Protocol of the Session on July 11, 2008

Ich könnte weitermachen, zum Beispiel was die Kosten für den „Zug der Erinnerung“, einer hervorragenden Initiative, betrifft. Ich kann nur eines sagen: Wir sind alle aufgefordert, sowohl in Verantwortung, aber auch im Alltag etwas für die Zurückdrängung der extremen Rechten zu tun.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion – Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann, bitte, Herr Staatsminister Dr. Buttolo.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die „London Times“ schrieb vor zwei Jahren: „Alles in allem sind sie nicht so schlecht, die Deutschen. Sie sind patriotisch und leidenschaftlich, unaggressiv und freundlich.“ Das Motto der Fußballweltmeisterschaft 2006 war Wirklichkeit geworden: „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Die Beschreibung der „Times“ passt auch heute noch. Aber gerade deshalb sind Übergriffe nach dem Halbfinale und Finale der Fußball-EM beschämend. Keinen kann es trösten, dass es auch anderswo Krawalle gegeben hat. Wieder wird gefragt, was in Sachsen los war.

Am 25. Juni kam es in Dresden, Chemnitz und Bautzen und am 29. Juni wieder in Bautzen und Großenhain zu gewalttätigen Übergriffen. In Dresden richteten sich die Angriffe gegen drei Döner-Läden. In Chemnitz, Bautzen und Großenhain rotteten sich Gewaltbereite zusammen und gingen gegen Polizeibeamte vor. Die Bilanz: zwei verletzte Gäste der Döner-Läden, sieben verletzte Polizeibeamte, Sachschäden, Schäden an Fahrzeugen und Einsatzmitteln der Polizei.

Die Polizei führte zahlreiche freiheitsentziehende Maßnahmen durch und sprach Platzverweise aus. Wegen der Angriffe auf die drei Döner-Imbisse in Dresden wurde umgehend eine gemeinsame Ermittlungsgruppe der Polizeidirektion Dresden und des LKA Sachsen, Sonderkommission Rechtsextremismus, gebildet. Zu allen Vorfällen dauern die polizeilichen Ermittlungen noch an.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Mitgefühl gilt zunächst den zwei verletzten Imbissbesuchern, den sieben verletzten Polizeibeamten sowie den Inhabern und Angestellten der angegriffenen Döner-Läden.

(Beifall bei der CDU)

Gott sei Dank war niemand schwer verletzt. Ich danke auch den Einsatzkräften der Polizei, die die zahlreichen Public-Viewing-Veranstaltungen professionell abgesichert haben.

(Beifall des Abg. Dr. Martin Gillo, CDU)

Bis auf die genannten Ausnahmen wurde die Fußball-EM in Sachsen friedlich gefeiert. Ich betone: Das ist Normali

tät in Sachsen. Gewalt und Ausländerhass sind in Sachsen weder kultur- noch mehrheitsfähig. Das lassen wir uns schlichtweg nicht gefallen. Es sind nicht die Sachsen, die nach dem Fußball ausrasten oder Ausländer verprügeln. Es sind nur wenige, nicht einmal Verblendete, wie sie auch hier im Saal zu finden sind. Nein, es sind reine Gewalttäter. Diese Chaoten werden mit den Mitteln des Rechtsstaates bekämpft. Eines muss klar sein: Die 3. Halbzeit endet für Randalierer im Polizeigewahrsam.

(Beifall bei der CDU)

Allerdings gelingt es diesen Chaoten, den Ruf unseres Freistaates zu beschmutzen. Dabei haben die Sachsen in ihrer übergroßen Mehrzahl mit Gewalt und Fremdenfeindlichkeit nichts zu tun, nicht einmal im Ansatz. Die Sachsen sind nicht nur gern gesehene Gäste, wenn sie reisen, ob im In- oder Ausland. Sie sind auch gute Gastgeber für Touristen und für diejenigen, die von außerhalb kommen und hier ihre Heimat finden.

Mit den Hochtechnologiefirmen sind viele ausländische Fachkräfte nach Silicon Saxony gekommen und heimisch geworden. Allein bei AMD sind Mitarbeiter aus fast 30 Nationen beschäftigt. Das Leipziger Opernhaus hat einen italienischen Gewandhauskapellmeister. Die Fans der „Lausitzer Füchse“ jubeln über Tore von gebürtigen Finnen, Kanadiern und Tschechen. Es ist auch kein Zufall, dass polnische Kinder in Görlitzer Kindertagesstätten gekommen sind und deutsche Eltern ihre Kinder gern in polnische Kitas geben.

(Beifall bei der CDU und der Linksfraktion)

Diese Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen. Darauf sind wir stolz. Aber wir müssen uns auch fragen, was wir tun und was wir noch tun können. Aus diesem Grunde bin ich den Koalitionsfraktionen für die heutige Debatte sehr dankbar. Toleranz beruht immer auf Gegenseitigkeit. Toleranz darf sich nicht darauf einlassen, Intoleranz zu tolerieren. Deshalb haben wir 2004 das Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen – für Demokratie und Toleranz“ aufgelegt, das von der Staatskanzlei verantwortet wird. Den Protagonisten des Programms, Martin Dulig von der SPD und Lars Rohwer von der CDU, gilt unser Dank für ihr Engagement in dieser Sache.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Kein anderes Bundesland ist finanziell so aktiv wie Sachsen. Das fällt uns auch deshalb leicht, weil wir eine Vielzahl von Maßnahmenträgern im Freistaat haben, die die Ideen umsetzen können. Unsere Maßnahmenträger sind hoch qualifiziert und erfolgreich.

(Beifall des Staatsministers Thomas Jurk)

Erst in den letzten Tagen wurden sieben Initiativen aus Sachsen als Preisträger im bundesweiten Wettbewerb „Aktiv für Demokratie und Toleranz 2007“ ausgezeichnet.

(Beifall des Staatsministers Thomas Jurk und bei der CDU)

Diese Programme und einige mehr werden von den einzelnen Fachressorts verantwortet. Deshalb haben wir im Kabinett Ende Mai entschieden, einen Landespräventionsrat zu bilden. Damit werden wir künftig noch besser in der Lage sein, die präventive Arbeit im Freistaat Sachsen im Kontext von Gewalt, Extremismus und Fremdenfeindlichkeit zu koordinieren. Der Landespräventionsrat und dessen Geschäftsstelle werden momentan aufgebaut. Ich lade alle Interessierten dazu ein, an dieser Informations- und Repräsentationsplattform mitzuwirken.

Unter den Ausgezeichneten sind beispielsweise die Bürgerinitiative „Demokratie anstiften“ aus Reinhardtsdorf/Schöna und Kleingießhübel, die Leipziger FanInitiative für „Bunte Kurve“ und das christliche Jugenddorf Chemnitz.

Wir liegen also richtig mit unserem finanziellen Engagement. Immerhin stellen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, 2 Millionen Euro über den Landeshaushalt für den Kampf für Demokratie und Toleranz zur Verfügung. Daraus wurden im letzten Jahr genau 99 Projekte gefördert, darunter Leuchttürme wie das Kulturbüro Sachsen, das mit seinem Projekt „Kommunalberatung“ erfolgreich den Bürgermeistern hilft. Weil es nicht immer gelingt, Schläger vor der Tat zu stellen, brauchen wir die Beratung der Opfer von Gewalt. Auch das leistet das Landesprogramm. Wir unterstützen die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung bei ihren Projekten zur Demokratieerziehung genauso wie die Stiftung Demokratische Jugend bei der Förderung von Jugendgruppen, die sich mit lokal- und regionalhistorischen Forschungen beschäftigen.

Zugleich ist Demokratieerziehung ein Schwerpunkt der sächsischen Bildungspolitik. Das zeigt sich an den Erziehungs- und Bildungszielen des Schulgesetzes, den seit 2004 umgesetzten reformierten Lehrplänen sowie einer Vielzahl von Projekten zu Demokratie, Rechtsstaat und Rechtsextremismus. Das Kultusministerium ist hier hoch engagiert genauso wie das Justizministerium. Landesweit stehen 63 Richter und Staatsanwälte für den Rechtskundeunterricht mit dem Themenschwerpunkt Extremismus, Zivilcourage und wehrhafte Demokratie zur Verfügung. Jede Schule hat ihren Staatsanwalt oder Richter für Rechtskundeunterricht in der Nähe. Sie geben dem demokratischen Rechtsstaat vor Ort ein Gesicht.

Auch der Schülerwettbewerb „Mit Recht gegen Rechtsextreme“ fordert und fördert das Nachdenken über die Feinde der Freiheit. In diesem Schuljahr haben sich über 400 Schülerinnen und Schüler daran beteiligt. Auch mein Haus wird ab der Spielsaison 2008/2009 gewaltpräventive Maßnahmen im Bereich des Sports fördern. Wir nehmen dafür jährlich 300 000 Euro in die Hand. Damit werden wir Fan-Projekte im Sinne des nationalen Konzepts Sport und Sicherheit sowie sonstige Projekte zu Gewaltprävention im Umfeld von Fußballvereinen unterstützen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das hat lange genug gedauert!)

Es ist aber da.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Jetzt!)

Meine Damen und Herren! Kein Programm und kein Gremium kann diese zwei Tugenden ersetzen: Zivilcourage und Engagement. Georg Milbradt hat sich im November in Riesa beim Kommunalkongress Extremismus an die Spitze der Bewegung gesetzt. Er hat die Bürgermeister und Landräte aufgefordert, es ihm gleichzutun. Nur wenn die lokalen Einfluss- und Entscheidungsträger mit dabei sind, wird es uns gelingen, extremistischen Ungeist und Gewalt aus unseren Städten und Dörfern zu vertreiben. Dazu muss jeder das Seine leisten. Ich werde in den nächsten Wochen Kommunen besuchen, mit den Verantwortlichen sprechen und meine Unterstützung anbieten. Die lokalen Einfluss- und Entscheidungsträger brauchen uns, ob Bürgermeister, Landrat, Pfarrer, Schulleiter oder Vereinsvorsitzender. Sie alle müssen in einem die Ebenen übergreifenden Netzwerk eingebunden sein.

Wir haben großartige kommunale Projekte in Sachsen. Denken Sie an die Stadt Pirna mit Markus Ulbig als Oberbürgermeister an der Spitze. Dieses gute Beispiel braucht noch mehr Nachahmer. Ich rufe alle Demokraten in diesem Saal dazu auf, sich weiter für Toleranz, Weltoffenheit und Demokratie einzusetzen.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Wir dürfen darin nicht nachlassen, meine Damen und Herren, es lohnt sich.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Wird von den Fraktionen weiter das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren! Damit ist die 1. Aktuelle Debatte, beantragt von den Fraktionen der CDU und der SPD zum Thema „Weltoffenes und tolerantes Sachsen – Gegen Hass und Gewalt“, beendet.

Wir kommen zu

2. Aktuelle Debatte

Freitag, der 13., ein Glückstag für die Völker Europas! Demokratie oder EU?

Antrag der Fraktion der NPD

Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion der NPD das Wort. Danach folgen CDU, Linksfraktion, SPD, FDP und GRÜNE.

Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte die Fraktion der NPD, das Wort zu nehmen. Herr Apfel, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie die EU-Verfassung ist der Lissabon-Vertrag, der sogenannte EU-Reformvertrag, eine Verfassung für einen Bundesstaat, ähnlich wie das Grundgesetz für die Bundesrepublik. Das folgt vor allem aus der rigorosen Festlegung eines sogenannten Gesetzgebungsverfahrens mit genauer Aufteilung der Gesetzgebungskompetenz zwischen den Organen der Europäischen Union und den Mitgliedsstaaten, ähnlich wie die Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik geregelt ist. So können zum Beispiel nach dem sogenannten ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen im Bereich besonders schwerer Kriminalität erlassen werden. Um welche Kriminalitätsbereiche es sich dabei handelt, legen die Organe der EU selbst fest.

Der EU-Reformvertrag ist wie die gesamte bisherige EUPraxis mit wirklich demokratischen Grundsätzen ganz allgemein einfach unvereinbar. Er bedeutet vor allem die endgültige, auch formale Aufhebung der freiheitlichdemokratischen Grundordnung, nachdem diese in der Praxis von den Herrschenden ohnehin schon fast täglich mit Füßen getreten wird. Ich kenne die irische Verfassung und die Verfassungen der übrigen EU-Mitgliedsstaaten nicht. Aber wenn es demokratische Verfassungen sind, wovon ich ausgehe, enthalten sie ebenfalls Bestimmungen, die das Recht des Volkes festlegen, sich seine eigenen Gesetze zu geben.

Alle diese Verfassungen und Regierungsformen werden durch den Lissabon-Vertrag praktisch aus den Angeln gehoben und durch Regelungen eines europäischen Bundesstaates ersetzt, der zu keinem Zeitpunkt von den Völkern konstituiert wurde.

Wie viele der europäischen Völker dürfen sich denn nun in direkter Abstimmung dazu äußern, meine Damen und Herren? Sie wissen die Antwort: ein einziges, das irische Volk. Was passiert, wenn dieses Volk, das einzige, das seine Meinung sagen darf, Nein zu diesem Vertrag sagt? Auch hier wissen Sie die Antwort: Die gesamte politische Klasse stimmt ein Wehgeschrei an, als ob keine demokratische Entscheidung gefallen, sondern eine Krankheit ausgebrochen wäre.

Außenminister Steinmeier erklärt direkt nach Bekanntgabe des Ergebnisses, die Iren sollten wegen ihrer Obstruktion aus der Europäischen Union austreten. Oder meinte

er vielleicht besser, ausgeschlossen werden? Der Präsident der EU-Kommission schließt sich dieser Forderung so schnell an, dass man sich fragen muss, ob nicht schon vor der Abstimmung eine entsprechende Absprache zwischen Berlin und Brüssel getroffen wurde. Von anderer Seite erhebt sich die Forderung nach Wiederholung der irischen Abstimmung. Die Bertelsmann-Stiftung findet hierfür folgende fadenscheinige Formulierung:

„Es geht keinesfalls darum, den Mehrheitswillen der irischen Bevölkerung zu ignorieren, sondern die irrationalen Ängste, die bei diesem Referendum deutlich geworden sind, ernst zu nehmen, zu artikulieren und nochmals mit etwas Abstand bewerten zu lassen.“