Protocol of the Session on June 18, 2008

Herr Ministerpräsident, wenn Ihr Amtsantritt wirklich in Mut begründet lag und nicht törichte Leichtfertigkeit war, kann ich nur hoffen, dass Sie auch den Mut für einen tiefgreifenden politischen Paradigmenwechsel mitbringen. Aus Ihrer Rede war das leider nicht zu erkennen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Für die FDP-Fraktion Herr Zastrow.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Das war alles ganz interessant, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, und da ich kaum Widersprüchliches in Ihren Ausführungen gehört habe, nehme ich an, dass sich die allermeisten hier in diesem Raum mit dem allermeisten, was Sie heute

gesagt haben, identifizieren können. Die Sache hat nur zwei Haken: Das meiste, was Sie gesagt haben, ist quasi bereits seit ungefähr vier Jahren Grundlage einer ohnehin nicht allzu ehrgeizigen Koalitionsvereinbarung mit der SPD hier in Sachsen. Wir sind zwar vielleicht alle Papst, aber Sie sind Regierung und ich frage Sie, warum Sie, CDU und SPD, das, was Sie jetzt für die nächsten 15 Monate angekündigt haben, nicht schon in den letzten dreieinhalb Jahren einfach umgesetzt haben.

(Beifall bei der FDP)

Zweitens hätte ich mir ein bisschen mehr Neues, ein bisschen mehr Typisches, auch ein wenig mehr Ecken und Kanten gewünscht. Aber dazu vielleicht später noch etwas.

Mir ist nach Ihrer Regierungserklärung immer noch nicht ganz klar, warum sich die Sachsen eigentlich freuen sollen, dass SPD und CDU dieses Land noch weitere 15 Monate regieren. Ich habe auch keinen Grund dafür entdeckt – ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört –, warum das eigentlich für unser Land, für den Freistaat Sachsen gut sein soll. Denn ich glaube, dass CDU und SPD dreieinhalb Jahre Zeit hatten, um uns und den Menschen in diesem Land zu zeigen, was sie drauf haben. Dreieinhalb Jahre, das ist länger, als jede Lehre dauert. In dieser Zeit konnten Sie allen hier klarmachen, was zu reißen Sie imstande sind.

Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich habe genug gesehen. Ich brauche keine weiteren 15 Monate des Experimentierens,

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

um die Leistungskraft dieser Koalitionsregierung einschätzen zu können und feststellen zu müssen, dass das Modell CDU plus SPD ganz gewiss keine gute Variante für den Freistaat ist.

(Beifall bei der FDP)

Da mich der neue CDU-Fraktionsvorsitzende, Herr Flath, vorhin dazu motiviert hat, werde auch ich kurz in die Sprache der Fußballeuropameisterschaft abgleiten: Sie haben zwar jetzt Ihr Einwechselkontingent ausgeschöpft und Sie haben sich sicherlich auch in der Kabine zusammengefunden

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

und sich noch einmal ordentlich Mut zugesprochen, um jetzt mit einigem verbalen Schwung in die Verlängerung zu gehen;

(Stefan Brangs, SPD: Ins Finale!)

ich sage Ihnen aber ganz ehrlich: Sie werden das Spiel nicht mehr drehen. Die Situation ändert sich nicht nur – –

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Herr Lichdi, gehen Sie ans Mikrofon!

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Nein!)

Dieses Hineingequäke nervt,

(Beifall bei der FDP und der Staatsregierung)

zumal Herr Lichdi solch eine helle Stimme hat.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Lichdi?

Da braucht er einfach die Verstärkung des Mikrofons. Das ist anders als bei mir.

(Heiterkeit)

Herr Zastrow, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte schön.

Vielen Dank, Herr Kollege Zastrow, dass Sie die Zwischenfrage gestatten. – Ich habe Ihnen jetzt ebenso aufmerksam zugehört, wie Sie angeblich dem Ministerpräsidenten zugehört haben. Sie reden jetzt geschlagene 4 Minuten, haben aber bisher keinen einzigen inhaltlichen Kritikpunkt an der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten vorgetragen.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Daher möchte ich Sie wirklich allen Ernstes fragen, ob Sie beabsichtigen, im Laufe Ihrer Redezeit noch zu Inhalten zu sprechen. Oder wollen Sie Ihre Rede, wie Sie es immer tun, mit der Aussage erschöpfen: „Es muss alles schneller gehen und wir von der FDP wollen endlich in die Regierung aufgenommen werden“?

(Vereinzelt Beifall bei der NPD und des Abg. Klaus-Jürgen Menzel, fraktionslos)

Es gab die Rede meines Fraktionsvorsitzendenkollegen Herrn Flath und er hat zum Beispiel in 40 Minuten überhaupt keine Kritik an der Regierung geäußert.

(Heiterkeit)

Da ich das viel schneller machen muss und Sie nur 13 Minuten quälen werde – Sie wissen, das geht den GRÜNEN ganz genauso, wir haben hier überschaubare Redezeiten –, kann ich Ihnen aber versichern: Ich werde nach dieser Einleitung, die auch unheimlich spannend für Sie ist, Herr Lichdi – Sie mögen sie ja auch, deswegen treibt es Sie ans Mikrofon –, natürlich auch zu inhaltlichen Punkten kommen. Aber ein bisschen Analyse muss bei dieser Gelegenheit schon sein. Das haben die anderen auch gemacht.

Deswegen will ich klar sagen, dass die vergangenen dreieinhalb Jahre für Sachsen aus unserer Sicht in etlichen Bereichen verlorene dreieinhalb Jahre gewesen sind. Da war nicht mehr viel von dem Schwung, von dem Esprit, von der Dynamik und der Kreativität der ersten Aufbaujahre zu spüren. Im Gegenteil, die sächsische Landespoli

tik war in weiten Teilen von oftmals unüberbrückbaren Gegensätzen innerhalb der Landesregierung, von einem sehr rüden und respektlosen Umgangston und von gegenseitigem Blockieren und Stillstand geprägt.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Da hat er nicht ganz unrecht!)

Ihre Lust, Herr Tillich, unbedingt in dieser Konstellation weitermachen zu wollen, zeigt Ihre Leidensfähigkeit – die brauchen Sie sicherlich als Ministerpräsident auch, das ist also eine gute Charaktereigenschaft –; sie macht mir allerdings etwas Angst. Aber ich denke – nehmen Sie es mir bitte nicht übel –, dass ein starker Ministerpräsident seinen Amtsantritt mit der Forderung nach vorgezogenen Neuwahlen, zum Beispiel im Herbst dieses Jahres, verbunden hätte. Ich glaube, dass ein starker Ministerpräsident die Wählerinnen und Wähler jetzt neu entscheiden lassen würde, welche politische Konstellation sie für Sachsen gut fänden. Wenn es dieselbe ist wie bisher, ist es auch gut, aber sie sollten die Chance haben, möglichst schnell neu zu entscheiden.

(Beifall bei der FDP)

Sachsen hat einen Teil der letzten dreieinhalb Jahre politisch vergeudet, hat jede Menge Gestaltungschancen nicht genutzt und aufgrund des Sachsen-LB-Desasters natürlich auch eine millionenschwere Mitgift bekommen, die uns allen noch viele Jahre schwer im Magen liegen wird.

Dennoch – und vielleicht gerade deshalb – steht der Freistaat Sachsen vor gewaltigen Aufgaben, die der Ministerpräsident vorhin in seiner Regierungserklärung völlig zutreffend skizziert hat. Bitte gestatten Sie mir, dass ich aus unserer Sicht ein paar Schwerpunkte dazu nenne:

Wir haben nur noch zwölf Jahre Zeit, um als Freistaat Sachsen auf eigenen Beinen zu stehen. Im Jahr 2020 ist Schluss mit den immer noch sehr üppigen Transferzahlungen aus dem Westen und ich frage Sie, ob wir auf diesen Tag X tatsächlich vorbereitet sind? Was die Staatsverschuldung betrifft, glaube ich, ist das der Fall. Wenn ich allerdings an die halbherzige Verwaltungsreform, die wir gerade abgeschlossen haben, denke, bei der es keinen Aufgabenverzicht gegeben hat, bei der es keine Privatisierung gegeben hat und bei der man beispielsweise einfach an einer Behördenstruktur wie dem Regierungspräsidium – jetzt nennt es sich Landesdirektion – festgehalten hat, dann sehe ich, was dieser mangelnde Reformgeist den Steuerzahler in diesem Land noch kosten wird. Und dann sehe ich auch, dass wir uns das spätestens ab 2020 nicht mehr werden leisten können.

Deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass wir schon sehr bald eine neue Verwaltungsreform in diesem Land brauchen werden.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt noch andere Baustellen. In den vergangenen Jahren hat es einen zunehmenden Rückzug der Politik aus der Fläche gegeben. Die Urbanität und der Lebenswert

des ländlichen Raumes wurden durch die Schulschließungen, aber auch durch den Abbau von Polizeistellen, durch den zunehmenden Ärztemangel, jedoch genauso durch immer noch nicht geschlossene Infrastrukturlücken nachhaltig geschädigt. Die Union hat das inzwischen auch erkannt, ich weiß, sonst würden Sie nicht landauf, landab von der Stärkung des ländlichen Raumes sprechen. Ich bin sehr gespannt, welche Taten Sie Ihren Worten in den nächsten Monaten folgen lassen werden.

Oder schauen wir in die Wirtschaftspolitik. Hier müssen wir uns schon die Frage stellen: Wie können wir besser als bisher helfen, dass aus unseren mittelständischen Betrieben eigene sächsische Leuchttürme werden, die wachsen und dadurch mehr krisenfeste, attraktive und vor allem gut bezahlte Jobs in Sachsen anbieten können? Die Rezepte, die dafür momentan vorgelegt werden, halte ich oft für unzureichend, wenn ich beispielsweise an das Instrument der Mikrodarlehen für Existenzgründer denke.

Ich habe gestern auch die „Freie Presse“ gelesen und erkenne wohl, dass unser Ministerpräsident ebenfalls skeptisch ist, was da hin und wieder aus seinem Wirtschaftsressort geboten wird. Allein mir fehlt der Glaube, dass es ihm besser ergeht als seinem Vorgänger und es ihm gelingt, ordnungspolitische Klarheit in das Wirtschaftsressort zu bekommen. Dies wäre zwingend notwendig.