Protocol of the Session on November 12, 2008

Drucksache 4/13701, Antrag der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Die einreichende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beginnt die Aussprache; Frau Herrmann, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme an, dass viele von Ihnen, genau wie ich, in den letzten Wochen und Monaten Briefe von Trägern der Suchtberatungsstellen aus verschiedenen Städten und Gemeinden erhalten haben. In diesen Briefen werden die geplanten Kürzungen im Bereich der ambulanten Suchtkrankenhilfe kritisiert. Diese Kürzungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind aus zwei Gründen unverständlich. Zum einen müssten alle diejenigen, die sich etwas mit dem Thema befassen, wissen, dass die Herausforderungen, denen sich die Suchtberatungsstellen gegenübersehen, zunehmen, und das trotz rückläufiger Bevölkerungszahl. Um das zu illustrieren, verweise ich Sie auf einen Artikel in der „Freien Presse“ vom Donnerstag, dem 25. September 2008, der überschrieben ist mit „Mädchen verstärkt beim Kampftrinken dabei“. Darunter steht dann: Rekordstatistik – 269 junge Frauen mit Alkoholvergiftung in der Klinik!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! An dieser Stelle reicht es einfach nicht, dass wir uns über solche Dinge erschrecken und aufregen, wie auch immer. Hier bringt nur Handeln etwas. Diesen Ansatz können wir in dem Entwurf des Haushaltsplanes nicht entdecken, weil dort die Mittel für die ambulante Suchtkrankenhilfe gekürzt worden sind.

(Beifall bei der FDP)

Zum anderen, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir hier im Hohen Haus vor reichlich zwei Jahren einen Antrag der Koalition zum Ausbau der Suchtkrankenhilfe beschlossen, der diesen unter anderem von mir jetzt gerade genannten Herausforderungen Rechnung tragen sollte. Darüber hinaus verweise ich auf den Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD. In diesem steht unter Punkt 7.3 auf Seite 47, dass drogen- und suchtbedingte

Probleme in unserer Gesellschaft mit geeinten Mitteln ins öffentliche Bewusstsein getragen werden müssen usw.; Intervention sowie Überlebens- und Ausstiegshilfen sind zu sichern und um zielgruppenspezifische Angebote zu erweitern.

Und nun wollen Sie, die Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, die Mittel kürzen! Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Ein Ausbau der ambulanten Suchtkrankenhilfe bei gleichzeitiger Beschneidung der Mittel! Das kann doch nur zu einem Qualitätsverlust in der Arbeit führen, falls Ihnen die Quadratur des Kreises an der Stelle wirklich gelingt. Das können wir uns einfach nicht leisten!

Wenn Sie sich den Jahresbericht der ambulanten Suchtkrankenhilfe anschauen, dann sehen Sie, dass die Aufgaben der Suchtberatungsstellen nicht abnehmen, wie Sie vielleicht bei zurückgehenden Bevölkerungszahlen vermuten, sondern zunehmen. Lassen Sie mich nur zwei Beispiele anführen. Da ist zum einen die seit Langem immer wieder auch von der Regierungskoalition beklagte Diskrepanz zwischen Substitution und psychosozialer Begleitung. Dass an dieser Stelle immer noch eine Lücke klafft, können Sie im Jahresbericht nachlesen. Sie erinnern sich auch an die Anhörung, die wir anlässlich einer Großen Anfrage der Linken hier im Landtag hatten, wo eindringlich darauf hingewiesen wurde, dass Substitution unbedingt mit psychosozialer Begleitung einhergehen muss, und das verlangt im Übrigen auch das Gesetz. Wie wollen Sie also erklären, dass immer noch viel mehr Fälle substituiert werden, als auch wirklich in der psychosozialen Begleitung ankommen?

Damit Substitution tatsächlich Behandlungserfolg zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist diese psychosoziale Begleitung dringend erforderlich. Hier zu sparen macht überhaupt keinen Sinn. Die Leute, die sich zu einer Substitutionsbehandlung entschlossen haben, haben sich

gleichzeitig entschlossen, den Weg aus der Abhängigkeit zu suchen, und wir müssten mit der Bereitstellung ausreichender Beratungs- und Behandlungsstrukturen diesen Weg unterstützen.

Ein zweites Beispiel noch an dieser Stelle. Inzwischen funktioniert in vielen Städten und Landkreisen die Zusammenarbeit mit den ARGEn zumindest einigermaßen. Die Fallmanager vermitteln Menschen, die sie betreuen, wenn ihnen das Problem zur Kenntnis kommt, auch in Suchtberatungsstellen. Das war bei der Konzipierung des SGB II genau so gewollt. Es ist gut zu sehen, dass das in vielen Gegenden jetzt angelaufen ist. Aber gleichzeitig muss uns allen doch klar sein, dass das bedeutet, dass mehr finanzielle Ressourcen in den Beratungsstellen benötigt werden, um die so Vermittelten überhaupt beraten und behandeln zu können. Das kostet nun einmal Geld. Es ist aber wichtig, um vor allem die Langzeitarbeitslosen zu begleiten und ihnen wieder eine Perspektive zu bieten.

Es besteht immer wieder das Problem, dass Sucht unter rein medizinischen Gesichtspunkten betrachtet wird. Die Erfahrung ist eine andere. Die Erfahrung ist, dass zur medizinischen Entgiftung unbedingt die Kompetenzerweiterung im persönlichen Leben dazugehört und dass es eine Perspektive für die Menschen geben muss, weil sie sonst unmittelbar nach einer Entgiftung und der Entwöhnungsbehandlung wieder in alte Muster zurückfallen, weil sie nicht motiviert sind, weil sie keine Vorstellung von ihrer Zukunft haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie handeln einfach kurzsichtig, wenn Sie im Bereich der Suchtberatungs- und Behandlungsstellen kürzen. Wenn Sie dort nicht mehr Geld in die Hand nehmen, werden Sie die Probleme an anderer Stelle lösen müssen, sei es im Gesundheitswesen, bei chronischen Abhängigkeiten, bei den Sozialleistungen oder eben auch in Gefängnissen. Das sind nur die finanziellen Kosten.

Sie wissen ganz genau, dass im Zusammenhang auch mit Prävention vor Kindeswohlgefährdung die Zusammenarbeit mit den Suchtberatungsstellen eine wichtige ist, sodass immer mehr Aufgaben auf die Beratungsstellen zukommen wie Vernetzungsaufgaben. Dafür werden keine Ressourcen zur Verfügung gestellt. Das wird am Ende auf alle Fälle teurer. Damit können Sie rechnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erwarten von Ihnen, dass Sie sich im Sozialministerium hinsetzen und gemeinsam mit den Beratungsstellen und den Kommunen darüber reden, wie viel Geld denn eine qualitätsvolle und flächendeckende Suchtberatungslandschaft kostet, und dass diese Neubewertung dann auch im Haushalt 2009/2010 ihren Niederschlag findet.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Danke schön. – Es folgt Frau Strempel von der CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Abgeordnete! Die Wichtigkeit der Arbeit der ambulanten Suchtkrankenhilfe ist unbestritten. Das hat auch niemand in Frage gestellt. Meine Vorrednerin hat die Bedeutung eindeutig erläutert. Um diese Arbeit zu würdigen, ist es natürlich wichtig, dass man das Ganze finanziell untersetzt.

Liebe Frau Herrmann, die Koalition hat bereits reagiert, denn das Erste, was sie entdeckt hat, als der Haushaltsentwurf kam, war, dass diese Mittelkürzung falsch ist. Die Koalition ist sich auch schon einig, dass diese Mittelkürzung zurückgenommen wird und dass die Mittel für den Doppelhaushalt 2009/2010 wieder auf das Niveau von 2008 festgeschrieben werden.

(Beifall bei der CDU)

Es bedarf also folglich nicht Ihres Antrages, weil wir schon entschlossen sind und das Ganze entsprechend in den Werdegang bringen, diese Mittel wieder aufzustocken.

Der vorliegende Antrag aber zeigt Grundlegendes. Es ist nämlich eine gute Gelegenheit, tatsächlich einmal zu einem anderen Zeitpunkt, und zwar nicht erst abends, umfassend über den Umgang mit Süchten zu sprechen, die sich in unserer Gesellschaft darstellen, und wie man dazu beitragen kann, um gegen diese Süchte vorzugehen, und zwar nicht nur, indem man immer über Finanzen spricht. Ich möchte dazu einige Fakten und Zahlen nennen. Sie können mir glauben, dass ich weiß, wovon ich rede. Ich habe mich nämlich mit der Thematik schon intensiv befasst wie sicherlich der eine oder andere auch. Deshalb möchte ich ganz kurz darauf eingehen.

Lassen Sie mich grundsätzlich zum Thema Sucht etwas sagen. In der heutigen Gesellschaft gehören die unterschiedlichsten Suchterkrankungen zu den großen gesellschaftlichen, gesundheitspolitischen und gesundheitswirtschaftlichen Problemen. Der Begriff Sucht prägt heute den normalen Sprachgebrauch vieler Menschen, wenn sie über das zwanghafte Verhalten anderer Menschen sprechen. Aber, meine Damen und Herren, wissen die meisten, was wir eigentlich unterscheiden?

Die Fachwelt unterscheidet zwei Arten von Süchten. Die eine ist die nicht stoffgebundene Sucht. Sie betrifft vor allem extreme Interessen wie Kauf- oder Konsumsucht, Spielsucht, Fresssucht, Arbeitssucht, Sexsucht, Magersucht, Ess-/Brechsucht oder andere mehr. Die zweite Art der Süchte sind die sogenannten stoffgebundenen Süchte.

(Lachen bei den GRÜNEN)

Ich weiß nicht, ob das lächerlich ist. Das ist viel zu ernst.

Damit werden Süchte gemeint, die an Stoffe oder Substanzen gebunden sind. Das sind zum Beispiel legal zu erwerbende Drogen wie Alkohol, Nikotin, Medikamente

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Noch besser!)

oder auch Pflanzen.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Pilze!)

Dabei handelt es sich aber auch um die verbotenen illegalen Stoffe wie Cannabis, Kokain, Ecstasy oder diverse Designerdrogen.

Meine Damen und Herren! Wissen Sie eigentlich, woher das Wort Sucht kommt? Sprachlich kommt es vom Wortstamm Siechen. Das war auch für mich interessant.

Süchtig ist ein Mensch, wenn er die Kontrolle über den Konsum verloren hat. Einige halten Sucht für eine unabänderliche Charakterschwäche. Die Sucht ist aber keine Charakterschwäche, sondern eine Erkrankung des Gehirns.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte jetzt einige gravierende Fakten nennen. Es ist zwar schon spät, aber ich denke, dass sich das mancher mehr ins Bewusstsein rücken sollte.

Das Bewusstsein um bestehende Gesundheitsrisiken durch einen zu hohen Alkoholkonsum ist in Deutschland noch viel zu wenig ausgeprägt. Dabei steht fest, dass in Deutschland zu viele Menschen zu viel und zu regelmäßig Alkohol trinken. Deutschland gehört im internationalen Vergleich mit seinem Pro-Kopf-Verbrauch an Alkohol von immerhin zehn Litern pro Einwohnern und Jahr mit zu den Spitzenreitern. Es wird geschätzt – und diese Zahlen sind alarmierend –, dass ungefähr 14 Millionen Menschen in Deutschland einen gesundheitsgefährdenden Alkoholkonsum aufweisen. Darunter sind circa 1,7 Millionen Menschen, deren Alkoholkonsum die Charakteristika des Missbrauchs aufweist, und weitere 1,7 Millionen, die als direkt alkoholabhängig eingestuft werden. Pro Jahr sterben circa 42 000 Menschen direkt oder indirekt durch die Folgen des Alkoholkonsums.

Es sterben aber auch jährlich schätzungsweise zwischen 110 000 bis 140 000 Menschen an Erkrankungen, die ursächlich mit dem Rauchen in Verbindung stehen. Damit verursacht der Tabakkonsum – und das ist interessant und schlimm genug – in Deutschland jährlich mehr Todesfälle als Aids, Alkohol, illegale Drogen, Verkehrsunfälle, Morde und Suizide zusammengenommen.

Allein durch die Fakten wird aufgezeigt, welch großer Handlungsbedarf im Bereich Suchtprävention besteht. Die Suchtkrankenhilfe leistet schon enorm viel. Deshalb wird der Haushaltstitel durch unsere Koalition wieder aufgestockt. Aber, meine Damen und Herren, das reicht nicht. Das wissen wir.

Die Koalition hat im Jahr 2006 unter dem Titel „Suchthilfe in Sachsen ausbauen“ darauf hingewiesen, dass diese Notwendigkeit besteht, und es wurde einstimmig in diesem Hohen Haus beschlossen. Aber bereits damals haben wir gesagt, dass das Motto gelten muss: „Vorbeugen ist besser als handeln“. Das muss Maxime werden

und ins öffentliche Bewusstsein hinein, und zwar nicht nur, wenn das Kind im Brunnen liegt.

Jeder Einzelne muss dabei mitarbeiten. Ich nenne ein extremes Beispiel. Muss es denn sein, dass man früh um zehn bei irgendeiner Feier schon den Sektkorken knallen lässt?

(Kristin Schütz, FDP: Ja!)

Es ist dann nicht verwunderlich, dass Kinder und Jugendliche sagen: Die Alten machen es doch auch! Machen wir es nicht selbst vor, wenn wir sagen, dass ein Glas nichts schadet, und wir uns trotzdem hinters Steuer setzen? Aber was ist, wenn dann ein Unfall passiert? Dann spielen sich nicht nur menschliche Dramen ab, sondern es kommt auch zu Kosten im Gesundheitswesen.

Meine Damen und Herren! Suchtprävention ist nicht allein die Aufgabe des Freistaates Sachsen oder eines Haushaltstitels. Suchtprävention ist die ureigenste Aufgabe jedes einzelnen Menschen für sich und sein Umfeld.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Caren Lay, Linksfraktion)

Es ist auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Wie beachte ich meinen Nachbarn? Wie gehe ich helfend zur Hand?

Es ist nicht das Geld allein. Es ist das gesellschaftliche Bewusstsein. Da sind alle angesprochen, auch die Medien.