Protocol of the Session on April 18, 2008

Ich will Ihnen einmal die Zahlen nennen, um die es geht. Angesichts dessen muss man ja fragen: Wie berechtigt ist denn das? Bei einer Speicherdauer von sechs Monaten werden nach der Vorschrift des § 113a Telekommunikationsgesetz ständig 39 Milliarden Festnetzverbindungen, 15 Milliarden Mobiltelefonverbindungen und zehn Milliarden SMS-Verbindungen gespeichert sein. Summa summarum – gerechnet auf die Speicherdauer von sechs Monaten – sind das 64 Milliarden Telekommunikationsdaten auf Vorrat.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Bartl?

Bitte.

Bitte, Herr Bräunig.

Herr Bartl, Sie hatten Internetverbindungsdaten angesprochen. Sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass nach dem Gesetz noch gar keine Internetverbindungsdaten gespeichert werden, sondern erst ab 01.01.2009?

Es mag ja sein, dass es erst später in der zweiten Stufe kommt. Das Problem ist doch, dass die Telekommunikationsanbieter bereits jetzt durch das Gesetz verpflichtet werden, die entsprechende Datenerhebung und -speicherung vorzuhalten.

Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, Herr Piwarz und Herr Bräunig: Wenn Sie es nicht anders betreiben, dann denken Sie einmal an Ihr Portemonnaie. Es ist momentan ausgerechnet, dass die Überwachungskosten bereits heute 15 % der Telefonrechnung für die Bürger ausmachen. Jetzt haben wir im Prinzip nach den Zahlen, die in der Verfassungsbeschwerde von den 30 000 Einreichern genannt und nachgewiesen sind, die Tatsache, dass von den 220 000 jährlichen Abfragen von Verkehrsdaten ungefähr 28 Millionen Deutsche betroffen sind. 28 Millionen Deutsche werden jährlich betroffen sein. Die Überwachungskosten machen bereits heute 15 % der Polizeirechnung aus.

Die Telekom AG hat ausgerechnet: Wenn sie das umsetzen muss, was im § 113a steht, muss sie Investitionen in

Höhe von 180 Millionen Euro tätigen. Das zwingt sie zu jährlichen Mehrkosten von weiteren 40 Millionen Euro. Schätzungen für die anderen Festnetze und Mobilfunkunternehmen besagen: einmalige Investitionskosten – Zitat aus dem BDI-Positionspapier (Bund der Deutschen Industriellen) bei der Beschlussdebatte während der Anhörung im Bundestag – „in dreistelliger Millionenhöhe jährlich“. Das ist doch völlig abstrus, um 0,001 % Relevanz für Straftaten zu haben. Erklären Sie mir: Ist es notwendig, diese Milliarden von Daten zu fassen?

Es ist schon das Problem, Kollege Piwarz; es geht um nichts anderes, als dass wir eine völlig neue Qualität haben. Früher galt, dass man in irgendeiner Form in Grundrechte eingreifen kann, wenn der Betreffende begründet einer Straftat verdächtig war. Heute kann man es bereits, wenn er in irgendeiner Form aus Sicht der Polizei infrage käme, Straftäter zu sein. Und bei der Telefondatenvorratsspeicherung bedarf es überhaupt keines Anlasses. Ohne jedweden Anlass – allenfalls ein Regierungswechsel, ein Ministerpräsidentenwechsel – werden sämtliche Daten erfasst. Dass das der absolute Bruch ist mit der Zurückhaltung des Staates im privaten Bereich, ist doch für jeden, der noch halbwegs sensibel ist, eindeutig.

Bitte zum Schluss kommen.

Ein letzter Satz – danke, Herr Präsident.

Ich bin heute auf der Fahrt hierher von der Nachricht überrascht worden – da fällt man ja nur noch in Ohnmacht –, dass sich Bundesjustizministerium und Bundesinnenministerium einig geworden seien, neben dem großen Lauschangriff in Zukunft auch die Ausspähung der Wohnung mit einer Minikamera zu ermöglichen. Ich bekomme in meine Wohnung – wo auch immer – eine Minikamera etabliert. Das ist moderner Sicherheitsüberwachungsstaat im Jahr 2008. – Ob ich es bin, weiß ich nicht, aber wenn Herr Piwarz meint, dass ich unter Terrorismus falle, kann es mir gut passieren.

Danke schön.

(Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort; Herr Bräunig, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lichdi, ich schaue ja gern Kabarett an, und wenn Ihr Beitrag bei „Neues aus der Anstalt“ gelaufen wäre,

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

dann hätte ich mich mit Sicherheit amüsiert; aber mit einer seriösen und ehrlichen Debatte um Vorratsdatenspeicherung hatte das nichts zu tun.

Die GRÜNEN sind wahrscheinlich hier noch realitätsferner, als es die FDP bei der Familienpolitik ist, und das will schon etwas heißen.

Kollege Piwarz hat es angesprochen: Die Vorratsdatenspeicherung ist keine Erfindung des Bundesgesetzgebers, sondern die Umsetzung einer europäischen Richtlinie. Wir sind schlichtweg dazu verpflichtet, diese Richtlinie umzusetzen. Man mag darüber streiten – genau das tun wir ja heute –, ob es wirklich notwendig und verhältnismäßig ist, so viele Daten über einen längeren Zeitraum zu speichern; aber ich will noch einmal auf die Entstehungsgeschichte eingehen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Herr Bartl, bitte.

Herr Bräunig, damit wir die Legende von vornherein ausräumen: Ist Ihnen bekannt, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Eilentscheidung unter anderem festgestellt hat, dass verschiedene Länder dagegen geklagt haben, ob diese Richtlinie überhaupt europarechtskonform sei, weil es nämlich bekanntermaßen nicht um Wirtschaftsdaten geht, die erhoben werden sollen; dass es deshalb nur über einen Rahmenbeschluss gegangen wäre, und dass die Richtlinie ja nur gewählt worden ist, weil man keine Einstimmigkeit im Beschluss herbeiführen konnte? Irland hat geklagt und Ähnliches mehr. Weshalb bindet uns dann die Richtlinie, wenn sie vor dem Europäischen Gerichtshof beklagt wird?

Sie haben die Klage angesprochen – die Iren haben in der Tat Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht, aber darin geht es nicht um den Inhalt dieser Richtlinie, sondern um das Verfahren.

Großbritannien hat das während seiner Ratspräsidentschaft von der einen in die andere Säule verschoben, sodass am Ende keine Einstimmigkeit mehr vonnöten war, sondern nur noch eine Mehrheitsentscheidung, und mit diesem Verfahren sollte vor allem die Bundesrepublik Deutschland als Blockierer ausgeschaltet werden. Dagegen richtet sich die Klage.

(Staatsminister Geert Mackenroth: Genauso ist es!)

Aber sie richtet sich nicht gegen den Inhalt dieser Richtlinie.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Bitte schön.

Herr Kollege Bräunig, richtet sie sich dagegen, dass die Richtlinie nicht verbind

lich ist, weil sie nicht auf formgerechter Ebene zustande kam?

Ja, sie richtet sich dagegen, wie diese Richtlinie zustande gekommen ist, –

Ist das nicht verbindlich?

– nicht durch Einstimmigkeit, sondern durch Mehrheitsentscheidung.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Herr Lichdi, bitte.

Herr Kollege Bräunig, Sie haben gerade behauptet, dass die Regelung in der Bundesrepublik allein auf der Richtlinie der Europäischen Union beruht. Ist Ihnen bekannt, dass das Bundesverfassungsgericht überhaupt keine Entscheidung in der Sache hätte treffen können, wenn es nicht zu Recht angenommen hätte, dass es eine Entscheidungsbefugnis hat – allein deswegen, weil das deutsche Gesetz über die Richtlinie hinausgeht? Wenn nämlich die Richtlinie eins zu eins umgesetzt worden wäre, hätte das Bundesverfassungsgericht nach der 20 Jahre alten Solange-Rechtsprechung überhaupt keine Prüfungskompetenz für sich in Anspruch genommen. Das heißt, allein der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht entschieden hat – –

Jetzt bitte die Frage formulieren!

Herr Präsident, ich habe die Frage schon formuliert: ob es dem Herrn Kollegen Bräunig bekannt ist, und dass deswegen seine Behauptung schlicht und ergreifend unzutreffend ist.

Mir ist bekannt, dass das Gesetz eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Richtlinie ist. – Vielen Dank.

Ich war bei dem Punkt angekommen, wie diese Richtlinie entstanden ist. Gemessen an den Vorstellungen anderer europäischer Länder hat sich die Bundesregierung – das müssen wir hier noch einmal deutlich sagen – erfolgreich dafür eingesetzt, dass eben der Eingriff in die Grundrechte der Bürger so weit wie möglich eingegrenzt wird.

(Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion: Das ist doch Quatsch!)

Viele unserer europäischen Partner wollten weit mehr Daten erheben, und sie wollten sie auch viel länger speichern. Es war die Bundesregierung, die letztlich durchsetzen konnte, dass die Speicherdauer sechs Monate beträgt,

(Zuruf: So ist es! – Beifall des Staatsministers Geert Mackenroth)

wohingegen andere Länder bis zu 36 Monate gefordert hatten.

Anders als ursprünglich diskutiert, werden erfolglose Daten von Anrufen – wenn ich also anrufe und mein Gegenüber nicht abhebt – nicht gespeichert; auch das war vorgeschlagen worden.