Protocol of the Session on May 29, 2008

Meine Damen und Herren! Wir haben zwei Punkte. Dazu wird einzeln abgestimmt.

Ich rufe die Drucksache 4/12289 auf, Punkt I. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenstimmen? – Die Stimmenthaltungen? – Bei einer größeren Anzahl von Stimmenthaltungen und wenig Zustimmungen ist dieser Punkt mit großer Mehrheit abgelehnt.

Ich rufe den Punkt II der gleichen Drucksache auf. Bei Zustimmung bitte ich um Ihr Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Die Stimmenthaltungen. – Bei geändertem Abstimmungsverhalten ist dieser Punkt dennoch mit

großer Mehrheit ebenfalls abgelehnt. Somit erübrigt sich eine Gesamtabstimmung. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 9

15. Tätigkeitsbericht 2006/2007

Drucksache 4/10054, Unterrichtung durch den Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik

Drucksache 4/10877, Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses

Das Präsidium hat dafür eine Redezeit von 10 Minuten je Fraktion festgelegt. Wir haben die gewohnte Reihenfolge nach der Größe der Fraktion. Die Fraktion der CDU beginnt.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch unter dem unmittelbaren Eindruck der jahrzehntelangen perfiden Einschüchterungs- und Unterdrückungstätigkeit des Schwertes und Schildes der Partei der Arbeiterklasse, des allmächtigen Staatssicherheitsdienstes, hat der Sächsische Landtag vor nunmehr 16 Jahren das Gesetz über die Rechtsstellung des Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR beschlossen. Dem Landesbeauftragten wurde mit diesem Gesetz unter anderem die Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes durch Unterrichtung der Öffentlichkeit über Struktur, Methoden und Wirkungsweise des Staatssicherheitsdienstes als ein Instrument der SED zur Aufgabe gemacht, desgleichen Unterstützung der Forschung und der politischen Bildung bei der historischen und politischen Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes.

Der Landesbeauftragte hat dem Landtag mindestens jährlich einen Tätigkeitsbericht zu erstatten. Dieser liegt seit September vergangenen Jahres in seiner 15. Auflage in einem Umfang von 35 Seiten einschließlich Anlagen vor und konnte seitdem in seinem Detailreichtum von den Mitgliedern des Sächsischen Landtages studiert werden.

Herr Michael Beleites und seine vier Mitarbeiter, als kleinste Behörde des Freistaates, haben für ihre engagierte Tätigkeit, die im Bericht für den Zeitraum von Juli 2006 bis Juni 2007 dokumentiert wird, den Dank und die Anerkennung dieses Hohen Hauses verdient.

(Beifall bei der CDU)

In seiner Sitzung am 16. Januar dieses Jahres hat der Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss den Bericht des Landesbeauftragten mit 14 zu 5 Stimmen zustimmend zur Kenntnis genommen. Allein die Nachfolgepartei des früheren Auftraggebers der Stasi, die sich heute unter neuem Namen so gern einen demokratischen Anstrich gibt, hat mit ihrem Abstimmungsverhalten deutlich

gemacht, dass sie noch immer Schwierigkeiten hat, mit ihrer Vergangenheit zu brechen und sie ehrlich aufzuarbeiten.

(Volker Bandmann, CDU: Siehe Frontmann Gysi!)

Trotz anderslautender Erklärung wurde dies damit wieder deutlich dokumentiert. Das zeigt sich auch im peinlichen Auftritt ihres Frontmannes Gregor Gysi in der gestrigen Bundestagsdebatte angesichts neuer Erkenntnisse der Birthler-Behörde über seine Verstrickung in den StasiApparat, mit dem er alle Fraktionen des Bundestages brüskierte.

Meine Damen und Herren! Wir sind es den Opfern des Stalinismus, die an Leib und Leben geschädigt und in ihrer beruflichen Entwicklung diskriminiert wurden, schuldig, dass die Wahrheit über die Zeit von 1945 bis 1989 ans Tageslicht kommt und nicht nostalgisch verklärt wird. Dazu leistet der Sächsische Landesbeauftragte mit seinem kleinen Team einen überaus schätzenswerten Beitrag.

(Beifall bei der CDU)

Es ist erschütternd, dass fast 20 Jahre nach unserer friedlichen Revolution immer wieder neue Erkenntnisse über den Kraken Stasi bekannt werden. So hat eine jüngste Studie der Birthler-Behörde festgestellt, dass 1989 noch 189 000 IMs aktiv waren. Das entspricht sage und schreibe einem IM auf 89 Einwohner der DDR. Insgesamt verfügte die DDR demnach zwischen 1950 und 1989 über 620 000 Informelle Mitarbeiter. In ihrer Angst vor der eigenen Bevölkerung des Arbeiter- und Bauernstaates hat die SED durch die Stasi ein wirklich flächendeckendes Überwachungsnetz knüpfen lassen, unabhängig von einer vermeintlichen Bedrohungslage; denn laut empirischer Erhebung der erwähnten Studie waren 90 % der Spitzel nicht auf sogenannte feindliche DDR-Bürger angesetzt, sondern auf „Otto-Normalverbraucher“ im real existierenden Sozialismus.

Meine Damen und Herren! Wer wie ich selbst einmal in den Besitz seiner Stasiakte gelangt ist, kann nur das kalte Grausen bekommen, wenn er lesen muss, was die angesetzten Spitzel alles erdichteten, um den vorgefassten

Verdacht der staatsfeindlichen Hetze begründen zu helfen. In meinem Fall waren es immerhin neun Denunzianten, die mich zur Strecke bringen sollten.

Ende März dieses Jahres berichtete die „Sächsische Zeitung“, dass die DDR an das Bruderland Bulgarien sogar Kopfprämien in Höhe von 8 000 Mark für die Erschießung von DDR-Bürgern bezahlt habe, die über die bulgarische Grenze nach Griechenland oder in die Türkei zu fliehen versuchten.

Nach fast zwei Jahrzehnten werden leider immer noch neue schockierende Ungeheuerlichkeiten von SED und Stasi bekannt. Aber ich frage mich: Ist es der Milde des Rechtsstaates geschuldet, dass sich hohe Stasigeneräle zu Kongressen versammeln und ungeniert ihre Memoiren veröffentlichen, in denen sie die angeblich friedenssichernde Tätigkeit des MfS verklären? Tatsächlich sind nach der Wiedervereinigung im Ergebnis von circa 100 000 Ermittlungsverfahren nur etwa 750 Personen wegen Verbrechen an der innerdeutschen Grenze, Rechtsbeugung und MfS-Straftaten verurteilt worden. In drei Viertel der Fälle wurden lediglich Bewährungsstrafen verhängt, und nur 46 Täter mussten eine Haftstrafe antreten.

Das wiedervereinigte Deutschland hat sich bei der Strafverfolgung von DDR-Unrecht konsequent an rechtsstaatliche Prinzipien gehalten. Wer hier von Siegerjustiz spricht, macht sich lächerlich, erklärte Rainer Eppelmann als Vorstandsvorsitzender der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hält es nach wie vor für unabdingbar, die Tätigkeit des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes fortzusetzen, um insbesondere auch durch Informationsveranstaltungen für die junge Generation ein realistisches Bild über die Verhältnisse der DDR zu vermitteln, denn die von interessierter Seite geförderte DDR-Nostalgiewelle bedeutet eine Verfälschung der DDR-Geschichte.

(Beifall bei der CDU)

Fast 20 Jahre nach der friedlichen Revolution sollte in unserer Gesellschaft die Freude über die erlangte Freiheit, das Ende der Diktatur und die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes einen angemessenen Platz im gesellschaftlichen Bewusstsein einnehmen; denn bei allen Sorgen um Arbeitsplätze und Einkommen wird sich niemand ernsthaft einen geteilten deutschen Staat mit Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl, mit Mangelwirtschaft und Wohnungsnot im Alltag zurückwünschen.

(Beifall bei der CDU)

Ich bitte das Hohe Haus deshalb, den 15. Tätigkeitsbericht des Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Herrn Beleites und seinem Team möchte ich für die im Berichtszeitraum geleistete Arbeit namens der CDU-Fraktion herzlich danken.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile der Linksfraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schowtka, Sie hatten in der DDR immerhin das Privileg, Portugiesisch lernen zu dürfen. Wenn ich mich recht erinnere, konnte man Portugiesisch seinerzeit nur außerhalb des sogenannten RGW sprechen, nämlich im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet, in Angola oder Mosambik oder auf der Leipziger Messe. Wer das durfte und dafür vorgesehen war, war zumindest nicht in der Systemopposition.

(Zurufe von der CDU und der Linksfraktion)

Die Linksfraktion nimmt die Arbeit des Stasibeauftragten, des Herrn Beleites, durchaus ernst. Wir würdigen seine Arbeit kritisch. Ich freue mich, dass er an dieser Aktuellen Debatte Anteil nimmt. Wir meinen aber, dass die Arbeit von Herrn Beleites und seiner Behörde einen solch üblen Beitrag wie den von Herrn Schowtka nicht verdient hat.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Arbeit von Herrn Beleites hat einen seriösen Beitrag verdient, und darum möchte ich mich im Folgenden bemühen. Gerade nach der widerlichen Anti-GysiHysterie in der gestrigen Bundestagsdebatte

(Widerspruch bei der CDU)

möchte ich für meine Fraktion eine grundsätzliche Position klarstellen. Für uns besteht eine der entscheidenden Lehren aus dem strukturellen Scheitern der DDR darin, dass soziale Rechte und bürgerliche Freiheitsrechte immer und unter jeder Bedingung untrennbar zusammengehören.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Dieser Zusammenhang wurde in der DDR gröblich missachtet. Das sage ich nicht das erste Mal. Das haben auch mein ehemaliger Fraktionskollege Prof. Werner Bramke hier an diesem Pult schon x-mal und andere Kollegen aus meiner Fraktion, wie Prof. Peter Porsch als ehemaliger Fraktionsvorsitzender, gesagt.

(Zuruf von der CDU: Als ehemaliger IM!)

Diese Missachtung geschah bei Weitem nicht nur durch das MfS – vor allem, aber nicht nur. Sie geschah vor allem durch die damals herrschende und führende Partei, die SED.

Wir wissen heute: Man kann nicht für soziale Rechte kämpfen und im Interesse der guten Sache dabei Freiheitsrechte aufs Spiel setzen.

(Beifall bei der Linksfraktion – Zuruf von der CDU: Heuchler!)

Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel. Ich bin außerordentlich froh darüber – ich sage das aus ganz persönlicher

Betroffenheit –, dass meine Partei, DIE LINKE, auf ihrem jüngsten Bundesparteitag in Cottbus in einem Leitantrag beschlossen hat, dass die Unverletzlichkeit der Menschenrechte und universelle demokratische Grundsätze für sie elementar sind.

(Zuruf von der CDU: Kommt spät!)

Sie mögen sagen, zu spät. Aber immerhin hat sie es beschlossen. Ich sage Ihnen eindeutig – und ich will jetzt nicht auf Blockparteien schimpfen, das wäre mir zu billig –, dass ein solcher Beschluss in der seinerzeitigen SED völlig undenkbar gewesen wäre.