Protocol of the Session on July 11, 2008

Sachsen bleibt ein tolerantes und weltoffenes Land.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Ich erteile das Wort der Fraktion der GRÜNEN; Frau Hermenau, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Zurzeit ist Sachsen kein weltoffenes, tolerantes Land. Wenn es das wäre, würden mehr als 2,8 % Ausländer in Sachsen leben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Zurzeit machen wir unserer Geschichte keine Ehre. Sachsen hat ein Problem mit dem Rechtsextremismus. Da gibt es nichts zu beschönigen. Da möchte ich auch keine Scheinpredigten hören. Wir werden uns mit diesem Problem befassen und es klar benennen müssen. Das sollte hier in dieser Debatte heute geschehen.

Als das EM-Spiel stattfand, gab es danach sehr gezielte Angriffe auf türkische Geschäfte in der Dresdner Neustadt. Dazu muss man sagen, dass das geplante Aktionen waren, die mitnichten spontan oder im Suff oder im Fußballtaumel erfolgten. Das war geplant und gezielt. Sie wollten die Zonen der Angst und Verunsicherung ausdehnen, und zwar in genau den Stadtteil von Dresden, der besonders dafür bekannt ist, ausländerfreundlich und tolerant zu sein. Das war ihr strategisches Ziel und deswegen gab es diese Angriffe.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Sie versuchen überall Angstzonen zu verbreiten. Es ist inzwischen so, dass wirklich Menschen fremder Herkunft, denen man das optisch ansieht, in vielen ostdeutschen Regionen weniger sicher leben als in anderen Teilen Deutschlands. Das ist ein Problem.

Der Anteil der Ausländer ist sehr gering. Das habe ich schon gesagt. In Sachsen beträgt er 2,8 %, in NordrheinWestfalen 10,6 %, in Baden-Württemberg 11,8 %.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

In diesen Ländern hat die NPD keine Wahlerfolge. Warum ist die NPD in NRW und in Baden-Württemberg nicht in den Landtagen? Das ist ganz klar: weil dort viele Ausländer leben, man hat den täglichen Kontakt, man kann sie kennen lernen, und dann bauen sich natürlich Ressentiments ab. Das ist doch ganz logisch. Hinzu kommt, dass 9 % der Firmen, die sich in diesen Ländern befinden, von Zugewanderten gegründet wurden, dass also auch ökonomische Vorteile daraus entstehen, dass sich die Menschen in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg ansiedeln. Und wer wollte leugnen, das BadenWürttemberg wirtschaftlich erfolgreich ist?

Auch deswegen müssen wir ganz genau überlegen, ob wir denen da drüben das Feld überlassen. Das führt nämlich zu ökonomischen Schäden.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der Linksfraktion, der SPD und der FDP)

Ich weiß, dass sich DIE LINKE in diesen Fragen immer sehr engagiert zeigt, aber wir werden uns gemeinsam kritisch fragen müssen, ob die fehlende Erfahrung des Zusammenlebens mit Ausländern auch damit zu tun hat, dass zu DDR-Zeiten die Vertragsarbeiter von der einheimischen Bevölkerung isoliert worden sind. Sie haben in ihren eigenen Wohnblöcken gewohnt. Es gab keine Integration. Die Dauer ihres Aufenthaltes war begrenzt. Der Ostdeutsche hat seit dem Zweiten Weltkrieg eigentlich keinerlei Naherfahrung mehr mit Ausländern gemacht. Und da stehen wir jetzt. Das ist das Problem, das wir haben.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Also macht sich aus Unkenntnis der ökonomischen und auch der kulturellen Vorteile landläufig die Meinung breit: Lieber keine Ausländer reinlassen! – Es gibt im Gegenteil sogar ein stärkeres Potenzial für die Abwanderung zum Beispiel gut qualifizierter Frauen – wir haben das gestern debattiert –, weil sie vielleicht mit solchen Leuten nicht zusammenleben wollen und auch unter ihnen keinen Mann finden, mit dem sie zusammenleben wollen. Das heißt, das verschärft das Problem noch einmal, auch ökonomisch. Ich weiß ja nicht, wie Sie sich das in Ihren kleinen Männerrunden vorstellen, wenn Sie überlegen, wie Sie da im Grasröckchen der Globalisierung trotzen

oder Männerprojekte im Wald machen, wie ich immer finde.

Wir werden nur mit Intelligenz, Bildung und Innovation der Globalisierung widerstehen, sie beherrschen und managen können. Ansonsten gehen wir hier unter. Und da sind die Ausländer und auch die, die sich angewidert fühlen und das Land verlassen, weil sie in solch einem Muff nicht leben wollen, natürlich wichtig, um das zu schaffen, gegen die Globalisierung zu bestehen und Sachsen weiterhin zu einem reichen Land zu machen, das auch wirtschaftlich erfolgreich ist.

Dieser wirtschaftliche Schaden ist in der Tat da. Es gibt wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen in der EU, aber auch in den USA, die gezeigt haben, dass ein durchschnittlicher US-Bürger – ich rede nicht von Akademikern – viel produktiver ist, wenn er sich in einem Umfeld mit vielen Ausländern befindet. Diese kulturelle Vielfalt, diese Diversität ist die Ursache einer höheren Produktivität. Übrigens gilt das auch für Westdeutschland und für Großbritannien. Die Patentanmeldungen steigen sprunghaft, wenn man solch ein kulturelles Umfeld hat, weil eben verschiedene Lösungen und verschiedene Problemlösungsstrategien bei der Arbeit diskutiert werden und damit ganz neue Patente möglich sind. Sachsen hat bisher pro 100 000 Einwohner 19 Patentanmeldungen zu verzeichnen. Wir liegen auf dem viertletzten Platz der Flächenländer. Wir könnten das deutlich besser machen. – Aber dazu nachher mehr.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion, der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Ich erteile der Sächsischen Ausländerbeauftragten das Wort.

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht das erste Mal, dass wir über Weltoffenheit, über Toleranz reden. Wir können es nicht oft genug tun; denn Weltoffenheit und Toleranz sind nicht einfach liebenswerte Merkmale Sachsens oder gepflegter Luxus – Weltoffenheit und Toleranz sind eine zentrale Ressource unseres Landes. Demografische Entwicklung, wirtschaftlicher Aufschwung und Festigung der Demokratie können wir nicht „ohne“ denken, ohne weltoffen, ohne tolerant zu sein.

Sachsen ist ein weltoffenes Land und Sachsen ist ein tolerantes Land. Das zeigt nicht zuletzt ein Blick in die Geschichte unseres Landes. Das zeigen die Menschen, die in unserem Land leben. Gewaltbereitschaft, Intoleranz, Extremismus und Fremdenfeindlichkeit sind jedoch auch Tatsachen. Übergriffe während der Europameisterschaft auf türkische Imbissläden und Personen in der Dresdner Neustadt und anderswo stellen aber die Ausnahme dar. Hass, Gewalt und fremdenfeindliche Ausschreitungen sind keine Markenzeichen Sachsens oder Dresdens. Sie gab es in der Vergangenheit, sie werden sich zu meinem Bedauern auch künftig nicht vollständig verhindern lassen.

Meine Damen und Herren, Weltoffenheit und Toleranz verteidigen wir aber nicht dadurch, dass wir das Verhalten der Gewalttäter lautstark beklagen oder indem wir uns für unser Land und für unsere Stadt schämen. Das Verhalten der Täter ist in der Tat beschämend, aber deshalb lassen wir weder Stadt noch Land in Generalhaftung nehmen. Denn Stadt und Land, das sind vor allem die Menschen, die sich Tag für Tag ehrenamtlich engagieren, in Elternbeiräten, in Sport- und Kulturvereinen, bei Stadtteilfesten, in Religionsgemeinschaften und vielem mehr. Das sind Menschen, die über den Tellerrand blicken, die offen und gastfreundlich sind, und Menschen, die selbstverständlich mit Zuwanderern leben, die sich für Integration einsetzen und sich gegen die gefährliche Rhetorik der Rechtsextremisten zu wehren wissen. Dessen schäme ich mich nicht. Auf diese Menschen bin ich stolz.

Auch mir ist bekannt, dass wir mitunter weit davon entfernt sind, alle auf diesem Weg mitgenommen zu haben. Noch immer spielen Vorurteile, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus eine Rolle. Deshalb ist es wichtig, für etwas zu kämpfen, nämlich für gelebte Weltoffenheit und Toleranz, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für Freiheit und Menschenwürde.

(Beifall bei der CDU und den GRÜNEN)

Dieser Aufgabe müssen wir uns alle stellen.

Meine Damen und Herren, im Koalitionsvertrag von 2004 heißt es: „Die Koalitionspartner wissen, dass eine demokratische Kultur nicht allein durch eine friedliche Revolution und ein Leben in 15 Jahren Demokratie entsteht. Die Herausbildung einer demokratischen Kultur der Toleranz und Weltoffenheit ist eine langfristige und dauerhafte Aufgabe.“

Weltoffenheit, Toleranz, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit müssen verteidigt werden. Polizei, Gerichte, Schulen, Jugend- und Sozialämter sind gefordert. Doch wir dürfen uns nicht hinter ihnen verstecken. Demokratie lebt davon, dass sich die Menschen einbringen, dass sie Initiative ergreifen und sich für das Gemeinwohl einsetzen. Es gilt, die Verantwortung jeder und jedes Einzelnen deutlich zu machen. Sachverhaltsverzerrungen, Vorurteilen und nationalistischen Ressentiments muss entschieden entgegengetreten werden, nicht allein in diesem Hohen Haus, jede und jeder an seinem Platz.

Ein Pariser Germanist bezeichnete Sachsen vor einigen Jahren als europäischen Melting Pot, als Schmelztiegel. Das hat er nicht nur so dahingesagt. Ob in Politik, Wirtschaft, in Kultur, Religion, in Kunst oder Wissenschaft – Sachsen hat es in seiner Geschichte verstanden, vielfältige Beziehungen zu anderen Ländern, wie etwa Russland, Frankreich, Polen oder Großbritannien, zu pflegen. Eingewanderte französische Hugenotten haben dazu beigetragen, Leipzig zu einem führenden europäischen Handelszentrum zu entwickeln. Böhmische Glaubensflüchtlinge machten Sachsen stark und ließen Annaberg oder Marienberg erblühen. Der sächsische Bergbau und die hier gewonnenen Erkenntnisse fanden und finden

weltweite Anerkennung und Achtung. Sächsische Güter sind Exportschlager. Derzeit ist fast jeder vierte Unternehmer und fast jeder zehnte Arzt in Sachsen Ausländer. Das sächsische Handwerk spricht von der Öffnung der Ausbildungsplätze für polnische und tschechische Jugendliche.

(Jürgen Gansel, NPD: Nein!)

Sächsische Universitäten stehen im Wettbewerb um die besten Köpfe weltweit. Die Dresdner Frauenkirche und die Neue Leipziger Schule erfahren weltweite Anerkennung.

Das alles ließe sich fortsetzen. Wir können stolz auf unser Land sein. Wichtig ist Weltoffenheit und Toleranz. Das garantiert die Zukunftsfähigkeit Sachsens in einer globalisierten Welt. Es ist unser aller Verpflichtung, dieser Verantwortung im Interesse unseres Landes und unserer Menschen gerecht zu werden.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich erteile das Wort der Fraktion der CDU; Herr Rohwer, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Friederike de Haas hat bereits auf das Programm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ hingewiesen. Der Freistaat Sachsen investiert in dieses Programm jährlich 2 Millionen Euro. In keinem anderen Bundesland steht für diese wichtige Arbeit ein solch stolzer Betrag zur Verfügung.

Aber darin eingerechnet sind noch nicht – das ist der Grund, warum ich noch einmal das Wort ergriffen habe – die vielen freiwilligen Initiativen Einzelner und von Personengruppen, die ohne staatliche finanzielle Unterstützung betrieben werden. Ich denke dabei an ein Beispiel aus dem Dresdner Westen, meinem Wahlkreis. Dort hat am Montag ein Tag der Toleranz am Gymnasium Cotta stattgefunden. Dieser Tag der Toleranz ist eine Initiative des Schülerrates, das heißt, er wird nun – das schon zum dritten Mal – eigenständig und eigenverantwortlich von den Schülerinnen und Schülern organisiert. Insbesondere unter der Leitung der Schülersprecherin Ann-Kristin Ossa wurden verschiedene Vereine, Initiativen und Referenten eingeladen. Dazu gehörten die Ärzte ohne Grenzen oder auch Vereine zur Förderung von jüdischem Leben.

Allein die Information hilft, Horizonte zu weiten, ohne die eigene Herkunft zu vergessen. Was ich bemerkenswert finde: Auch die Lehrerschaft wurde durch eine besondere Veranstaltung gegen Rechtsextremismus und seine Wirkungen systematisch in den Projekttag eingebunden. Entstanden ist dieser Tag der Toleranz aus dem Antirassismustag. Das Gymnasium Cotta hat diese Initiative durch den Tag der Toleranz programmatisch ausgeweitet. Sie wollen nämlich nicht nur gegen etwas sein, sondern – wie es Friederike de Haas gerade vorgetragen und erläutert hat – sie wollen auch für etwas stehen, und zwar für

Toleranz und Demokratie, denn diese geht uns alle etwas an. Das kann die sächsische CDU-Fraktion mit gutem und ruhigem Gewissen auch unterschreiben.

Hervorzuheben ist für mich an dieser Stelle die Arbeit des Landessportbundes, der regelmäßig Übungsleiterschulungen organisiert, um Sportvereine und ihre Trainer im Umgang mit Extremismus zu schulen. Dort werden auch extremistische Symbole und Parolen verdeutlicht, um frühzeitig zu erkennen, wo sich extremistische Positionen entwickeln und wie man sie systematisch bekämpfen kann. Dieses Wissen kommt dann nicht nur den Sportvereinen zugute, sondern unserer gesamten Gesellschaft.

Genau deshalb bedarf es einer Verstetigung dieser und ähnlicher Programme auf andere Vereine. Ich denke dabei an Freiwillige Feuerwehren und Heimatvereine. Mit diesem Programm setzt der Landessportbund ganz unten an der Basis an und das ist auch richtig so; denn nur aus der Basis unserer Gesellschaft heraus lassen sich die Ursachen extremistischer Gesinnung bekämpfen. Wir brauchen keinen Aufstand der Gesellschaft, sondern jeder Einzelne an seinem Platz muss sich für unsere Freiheit, für unsere Demokratie und Toleranz einsetzen. Es zählt das Engagement jedes Einzelnen und nicht die utopische Idee eines Aufstandes der Gesellschaft.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, gern.

Herr Dr. Gillo, bitte.

Herr Kollege Rohwer, sind Sie mit mir einer Meinung, dass es im Sinne einer größeren Weltoffenheit auch hilfreich wäre, wenn wir aufhören würden, im Freistaat bei Vietnamesen von „Vitschis“ zu sprechen?

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Dem stimme ich zu. – Lassen Sie mich zu meiner These zurückkommen. Ich bin der Meinung, ein Aufstand der Gesellschaft bringt uns nicht weiter, denn das würde von oben verordnet werden. Wer kennt es nicht: das Kollektivgutdilemma, die Schwierigkeit, öffentliche Güter durch die gesamte Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten? Wenn eine ganze Gesellschaft verantwortlich ist, eine große Gemeinschaft zusammen anpacken soll, ergibt sich oft dieses Dilemma: Warum soll gerade ich anfangen? Warum soll gerade ich die Initiative ergreifen? Die deutsche Gesellschaft besteht doch aus 82 Millionen Menschen und im Freistaat leben 4,2 Millionen Einwohner. Da gibt es doch genügend andere, die einen Anfang starten können.

Was will ich damit sagen, meine Damen und Herren Kollegen? Engagement für Toleranz und Demokratie kann nicht von oben kommen. Sie muss von oben unterstützt werden, aber sie wird nicht von oben funktionieren. Stattdessen müssen wir an der Basis mit jedem einzelnen

Bürger beginnen, das Engagement jedes Einzelnen für Toleranz und Demokratie fördern und fordern, denn nur vor Ort können wir etwas verändern, nur vor Ort füllen sich Begriffe wie Toleranz, Weltoffenheit und Demokratie mit Leben.