Fast genau zwei Jahre nach ihrer fulminanten Rede, Frau Orosz, halten wir es für legitim, aktuell nachzufragen, was aus dem Anspruch geworden ist.
Während sich in Hamburg CDU und GRÜNE auf ein kostenloses Schulvorbereitungsjahr geeinigt haben, in Sachsen-Anhalt ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz bereits besteht und eine westdeutsche Großstadt wie Heilbronn den Kita-Besuch kostenfrei gestellt hat, passiert in Sachsen nichts in dieser Richtung. Wirtschaftlicher Aufschwung, Zuversicht der jungen Menschen und Vertrauen in eine familienfreundliche Politik, das beschert uns seit den letzten fünf Jahren einen Geburtenanstieg, der sich bei circa 33 000 Geburten pro Jahr stabilisiert. Zum Vergleich: Noch vor zwölf Jahren waren es circa 8 000 weniger. Doch darauf hat die Staatsregierung nicht
reagiert. Obwohl in Sachsen ein Bedarf von 264 Millionen Euro für Sanierung und für Neubauten sowie von 122 Millionen Euro für Kindertageseinrichtungen besteht und man beispielsweise in Dresden unbedingt mehr Plätze braucht, bleibt die Summe zur Förderung von Investitionen vom Freistaat nahezu gleich.
Die Betreuungssituation ist seit 2006 nicht besser, sondern schlechter geworden, obwohl die Kommunen viel investiert haben. Mit einem Sanierungs- und Neubauprogramm hätten wir frühzeitig auf die steigenden Geburtenraten reagieren müssen. Aber die Landespolitik hat das verschlafen.
Noch etwas ist offenbar verschlafen worden. Mit der Einführung des Bundeselterngeldes 2007 stehen seit drei Monaten Eltern vor den Türen der Kindertageseinrichtungen, die für den Wiedereinstieg in den Beruf einen Krippenplatz benötigen; Krippenplätze, die nicht vorhanden sind. Wir verspielen damit das Vertrauen der jungen Familien, das Vertrauen in eine familienfreundliche Politik.
Damit laufen auch alle Ansprüche, die wir hier in Sachsen gestellt haben, von Bildungsplan bis Vereinbarkeit von Familie und Beruf ins Leere. Sicherlich können Sie an dieser Stelle sagen, dies ist Planungsverantwortung der örtlichen Jugendhilfeträger. Nur, sehr geehrte Frau Staatsministerin Orosz, zurzeit setzen Sie sich sicher auch mit der Dresdner Familienpolitik auseinander, und Sie werden sehen, dass trotz immenser Investitionen der Stadt und trotz des ausgebauten Angebotes im Augenblick kein zufriedenstellender Zustand erreicht ist. Meinen Sie nicht auch, dass eine bessere Unterstützung des Freistaates notwendig wäre?
Sehr geehrte Damen und Herren! Sie können sich selbst fragen: Ist Sachsen das familienfreundlichste Bundesland geworden und was haben die Staatsregierung und die sie tragenden Fraktionen aus CDU und SPD, gerade die Sozialdemokraten, dazu beigetragen oder eben auch nicht?
Sachsen als Vorbild bei familienfreundlicher Politik, das ist der Anspruch, den ich und die FDP-Fraktion an die Maßnahmen der Staatsregierung und das Handeln der Regierungskoalition stellen. Doch diesen Anspruch erfüllt die sächsische Politik immer weniger. Die sächsische Regierungspolitik hat in den vergangenen zwei Jahren wenig auf den Weg gebracht, was Sachsen familienfreundlicher macht. Sowohl die Staatsregierung als auch die Koalitionsfraktionen haben sich auf dem Erfolg der Vergangenheit ausgeruht.
Noch in der Fachregierungserklärung hatten Sie die Betreuungsstruktur in Sachsen sehr gelobt. Den jetzt bundesweit stattfindenden familienpolitischen Aufbruch droht Sachsen aber zu verschlafen. Wir sind zwar noch in der Spitzengruppe, doch wenn wir so weiter machen, werden wir das Tempo der anderen nicht mehr mitgehen können. Den Anspruch Sachsens für eine familienfreundliche Politik werden wir mit Sicherheit so nicht erfüllen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sicherlich, Familienpolitik heißt nicht nur genügend Kita-Plätze bereitzustellen. Doch auch in den anderen Bereichen, wie dem Landeserziehungsgeld, gab es keine Fortschritte. Auch hier möchte ich an die Fachregierungserklärung erinnern. Darin hieß es: „Wir wollen auch weiterhin die Wahlfreiheit der Eltern unterstützen. Deshalb werden wir an unserem sächsischen Landeserziehungsgeld festhalten und seine Zahlungen entsprechend den Regelungen des Bundeselterngeldes anpassen.“
Nun, diese neue Regelung ist erfolgt. Eine wirkliche Anpassung an das Elterngeld gab es aber nicht. Wer jetzt im Anschluss an das Bundeselterngeld das Landeserziehungsgeld haben möchte, bekommt es nur fünf statt bisher neun Monate. Nur wer das zweite Jahr wartet und zu Hause bleibt, bekommt im dritten Lebensjahr die vollen neun Monate ausgezahlt.
Das hat nichts mit Angleichen an das Elterngeld zu tun. Das war ein Sparbetrag des Sozialministeriums an den Finanzminister, der auf dem Rücken vor allem gering verdienender Familien ausgetragen wird. Diese Gesetzesänderung war kein Fortschritt. Sie geht schlichtweg an der Realität unseres Landes vorbei.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Frau Schütz, ich hatte Sie schon heute Morgen im Flug gefragt: Was soll eigentlich die Debatte? Wollen Sie uns jetzt für das loben, was wir alle gemeinsam für die Familien getan haben?
Aber Sie haben mich auf die Annonce verwiesen, die ich durchgelesen habe. Dazu muss ich natürlich sagen: Oh Gott, oh Gott! Ich bin beschämt von dem, was da steht.
Was Sie für die FDP-Fraktion jetzt ausgeführt haben, Frau Schütz, darüber bin ich auch etwas bestürzt, denn Familie ist nicht nur die Betreuung von Kindern, ist nicht nur das Landeserziehungsgeld und es sind auch nicht nur die minderjährigen und erwachsenen Kinder, die in der Familie leben. Es geht natürlich bei Familie auch um die Großelterngeneration, um Mehrgenerationen und es geht darum, wie wir diese zum Beispiel betreuen.
Aber lassen Sie mich auf das eingehen, worauf Sie reflektiert haben. Sie haben uns als Koalition zumindest zugestanden, dass wir einiges im Bereich der Betreuung von Kindern getan und etwas vorwärtsgebracht haben. Sie meinen, wir würden jetzt stagnieren.
Landeserziehungsgeld ist Ihnen auch nicht so ganz recht. Aber an der Stelle muss man einfach einmal ausführen, dass wir nur eines von wenigen Ländern überhaupt sind, die Landeserziehungsgeld zahlen.
Die Eltern nehmen das sehr dankbar an. Sicher besteht ein Zwiespalt, ob man sein Kind zu Hause erzieht oder in die Kindertagesstätte bringt. Zumindest haben Sie uns aber zugestanden, dass es eine positive Sache ist, und dazu stehen wir auch. Wir werden das im nächsten Haushalt weiterentwickeln, aber dazu werden wir bei den Haushaltsverhandlungen mehr sagen.
In Ihrer Annonce stand weiterhin die Forderung nach einem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Auch darüber kann man sich streiten. Wir haben einen Rechtsanspruch im Kindergartenbereich, trotzdem gehen nicht alle Kinder mit dem dritten Lebensjahr sofort in eine Kindertagesstätte. Man kann sich darüber streiten, ob das richtig ist oder nicht, auf jeden Fall ist es so. Daraus leite ich ab, auch wenn der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz kommt – und er wird kommen, denn die Bundesebene hat es bereits festgeklopft –, dass es dahingestellt bleibt, ob alle Kinder sofort in die Krippe strömen werden.
Ein Problem haben wir beim Bundeselterngeld, doch darauf haben wir schon reagiert. Die Eltern werden ihre Kinder eher in die Einrichtung bringen, aber wir haben die Investitionsbeträge stabil gehalten und nehmen zusätzlich das Geld vom Bund für die Krippen. Die Kommunen reagieren auch darauf. Sie können uns nicht vorwerfen,
Es gibt viele positive Dinge im Bereich der Vorschule. Hier haben wir einiges Vorbildliches getan, zum Beispiel den Bildungsplan. Wir können stolz darauf sein, dass er angenommen und vor Ort umgesetzt wird. Für die Zukunft werden wir für eine noch bessere Verzahnung im Übergang vom Kindergarten zur Grundschule sorgen, der sich wie ein roter Faden durchziehen soll.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir dürfen uns nicht die Augen zukleistern lassen. Familienfreundlichkeit ist ein großes gesamtgesellschaftliches Thema. Dazu zählt, dass man in eine Gaststätte kommt und vielleicht schief angesehen wird, weil man zwei kleine Kinder mithat. Das können wir mit allem Geld der Welt nicht regeln, sondern wir müssen alle dafür Sorge tragen, dass man Familien gesellschaftlich aufwertet, indem man deren Ansehen aufwertet. Hier meine ich im Speziellen die Familien mit kleinen Kindern, aber auch die Familien, die sich der Aufgabe stellen, ihre Eltern zu betreuen. Das ist ein sehr großes Thema, meine sehr verehrten Damen und Herren. Daran werden wir weiter arbeiten müssen. Wir als CDU-Fraktion haben viel dafür getan, dass Sachsen familienfreundlich ist. Die Bestrebungen der Ministerin, die sie in der Regierungserklärung am 6. April genannt hat und auf die Sie eingegangen sind, wurden aus meiner Sicht umgesetzt. Wir arbeiten in der Fraktion natürlich weiter daran und begleiten das Ministerium flankierend, damit diese Dinge weiter fortgeschrieben werden können.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sinn der heutigen Aktuellen Debatte kann es nur sein, ein familienpolitisches Fazit bezüglich des Agierens der Sozialministerin im gescheiterten Kabinett Milbradt zu ziehen. Dazu sollte man Frau Orosz zuallererst an ihren eigenen Zielen messen, und es ist naheliegend, auf die Fachregierungserklärung, die vor fast zwei Jahren abgegeben wurde, einzugehen.
Sachsen soll das familienfreundlichste Bundesland werden, so hat es Frau Orosz in der Fachregierungserklärung gesagt. Die Erklärung war sehr blumig, enthielt aber wenig Konkretes. Messen wir nicht an Worten, sondern an Fakten, die wir in den letzten zwei Jahren zur Kenntnis nehmen mussten.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, Sachsen hatte und hat einen Standortvorteil, nämlich die vergleichsweise gute Versorgung mit Kita-Plätzen. Selbst ich habe es in den vergangenen Jahren nie versäumt, dies hervorzuheben. Aber wir mussten in den letzten zwei Jahren zur
Kenntnis nehmen, dass wir dabei längst nicht mehr an der Spitze von Deutschland stehen. Wir mussten leider feststellen, dass Sachsen bei der Krippenversorgung in der Zwischenzeit ein ostdeutsches Schlusslicht ist und in der Versorgungsquote als einziges ostdeutsches Land hinter der Zielstellung der Bundesregierung von 35 % liegt. Dieser wenig familienfreundliche Umstand wurde jahrelang durch eine kleine Manipulation der Statistik verschleiert. Selbst wir von der Opposition glaubten der Ministerin ihre eigene bzw. eigenwillige Statistik. Frau Orosz, das ist ein schlechter Stil.
Ja, Sachsen hat einen Bildungsplan für Kindertagesstätten. Als ihn unsere Fraktion damals im Landtag das erste Mal eingefordert hatte, hat die CDU-Fraktion schon das Wort Bildungsplan als sozialistisches Relikt abgelehnt. Damals wären wir damit an der Spitze in Deutschland gewesen. Als dann auch die CDU dafür war, hat es nur noch für das Mittelfeld gereicht. Bis zum heutigen Tag ist die Umsetzung personell und finanziell nicht abgesichert. Die Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas haben zwar neue Aufgaben und mehr Verantwortung übernommen, aber keineswegs die dazu erforderlichen Ressourcen bekommen. Es fehlt beispielsweise nach wie vor an den Rahmenbedingungen für Fort- und Weiterbildung.
Geradezu absurd ist es, was das Sozialministerium hinsichtlich der dringend erforderlichen Vor- und Nachbereitungszeiten so treibt. Die längst überfällige Verbesserung des Betreuungsschlüssels von 1 : 13 auf 1 : 12 wird durch die Ministerin seit Monaten verschleppt und auf Eis gelegt, um sie jetzt möglichst zielgenau im Wahlkampf zu präsentieren. Weiß Gott, sehr familienfreundlich, besonders für die betroffenen Familien der Erzieherinnen und Erzieher, Frau Orosz! Das ist keine gute Familienpolitik!
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich werde in keiner Debatte zu erwähnen vergessen: Es gibt im ach so familienfreundlichen Sachsen nach wie vor Zugangsbeschränkungen zu Kitas für Kinder erwerbsloser Eltern. Da geht es nicht nur um verkürzte Betreuungszeiten, wie uns Herr Krauß gestern wieder weismachen wollte, nein, es werden nach wie vor Kinder von Kinderkrippe und Hort ausgeschlossen. Das ist leider die Realität, und wir werden dieses Verständnis von frühkindlicher Bildung immer geißeln.
Ja, Sachsen verfügt über ein Landeserziehungsgeld. Das hat nicht jedes Land. Aber die Aufwendungen des Landes Sachsen für das Landeserziehungsgeld haben sich seit dem Amtsantritt von Sozialministerin Orosz halbiert. Viel problematischer ist, dass das Landeserziehungsgeld hinter dem gleichstellungspolitischen Ansatz des Bundeselterngeldes weit zurückbleibt. Eltern haben nur einen Anspruch auf die Unterstützung des Landes, wenn ihr Kind auf eine Kita verzichten muss. Frauen, die bereits nach zwei Jahren wieder einer beruflichen Tätigkeit nachgehen wollen, werden systematisch gegenüber denjenigen
benachteiligt, die von vornherein für drei Jahre aussetzen wollen. Frau Orosz, das ist der falsche Weg.
Ja, die sächsische Koalition hat sich lautstark und an vorderster Stelle an der bundesweiten Diskussion über das kostenlose Vorschuljahr beteiligt. Da lief die Koalition vor einigen Jahren zur Hochform auf. Der NochMinisterpräsident Milbradt forderte vor lauter Begeisterung die Kindergartenpflicht. Aus der SPD-Fraktion überschlugen sich vor dem letzten Doppelhaushalt die Versprechungen dazu. Aber – es wurde von Frau Schütz schon angesprochen – Sachsen hat kein kostenloses Vorschuljahr, im Gegensatz zu anderen Regionen. Außer Schaum war nichts. Das Thema wurde inzwischen leise beerdigt.
Zu schlechter Letzt noch eine Replik auf die gestrige Debatte. In Sachsen lebt mehr als jedes vierte Kind in Armut. In Görlitz sind es weit über 40 %. Das ist der traurige bundesdeutsche Spitzenplatz. Es ist gut, dass diese Regierung zurücktreten wird. Es bleibt abzuwarten, ob das neue Kabinett, ob die neue Sozialministerin es besser machen werden.