Wenn man die ganze Emissionshysterie, die Feinstaubpolemik, die Ideen zur Energie- und Ökosteuer und ähnliche Themen betrachtet, beginnt hier der Widerspruch.
Glauben Sie denn, Herr Lichdi, wir werden jeden entlegenen Ortsteil oder den hintersten Vierseitenhof an den öffentlichen Nahverkehr anschließen können? Das wird nichts. Dort, wo Strecken aus wirtschaftlicher Erwägung bereits stillgelegt wurden oder noch werden müssen, hat der Einsatz von Bussen mitunter gute Chancen, den Bedürfnissen der Menschen in der ländlichen Region gerecht zu werden. Ein Zugkilometer kostet 11,50 Euro, der Bus kostet uns lediglich 3,00 Euro. In unterfrequentierten Strecken ist das natürlich eine vernünftige Alternative.
Fakt ist, dass besonders in ostdeutschen Ländern die Anpassung des ÖPNV an die tatsächlichen Gegebenheiten noch nicht in dem Maße stattgefunden hat, wie es in den alten Bundesländern der Fall ist. Mit einer guten Ausstattung an Regionalisierungsmitteln, die darüber hinaus in Sachsen durch Landesmittel aufgestockt wurden, ist es uns bisher in Sachsen gelungen, Verkehrsleistungen für Strecken zu vergeben, die von Bundesländern wie BadenWürttemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und sonst wo bereits seit Längerem nicht mehr finanzierbar sind. Hier müssen wir mit geringer werdender Finanzausstattung umzusteuern beginnen, ob wir wollen oder nicht.
Unsere Zweckverbände optimieren schon jetzt die vorhandenen Angebote in hoher Qualität, stimmen sich untereinander zunehmend besser ab, binden Nahverkehr und touristische Belange mit ein. Ich glaube, auch hier brauchen wir den Vergleich mit Rheinland-Pfalz in keiner Weise zu scheuen.
Wenn wir über die Attraktivität des Bahnverkehrs sprechen, müssen wir natürlich auch über den Fernverkehr sprechen. Herr Lichdi hat das zu Beginn getan. Ich komme jetzt dazu. Dort sind wir uns in vielen Punkten einig, nämlich dass Sachsen da nicht gerade ein Glanzlicht ist. Wir fordern schon seit längerer Zeit von Bund und Bahn die Verbesserung der schlechten Anbindung der sächsischen Zentren und insbesondere der Chemnitzer Region.
Die der Bahn zur Verfügung stehenden und im Osten eingesetzten Investitionsmittel reichen bei Weitem nicht aus, um die erheblichen Nachteile abzubauen. Deshalb fordern wir ein besonderes Investitionspaket für den Osten, das uns unseren Nachholbedarf, wie in anderen Bereichen weitgehend geschehen, effektiv abbauen lässt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist kein Geheimnis, dass es mit der Erreichbarkeit Sachsens aus dem Bundesgebiet nicht zum Besten steht. Vor allem Dresden, aber auch abgeschwächt Leipzig bilden in der Klasse der Halbmillionen-Agglomerationen bundesweit die Schlusslichter. Chemnitz als Großstadt ist sogar von jeglicher überregionaler schneller Verkehrsanbindung völlig abgehängt. Ein Menetekel für die Entwicklung der Metropolregion Sachsendreieck!
Defizite sind auch bei Verbindungen innerhalb Sachsens auszumachen. Die Qualität im Schienenpersonennahverkehr ist regional sehr verschieden. Bereiche Ost- und Mittelsachsens haben schlechte Angebote, aber auch die Anbindung der Metropole Leipzig an sein südliches Umland ist nach wie vor grottenschlecht. Das Angebot Leipzig–Merseburg wurde stillgelegt. Die landesweite Abstimmung der Angebote im Schienenpersonennahverkehr ist nach wie vor defizitär. Und, Herr Prof. Bolick, ohne alles schönzureden, wie Sie es eben getan haben, oder aber ohne alles schlechtzureden, wie Herr Lichdi es vorgetragen hat, bestehen erhebliche Defizite in der Abstimmung der Fahrpläne und auch in der Abstimmung mit dem Busverkehr.
Die strukturelle Gliederung des sächsischen öffentlichen Personennahverkehrs in fünf kleine Verkehrsverbünde hat zu diesen Abstimmungsschwierigkeiten und Brüchen im Tarifsystem beigetragen. Daher ist die berechtigte Frage zu stellen, ob diese strukturelle Zergliederung heute tatsächlich noch zeitgemäß ist. Der Versuch von Minister Jurk, eine einheitliche Landesverkehrsgesellschaft zu bilden, ist in Sachsen kläglich – wahrscheinlich an der CDU – gescheitert.
Von 1994 bis März 2008 wurden in Sachsen 59 Strecken oder 580 Streckenkilometer stillgelegt. Was ist eigentlich aus der Eisenbahnkonzeption des Freistaates Sachsen aus dem Jahr 1997 geworden? Ihr folgten zunächst weitere Stilllegungen von Nebenstrecken, und auch das Projekt „Sachsentakt“ zur Entwicklung des integralen Taktfahrplans lässt weiter auf sich warten. Obwohl die damalige PDS-Fraktion im März 2004 eine Anhörung zum Thema „Integraler Taktfahrplan in der Metropolregion Sachsendreieck“ beantragt und die Experten ausführlich dazu Stellung genommen hatten, ist bisher diesbezüglich nicht genügend passiert.
Wo liegen die Versäumnisse in der Vergangenheit, Herr Bolick? Die Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz flossen zum größten Teil in den Straßenbau.
Lediglich 10 % davon wurden für öffentlichen Verkehr eingesetzt. In anderen Bundesländern beträgt dieser Anteil 40 bis 50 %. Diese einseitige Prioritätensetzung zugunsten des Straßenverkehrs haben wir als Fraktion regelmäßig im Zusammenhang mit den Haushaltsdebatten kritisiert. Die ungleiche Verteilung der Mittel auf die Regionen Sachsens hat zur Vernachlässigung Ostsachsens geführt, ohne der Gleichmacherei das Wort zu reden. Während im Vogtland seit 1998 Züge im Stundentakt mit 80 Stundenkilometern fahren, brauchen die Züge auf der Strecke Görlitz–Zittau für 43 Kilometer 50 Minuten.
Aufgrund des Sanierungsrückstandes hat Sachsen heute die mit Abstand höchsten Zugkilometerkosten in Deutschland. Die Regionalfaktoren der Deutschen Bahn Netz AG haben den Schienenpersonennahverkehr im Nebennetz zusätzlich verteuert. Der bundesweit höchste Zuschuss pro Zugleistung verursacht naturgemäß ein geringeres Bestellvolumen und damit ein ausgedünntes Angebot. Dadurch ist der Zweistundentakt vorherrschend, Anschlüsse sind nur wenig koordiniert, lange Wartezeiten in Knotenbahnhöfen und lange Reisezeiten als Folge können im Wettbewerb mit dem Kraftverkehr nicht bestehen.
Im Personenfernverkehr braucht Sachsen eine schnelle Anbindung von Dresden nach Berlin und nach Prag und Budapest. Aber auch eine schon einmal durchgehende Verbindung von Dresden bzw. Leipzig nach Wrocław und Krakau muss auf den Weg gebracht werden.
Es ist ein schöner Erfolg, dass die Sachsen-Franken-Magistrale zunächst per Vertrag unter Dach und Fach gebracht worden ist. Mir ist schon bewusst, – –
(Die Präsidentin schaltet das Mikrofon ab. – Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Dann habe ich noch einmal fünf Minuten.)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Herr Lichdi, ich hätte eine gute Lösung für unser Problem, den ÖPNV noch attraktiver zu gestalten. Ich würde es nämlich nicht so negativ formulieren, wie Sie das machen. Wir geben Jobtickets aus, hauptsächlich für Mitarbeiter im Finanzministerium. Das heißt also, diese dürfen jetzt alle nur noch mit dem ÖPNV fahren. Was denken Sie, wie schnell sich die Attraktivität dieses Systems zum Positiven wenden wird?! Gut. Das wäre vielleicht ein Antragsvorschlag für Sie. Versuchen Sie mal Ihr Glück.
Prinzipiell aber heißt Ihr Thema „Mobilität für alle“ – das steht im Vordergrund – und an zweiter Stelle „Attraktivität des Bahnverkehrs in Sachsen erhöhen“. Wenn ich über Mobilität für alle spreche, ist es mir ein bisschen wenig, das allein auf die Attraktivität des Bahnverkehrs zu beziehen.
Mobilität ermöglicht Freiheit und Lebensqualität. Sie ist eine wichtige Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung in unserer arbeitsteiligen Wirtschaft. Das ist immer ein wichtiges Kriterium unseres Koalitionspartners. Sozialdemokratische Verkehrspolitik verfolgt darüber hinaus das Ziel, das individuelle Grundrecht auf Mobilität so weit wie möglich mit ökologischen und sozialen Erfordernissen in Einklang zu bringen.
Ökologisch heißt dabei: Verkehr ist so zu gestalten, dass die natürliche Lebensgrundlage und zugleich die Lebensqualität dieser und kommender Generationen gewahrt bleibt. Dazu habe ich von Ihnen, Herr Lichdi, kaum etwas gehört. Wir müssen auch die demografische Entwicklung berücksichtigen. Das Problem, dass der Schülerverkehr um 34 % zurückgegangen ist, muss das System in irgendeiner Weise finanziell tragen.
Sozial heißt: Verkehr soll die gleichberechtigte Teilhabe aller am öffentlichen Leben ermöglichen. Verkehrspolitik hat daher auch eine soziale Verantwortung. Darüber sollten wir noch intensiver nachdenken. Zu berücksichtigen ist, dass fast die Hälfte unserer Bürger im Alltag auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist. Dem müssen wir mit einer gut durchdachten Regional- und vor allem auch Landesplanung Rechnung tragen. Wenn ich mir die Regionalpläne ansehe, fehlt vielerorts ein vernünftiges Konzept. Es ist wenig hilfreich, Verkehre in ideologische Kategorien wie „gut“ oder „schlecht“ einzuteilen. Bei realistischer Einschätzung der Gesamtsituation muss klar sein, dass die Straße auch in Zukunft den Löwenanteil der Verkehre bewältigen wird. Natürlich gebe ich Ihnen recht, Herr Lichdi: Wenn die Benzinpreise ins Unermessliche steigen, brauchen wir entweder eine Alternative oder viele sind aus sozialen Gründen gezwungen umzusteigen.
In Zukunft müssen Straße und Schiene, Wasserstraße und Luftraum besser als bisher zu einem vernetzten Verkehrssystem zusammengefasst werden. Natürlich geht es dabei nicht nur um den Mehrverkehr auf der Schiene, sondern
auch um den verstärkten Ausbau von Verkehrsachsen und -knotenpunkten sowie um umwelt- und klimafreundlichen Verkehr.
Die Fakten zeigen, dass zwischen 1950 und 2006 der Personenverkehr um etwa 1 130 % zugenommen hat. Um etwa 820 % wuchs in dieser Zeit der Güterverkehr. Dieser Zuwachs an Mobilität bei den Personen und den Gütern ging mit einer Verschiebung von der Schiene auf die Straße einher. Wurden im Jahr 1950 noch 62,3 % der Güter von der Eisenbahn transportiert, so waren es 2006 nur noch 17,7 %. Dieser Prozess beginnt sich zwar langsam umzukehren, aber nicht von allein. Wir müssen Erhebliches dafür tun und vor allen Dingen erhebliche Mittel in dieses System stecken.
Die rot-grüne Bundesregierung hat in der deutschen Verkehrspolitik ein Umsteuern hin zu mehr Nachhaltigkeit eingeleitet. Nachhaltige Mobilität ist ohne den Schienenverkehr undenkbar. Deshalb hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren erhebliche Mittel bereitgestellt, um den Verkehrsträger Schiene im Wettbewerb insbesondere mit dem Straßenverkehr zu stärken. So wurden zum Beispiel im Jahr 2002 die Schieneninvestitionen auf eine Rekordhöhe von 4,5 Milliarden Euro gebracht. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Allein in Sachsen wurden seit 1991 rund 5 Milliarden Euro in das Schienennetz investiert. Viele Strecken wurden erneuert. Dazu wurde von meinen Vorrednern schon etliches gesagt.
Ein wichtiges Ziel unserer Politik besteht darin, den Bürgern einen attraktiven öffentlichen Personennahverkehr zu erschwinglichen Preisen anzubieten. Bei der Verwirklichung dieses Zieles setzen wir auf starke, alle Sparten umfassende Verkehrsverbünde. Wir lehnen diese also nicht so ab, wie das von einigen gesagt wurde. Diese Verkehrsverbünde müssen sich als Mobilitätszentrale verstehen und integrierte Dienstleistungsketten von Haustür zu Haustür anbieten. Im sächsischen Doppelhaushalt 2007/2008 stehen für diese Leistungen rund 570 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist eine erhebliche Summe.
Wichtig ist also, Mobilität wirklich für alle zu ermöglichen. Dabei orientieren wir uns verstärkt an den Mobilitätsbedürfnissen verschiedener Altersgruppen, berücksichtigen dabei aber auch die sich aus Geschlecht und sozialer Lage ergebenden unterschiedlichen Bedürfnisse.
Insbesondere für Behinderte ist die Infrastruktur konsequent barrierefrei zu gestalten. Wir unterstützen die Einführung von Jobtickets und auch eines einheitlichen Sachsentarifs. Da ist etliches zu tun. Darüber hinaus prüfen wir gegenwärtig die Möglichkeit, analog zur Stadt Leipzig oder zum Land Brandenburg für sozial Schwache ein Sozialticket einzuführen.
Ich komme zum Schluss. – All das trägt zur Mobilität bei und ist weit mehr als nur ein attraktiver Bahnverkehr.