gegeben, dass der Staatsminister für Wissenschaft und Kunst ihn gerade fristlos entlassen hat. Das erfährt er dort auf Fragen von Medienvertretern. Wenn diese Art und Weise von Rechtshandhabung, direkt durch ministeriellen und behördlichen Akt oder über die Staatsanwaltschaft vermittelt, in Wahlzeiten kommt, dann greifen Sie auf Wählerwillen durch!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Es geht in einer gewaltengeteilten Gesellschaft, wenn die Exekutive es sich leisten kann, Teile des Justizapparates dafür einzuspannen, bestimmte missliebige Politiker zu dem Zeitpunkt, an dem es besonders wichtig und genehm ist, an den Pranger zu stellen, und wenn sie das gnadenlos tut und bis hin zur Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz durchgreift – siehe Fall Karl Nolle – weit über das Erträgliche und das Rechtsstaatgemäße hinaus.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich will jetzt die Antwort haben. Definitiv! Wir wissen um die leidige Vorschrift, die sich Organisationsstatut der Staatsanwaltschaft nennt, und dass in diesem Organisationsstatut in Ziffer 9 die Festlegung getroffen ist, dass der Generalstaatsanwalt dem Staatsminister der Justiz immer dann zu berichten hat, wenn er einer Strafsache besondere Bedeutung beimisst. Besondere Bedeutung hat eine Strafsache dann, wenn sie öffentliches Interesse erregt, voraussichtlich erregen wird oder von herausgehobener rechtlicher oder tatsächlicher Komplexität ist. Dazu behalten Sie sich eine Unterrichtung vor und wollen die entsprechenden Absichtsberichte haben, Herr Staatsminister.

Da frage ich: Hat der Absichtsbericht, hat das entsprechende Schreiben nach Ziffer 3 der Generellen Genehmigung vorher bei Ihnen oder einem Ihrer Abteilungsleiter vorgelegen? Ist vor Unterschrift und bevor es versandt worden ist, darüber gesprochen worden? Wenn das der

Fall ist, dass im Justizministerium entschieden werden kann, ob und wann der leitende Oberstaatsanwalt oder der Generalstaatsanwalt die Immunitätsaufhebung von Abgeordneten einleitet, greifen Sie direkt auf das Parlament und direkt auf die Rechtspflege durch. Das ist letztlich aus unserer festen Überzeugung heraus dann eine Situation, die sich nicht mehr mit dem Amt eines Justizministers vereinbart.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Deshalb waren uns heute weder die Dienstflagge noch der Klodeckel noch die Gärtnerinnenarbeit von Bedeutung. Beim Letzteren wird es schon etwas „krimineller“. Ansonsten sind das für uns Petitessen. Das hat nach meiner Auffassung die „SZ“ mit der Posse am Wochenende sehr schön beschrieben. Worüber wir aber jetzt reden, das ist der absolute Ernst des Lebens im Verhältnis zwischen Parlament, Exekutive und Justiz. Hier geht es darum, dass wir exakt als Parlament diese gegenseitige Loyalität der Gewalten schützen. Wir wollen die Justiz vor diesem Missbrauch in Schutz nehmen. Es nützt überhaupt nichts, wenn sich dann ein Staatsanwalt mehr oder weniger im Ton vergreift. Hier gilt das Stichwort, dass das Problem immer beim Kopf beginnt. Der Kopf ist in diesem Fall das Justizministerium.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Herr Bräunig, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte erst einmal abwarten, wie sich die Debatte entwickelt und ob sich die verschiedenen Redner lediglich der Benennung des Problems widmen oder vielleicht auch der Problemlösung.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das haben wir getan!)

Das Kernproblem, das Dilemma, in dem wir uns quasi befinden, ist hier ausreichend benannt: Die sächsische Justiz ist nicht ausreichend vor Einflussnahme durch die Exekutive geschützt.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wer aber nun gehofft hatte, die Fraktionen würden sich auch der Lösung des Problems widmen, statt wiederholt nur wieder auf die Missstände hinzuweisen, wurde leider enttäuscht. Es reicht nicht – da muss ich dem Kollegen Schiemann widersprechen –, wiederholt an die Staatsregierung zu appellieren, die Justiz in Ruhe zu lassen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Man muss die Spitze auswechseln!)

Es reicht auch nicht, den Justizminister zum Rücktritt aufzufordern – was Sie nicht getan haben, aber unterschwellig. Ich stelle mir die Frage: Ist es denn nicht endlich an der Zeit zu handeln, bevor das Fass irgendwann zum Überlaufen kommt?

(Beifall und Zurufe von der Linksfraktion)

Dafür gibt es aus unserer Sicht nur einen Erfolg versprechenden, weil finalen Weg, aus diesem Dilemma herauszukommen, und der heißt: Selbstverwaltung der Justiz.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Genau um dieses Thema hat sich insbesondere die Neue Richtervereinigung verdient gemacht. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich erwähnen.

(Zurufe von der Linksfraktion)

In diesem Zusammenhang darf ich Sie auf das „Dresdner Plädoyer für den unabhängigen Staatsanwalt“ hinweisen, das renommierte Mitglieder der Neuen Richtervereinigung hier im Freistaat Sachsen veröffentlicht haben – eine Lektüre, die ich Ihnen sehr gerne ans Herz lege.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Das haben wir lange gelesen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemand zweifelt ernsthaft daran, dass die Strafrechtsprechung nur durch unabhängige, von politischen Einflüssen freie Gerichte wahrgenommen werden kann. Genau aus den gleichen Gründen kann effektive Strafverfolgung auch nur durch wirklich unabhängige Staatsanwälte stattfinden. Es gibt aus unserer Sicht keinen vernünftigen Grund, die Dienstaufsicht über die Staatsanwaltschaft weiterhin durch den Justizminister ausüben zu lassen.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Man könnte maximal die parlamentarische Kontrolle hier als Einwand anführen. Natürlich ist der Minister jederzeit dem Parlament auch über Vorgänge innerhalb der Staatsanwaltschaft rechenschaftspflichtig. Man kann aber zum Beispiel die Dienstaufsicht auch direkt beim Generalstaatsanwalt ansiedeln. Der Generalstaatsanwalt könnte aus unserer Sicht zukünftig auch vom Parlament gewählt werden.

Die Neue Richtervereinigung hat Selbstverwaltungsmodelle auch in anderen europäischen Ländern unter die Lupe genommen, beispielsweise in Italien. Dort gibt es einen verfassungsmäßig legitimierten Selbstverwaltungsrat der Richter und Staatsanwälte. Dieses Selbstverwaltungsorgan ist unter anderem für die Ernennung, Beförderung, Zuweisung, Versetzung oder auch für Disziplinarverfahren der Richter und Staatsanwälte allein zuständig. Damit sollen indirekte Formen der Einflussnahme, zum Beispiel durch eine gezielte ministerielle Personalpolitik, verhindert werden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir würden der Demokratie in unserem Lande – die freiheitliche Grundordnung, aus der sich der Rechtsstaat definiert, ist heute schon mehrfach beschworen worden – einen großen Dienst erweisen, wenn wir uns intensiv und

ernsthaft mit Selbstverwaltungsmodellen in der Rechtsprechung beschäftigen würden.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion)

Ein langer und steiniger Weg wird das ohnehin. Das wissen wir alle. Die Änderung des Grundgesetzes gehört ebenso dazu wie eine Novellierung des Gerichtsverfassungsgesetzes und anderer Vorschriften. Das bedeutet, es kann auch keinen sächsischen Alleingang geben. Das ist Bundesangelegenheit. Aber der Freistaat Sachsen ist bekannt dafür, dass er sich gern einmal im Bundesrat mit unterschiedlichen Initiativen an die Speerspitze verschiedener Bewegungen setzt; warum nicht auch bei der Selbstverwaltung der Justiz? Das würde uns in keinem Fall schaden, im Gegenteil, es öffnete auch einigen Landespolitikern die Möglichkeit, sich bundesweit einen Namen zu machen.

Lassen Sie uns darüber ins Gespräch kommen. Jetzt ist erst einmal Wahlkampf, ganz klar. Aber die Fraktionen des 5. Sächsischen Landtages sollten sich mit entsprechenden Initiativen einbringen. Die SPD-Fraktion wird das Thema auf ihrer Agenda haben. Selbstverwaltung ist unser langfristiges Ziel.