Protocol of the Session on September 12, 2008

Die CDUFraktion? – Die Linksfraktion? – Die SPD? – Herr Abg. Bräunig, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sexualstraftaten an Kindern gehören zu den schlimmsten Verbrechen, die wir kennen. Abscheu und Wut darüber sind zu Recht groß. Mit Abscheu und Wut erfüllt mich aber auch der Populismus der NPD;

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

denn es ist geradezu unerträglich, dass zu einem Zeitpunkt, an dem ganz Leipzig den tragischen Tod der achtjährigen Michelle betrauert und sich eine ganze Stadt in Solidarität mit unserer Polizei an der Suche nach dem Täter beteiligt, die NPD daherkommt und sich die Wut und Trauer vieler Menschen für ihre politischen Zwecke zunutze macht.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung – Jürgen Gansel, NPD: Reden Sie doch mal über die gesellschaftlichen Ursachen und nicht nur über die Folgen!)

Sie sind in Ihrer Rede nicht darauf eingegangen; Sie haben sich wahrscheinlich aus gutem Grund zurückgehalten, Herr Gansel. Aber in der schriftlichen Antragsbegründung verraten Sie sich schamlos: dass nämlich der Tod von Michelle nach dem hässlichen Auftreten der NPD in Leipzig erneut für eine vordergründige Botschaft missbraucht werden soll.

Das werden wir nicht zulassen und viele Leipzigerinnen und Leipziger haben bereits Anfang des Monats ebenfalls gezeigt, dass sich die übergroße Mehrheit von der NPD nicht instrumentalisieren lässt.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Wir sind es den Opfern von Sexualstraftätern schuldig, meine Damen und Herren, dass wir eine ernste und seriöse Debatte über den Umgang mit Sexualstraftätern führen. Deswegen verbietet es sich auch, mit der NPD hier in eine vertiefte Sachdebatte einzusteigen.

(Jürgen Gansel, NPD: Dann werden Sie doch mal aktiv, Sie sind die Regierung!)

So viel muss aber gesagt werden: Die Politik ist in den letzten Jahren keinesfalls untätig geblieben, wie Sie es hier der Öffentlichkeit weismachen wollen.

(Jürgen Gansel, NPD: In Sachsen schon!)

Das Sexualstrafrecht und die Vorschriften zur Sicherungsverwahrung sind mehrfach novelliert worden. Die Führungsaufsicht ist verbessert worden und auch die polizeiliche Erfassung von Sexualstraftätern wurde ausgedehnt.

So hat der Freistaat Sachsen beispielsweise am 27. Juni dieses Jahres eine Verwaltungsvorschrift erlassen zur Einrichtung eines Informationssystems zur Intensivüberwachung besonders rückfallgefährdeter Sexualstraftäter, und es wurde zum 1. September dieses Jahres bei der Generalstaatsanwaltschaft eine Zentralstelle und beim Landeskriminalamt eine operative Stelle zur Abwehr von Gefahren durch rückfallgefährdete Sexualstraftäter eingerichtet.

Der Deutsche Bundestag wird sich ferner auf Initiative des Bundesrates mit einer Verbesserung der Aussagekraft polizeilicher Führungszeugnisse bei Sexualstraftaten befassen, und die Innenminister von Bund und Ländern sind in Kontakt, um eine bundesweit bessere Vernetzung von Daten herbeizuführen.

Es muss aber auch gesagt werden, dass die Resozialisierung von Straftätern und der Datenschutz zu Recht verfassungsrechtliche Grenzen setzen und beispielsweise einen Internetpranger nach amerikanischem Vorbild nicht

zulassen. Ein absoluter Schutz vor Triebtätern lässt sich auch durch noch so scharfe Gesetze nicht erreichen.

Es ist deshalb dringend erforderlich, verstärkte Maßnahmen zur gesellschaftlichen Sensibilisierung des Phänomens „Kindesmissbrauch“ im Ganzen zu ergreifen. Die Täter müssen begreifen, dass es weder in der Familie – dem häufigsten Ort des Missbrauchs – noch sonst in der Gesellschaft Rückzugsräume gibt, in denen sie ungestraft ihre Neigungen ausleben können.

(Beifall bei der SPD)

Es gilt – ohne die kindliche Unbefangenheit zu zerstören oder ein Klima der Angst oder Denunziation zu schaffen –, Kinder im Umgang mit eigener und fremder Sexualität so zu wappnen, dass bereits Kontaktanbahnungen zum Entdeckungsrisiko potenzieller Täter werden. Auch Forschung und Therapie im Umgang mit Sexualstraftätern müssen gestärkt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir dürfen in unseren Anstrengungen, Kinder so gut wie möglich vor Sexualstraftaten zu schützen, nicht nachlassen. Ich kann Ihnen versichern, dem fühlen sich die Koalitionsfraktionen in diesem Hohen Hause verpflichtet. Die Agitation der NPD ist jedenfalls kein Beitrag zum Schutz unserer Kinder.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Die FDP-Fraktion; Herr Dr. Martens.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Anlass dieses Antrages ist allen bekannt; er liegt auf der Hand: der Tod der kleinen Michelle in Leipzig. Solche Taten wecken Fassungslosigkeit, Wut, Trauer; sie hinterlassen Ratlosigkeit ob der schrecklichen Sinnlosigkeit solcher Taten. Der Täter, der die kleine Michelle umgebracht hat, ist bisher noch nicht ermittelt. Aber im Sächsischen Landtag gibt es eine Fraktion, die schon genau Bescheid weiß – das ist die NPD –, und sie hat auch gleich die Lösung, und zwar gleich mehrere. In Leipzig zieht sie johlend durch die Stadt und verlangt die Todesstrafe für Kinderschänder;

(Jürgen Gansel, NPD: Von Johlen kann keine Rede sein!)

und hier im Landtag gibt sie sich auf einmal als sachbezogene Partei, die einen, wie Herr Gansel sagt, Sachantrag einbringt.

Schauen wir uns doch diese Forderungen einmal im Einzelnen an. Der Inhalt einer bundesweiten Datei, die beim Bundeskriminalamt oder bei Landeskriminalämtern geführt werden soll, erfasst alle verurteilten Straftäter. Man kann auch ergänzen, es handelt sich um Sexualstraftäter. Freigangsdaten aus dem Vollzug, sämtliche Weisungen der Führungsaufsicht sollen dort eingestellt werden,

ein Gutachten der Justiz, polizeiliche Gefährdungsanalysen, und das Ganze soll dann abgerufen werden von allen Behörden, die in ihrer Aufgabenstellung irgendetwas mit Kindern zu tun haben.

Der Zweck ist, die soziale Umgebung eines möglicherweise mit Unfallrisiko behafteten Täters zu schützen. Sämtliche Begriffe erweisen sich, wenn man sie genauer anschaut, als unbestimmt; sodass es überhaupt nicht richtig möglich ist festzustellen, was hier eigentlich in die Datei eingestellt werden soll, welche Gutachten berücksichtigt werden sollen. Machen Sie sich vielleicht die Mühe nachzuschauen, welche Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht erteilt werden können, beispielsweise welche Befunde bei einer Vorstellung beim Arzt nach einer Anordnung nach § 68b Abs. 1 Nr. 11 StGB eingestellt und weitergegeben werden können?

Was soll eine polizeiliche Gefährdungsanalyse sein? All diesen Mühen unterziehen Sie sich überhaupt nicht. Sie stellen einfach eine Forderung rein in der Hoffnung, sie werde irgendwo, irgendwie gut ankommen, meine Damen und Herren.

Das Rechtsstaatsgebot und die Mühen, sich mit den gesetzlichen Grundlagen Ihres Wunsches auseinanderzusetzen, sind für Sie Details, an die Sie sich nicht verschwenden. Eine solche Datei, meine Damen und Herren, wie Sie sie hier konzipieren und aufreißen, wird es nicht geben. Die Arbeit ist wesentlich mühseliger, sie ist detaillierter; aber dieser Arbeit stellen Sie sich nicht. Sie sind vielleicht auch sachlich dazu gar nicht in der Lage.

Der Zweck dieses Antrages ist ein politischer Antrag. Das ist kein Sachantrag, den Sie hier stellen. Mit diesem Antrag möchten Sie eine Zweiwegestrategie aufmachen. Auf der Straße demonstrieren Sie für die Todesstrafe, obwohl Sie wissen, dass es verfassungswidrig wäre, obwohl das nie kommen würde, jedenfalls nicht in einem Rechtsstaat. Sie wissen es ganz genau,

(Beifall bei der FDP und der CDU)

und trotzdem tun Sie es.

Dazu sage ich, dass Sie das in der Absicht tun, weil Ihnen dieser Rechtsstaat, weil Ihnen die Verfassung, weil Ihnen die Rechte völlig egal sind; und egal sind Ihnen auch tote Kinder. Sie dienen Ihnen nur als Mittel zum Zweck für Ihren Stimmenfang, Stimmenfang um jeden Preis.

(Dr. Müller, NPD: Sie haben doch die Kinder auf dem Gewissen mit Ihrer Politik!)

Ich finde das ziemlich eklig.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Fraktion der GRÜNEN möchte nicht sprechen. Dann rufe ich jetzt wieder die NPD auf. – Nein, später. Dann frage ich die Staatsregierung. – Möchte jemand sprechen? – Somit rufe ich jetzt das Schlusswort auf.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, es ist die Aufgabe einer Oppositionspartei, Dinge anzusprechen. Wenn man die Problematik Sexualstraftaten an Kindern nimmt, sind wir ja die einzige Partei, die dies im Plenum hier angesprochen hat. Ich denke, das ist auch der legitime Weg, den eine Partei gehen kann, wenn sie im Parlament sitzt.

Ich bringe noch einmal die Dinge zu Gehör, die zum Teil schon mein Kollege Gansel gesagt hat: „Die Zeit des Redens muss vorbei sein“ – so Innenminister Buttolo im Gespräch mit „Spiegel-online“ am 7. März 2007 über seine Idee, einen öffentlich zugänglichen Internetpranger für vorbestrafte Sexualtäter einzurichten. Weiter führte er aus: „Der Bürger soll die Chance bekommen, Gefahren zu erkennen und diese auch durch Eigenverhalten zu minimieren.“ Jeder andere als der Innenminister wäre für eine solche Äußerung im Verfassungsschutzbericht als rechtsextrem registriert worden; darin gebe ich Ihnen Recht, Herr Brangs. Der Koalitionsredner Bräunig traut sich aber auch nicht, sich darüber zu mokieren, wenn in Leipzig Bürger friedlich für das Recht auf eine sichere Kindheit demonstrieren. Auch das ist irgendwo doppelzüngig, was da kommt.

Dieses Recht, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in unseren Tagen auf das Höchste gefährdet. In Deutschland wird jährlich eine große Zahl von Kindern misshandelt. Die Tatbestände reichen von körperlicher Misshandlung, über sexuellen Missbrauch bis hin zu Vergewaltigung und Mord. 2004 wurden 15 255 Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern erfasst. Das Kriminologische Forschungsinstitut in Niedersachsen geht beim Kindesmissbrauch von einer Dunkelfeldrelation von eins zu zehn aus, was auf das Jahr 2004 bezogen bedeuten würde, dass es 150 000 Fälle von sexuellem Missbrauch gegeben hätte.

Diese Zahlen stammen auch aus dem Buch „Dein Kind will dich“ von Christa Müller. Ihr aufrüttelndes Buch zeigt jedem Leser, dass das Gebot der Pflege und der Fürsorge für unsere Kinder in Deutschland immer noch missachtet wird und dass es sich bei den Opfern um die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft handelt, die sich besonders schlecht wehren und bemerkbar machen können. Die hohen Dunkelziffern legen in bedrückender Weise nahe, dass nur ein geringer Teil dieser Verbrechen an wehrlosen Kindern aufgedeckt wird.

Viele Menschen in Deutschland fragen sich, warum nicht endlich entschlossen an dieser Stelle angesetzt wird, an der kleinen Kindern offensichtlich größte Gefahren drohen, nämlich bei den hochgradig rückfallgefährdeten überführten Sexualstraftätern.

Meine Damen und Herren Kollegen, helfen Sie endlich dabei, ein hilfreiches und wichtiges Instrument zur Verhinderung weiterer derartiger Sexualdelikte zu schaffen und eine bundesweite Gefährder-Datei Sexualstraftaten auf den Weg zu bringen. Dies war ja auch von dem Bundesverband der Kriminalbeamten gefordert worden. Machen wir es in Zukunft einem entlassenen Sexualstraf

täter in Deutschland unmöglich, sich unerkannt und ohne Beobachtungsdruck ein Opfer auszusuchen, um seinem oft tödlichen Trieb nachgehen zu können! Stimmen Sie deshalb für unseren NPD-Antrag!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 4/13091 zur Ab