Protocol of the Session on December 11, 2008

Von Frau Roth meinetwegen.

Ja, gut, bitte.

Danke, Herr Schiemann. – Könnten Sie, wie ich, den Abgeordneten der NPDFraktion das Buch von Klemperer „LTI“ empfehlen, damit sie dort nachlesen können, wovon Sie gerade gesprochen hatten?

(Gitta Schüßler, NPD: Das habe ich!)

Ich kann jedem das Buch von Victor Klemperer empfehlen. Victor Klemperer hat zumindest in „LTI“ deutlich gemacht, wie diese Diktatur die Sprache missbraucht hat. Ich glaube, es lohnt sich, das zumindest nachzulesen.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Gestatten Sie noch die Frage von Herrn Gansel?

Nein, ich gestatte keine Frage.

(Jürgen Gansel, NPD: Das ist feige, unter Ihrem Niveau! – Stefan Brangs, SPD: Hinsetzen, sonst klatscht es wieder! Immer schön locker im Schritt!)

Ich gehe einmal davon aus, dass vielen nicht bekannt ist, meine sehr geehrten Damen und Herren: Im Jahre 1936 wurde in Sachsen alles Schrifttum sächsischer Sprache vom nationalsozialistischen Reichsstatthalter verboten. Deshalb sage ich, es ist Zynismus, hier davon zu sprechen, die deutsche Sprache wiederzubeleben, so wie es die NPD-Fraktion getan hat.

(Jürgen Gansel, NPD: Haben Sie auch auf dem CDU-Parteitag so argumentiert, Herr Schiemann?)

Für uns gilt natürlich: Jeder soll sich seiner Muttersprache so widmen, dass sie auch in Zukunft für die nächste Generation verständlich ist. Es lohnt, sich immer um die eigene Sprache zu bemühen. Dann wird auch jeder der anderen Sprache mit Respekt begegnen. Wir wollen das tun.

Dieser Antrag ist dazu nicht geeignet.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN – Jürgen Gansel, NPD: Haben Sie auch auf dem CDU-Parteitag so argumentiert?)

Herr Prof. Porsch, bitte; Linksfraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist Strategie der NPD, den Artikel 2 Abs. 3 des Grundgesetzes scheibchenweise abzuschaffen. „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ – So steht es im Grundgesetz. Nichts davon dürfen wir Angriffen aussetzen lassen oder gar aufgeben wollen.

Die NPD betreibt ein übles Geschäft: Benachteiligende und bevorzugende Ungleichbehandlung wegen Abstammung, Herkunft, Rasse, Religion usw. ist der Kern ihrer Programmatik. Das hat schon ihr Wahlkampf anschaulich gezeigt, wenn man sich an die einschlägigen Plakate erinnert; und das verrät permanent ihre Sprache – ununterbrochen und in einer Brutalität, die man sich vor noch nicht allzu langer Zeit eigentlich für Deutschland nicht mehr vorstellen konnte.

Wir haben gerade wieder eine Vorstellung davon bekommen. Oder – um ein anderes Beispiel zu nennen – erst vorigen Monat wollten Sie die Benachteiligung wegen Glaubens hier in diesem Hohen Hause rechtfertigen, weil Sie eine Petition unterstützten, die den Bau von Moscheen untersagen sollte.

All das und noch mehr entzieht Ihnen, meine Dame und meine Herren rechts außen, jegliche Glaubwürdigkeit beim Eintreten für die deutsche Sprache.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Wenn es eine wirkliche Gefahr für unsere Sprache gibt, dann geht sie von Ihnen aus.

Herr Porsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Schüßler?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage; ich beschäftige mich hier ernsthaft mit der Sache.

(Lachen bei der NPD)

Herrn Gansels Beitrag hat gezeigt, wie gefährlich halbe Bildung ist.

(Alexander Delle, NPD: Schlechter Professor!)

Sie, meine Dame und meine Herren von der NPD, sprechen nach wie vor die Sprache des Dritten Reiches, die Sprache der Unmenschen.

(Jürgen Gansel, NPD: Sie wohl nicht?)

Nein, ich nicht!

Wir erleben es hier tagaus, tagein, und wer so spricht, der denkt auch so; und wer so denkt, will auch so handeln, und dagegen müssen wir antreten.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Mit der NPD kommen Trittbrettfahrer daher, die in einer ernsthaften Debatte um die Pflege und den Erhalt der deutschen Sprache nichts zu suchen haben.

Wir alle haben deshalb aber auch die Pflicht, wenn wir eine solche Debatte führen – ich führe sie gern –, sie so zu führen, dass die Trittbretter nicht von Fremdenfeinden und völkischen Paranoikern besetzt werden können.

Niemand kann bestreiten, dass die eine oder andere Sorge um die deutsche Sprache berechtigt ist. Niemand sollte dies leichtfertig abtun. Manchmal wundere ich mich schon, wie kämpferisch wir uns um den Erhalt von Flora und Fauna engagieren – zu Recht! – und wie gleichgültig wir uns aber meist gegenüber dem Schicksal der Sprachen in dieser Welt und auch gegenüber der eigenen Muttersprache verhalten.

Jede Sprache ist ein eigener, einmaliger und daher mit allen anderen gleichberechtigter Blick auf die Welt.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Da sind die Worte „Kulturvolk“ und „Kultursprache“, die vorhin gefallen sind, ein Verstoß genau gegen diese Gleichberechtigung und ein überheblicher Anspruch.

(Beifall bei der Linksfraktion, den GRÜNEN und des Abg. Enrico Bräunig, SPD)

Wir sollten also keinerlei Sprachen leichtfertig gefährden, zerstören oder aussterben lassen.

Dass wir heute mit Problemen konfrontiert sind, die als Gefahr für die deutsche Sprache interpretiert werden können – das, meine Damen und Herren, war zu keiner Zeit anders. Dazu gehört zum Beispiel ein unangebrachter, soziale Ausgrenzung befördernder – das ist das Gefährliche –, meist von Eitelkeit und elitärer Einstellung geförderter Fremdwortgebrauch in der öffentlichen Kommunikation.

Ich selbst habe zum Beispiel auf einem großen deutschen Bahnhof erlebt, wie sich die Not zur Panik steigern kann, wenn man auf der Suche nach einer Toilette von den Wegweisern zum WC immer wieder an eine Stelle geführt wird, wo der Pfeil plötzlich in die andere Richtung zeigt, ohne dass man dazwischen das benötigte Örtchen hätte ausmachen können. Wer kann aber auch schon wissen, dass die menschliche Entsorgung des vielleicht bei McDonalds verzehrten Plastikfleisches gerade hinter der Tür mit der Aufschrift „McClean“ zu verrichten ist? Und die „Ticketcenter“ schafft man Gott sei Dank bald ab, weil man die Fahrkarten demnächst nur im Internet bekommt.

Wo trifft man sich aber? Zum „Meetingpoint“ wird man vielleicht den Onkel aus Amerika bestellen können, die Großtante aus Buxtehude sollte man lieber zum Ausgang bitten.

Es ist tatsächlich viel Unfug zugange; und weil dem so ist, hat die PDS-Fraktion übrigens schon in der 3. Legislaturperiode einen einschlägigen Antrag gestellt, der mehr Sorgfalt und unter Umständen auch Regulierung im öffentlichen Sprachgebrauch verlangte. Die Antwort der Staatsregierung damals war dümmlich; aber lassen wir das Schnee von gestern sein.

Um gewalttätigen Gebrauch der deutschen Sprache anzuprangern, bedarf es freilich gar nicht des Fremden. Denken wir nur daran, welche Wortungetüme bürokratisches Streben nach wichtigtuerischer Vollständigkeit täglich hervorbringt. „Wohngeldbewilligungsbescheidungültigkeitserklärung“ habe ich da aktuell im „Spiegel“ gelesen – ein gutes Beispiel aber nicht nur für Gewalt, sondern auch für die Beweglichkeit und für die Strapazierfähigkeit unserer Muttersprache.

Unfug darf aber nicht Anlass sein, gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten, sich beckmesserisch gegenüber Vorgängen zu verhalten, die eigentlich zum Alltag gehören, seit es Sprachen gibt. Das ist zum Beispiel das Auftauchen von zunächst fremdem Wortgut, wenn eine Sache aus der Fremde zu uns kommt, die wir noch nicht haben. Ich habe gerade von Toilette und WC gesprochen – verzeihen Sie mir die Verortung; aber es geht ja auch um einen braunen Antrag –:

(Beifall der Abg. Kerstin Köditz, Linksfraktion)

Das eine ist ein fremdsprachliches Wort, das andere eine Abkürzung für fremdsprachliche Wörter. Da waren uns halt die Engländer und die Franzosen mit der Sache

voraus, und als wir sie endlich zu benutzen lernten, übernahmen wir praktischerweise auch gleich die Benennung dafür. Das war mit dem lateinischen „murus“, das wir sprachlich zur Mauer machten, ebenso wie mit lateinisch „tegula“, das wir heute als Ziegel kennen. Die Germanen hatten nur die Wand – ein Gewinde aus Ästen, beschmiert mit Lehm. Im 17. und 18. Jahrhundert kam die Galanterie aus Frankreich, und sie sprach Französisch.

Aktuell ist das nicht anders mit der Computerterminologie, weil die Innovationen zumeist aus dem angloamerikanischen Raum kamen, auch wenn der Ur-Computer eigentlich in Hoyerswerda erfunden wurde, wie wir gerade gehört haben.

Aber zum Trost für die Deutschen: Aus der deutschen Sprache wurden im 19. Jahrhundert viele philosophische Ausdrücke übernommen. Aus verständlichen Gründen wurde andererseits in kaum einer Sprache das Wort „Reich“ übersetzt.

Man könnte weitererzählen, über die mehr als 500 Wörter arabischen Ursprungs in der deutschen Sprache zum Beispiel, zu denen Admiral, Koffer, Mütze, Jacke und Joppe gehören. 500 Wörter! Das ist wahrscheinlich mehr, als der Durchschnittswortschatz von NPD-Mitgliedern.