Protocol of the Session on April 18, 2008

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Ich finde es auch rechtspolitisch sehr bedauerlich, dass es der Großen Koalition zunehmend nicht gelingt, die Grenzen der Verfassung von allein zu erkennen, sondern dass immer wieder das Bundesverfassungsgericht eingreifen muss, um die Rechte des Bürgers vor dem Staat zu schützen.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion, der NPD und den GRÜNEN)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Herr Dr. Martens, Inhalt des Gesetzes ist die Pflicht zur Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten über einen Zeitraum von sechs Monaten. Sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass das Bundesverfassungsgericht mitnichten die Speicherung dieser Telekommunikationsverbindungsdaten ausgesetzt hat, sondern dass die Speicherung durch den Beschluss

des Bundesverfassungsgerichtes weiterhin zugelassen bleibt, so wie es im Gesetz steht?

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber untersagt, die gespeicherten Daten für andere als Zwecke der Strafverfolgung der in § 100a Abs. 2 StPO genannten Zwecke zu verwerten. Das ist eine deutliche Einschränkung, was der Gesetzgeber ausdrücklich in § 113b TKG zum Abruf normiert hat. An dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Weitere Zwischenfragen sind nicht möglich.

Meine Damen und Herren! Nein, auch ich habe es angesprochen, wir können uns der Verfassung nicht nähern, wenn wir sagen, einmal sehen, was sie hergibt. Wir gehen an die Grenzen. Auch dies hat das Bundesverfassungsgericht diesmal im Zusammenhang mit dem Kennzeichen-Scanning eindeutig gesagt, in der Entscheidung vom 11.03.2008 zu den Kennzeichnungserfassungsgesetzen: „Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes, eine vom Gesetzgeber weit gefasste Eingriffsnorm auf ein verfassungsgemäßes Maß zurückzuschneiden.“ Das heißt, eine sogenannte geltungserhaltende Reduktion von Eingriffsnormen ist nicht möglich. Auch das ist wieder ein bemerkenswerter Satz, der aber von vielen in diesem Haus leider nicht zur Kenntnis genommen zu werden scheint.

Wir Liberalen sehen es als unsere Aufgabe an, immer wieder daran zu erinnern, dass die Bürgerrechte nicht abstrakt sind, sondern tatsächlich geschützt werden müssen, und sei es vor dem Staat selbst.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Ich erteile das Wort der Fraktion GRÜNE; Herr Lichdi, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die Vorratsdatenspeicherung verändert strukturell das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Der Staat setzt sich an die erste Stelle und erklärt seine Bürger zu Sicherheitsrisiken, die ihre Unbescholtenheit erst einmal nachweisen sollen. Die Perversion dieses Überwachungsdenkens taucht auch in der Aussage des Staatssekretärs im Bundesinnenministerium August Hanning auf, der allen Ernstes fragt: „Wollen wir uns wirklich leisten, überwachungsfreie Räume zu schaffen?

Wenn Herr Hanning einen Blick ins Grundgesetz gewagt hätte, wüsste er, dass es genau umgekehrt ist. Der freiheitliche Status des Grundgesetzes geht von der Freiheit der Bürger aus, die nur aufgrund zwingender Gründe und ausnahmsweise im Interesse der Allgemeinheit, aber stets von der Wahrung des grundsätzlichen Freiheitsraumes der

Bürger eingeschränkt werden kann. Das lernt man eigentlich im ersten Semester Öffentliches Recht, Grundrechtsvorlesung.

Die CDU hat sich von diesem grundrechtsorientierenden Verständnis der Verfassung, Herr Mackenroth, seit Jahren verabschiedet. Welchen Raubbau Sie an unserer Verfassung betreiben, erkennen wir an Ihren Äußerungen, Herr Mackenroth, in der „F.A.Z.“ vom 15.04.2008; denn Sie sehen die Pflicht des Gesetzgebers darin, „die verfassungsrechtlichen Grenzen auszuloten“.

Ich erinnere mich dunkel daran, dass auch Sie, Herr Mackenroth, der hier so selbstheischend in die Menge nickt, auf die Sächsische Verfassung vereidigt worden sind. Doch offenbar sehen Sie Ihren Auftrag in einem Tryand-Error-Spiel über die Frage, was von den Verfassungsgerichten denn noch für verfassungskonform gehalten werden könnte und was nicht. Meine Damen und Herren! Rationale Grundrechts- und Kriminalpolitik ist das jedenfalls nicht.

Warum stellt die Vorratsdatenspeicherung eine Gefahr für unsere Demokratie dar? Sie vernichtet das Grundvertrauen der Bürgerinnen und Bürger, dass man ohne staatliche Beobachtung kommunizieren kann. Ohne unbefangene Kommunikation ist keine demokratische Gesellschaft möglich.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes Jutta Limbach hat jüngst formuliert: „Eine demokratische politische Kultur lebt von der Meinungsfreude und dem Engagement der Bürger. Das setzt Furchtlosigkeit voraus. Diese dürfte allmählich verloren gehen, wenn der Staat seine Bürger geometrisch vermisst, durchrastert und seine Lebensregeln elektronisch verfolgt.“

Herr Bräunig, die Darbietung, die Sie hier geboten haben, ist schon mehr als peinlich. Vielleicht darf ich Sie daran erinnern, dass die Kollegin Limbach meines Wissens SPD-Mitglied ist. Sie müsste sich schämen, wenn sie Ihren Beitrag hier im Parlament hätte hören müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion – Zuruf von der SPD)

Die Unsicherheitspolitiker der Union und auch der Sozialdemokratie in Sachsen wollen, dass der Staat seine Eingriffe nicht mehr rechtfertigen muss, sondern die Bürger ihre Unbescholtenheit nachweisen müssen. Unter diesen Umständen müssen sich die Bürgerinnen und Bürger ihre überwachungsfreien Räume wieder selbst zurückerobern. Gefragt ist tatsächlich nichts weniger als ein bürgerrechtlicher Selbstschutz vor den Überwachungsphantasien der staatlichen Apparate.

Herr Piwarz, Sie haben gefragt, warum wir das im Sächsischen Landtag diskutieren. Ich kann mir das jetzt sparen, weil es die Kollegen Bartl und Martens ausgeführt haben. Offensichtlich haben Sie auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht bis zur letzten Seite zu

Ende gelesen. Dort wird nämlich ausführlich ausgeführt, welche Aufgaben die Länder haben.

Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat zum Glück in seiner Entscheidung vom 11. März 2008 die Vorratsdatenspeicherung ausgesetzt und begrenzt, und Herr Kollege Martens hat das zu Recht gegenüber den untauglichen Versuchen von Herrn Bräunig dargestellt. Herr Dr. Martens, Sie haben zu Recht dargestellt, warum das tatsächlich eine wirklich grundrechtsstützende und unerwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes war, die natürlich wirklich mehr als eine schallende Ohrfeige für die großkoalitionäre Politik in Berlin ist.

Meine Damen und Herren! Wir sind jedenfalls auf Ihre Evaluation gespannt, Herr Justizminister und baldiger Innenminister, wie Sie uns dann in kürzester Zeit den Bericht zuleiten werden.

Meine Damen und Herren! Ich möchte noch zwei weitere Aspekte ansprechen. Die immer weiter um sich greifende Datenspeicherung führt bei der Polizeiarbeit dazu, dass die Auswertung der Telekommunikationsdaten immer mehr zum ersten Ermittlungsansatz wird. Zuerst wird nämlich die Funkzelle am Tatort ausgewertet, wie letztlich bei einem Beispiel, als ein Baumstamm von einer Autobahnbrücke geworfen wurde. Damit werden statt intelligenter Polizeiarbeit erst einmal die Daten Dritter ausgewertet, ohne dass die dritten Personen dafür irgendeinen Anlass gegeben hätten.

Meine Damen und Herren! Ich habe schon die Sorge, dass diese Art und Weise des Polizeivorgehens, das wir auch bei der Erhebung von Genmaterial immer öfter finden, tatsächlich Täter durchkommen lässt, die nicht gefasst werden, weil die ganz banale und ordentliche Polizeiarbeit am Tatort nicht mehr gemacht wird.

Meine Damen und Herren! Terroristen werden sich gegen die Vorratsdatenspeicherung wappnen. Jede technische Maßnahme ist selbstverständlich auch heute überwindbar. Informatiker, wie Andreas Pfitzmann von der TU Dresden, gehen sogar davon aus, dass die Vorratsdatenspeicherung in der Informations- und Kommunikationstechnik eher neue Sicherheitslücken schafft, als diese zu füllen. Solange die Koalition mit ihren Vorschlägen und ihrer Zustimmung zur Verschärfung von Sicherheitsgesetzen nur sagen kann „wir haben etwas gemacht“ statt „wir haben etwas bewirkt“, werden wir diese Debatten weiterführen.

Kriminalpolitisch und verfassungsrechtlich befinden Sie sich auf dem Holzweg. Sie opfern unsere Freiheit, ohne Sicherheit zu erreichen. Wir aber müssen unsere Freiheit und Sicherheit durch rationale Kriminalkultur bewahren. Dazu rufe ich uns alle auf.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der FDP)

Ich frage jetzt die Fraktionen, wer noch das Wort wünscht. – Für die Linksfraktion Frau Dr. Ernst.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Kommen wir doch zum Anliegen zurück. Wenn ohne Vorliegen eines Anfangsverdachts telefonische Kontakte, das Versenden von EMails, der Zugang zu Internet und Handystandorte einer Bevölkerung gewissermaßen gespeichert werden, dann wird das Grundgesetz auf den Kopf gestellt. Da kann man bestimmte Dinge gleich abschaffen. Dadurch wird die Freiheit eines jeden Bürgers beeinträchtigt. Das ist doch Fakt. Über nicht mehr und nicht weniger reden wir doch an dieser Stelle.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Insofern fasse ich auch die Entscheidung des BVG als eine Art Notwehr auf. Die Vorratsdatenspeicherung ermöglicht doch – das ist die persönliche Seite, die jeden betrifft – die weitgehende Analyse der ganz persönlichen Situation, des ganz persönlichen sozialen Netzwerkes eines jeden Bürgers. Das betrifft es doch. Man wird praktisch qua Geburt mehr oder weniger als potenzieller Rechtsbrecher angesehen. Erinnern Sie sich, wir hatten schon eine Menge Debatten zu diesem Thema und haben immer wieder gesagt, der Bürger ist nicht für den Staat da, sondern der Staat für den Bürger. Wir haben kein Recht, dies umzukehren, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Schauen wir doch einmal tiefer hinein. Das Fernmeldegeheimnis ist passé, tendenziell wird auch der Informantenschutz für Journalisten und damit natürlich auch die Pressefreiheit angetastet. Und auch die Schweigepflicht von Anwälten, von Beratungsstellen, Ärzten und Seelsorgern wird davon berührt. Fakt ist – unabhängig davon, wie das Urteil vom BVG aussehen wird –, wir sind gegen jede Vorratsdatenspeicherung. Wir wollen nicht ein bisschen zulassen, sondern wir sind grundsätzlich gegen diese Art der Vorratsdatenspeicherung.

(Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Darüber müssen wir reden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verzicht auf jeden Verdachtsgrund erschüttert natürlich die Grundlagen unserer Demokratie. Das muss ich so sagen. Es ist eine Schimäre zu glauben, dass durch Vorratsdatenspeicherung mehr Sicherheit zu erzielen ist. Ich will mich mit ein paar Argumenten auseinandersetzen, die immer wieder angebracht werden. „Man kann damit die Kriminellen und die Terroristen besser bekämpfen.“ Sehr schön! Es ist ja nicht wahr, dass bis dato keine Verbindungsdaten aufgezeichnet wurden. Zur Kriminalitätsbekämpfung, das wissen wir alle, werden sehr wohl Daten gespeichert. Bei Bedarf können Sicherheitsbehörden, auch das wissen wir, eine richterliche Anordnung beantragen, um Daten aufzuzeichnen.

Auch das Argument „Madrid 2004“ ist albern. Die Aufklärung wurde nämlich nicht qua Vorratsdatenspeicherung durchgeführt, sondern aufgrund der vorliegenden Daten über Verdächtige.

Noch einmal zur Kriminalitätsbekämpfung. Professionelle Kriminelle werden sich natürlich umstellen. Es gibt Umgehungsstrategien – das ist doch vollkommen klar – wie die wechselnde Benutzung unregistrierter Handykarten oder die Ausweichung auf andere Kommunikationskanäle, persönliche Treffen und dergleichen. Bekannt ist auch das Beispiel Irland, wo es eine dreijährige Vorratsdatenspeicherung gibt, aber in derselben Zeit kein Rückgang der Kriminalität verzeichnet wurde. Das muss man auch mal zur Kenntnis nehmen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Vorratsdatenspeicherung zeichnet immer nur vergangenheitsbezogen auf. Logisch! Eine abschreckende Wirkung durch das Entdeckungsrisiko ist bislang nirgendwo nachweisbar gewesen. Vorratsdatenspeicherung schafft nicht mehr Klarheit – das ist albern –, sondern hat ein sehr hohes Missbrauchs- und Irrtumsrisiko, denn einerseits können sehr genaue Rückschlüsse auf die gesamte Lebenssituation von Betroffenen gezogen werden, aber andererseits lassen sich diese nie einer ganz bestimmten Person eindeutig zuordnen. Auch das muss man an dieser Stelle zum Ausdruck bringen. Falsche Verdächtigungen sind vorprogrammiert und Hoch-Zeiten von Erpressern übrigens auch.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht wirklich richtig ist auch das Argument, Kommunikationsinhalte würden nicht aufgezeichnet. Herr Lichdi hat es gesagt, in vielen Fällen lassen Gesprächsinhalte auf die Person rückschließen.

(Christian Piwarz, CDU: Das ist doch Unsinn!)

Es besteht die Gefahr, dass das ausgeweitet wird und vielleicht heute oder morgen Kommunikationsinhalte aufgeschlüsselt werden können.

Der letzte Gedanke, den ich hier einbringen möchte, bezieht sich auf das Argument, man setze Europarecht um. Da sind wir ja sonst nicht so, nicht wahr, wenn es darum geht, bestimmte Europarichtlinien umzusetzen. Aber so einfach ist das nicht, denn die europäische Richtlinie ist wegen schwerer und offensichtlicher Rechtsverstöße am Europäischen Gerichtshof anhängig. Ich verweise darauf, dass selbiger bereits festgestellt hat, dass die EU keine Kompetenz für Maßnahmen –

Kommen Sie bitte zum Schluss.