c) zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes, der Länder, des Bundesnachrichtendienstes, des Militärischen Abschirmdienstes. Geben Sie mir recht, dass es also nicht nur um Straftatverfolgung geht, sondern auch um geheimdienstliche Datenerhebung, die Milliarden Daten, die wir genannt haben, und um die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, also mitnichten nur um Fragen der Straftatbekämpfung?
In der Prävention ändert sich durch diese Neuregelung überhaupt nichts. Darüber reden wir jetzt auch nicht. Wir reden über die Strafverfolgung.
Herr Lichdi, Ihre Fantasien zur Verfügbarkeit von Daten anhand dieser gewillkürten Beispiele fand ich – Herr Bräunig hat gesagt kabarettreif – in der Tat zirkusreif. Das mag dahinstehen.
Die Gruppen zwei und drei, also die Urheberrechtsverletzungen beispielsweise oder die Stalkingtaten, hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Kraft gesetzt. Auskünfte dürfen danach derzeit nur zur Verfolgung einer schweren sogenannten Katalogstraftat erteilt werden. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes – Herr Bräunig hat darauf hingewiesen – berührt die Speicherpflicht als solche zunächst nicht. Unser höchstes Gericht hat lediglich die Verwendung der Daten für Zwecke der Strafverfolgung vorläufig und teilweise beschränkt. Das sind die Fakten.
Bei unvoreingenommener Beschäftigung mit der Materie wird klar: Der Vorwurf eines Generalverdachts entbehrt jeglicher Grundlage. Bekommen wir dadurch den befürchteten gläsernen Bürger? Nein. Die Speicherung ist vielmehr ein wirksamer Beitrag zur Aufklärung schwerer Straftaten.
Eines sehe ich aber auch: Die rationale Betrachtungsweise ist die eine Seite, die emotionale die andere. Hier läuft es im Kern auf die Frage hinaus – die ist ja auch gestellt worden –: Muss denn das eigentlich wirklich sein?
Ich glaube, ja. Innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte hat die Digitalisierung der Kommunikationsstrukturen nahezu alle Lebensbereiche innerhalb kurzer Zeit grundlegend verändert. Die Mobil- wie die Internettelefonie erreicht ungeahnte Ausmaße. Rund 60 % aller Deutschen nutzen regelmäßig das Internet. Das birgt einerseits große Chancen, andererseits natürlich auch enorme Risiken. Internet ist eben nicht nur Online-Banking und Wikipedia. Das Internet ist eine kaum zu kontrollierende, globale und allseits verfügbare Plattform für die internationale organisierte Kriminalität, für terroristische Netzwerke. Es ist Tummelplatz für Hacker, Pädophile, Rechtsextremisten, für die modernen Hehler.
Diese Schattenseite nimmt die Öffentlichkeit kaum wahr. Unsichtbar bleibt für viele: Auf dem Internetbasar erhalten Sie Betäubungsmittel, geschmuggelte Zigaretten, raubkopierte Musiktitel, aber eben auch kinderpornografische Darstellungen und Anleitungen zum Bombenbasteln.
Die Organisierte Kriminalität, der Terrorismus haben das Internet für die nur schwer zu überwachende Internettelefonie und den Informationsaustausch per Mail längst
entdeckt. Vergleichbar rasant entwickelt sich auch der Telefonsektor. Hier tun uns die Straftäter eben nicht mehr den Gefallen, mittels eines auf sie angemeldeten Festnetzanschlusses zu kommunizieren. Frau Dr. Ernst hat ja gesagt, wie das läuft. Sie nutzen teilweise täglich wechselnde Mobiltelefonanschlüsse von Anbietern der verschiedensten Länder.
Wirksame Verbrechensbekämpfung setzt voraus, die Kommunikationswege nachvollziehen und den einzelnen Nutzer identifizieren zu können. Wir brauchen daher europaweit möglichst einheitliche Systeme zur Sicherung der Daten. Und diese als Vorratsdatenspeicherung bezeichnete Maßnahme ist heftigen Angriffen ausgesetzt. Sie ist aber eben keine Überwachungsmaßnahme. Sie sichert nicht die Kommunikationsinhalte, sondern nur die Kommunikationswege.
Liegt später möglicherweise bei einzelnen Kommunikationsteilnehmern ein konkreter Verdacht auf die Begehung von schweren Straftaten vor, so sollen diese Daten nach richterlicher Anordnung für Zwecke der Strafverfolgung genutzt werden können.
Lassen Sie mich die Notwendigkeit dieser Speicherung anhand von zwei Beispielen verdeutlichen. Erstes Beispiel. Stellen Sie sich vor, im Rahmen von Ermittlungen wegen der Verbreitung kinderpornografischer Daten finden sich auf der PC-Festplatte eines Beschuldigten entsprechende Darstellungen. Bei der Auswertung des EMail-Verkehrs wird festgestellt, dass er die Bilder an eine Vielzahl von Personen vertrieben hat, die nur unter Fantasienamen auftreten, wie das da so üblich ist. Diese Empfänger können nur mittels der Verbindungsdaten ermittelt werden. Verbindungsdaten – auch darauf hat Herr Bräunig hingewiesen – durften nach bisheriger Rechtslage nur für Abrechnungszwecke gespeichert werden. Nachdem ein Großteil der Nutzer mittlerweile über Flatratetarife verfügt, bedarf es dieser Speicherung nicht mehr. Praktisch werden Verbindungsdaten nicht mehr gespeichert. Eine Rückverfolgung der Internetkommunikation ist nicht mehr möglich.
Beispiel zwei. Eine Geschädigte zeigt an, sie sei wiederholt durch eine ihr unbekannte Person durch häufige Telefonanrufe terrorisiert worden. Wie soll der Tatnachweis dieses sogenannten Stalkings geführt werden?
Dies ist am ehesten durch die Ausfilterung der Verbindungsdaten der eingehenden Anrufe möglich. Eingehende Anrufe wurden jedoch mangels Relevanz für die spätere Abrechnung oft überhaupt nicht mehr gespeichert. Ohne den Zugriff auf Verbindungsdaten sind die Ermittlungen in derartigen Fällen aber praktisch beendet, bevor sie überhaupt aufgenommen werden.
Diese Beispiele zeigen: Sowohl zur Aufklärung von Straftaten im sozialen Nahfeld als auch mit grenzüberschreitendem und organisiertem Bezug brauchen wir die Verbindungsdaten zur wirksamen Kriminalitätsbekämpfung.
Die Kernfrage ist: Wollen wir derartige Delikte wirksam verfolgen oder nicht? Um diese Frage geht es. Sie ist im Anschluss an die anstehende Hauptsacheentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu beantworten.
Herr Lichdi, Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie diesen Aspekt ausblenden. Opferschutz sieht anders aus. Ihre sicherheitspolitischen Lippenbekenntnisse – etwa von gestern – erweisen sich als Luftblase.
Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat bisher nur vorläufig und nicht in der Hauptsache entschieden. Es wird vermutlich, klug wie immer, sagen: „Es kommt darauf an.“ Die vorläufige Entscheidung deutet darauf hin, dass die Regelungen zur Speicherung selbst im Ergebnis nicht in Gefahr sind. Das ist die gute Nachricht.
Der Bundesgesetzgeber hat sich seine Entscheidung nicht leicht gemacht und das Gewicht der zu verfolgenden Straftaten mit den Rechten der Betroffenen abgewogen. Er hat, wie schon in der Vergangenheit, die Datenverwendung auf besonders schwere Straftaten beschränkt.
Meine Damen und Herren! Mein vorläufiges Resümee lautet daher für mich – und insoweit haben wir endlich einmal richtig konträre Auffassungen, über die wir uns auseinandersetzen können –: 100 Tage Vorratsdatenspeicherung unter Beachtung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sind keine Erosion von Bürgerrechten, sondern ein Schritt für die Bürgerinnen und Bürger in Europa zu mehr Sicherheit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Mackenroth, Sie mögen sich ja darin gefallen, meinen Auftritt als kabarettreif zu missbilligen, nur, den Kern haben Sie nicht bestreiten können: dass mein Beispiel um den Herrn Milbradt wohl richtig wahr.
Zum Zweiten: Die Beispiele, die Sie aufgeführt haben, betrafen Fälle, in denen ein Verdacht bestanden hat; deswegen gehen sie in die Irre. Wir reden hier nämlich über die Fälle, in denen bei der Vorratsdatenspeicherung eben noch kein Verdacht besteht.
Meine Damen und Herren, der Kern der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von vor 20 Jahren war einmal,
dass eine Vorratsdatenspeicherung zu unbestimmten Zwecken unzulässig ist. Genau das führen Sie hier ein, darüber wollen Sie mit Ihrem wortreichen Beitrag und sonorer Stimme hinwegtäuschen.
Herr Mackenroth, ich halte Sie wirklich für gefährlich. Ich halte Sie auch für intellektuell unredlich, da Sie es – im Gegensatz zum Kollegen Bräunig – tatsächlich besser wissen müssten. Aber statt Ihrer Pflicht nachzukommen, hier tatsächlich in juristisch sauberer, seriöser Weise die Öffentlichkeit zu informieren, wollen Sie aus Karrieregründen
Ich kann keine weiteren Wortmeldungen erkennen. Demzufolge beende ich die Debatte nun tatsächlich und auch den Tagesordnungspunkt 1.
Ihnen liegen die eingereichten Fragen der Mitglieder des Landtags vor. Diese Fragen wurden auch der Staatsregierung übermittelt. Gleichzeitig ist den Abgeordneten die Reihenfolge der Behandlung der eingereichten Fragen bekannt gemacht worden.