Protocol of the Session on July 11, 2008

Bürger beginnen, das Engagement jedes Einzelnen für Toleranz und Demokratie fördern und fordern, denn nur vor Ort können wir etwas verändern, nur vor Ort füllen sich Begriffe wie Toleranz, Weltoffenheit und Demokratie mit Leben.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Ich erteile das Wort der Fraktion der SPD; Herr Dulig, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An Attacken wie in Dresden und in Bautzen dürfen wir uns nicht gewöhnen. Häuser anzuzünden, Menschen anzugreifen oder den Hitlergruß zu zeigen, das sind keine Kavaliersdelikte. Wer so etwas tut, stellt sich außerhalb der Gemeinschaft, er ist ein Verbrecher, den die Härte des Gesetzes treffen muss, und zwar schnell und unmissverständlich.

Es geht uns nicht darum, bestehende Gesetze zu verschärfen, denn unsere Gesetze sind völlig ausreichend, aber der Staat muss in der Lage sein, diese Gesetze konsequent durchzusetzen. Das gelingt nur, wenn genug gut ausgebildete und hoch motivierte Polizisten ihren Dienst tun. Nach der Debatte vom Mittwoch bin ich überzeugt, dass wir hier das Richtige getan haben.

Auch die Aufstockung der Soko „Rex“ erhöht den Druck auf die rechtsextreme Szene und das muss auch so sein. Jedem, der sich in der rechten Szene am Rand der Legalität bewegt, muss schnell klargemacht werden: Wenn du so weitermachst, gehst du hier ein hohes Risiko ein!

(Jürgen Gansel, NPD: Oder Sie rufen Ihre Schläger!)

Das kann dich deinen Schulabschluss, deine Lehrstelle, deinen Arbeitsplatz und im Ernstfall deine Freiheit kosten.

Die jungen Männer – meistens sind es diese – müssen schnell merken, dass sie den falschen Weg eingeschlagen haben; dann erhöhen sich die Chancen, dass mehr Jugendliche vom rechtsextremen Glauben abfallen. Das bedeutet aber ein viel früheres Eingreifen der Polizei. Sie muss so früh wie möglich ihre Muskeln zeigen und präventiv tätig werden. Wir müssen uns um diejenigen kümmern, die aussteigen wollen. Sie werden aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen und stehen unter einem starken Druck. Sie müssen mit der Angst leben, dass sich die alten Kameraden rächen. Deshalb dürfen wir sie nicht allein lassen. Wir brauchen dafür ein landesweites Aussteigerprogramm.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es reicht aber nicht aus, erst dann tätig zu werden, wenn der junge Mann schon in der Kameradschaft ist oder sogar schon eine Straftat begangen hat. Wir müssen viel früher ansetzen und den Kampf um die Köpfe offensiv führen. Bei vielen ist dort nur wenig Platz für Weltoffenheit und Toleranz – derer werden leider immer mehr. Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen das. Eine Studie der Friedrich-Ebert

Stiftung kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass in Deutschland über 26 % der Menschen ausländerfeindlich eingestellt sind. Das ist höchst alarmierend.

(Beifall bei der NPD – Gitta Schüßler, NPD: Wieso denn bloß?)

Nun wählt nicht jeder, der so denkt, gleich NPD. In Sachsen sind es aber genug, sodass es die NPD in alle Kreistage geschafft hat. Dieser harte Kern weiß genau, was er tut. Das sind keine Protestwähler.

(René Despang: Das sind Stammwähler!)

Die machen ihr Kreuz nicht aus Versehen bei der NPD, sondern sie machen das Kreuz dort, weil sie das rechtsextreme und autoritäre Weltbild teilen, das diese Partei zur einzigen Wahrheit erklärt hat. Ein hoher Anteil davon sind leider junge Menschen. Für sie ist die NPD inzwischen offensichtlich eine normale Partei.

(Jürgen Gansel, NPD: Alternativer als die SPD!)

Zum Glück gibt es aber genug Menschen, Initiativen und Projekte in diesem Land, die gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz in den Köpfen kämpfen. Wir unterstützen das mit dem Programm „Weltoffenes Sachsen“ und sind auf dem richtigen Weg.

Ich möchte beispielhaft das „Netzwerk Tolerantes Sachsen“ mit seinen 80 Initiativen nennen. Wir stehen alle fest an ihrer Seite. Jeder anständige Sachse muss fest an ihrer Seite stehen. Sie brauchen unsere ideelle und finanzielle Unterstützung. Sie müssen wissen, dass sie nicht allein sind.

Das Problem mit fremdenfeindlichen und autoritären Grundstimmungen in der Gesellschaft liegt aber noch tiefer. Hier wie anderswo wird an der Leistungsfähigkeit unseres demokratischen Systems zumindest gezweifelt. Viele Menschen stehen abseits, fühlen sich ohnmächtig und sehen sich den Verhältnissen ausgeliefert. Sie fühlen sich machtlos und resignieren. Sie denken, Demokratie sei die Aufgabe derer „da oben“. Und wenn „die da oben“ eben nicht das machen, was ich will, dann ist die Demokratie auch nicht gut.

Es ist eine alte Binsenweisheit: Demokratie funktioniert nur, wenn alle mitmachen, Demokratie heißt mitmachen. Demokratie ist undenkbar ohne Menschen, die sich einmischen, die gestalten wollen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Es ist daher eine Herzensangelegenheit, alle engagierten Menschen im Freistaat zu würdigen: Der Kommunalpolitikerin, die sich um ihre Gemeinde kümmert, dem Leiter der Sportgruppe, der Gemeinschafts- und Teamgeist einübt, dem aktiven Parteimitglied, der Politik gestalten will, dem Mitglied im Verein, der sich für seine Sache unermüdlich einsetzt, dem Gemeindekirchenrat, der für Schwache und Benachteiligte da ist – vielen Dank!

Vielen Dank! Ihr seid die Stützen der Demokratie in Sachsen. Ihr habt großen Anteil daran, dass Sachsen weltoffen und tolerant ist.

Schließen möchte ich meine Rede daher auch mit einer Einladung an alle Sachsen: Mischt euch ein! Redet mit! Macht mit! Macht das anständige Sachsen stark; denn wir mögen unser Land und werden es nicht den braunen Schlägertrupps überlassen!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Ich erteile der Linksfraktion das Wort; Frau Bonk, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war dabei, als am Abend des Spieles Deutschland gegen Türkei eine freundliche und offene Stimmung das Beisammensein gestaltete. Aus Gründen des Spaßes und der Sportfreude hatten wir zum Spiel Türkei gegen Deutschland in ein Dönerrestaurant zum Zuschauen eingeladen. Wir wollten ein Zeichen für ein selbstverständliches Beisammensein und eine etwas alternative Fußballkultur setzen; und es war schön. Alle freuten sich über alle Tore – was auch immer meine Auffassung ist.

(Gitta Schüßler, NPD: Habt ihr die Fahnen eingesammelt?)

Dieses friedliche und selbstverständliche Beisammensein ist genau das, was Nazis nicht dulden können. So musste ich mit Befremden feststellen, dass das türkische Bistro, in dem auch ich zugeschaut habe, im Nachhinein angegriffen worden ist. 40 bis 50 Neonazis, die plötzlich – maskiert und mit Funkgerät – auftauchten, ein solches Lokal stürmten, mit Feuerwerkskörpern vorgingen und Laden und Betreiber überfielen – das war blitzartig und brutal. Es handelte sich offensichtlich um vorbereitete und organisierte rechte Gewalt der übelsten Sorte.

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Bitte weitermachen.

Wenn so etwas geschehen kann, dann ist dies der Versuch der Infragestellung staatlicher Ordnung. Dazu möchte ich von Ihnen, Herr Innenminister, wissen, was Sie zur Verhinderung solcher Anschläge tun oder warum die Polizei mindestens 30 Minuten bis zum Eintreffen bei den Betreibern brauchte. Für mich ist diese Frage relevant; denn es ist nicht hinnehmbar, dass in einem solchen Fall, der die offene und demokratische Befasstheit unserer Gesellschaft grundsätzlich infrage stellen will, nicht mit besonderer Sensibilität, Schnelligkeit und Entschiedenheit gehandelt wird.

Ich erkenne an, dass der Landespolizeipräsident und die Ausländerbeauftragte in Ihrem Auftrag dort waren. Auch die Neustadt reagiert auf solche Überfälle. Zahlreiche Jugendliche nahmen an einer Solidaraktion teil, und wie die Betreiber sagten, kam auch eine Reihe neuer Kunden

vorbei. Es sollte unser aller Aufgabe sein, uns zu einem freundlichen Miteinander zu bekennen und die angegriffenen Betreiber unserer Unterstützung zu versichern, um den Nazis – auch in dieser heutigen Debatte – zu zeigen, dass ihnen ihre Einschüchterung und Verunsicherung nicht gelungen ist.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Meine Kollegin Frau Ernst hat Beispiele flächendeckender rechter Übergriffe genannt, darum sollten in dieser Debatte nicht nur die Maßnahmen, die bereits ergriffen werden, oder der positive Weg und die Weltoffenheit betont werden, sondern angesichts der Vorfälle zur EM müssen wir feststellen: Es ist offensichtlich bislang nicht gelungen, die gewalttätige rechte Szene in Sachsen wirksam zu bekämpfen. Es setzt sich etwas fest, und Programme wie „Weltoffenes Sachsen“, die Arbeit vieler zivilgesellschaftlicher Träger, der Sport und die Arbeit an Schulen sind wichtig; denn sie tragen zur Aufklärung sowie zur Ausprägung aktiver gesellschaftlicher Strukturen bei.

Aber wenn wir uns nur darauf beschränken würden, dann wäre dies falsch; denn auch diese Strukturen können nicht den Nährboden von Rechtsextremismus verringern. Die sächsische Politik bekämpft den Nährboden von Rechtsextremismus nicht ausreichend. Dieser besteht zum Beispiel in der Ausgrenzung größer werdender Teile der Bevölkerung durch Arbeits- und Ausbildungslosigkeit und fehlende Bildungsabschlüsse: 10 % ohne Abschluss, 15 % in Hartz IV. Es gibt keine Jugendklubs und keine Buslinien im ländlichen Raum. Stabilität braucht auch Vielfalt, wie Sozialwissenschaftler wissen. Gerade im ländlichen Raum haben Sie die völlig falschen Richtungsentscheidungen getroffen.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Nicht zuletzt: Mangelndes Vertrauen in die Redlichkeit, Relevanz und vor allem die eigene Verbundenheit zur Politik lässt immer größere Teile der Bevölkerung auf Abstand gehen. Ein Aushöhlen demokratischer Strukturen durch sich selbst und mangelnde Einbindung des Souveräns, also der Bürgerinnen und Bürger, auf der einen Seite und gleichzeitig der Angriff darauf seitens der Rechten sind das Szenario, das diese sich wünschen und dem eine Festigkeit und ein Wandel demokratischer Politik entgegenstehen muss.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Die sächsische Politik, das sind alle, die Verantwortung tragen; und es ist zum Beispiel nicht hinnehmbar, dass Nazis sächsische Städte als ihre bundesweiten Aufmarschplätze etablieren. Als vor zwei Wochen Nazis unangemeldet in der Dresdner Neustadt mal wieder „reingehen“ wollten, konnte ich beispielsweise nicht verstehen, dass die Dresdner Versammlungsbehörde ihnen erlaubte, ohne eine Begrenzung zu 500 Leuten frei durch die Innenstadt zu marodieren.

(Peter Klose, NPD: 600! – Holger Apfel, NPD: Heul doch!)

Die bundesweite Berichterstattung über die Europameisterschaft mag einigen unangenehm gewesen sein, und es ist auffällig, dass ein solcher Vorfall wieder in Sachsen geschehen ist; denn es ist so, dass sich etwas festsetzt. Sie wollen Angst schüren und an die Gefühle der Bevölkerung anknüpfen. Es bedarf nicht nur entschiedenen Handelns und Aufklärens angesichts fortgeschrittener Aktivitäten von Nazistrukturen. Die Auseinandersetzungen zur EM sind in ihrer Aggressivität und Härte – damit komme ich zum Schluss – möglicherweise ein Partikularereignis; aber die fortschreitende rechtsextreme Organisierung und der Zerfall der Gesellschaft müssen auch Sie zum Handeln auffordern.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile der Fraktion der NPD das Wort; Herr Gansel, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hermenau, Sie sprachen vorhin von so vielen „hellen ausländischen Köpfen“. Mir und der NPDFraktion ist zumindest nicht bekannt, dass die brutalen UBahn-Schläger von München, Serkan A. und Spiridon L., in Deutschland ein Unternehmen gegründet oder Patente angemeldet hätten. – Nun denn!

(Zuruf des Abg. Heinz Eggert, CDU)

Dass hier im Plenum eine symbolische Lichterkette abgehalten würde, war in dem Moment zu erwarten gewesen, als man den stellvertretenden Ministerpräsidenten Thomas Jurk vor den Kameras des „Sachsenspiegel“ lustvoll einen Solidaritäts-Döner verspeisen sah. Die Ironie der Sache liegt jedoch nicht darin, dass in der Knoblauchsoße vielleicht orientalisches Gammelfleisch versteckt war,

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Das Fleisch kam aus Deutschland! – Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

sondern sie lag vielleicht gerade darin, dass sich in der Dresdner „Döner-Szene“ Menschen tummeln, die nun wirklich keine Ministersolidarität verdient haben. Erst am Dienstag dieser Woche schlagzeilte die „Bild“-Zeitung: „Döner-Mann erwürgte seine Geliebte, weil die Dresdnerin keine Lust mehr hatte, seine Zweitfrau zu sein.“ Der Türke Mehmet S. war laut „Bild“-Zeitung ein treusorgender Familienvater, der aber eine deutsche Freundin hatte. Am 27. September 2007 drang er nachts in ihre Wohnung ein und versuchte die schlafende Katharina H. zu erstechen.