Protocol of the Session on March 11, 2009

Meine Damen und Herren! Wir stimmen nun noch einmal über den gesamten Gesetzentwurf ab. Wer stimmt zu? – Wer ist gegen dieses Gesetz? – Wer enthält sich? – Bei Stimmenthaltungen und keiner Gegenstimme ist das Gesetz bestätigt.

Da keinerlei Änderungen vorliegen, meine Damen und Herren, eröffne ich nach § 46 unserer Geschäftsordnung die 3. Beratung. Es liegt kein Wunsch zur allgemeinen Aussprache vor. Ich lasse in der 3. Lesung endgültig abstimmen über das Gesetz zur Änderung des Sächsischen Kirchensteuergesetzes. Wer ist dafür? – Danke schön. Wer kann nicht zustimmen? – Wer enthält sich? – Bei Stimmenthaltungen und keiner Gegenstimme ist dieses Gesetz soeben beschlossen worden. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen.

Meine Damen und Herren! Wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 11

2. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Bestellung von hauptamtlichen kommunalen Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen in Sachsen (SächsBehindertenbeauftragtenG)

Drucksache 4/13943, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 4/14820, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend

Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Die einreichende Fraktion GRÜNE beginnt. Frau Herrmann, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetzentwurf unserer Fraktion wollen wir erreichen, dass in den Landkreisen und kreisfreien Städten hauptamtliche Behindertenbeauftragte eingesetzt werden. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, verfolgen wir zuallererst ein Ziel: Wir wollen den Betroffenen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Sie brauchen diese Unterstützung, um ihre Interessen durchzusetzen.

Wir haben diesen Gesetzentwurf in Absprache und Abstimmung mit den Behindertenbeauftragten der verschiedenen Ebenen verfasst, also auch kommunalen Beauftragten und den Beauftragten der Staatsregierung. Alle Beauftragten unterstützen unser Anliegen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weshalb brauchen wir Beauftragte für Menschen mit Behinderungen? Das ist die Frage, die auch im Ausschuss wieder diskutiert worden ist. Ich könnte jetzt mit Ihnen gemeinsam einen philosophischen Diskurs über die Definition und den Umgang mit Krankheit, Gesundheit, Normalität und Realität in dieser Gesellschaft anstrengen. Ich werde das aber an dieser Stelle nicht tun, sondern mich ganz konkret auf das konzentrieren, was wir in unseren Kommunen vorfinden.

Warum brauchen wir einen Beauftragten für Menschen mit Behinderung? Wir sind der Meinung, ein Beauftragter kann die Belange der Betroffenen gegenüber der Verwaltung vertreten. Er kann die Öffentlichkeit für die Situation von Menschen mit Behinderungen sensibilisieren. Er ist Ansprechpartner für Betroffene. Er kann wie kein anderer den Kontakt zu Selbsthilfegruppen und Verbänden herstellen, halten und die Vernetzung untereinander beför

dern. Bevor Sie mir jetzt sagen, das gehe auch ohne Beauftragte, schauen wir uns die Situation vor Ort doch einmal an.

In der Vergangenheit waren die Beauftragten in der Mehrheit ehrenamtlich tätig. In den Kommunen wurde viel erreicht. Ich selbst war im Kreistag Zwickauer Land und habe dort die Tätigkeit des ehrenamtlich Beauftragten, Herrn Steger, über Jahre verfolgen können. Wir hatten eine gute Zusammenarbeit. Was er erreicht hat, kann sich sehen lassen.

Es ist diese Arbeit in den Kommunen, die dazu beigetragen hat, dass sich dort etwas verändert hat, und es hat sich auch in den Köpfen der Menschen etwas verändert. Viele denken heute anders über ihre Mitmenschen mit Handicap.

Ich möchte aber drei ganz konkrete Beispiele aus der Vergangenheit vorstellen, die zeigen, was erreicht worden ist.

Das ist zum einen der barrierefreie Zugang. Hiermit meine ich den baulich barrierefreien Zugang und keinen anderen. Wenn wir in unsere Kommunen gehen, sehen wir, dass dort viel verändert worden ist, zum Beispiel die Zugänge zu Museen. Dort war Barrierefreiheit aufgrund des Denkmalschutzes nicht so einfach zu erreichen. Da ist viel passiert.

Was wir auch sehen können: Die Beauftragten kennen die Situation vor Ort und sie kennen ihre Partner. Sie mischen sich ein. Sie kennen die Unterstützungsangebote. Das ist wichtig, um den Betroffenen zur Seite zu stehen.

Beauftragte sind Partner auch für die Kreis- und Stadträte, wenn diese als kommunale Abgeordnete Entscheidungen zu treffen haben. Für uns wäre das gar nicht anders möglich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kennen auch unsere Innenstädte. Machen wir uns nichts vor: Nach wie vor sind unsere Innenstädte an vielen Stellen eben nicht behindertengerecht. Hier stellt sich die Frage, ob sie dann für eine älter werdende Bevölkerung gerecht sind. Wenn wir das sehen, was heißt das für den vielerorts anstehenden Städteumbau?

Wie sieht es im ländlichen Raum mit dem ÖPNV und dem barrierefreien Zugang aus? ÖPNV wird in Zukunft viel stärker für ältere Menschen die Möglichkeit sein, mobil zu bleiben. Wir wissen ganz genau, dass im ländlichen Raum der ÖPNV nicht barrierefrei ist. Von der Deutschen Bahn will ich an dieser Stelle gar nicht reden, denn auf diese hat die Kommune nur am Rande Einfluss. Was allerdings ein Behindertenbeauftragter machen kann: Er kann sensibilisieren. Da habe ich auch die Hoffnung, dass vielleicht bei der Deutschen Bahn nicht alles verloren ist.

Wir haben gerade heute gehört, es werden Bauplanungen vorangetrieben und Bauleistungen im Zusammenhang mit dem Konjunkturpaket vergeben. Das muss sehr schnell geschehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Werden

dabei die Interessen von Menschen mit Behinderungen ausreichend beachtet? Ich befürchte, nein.

Diese Beispiele zeigen ganz deutlich, dass wir Beauftragte brauchen, und zwar für alle diese Aufgaben, die ich am Anfang aufgeführt habe: Sensibilisieren, Unterstützen und Belange vertreten. Fragen Sie Betroffene, alle werden sofort Beispiele nennen können, wodurch sie benachteiligt sind, und das trotz Antidiskriminierungsgesetz. Dieses Gesetz muss umgesetzt werden und dazu brauchen wir Beauftragte.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten im vorigen Jahr eine einschneidende Verwaltungs- und Funktionalreform. Sie hat zu neuen und größeren Landkreisen geführt und ganz nebenbei hat sie die Situation für Menschen mit Behinderungen verschlechtert. Wir haben an dieser Stelle immer wieder darauf hingewiesen, dass bisherige Landesaufgaben, die laut Integrationsgesetz barrierefrei zu erfüllen waren, an die Kommunen übergeben wurden und die Kommunen diese Aufgaben laut Gesetz nicht barrierefrei zu erbringen haben. Es gibt Kommunen, die sich sehr bemühen. Wir haben das hier einmal Postleitzahlenlotterie genannt. Es kommt also ganz darauf an, wo jemand wohnt, ob diese Aufgabe dort barrierefrei erbracht wird oder nicht. Damit haben wir eine neue Situation.

Damit im Zusammenhang steht die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaften. Dabei trägt Sachsen die rote Laterne. Bevor Sie mir jetzt wieder sagen, Beauftragte seien keine Mediziner, erkläre ich Ihnen, dass mir das bekannt ist, aber: Ich habe vorhin von Sensibilisierung und von Öffentlichkeitsarbeit gesprochen. Da kann durchaus ein Behindertenbeauftragter dazu beitragen, dass sich mehr Ärzte als Gutachter zur Verfügung stellen und die langen Wartezeiten abgebaut werden können.

(Beifall bei den GRÜNEN und teilweise bei der Linksfraktion)

Ein Drittes sind die weiten Wege. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landkreise sind größer geworden. Das bedeutet, wir haben weitere Wege. Das ist ehrenamtlich einfach nicht mehr zu bewältigen.

Noch einmal: Wir brauchen vor Ort Menschen, die die Belange von Menschen mit Behinderungen in ganz besonderer Weise zur Sprache bringen und dafür Sorge tragen, dass diese Belange im Handeln der Verwaltung, auch beispielsweise im öffentlichen Raum, beachtet werden. Einige Kommunen teilen diese Auffassung. Sie haben jetzt nach der Verwaltungsreform schon hauptamtliche Beauftragte eingesetzt. Aber es gibt durchaus noch Handlungsbedarf. Wir haben zum 10. März die Landkreise abgefragt, wie es dort aussieht. Ich werde Ihnen diese Tabelle jetzt nicht vorlesen, aber ich kann Ihnen sagen, vor allen Dingen im ländlichen Raum – zum Beispiel in den Landkreisen Sächsische Schweiz-Osterzgebirge oder Bautzen – ist bisher weder ein Behindertenbeauftragter noch ein Beirat bestellt.

(Stefan Brangs, SPD: Ehrenamtlich!)

Nein, auch nicht ehrenamtlich, Herr Brangs. Viele Kommunen haben die Stellen ausgeschrieben. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch eine Frage der Bedingungen. Wen stellen Sie sich unter den Voraussetzungen, die wir in Sachsen haben, denn als ehrenamtlichen Beauftragten vor? Einen Rentner? Einen Arbeitslosen im Ehrenamt? Oder doch einen Menschen in der Verwaltung nebenbei, der dann außer seiner Aufgabe noch im Landkreis umherfährt, um dort als Ansprechpartner vor Ort zur Verfügung zu stehen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun sollen zwar in Sachsen die hübschen Mädchen auf den Bäumen wachsen, aber ich glaube nicht, dass das auch für Beauftragte für Menschen mit Behinderungen zutrifft, die Ihnen dann quasi in den Schoß fallen. Das heißt aber: Schaffen Sie die Rahmenbedingungen, dass diese Tätigkeit attraktiv wird, und damit für alle Beteiligten erfüllend und erfolgreich!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Sächsische Landkreistag kritisiert das Gesetz generell und spricht von einem unangemessenen Eingriff in die kommunale Organisationshoheit, der nur dann gerechtfertigt wäre, wenn die Kommunen ihren Aufgaben nicht angemessen nachkommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wartezeiten auf die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft von über einem Jahr zeigen wohl, dass die Kommunen im Moment nicht in der Lage sind, diese Aufgabe angemessen zu erfüllen, auch wenn sie daran nicht schuld sind, denn sie haben diese Berge von Anträgen übernommen. Im Moment sind sie aber offenbar nicht in der Lage, ihrer Aufgabe ausreichend Folge zu leisten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt andere Bundesländer wie beispielsweise Sachsen-Anhalt, die ihre Kreise und kreisfreien Städte verpflichten, hauptamtliche Behindertenbeauftragte zu bestellen, auch wenn dies einen Eingriff in die Organisationshoheit der Kommunen bedeutet. Das Argument in Sachsen-Anhalt ist: Damit wird ein wesentlicher Belang des Bundes- und Landesverfassungsrechtes effektiv durchgesetzt. Es bleibt auch noch genügend Raum für eigene Organisationseinscheidungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun noch ein kurzer Ausblick: Deutschland tritt in den Ratifizierungsprozess der UN-Behindertenkonvention ein. Diese gilt für alle Ebenen, auch für die kommunalen. Im Artikel 33 „Innerstaatliche Durchführung und Überwachung“ ist beschrieben, dass die Vertragsstaaten eine oder mehrere Anlaufstellen für Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Durchführung des Übereinkommens bestimmen sollen.

Frau Herrmann, schauen Sie bitte mal auf die Uhr.

Ich komme zum Ende. – Wer wäre dazu besser geeignet als hauptamtliche Behindertenbeauftragte? Stimmen Sie deshalb unserem Entwurf zu.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Danke schön. – Meine Damen und Herren! Die Koalition hat sich geeinigt, mit einem Redner ins Gespräch zu gehen. Jetzt kommt aber erst die Linksfraktion; Herr Wehner, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass sich die Fraktion der CDU offenbar zu dem hier in Rede stehenden Gesetzentwurf nicht zu äußern vermag.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, hat Ihnen schon jemand angeboten: Selbstverständlich tragen wir Sie auch? Meine Damen und Herren, müssen Sie sich regelmäßig darüber Gedanken machen oder Pläne schmieden, ob Sie dort, wohin Sie eingeladen sind, überhaupt zurechtkommen? Ich muss es tun. Viele meiner Gleichbetroffenen, somit Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, aber auch andere Menschen mit geistigen, seelischen oder Sinnesbeeinträchtigungen müssen dies tun. Es ist nicht überall so gut wie hier im Sächsischen Landtag. Es kommt leider noch viel zu häufig vor – für mich, für Gleichbetroffene –, dass ich, wenn ich zu Veranstaltungen eingeladen bin, wieder abrücken muss, weil ich da überhaupt nicht zurechtkomme.

Meine Damen und Herren! Ich selbst habe es erleben müssen, weil ich mich schon einmal darauf eingelassen habe, über Treppen getragen zu werden, und dass dann die Leute, die so hilfreich waren, mich zu tragen, die Balance verloren haben und ich mitsamt dem Rollstuhl die Treppen nach unten gefallen bin. Und das einfach deshalb, weil wir eben in Sachen Barrierefreiheit immer noch nicht da sind, wo wir bereits meinen schon immer zu sein. Ich finde das einfach unmöglich.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Erleben Sie Hörbehinderte, wenn Sie an Veranstaltungen teilnehmen, dass diese gar nichts wahrnehmen können, weil Veranstalter überhaupt nicht auf die Idee kommen, Gebärdensprachdolmetscher oder Schriftdolmetscher einzuladen? Es sei doch ihre eigene Angelegenheit, wie sie dann am Leben teilhaben können.

Meine Damen und Herren! Ist Ihnen bewusst, dass in den Städten ältere Menschen leben, die ihre Wohnung nicht mehr verlassen können, weil sie da Treppen überwinden müssen, aber keine Aufzüge vorhanden sind? Und dann forderten Behindertenbeiräte vor Ort diese ein, haben aber keine Chance. Wir müssen uns immer wieder sagen lassen, wie beispielsweise auch im letzten Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend: Die

Abgeordneten sind doch alle bereit und sensibilisiert, sie treten für die Interessen der Behinderten ein.