Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorgang, um den es heute geht, ist in seinem tatsächlichen Ablauf eigentlich recht überschaubar. Trotzdem ist er Anlass genug, dass wir uns hier in dieser Debatte im Kern mit der Frage beschäftigen, wie es mit der Unabhängigkeit der Justiz in Sachsen bestellt ist.
Noch einmal kurz zum Vorgang selbst: Ein Referatsleiter eines Ministeriums steht im Verdacht, Strafvereitelung betrieben zu haben, indem er für einen Freund Ermittlungshandlungen der Polizei hinausgezögert hat. Der Staatssekretär des Innenministeriums ruft daraufhin bei der Staatssekretärin des Justizministeriums an und bittet, wie es heißt, um Deeskalierung. Die Staatssekretärin des Justizministeriums wirkt daraufhin über den Behördenleiter der Staatsanwaltschaft dermaßen deeskalierend ein, dass das Verfahren ohne weitere Sanktion nach § 153 StPO eingestellt wird. Das ist schon bemerkenswert, auch für den Fachkenner in solchen Strafermittlungsverfahren, meine Damen und Herren.
Der erste Gedanke ist: Hoppla, das ist mehr als ungeschickt. Der Justizminister wendet sich gegen bohrende Fragen und gegen Vorhaltungen damit, das sei eine diffamierende Kampagne, die hier losgetreten werde. Das wiederum erinnert eigentlich eher an die Parole „Haltet den Dieb!“. Schließlich kommt es sogar zu Rücktrittsforderungen von Richtervereinigungen. Das zeigt, dass hier im Hause der Justiz einiges schiefhängt, und zwar nicht nur der Haussegen, meine Damen und Herren.
Es ist weiter unklar hinsichtlich des tatsächlichen Ablaufes, welche Vorgänge im Innenministerium stattgefunden
insbesondere welches Amtsverständnis sich auf der Ebene der Staatssekretäre verbirgt, die meinen, man greift eben mal zum Telefon und sorgt dafür, dass das Ermittlungsverfahren gegen einen nachgeordneten Abteilungsleiter einen, sagen wir einmal freundlich, positiven Ausgang nimmt, und dem geschieht dann auch so. Das wirft natürlich Fragen auf, insbesondere beim Innenministerium, und die FDP hat bereits beantragt, dass sich der Innenausschuss noch einmal ausführlich mit dieser Seite der ganzen Affäre befassen wird.
Denn die Bewertung, meine Damen und Herren, liegt nahe, der Fall Hauser ist nicht singulär. Es ist nicht der erste Fall, in dem man den Eindruck haben muss, dass von Mitgliedern der Staatsregierung bewusst und gezielt Einfluss auf die Einleitung, die Durchführung und den Ausgang von Strafermittlungsverfahren genommen wird. Es war im Fall der sogenannten Polizeischulaffäre vor einigen Jahren nachweislich der Fall, dass hier Strafverfahren genutzt wurden, um politisch missliebige Beamte zu disziplinieren und aus dem Weg zu räumen. Es gab andere Ermittlungsverfahren, die allein aufgrund ihrer Einleitung und der öffentlichen Publizierung des Verfahrens eine zweifelsfrei einschüchternde Wirkung auf die Betroffenen haben sollten und möglicherweise auch gehabt haben.
Das ist zum Beispiel ein solcher Fall. Oder die Verfahrensflut im Zusammenhang mit der Causa Schommer gegen Journalisten in diesem Land. Sachsen ist besonders auffällig, wenn es um die Frage geht, wie unabhängig die Justiz wirklich ist. Diese Fragen bleiben weiter im Raum stehen; sie sind auch nicht allein auf den Fall Hauser beschränkt.
Meine Damen und Herren! Die Unabhängigkeit der Justiz ist Grundvoraussetzung für das Funktionieren eines Rechtsstaates. Vor allen Dingen: Kommt dieses Gut in Verruf oder wird es beschädigt, dann verlieren die Bürger das Vertrauen in die Institutionen der Justiz.
Deswegen ist schon der Anschein einer solchen Einflussnahme schädlich und zu vermeiden. Es gilt hier bereits den bösen Schein zu verhindern. Statt lautem Rufen, eine Diffamierungskampagne einzustellen gegen die Opposition, wäre es vielleicht angebracht, dass hier innerhalb der Justiz und innerhalb der Staatsregierung selbst diesem Grundsatz der Unabhängigkeit der Justiz ein wenig mehr Beachtung geschenkt werden würde.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Von einer unabhängigen Justiz in Sachsen sind wir weit entfernt – so scheint es, leider. Aber meint die Linksfraktion allen Ernstes, dass Frau Hauser die Wurzel allen Übels ist?
Danke für die Antwort. Wollen Sie der Staatsregierung die Steilvorlage für ein Bauernopfer geben, indem Sie das Bild einer „durchgeknallten“ Staatssekretärin malen, die unabhängig von ihrem Justizminister agieren würde? Nein, meine Damen und Herren, eine Entlassung von Frau Hauser, so geboten sie auch erscheint, würde an den eingeübten Grundstrukturen schwarzer Machtausübung und zuvorkommender Willfährigkeit in der Justiz seit 1990 nichts ändern.
Meine Damen und Herren von der Linksfraktion, klatschen Sie nicht! Sie machen es der Staatsregierung zu einfach. Herr Mackenroth kann sich edel schützend vor seine Staatssekretärin werfen und gegen Vorwürfe anonymer Briefe verteidigen. Ich möchte hier auch ganz klar sagen: Ich weigere mich, aufgrund anonymer Briefe eine Debatte über die Rechtsstaatlichkeit der sächsischen Justiz zu führen.
(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, vereinzelt bei der Linksfraktion und des Staatsministers Geert Mackenroth)
Nein, meine Damen und Herren, Frau Hauser ist nicht das Problem. Frau Hauser sitzt nur auf der Spitze des Eisberges, der unter der Oberfläche das Schiff der sächsischen Justiz schon längst gerammt hat. Die politische Verantwortung für das, was Frau Hauser verbockt hat, trägt aber Herr Mackenroth,
Es wurde von meinen Vorrednern schon gesagt: Der Kern des Skandals ist einfach umrissen. Offensichtlich gab es eine Anweisung, einen Hinweis, eine Information – wie auch immer man das auf Deutsch benennen will – vonseiten der Spitze des Justizministeriums, dass man dieses Verfahren doch bitte nach § 153 StPO einstellen möge. Herr Kollege Dr. Martens hat zu Recht darauf hingewiesen: Jeder Anwalt, der es in diesem Fall erreicht, kann sich wirklich zu den Besten seines Faches zählen.
Ich glaube gern, dass Frau Hauser im Bautzener Fall keine ausdrückliche Weisung erteilt hat, aber die war auch gar nicht notwendig. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage legt der Staatsminister nämlich seine Philosophie der Weisungsfreiheit dar: „Unbeschadet der Weisungsbefugnis pflegte die Landesjustizverwaltung einen dialogorientierten Führungsstil, der angesichts des gemeinsamen Strebens um ein ordnungsgemäßes, ohne Ansehen der Person geführtes Verfahren Weisungen erübrigt.“ Meine Damen und Herren, wie fein gedrechselt und wie nobel
gesagt! Das entspricht ganz dem gentlemanesken Auftreten des Herrn Justizministers. Aber wir lassen uns auch durch schöne Worte nicht für dumm verkaufen, Herr Mackenroth. Jeder weiß, wie subtil und hinterhältig Weisungen in unverdächtig erscheinenden Prüfaufträgen versteckt werden. Zumindest deutet der angerufene Oberstaatsanwalt die Anrufe der Frau Hauser in diese Richtung, nämlich das Verfahren möglichst schnell, geräuschlos und schmerzfrei für den Referatsleiter zu beenden.
Herr Mackenroth, wenn der Oberstaatsanwalt Frau Hauser hier missverstanden haben sollte, dann frage ich mich, warum es bis heute kein Disziplinarverfahren gegen den Referatsleiter gibt. Offensichtlich wurde hier genau das Ziel erreicht, das man im Innen- und Justizministerium für geboten hielt. Wenn es etwas an dem Verfahren gegen den Referatsleiter in Bautzen zu kritisieren gegeben hätte, dann hätte der Dienstweg über den Generalstaatsanwalt eingeschlagen werden müssen. Dann hätte es ein nachvollziehbares und transparentes Verfahren gegeben. Aber genau das sollte ja vermieden werden. Der ehemalige Datenschutzbeauftragte Herr Dr. Giesen hat in einem sehr bemerkenswerten Aufsatz darauf hingewiesen, wie wichtig die Einhaltung von Formalia gerade an dieser Stelle ist.
Ein größerer Skandal als der eigentliche Fehler der Frau Hauser ist aber, dass Sie, Herr Mackenroth, ihn in der Öffentlichkeit verharmlosen; denn wo die Einsicht fehlt, da kann es auch keine Besserung geben.
Eine weitere Gefahr für die Unabhängigkeit der Justiz ist das im Innenministerium offenbar herrschende Verständnis, dass man sich bei einem bestimmten Beschuldigten im SMJus nur persönlich einsetzen müsse, um ihn herauszuhauen. Was Herrn Dr. Staupe geritten hat, kann er uns in der nächsten Innenausschusssitzung berichten. Sein Verhalten fordert den Verdacht politischer Einflussnahme geradezu heraus, und er schadet dem Vertrauen in die Justiz fundamental. Die Bürger haben zu Recht das Gefühl, dass man die Strafverfolgung in Sachsen mit den richtigen Beziehungen beeinflussen könne.
Nein, meine Damen und Herren, wer die Unabhängigkeit der Justiz in Sachsen erreichen will, muss tiefer graben, als diese Debatte es tut. Wir müssen endlich die Richterschaft aus der Steuerung des Justizministeriums befreien. Wir brauchen die Selbstverwaltung der Justiz mit einem Justizverwaltungsrat und einem unabhängigen Gremium für die Stellenbesetzung. Wir brauchen die gleiche Bezahlung aller Richter. Wir brauchen die Abschaffung des externen Weisungsrechts an die Staatsanwälte, und wir brauchen auch eine Form der Selbstverwaltung der Staatsanwaltschaft.
Meine Damen und Herren! Geht Frau Hauser – was geboten ist –, dann ändert sich an der Abhängigkeit der Richter und Staatsanwälte vom SMJus gar nichts. In
diesem Sinne halten wir diese Debatte für ein Scheingefecht, so erforderlich sie aber auch angesichts der Weigerung von Herrn Mackenroth, den Ernst der Lage zu erkennen, ist. Der Justiz ist damit nicht geholfen. Der Justiz ist nur geholfen, wenn wir sie endlich in die Selbstverwaltung entlassen würden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lichdi, wir liegen in der Bewertung des Wertes der Aktuellen Debatte heute überhaupt nicht weit auseinander. Deshalb wollten wir ja im Wege der Selbstbefassung am 5. Januar eine in geschlossener Sitzung geführte, aber tiefer gehende Debatte. CDU- und SPD-Fraktion haben qua Stimmenmehrheit abgelehnt, sich überhaupt damit zu befassen. Also brauche ich erst einmal ein Vehikel, damit das Parlament auf das Problem aufmerksam wird.
Die Frage, Herr Staatsminister, ist für mich nicht vordergründig die Tatsache, was hier abgelaufen ist. Ich kann weitere Vorfälle hinzufügen. Es geht um einen Amtsgerichtsdirektor, der sich um die Stelle eines leitenden Oberstaatsanwaltes bewirbt. Laut der Publikation der Neuen Richtervereinigung Sachsen e. V. ist diese Sache mehr oder weniger in der Zeitung nachlesbar. Er bewirbt sich ursprünglich auf Vorschlag der Staatssekretärin selbst um dieses Amt des Leitenden Oberstaatsanwalts, wird dann von ihr zurückgepfiffen und, so der Vorwurf in der Periodika des Neuen Richtervereins, daraufhin wird dem Bewerber ein Urteil von Frau Hauser vorgehalten, das er als Richter gesprochen hat. Es wird ihm gesagt: Sehen Sie mal an, hier haben Sie doch die Gesamtstrafe im Tenor richtig gebildet, aber im Urteil falsch begründet. Nehmen Sie Ihre Bewerbung zurück. Wenn nicht, können Sie auch gut mit einem Aktensturz rechnen. Vielleicht finden wir weitere Flüchtigkeitsfehler. Was ist denn das, wo es unmittelbar um den öffentlichen Richter geht?
Das steht in einer Periodika der Neuen Richtervereinigung. Im Ergebnis finde ich von Ihnen keine klare Stellungnahme, sondern die Schelte, dass die Neue sächsische Richtervereinigung Kampagnen gegen die Staatsregierung startet.
Noch tiefer geht das Problem, wo der Kollege Lichdi den Finger drauf hat. Mein Problem ist exakt Ihre Antwort in der Stellungnahme an die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und in der Antwort auf die Kleine Anfrage des Kollegen Nolle. Dort antworten Sie auf die Frage, wie Sie die Vorgehensweise rechtfertigen wollen: „Im Übrigen pflegt die Landesjustizverwaltung ebenso wie der Gene
ralstaatsanwalt einen dialogorientierten Führungsstil, der angesichts des gemeinsamen Strebens um ein ordnungsgemäßes, ohne Ansehen der Person geführtes Verfahren Weisungen erübrigt.“ Glauben Sie allen Ernstes, Sie haben das Recht, einen Führungsanspruch gegenüber der dritten Gewalt zu erheben? Glauben Sie allen Ernstes, der Justizminister „führt“ in diesem Lande gegenüber Richtern und Staatsanwälten?
Dialogisieren mögen Sie ja bitte schön, aber doch nicht Führen gegenüber der dritten Gewalt! Was ist denn das für eine Auffassung von einem Anspruch der Gewaltenteilung in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung?
Herr Staatsminister, bei vielem, was ich in den letzten Monaten an Reaktionen auf den Fall Hauser an Denkmustern bei Ihnen feststelle, fühle ich mich zurückversetzt in mein erstes Leben. Damals in der DDR hatte man auch gemeint, dass es dem Volk dient, wenn man die Justiz führt. Ich habe mich sogar daran beteiligt, erzogen durch ein Denkmuster, das die Gewaltenteilung zum Teufelswerk erklärte und stattdessen das sogenannte System der einheitlichen sozialistischen Staatsmacht mit der führenden Rolle der SED propagierte. So sind wir uneingeschränkt ausgebildet worden.