Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Frage ist schon zu stellen: Was verstehen wir unter Familienfreundlichkeit? Aber ich gehe davon aus, dass der Großteil der Abgeordneten hier im Raum darunter etwas anderes versteht als meine Vorrednerin. Das ist gut so.
Denn wenn wir dieses enge Bild von Familie im Kopf hätten, dann, glaube ich, würden noch weniger Kinder im Land geboren werden, als es jetzt der Fall ist.
Was verstehen wir also unter Familienfreundlichkeit, und wie muss sich Politik dem Thema nähern? Ich denke, man
muss dabei auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Entscheidend ist ein Mix aus Zeitpolitik, Infrastruktur – damit sind Betreuungs- und Beratungsangebote gemeint – und Geldtransfers, also etwa das Landeserziehungsgeld.
Klar ist – darauf sind Vorredner auch schon eingegangen –, dass sich Familienfreundlichkeit nicht auf Betreuungsangebote, zum Beispiel von Kindern im Vorschulalter, beschränkt. Selbst da sind wir noch lange nicht am Ziel, auch wenn wir einen Bildungsplan haben. Herr Neubert hat ausgeführt, an welchen Stellen wir Schwierigkeiten haben, diesen Bildungsplan umzusetzen, beispielsweise, weil es der Betreuungsschlüssel einfach nicht zulässt. Wenn jetzt ein Betreuungsschlüssel von 1 : 12 ins Auge gefasst wird und dafür alle anderen Möglichkeiten, die es bisher gibt, den Betreuungsschlüssel etwas aufzuwerten, wegfallen, dann haben wir am Ende auch mit 1 : 12 keine wirkliche Verbesserung erreicht.
Auch zum Landeserziehungsgeld ist hier schon viel gesagt worden. Ich möchte hinzufügen, dass dieses Landeserziehungsgeld nicht nur Alleinerziehende benachteiligt, sondern auch Eltern, die sich noch in der Ausbildung befinden. Wenn wir uns wünschen, dass in Familien wieder mehr Kinder geboren werden, dann heißt das automatisch, wir müssen Möglichkeiten schaffen, dass Kinder eben schon während der Ausbildung der Eltern geboren werden können, und das wiederum heißt, dass das Landeserziehungsgeld diese Möglichkeiten einkalkulieren muss.
Familien brauchen Unterstützung auch dann, wenn die Kinder größer werden. Wo sind Ganztagsschulangebote in Sachsen? Diese Angebote würden Eltern die Sicherheit geben, nicht nur genau zu wissen, wo ihre Kinder sind, sondern dass ihre Kinder dort auch maximal gefördert werden.
Wir haben in Sachsen Ganztagsangebote, und diese machen den Horten Konkurrenz. Das Thema ist doch nicht ausdiskutiert. Horte arbeiten nach dem Bildungsplan; welche Qualitätskriterien werden denn an Ganztagsangebote angelegt? Ich kenne Kinder, die nicht sonderlich begeistert sind, wenn sie am Nachmittag in der Arbeitsgemeinschaft Astronomie ihren Mathelehrer vom Vormittag wiedersehen.
Wo sind denn die ausreichenden Angebote für Jugendliche, in die sie sich aktiv einbringen können und bei denen sie sich ausprobieren können? Sie, Frau Orosz, haben die Mittel für die überörtliche Jugendverbandsarbeit im Jahre 2006 deutlich und ohne erkennbares Konzept gekürzt. Aber diese Jugendverbandsarbeit – das habe ich schon damals gesagt – ist ein wichtiger Ort, an dem Kinder und Jugendliche Bestätigung bekommen und an dem sie auch demokratische Prozesse erlernen können.
Zur Jugendpauschale könnte man jetzt auch noch etwas sagen: dass die Erhöhung, die auf dem Papier steht, keine
Nach unserer Auffassung heißt Familienfreundlichkeit, die ganz verschiedenen Bedürfnisse aller Mitglieder einer Familie in den Blick zu nehmen. Konsequent zu Ende gedacht, heißt das natürlich auch, dass wir überlegen müssen, welche Unterstützung Familien bekommen, wenn Angehörige gepflegt werden müssen.
Offensichtlich braucht ein familienfreundliches Land eine verlässliche und gut erreichbare Struktur von Beratungs- und Unterstützungsangeboten, die für Eltern und Kinder in jedem Lebensalter und in jeder Lebenslange offenstehen, wenn sie sie benötigen, und die auch in familienfreundlicher Zeit zu erreichen sind. Ich erinnere nur an die Diskussion zum Schwangerenkonfliktberatungsgesetz. In 24 Stunden muss eine Beratungsstelle erreichbar sein. Überlegen Sie sich, wie das eine Frau machen soll, die zwei kleine Kinder hat und das dritte erwartet!
Und überhaupt – ganz zum Schluss noch –: Zeit ist ein zentrales Thema und auch Zeitpolitik. Wir alle wissen: Unternehmen haben andere Erwartungen an ArbeitnehmerInnen als deren Kinder, Schulen haben einen anderen Rhythmus als die Arbeitgeber. Familien brauchen aber Zeit für sich, um Stabilität zu entwickeln. Die heute verlangte Flexibilität und Mobilität steht damit oft im Konflikt, und wir müssen das in unsere Überlegungen einbeziehen.
Wenn wir also mehr Familienfreundlichkeit wollen, dann müssen wir ganz konkret politische Prioritäten setzen, also auch finanzpolitische Schwerpunkte; denn eine zuverlässige Infrastruktur für Familien kann nur geschaffen werden, wenn man bereit ist, dafür Geld in die Hand zu nehmen.
Wie Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn wir es ernst meinen mit Familienfreundlichkeit, gibt es noch viel zu tun. Wir hätten uns schon gewünscht, dass hinter dem Titel der heutigen Debatte ein Fragezeichen steht. Wie es jetzt ist, hat man beim Lesen den Eindruck, dass die FDP der Familienpolitik, die derzeit im Parlament gemacht wird, uneingeschränkt zustimmt. Aber vielleicht machen Sie das Fragezeichen dann das nächste Mal; mit Schwarz-Gelb scheint es ja doch nicht so schnell etwas zu werden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Herrmann, um gleich auf Sie einzugehen: Es ist keine Frage, sondern ein Anspruch, den wir hier in dieser Aktuellen Debatte gestellt haben und den wir mit Leben erfüllt sehen wollen.
Aufgabe der Opposition ist es nun einmal, den Finger in die Wunde zu legen. Frau Nicolaus, offenbar haben wir hier im Land eine Wunde, denn Sie haben sehr gespitzt darauf reagiert. Was ich allerdings gesehen habe, ist: Wir
stagnieren nun einmal, uns fehlt die Dynamik, auch aus den Kreisen der CDU-Fraktion. Offenbar sieht auch die SPD nicht mehr die Notwendigkeit, Druck dahinter zu machen und auf diese Probleme ganz konkret einzugehen.
Frau Schwarz, Sie sprachen von Finanzierung. Steuermehreinnahmen sage ich Ihnen an dieser Stelle dazu. Für unser Land gesprochen: Berufstätige, die mit ihren Leistungen diese Steuergelder erwirtschaften, haben auch ein Recht darauf, endlich etwas davon wiederzubekommen.
Ich habe es gesagt: In den Kindertageseinrichtungen Sachsens besteht ein Investitionsbedarf von circa 386 Millionen Euro. Das Land unterstützt dies mit 25 Millionen Euro. Sehen Sie die Diskrepanz? Wir lassen an dieser Stelle unsere Kommunen allein, und das kann so nicht sein.
Viele Grüße darf ich Ihnen auch von Herrn Zastrow ausrichten: Dresden ist mittlerweile Vorbild in den Investitionen
und den Geldbereitstellungen für Kindertageseinrichtungen. Die Stadt hat sich nämlich durch den Woba-Verkauf Luft verschafft, der ja nun leider von der SPD nicht unterstützt wurde. Da sieht man, wer tatsächlich Maßnahmen ergreift, um in unseren Kindertageseinrichtungen und Schulen bessere Voraussetzungen zu schaffen.
Familienfreundlichkeit duldet nun einmal keine faulen Kompromisse, denn nur wer einen guten Platz in einer Bildungseinrichtung mit flexiblen Betreuungszeiten für seinen Nachwuchs hat, kann Familie und Beruf auch wirklich vereinbaren. Halbtagsplätze oder Angebote bis 17 Uhr entsprechen nicht mehr unserer dynamischen Arbeitswelt, und es kann auch in Großstädten so nicht mehr funktionieren. Eltern brauchen einen verbindlichen Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung ihrer Kinder, und das darf in Zukunft nicht mehr erst ab drei Jahren gelten.
Leider haben CDU und SPD eine wirklich familienfreundliche Regelung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bisher abgelehnt. Dabei haben die Anträge der FDP und auch von anderen Fraktionen gezeigt, dass dies fast familienpolitischer Konsens im Landtag ist. Wenn wir den Einstieg in den Rechtsanspruch auf einen Bildungs- und Betreuungsplatz auch für die Kleinsten verpassen, werden wir mit die Letzten sein, die erst durch Regelungen des Bundes den Rechtsanspruch verordnet bekommen. Diese Blöße, meine sehr geehrten Damen und Herren, dürfen wir uns als Sachsen nicht geben!
Keinen Kompromiss duldet auch die frühkindliche Bildung. Familien wollen nicht einfach so Kita-Plätze; sie wollen gute Plätze in Bildungseinrichtungen. Deshalb gibt es – und das ist ja zu loben – den verbindlichen Bildungsplan. Doch auch hier ist Sachsen nur einen halben Schritt gegangen. Die neu eingeforderte Qualität in Kitas erfordert auch die entsprechenden Ressourcen. Herr Neubert, hier sind wir nicht so weit voneinander weg.
Doch nach wie vor sind eben Vor- und Nachbetreuungszeiten viel zu gering, um den Bildungsplan mit Leben zu erfüllen. Wir haben viele Zuschriften aus den Kindertageseinrichtungen erhalten, die genau dies bemängeln. Beispiel Schulvorbereitungsjahr: für 13 Kinder drei Stunden, wenn es nur sieben Kinder im letzten Kindergartenjahr sind, erhalten sie nur 1,5 Stunden.
Ja, brauchen diese weniger Schulvorbereitung? Lassen Sie uns endlich diesen Schritt gehen! Verbessern wir die Ressourcen für die Kindertageseinrichtungen so, dass der Bildungsplan auch für die Null- bis Zehnjährigen wirklich gelebt werden kann!
Meine Damen und Herren! Der Bildungsplan funktioniert nun einmal nicht nach dem Stundenschema einer Schule. Er ist ganzheitlich und ganztags; und statt rechtlich unverbindlicher Phrasen in der letzten Novelle des KitaGesetzes brauchen wir ein grundsätzliches Verbot von Zugangskriterien. Wir wollen außerdem Familien auch finanziell entlasten. Dazu gibt es sicher viele Möglichkeiten, je nach politischer Couleur, doch eines steht fraktionsübergreifend fest: der Wunsch nach einem kostenlosen Schulvorbereitungsjahr. Auch hier gibt es das gleiche Bild: viele Anträge, viele positive Stimmen, vor allem von den Sozialdemokraten, aber keine konkreten Handlungen; nein, noch nicht einmal einen Fahrplan.
Ich sehe, dass wir noch viele Verbesserungsvorschläge in Sachsen umsetzen müssen, damit Sachsen wirklich Vorbild für eine familienfreundliche Politik ist. Dazu können zum Beispiel auch kleine Dinge, wie die Verbesserung und Nutzbarkeit des Familienpasses, beitragen. Es ist wichtig, dass wir hier im Landtag den Willen und den Anspruch haben, Sachsens Familienpolitik auch in den tangierenden Themen, wie beispielsweise Kinderärzte oder Schulen vor Ort, wirklich umzusetzen.
Dabei ist klar, dass wir das sicherlich nicht ab morgen können; aber wir brauchen einen Zeitplan, einen Fahrplan, wann wir was wie umsetzen wollen. Der nächste Doppelhaushalt wird zeigen, ob wir es bis 2010 tatsächlich schaffen, familienfreundlicher zu werden.
Lassen Sie mich bitte den letzten Satz noch sagen. Vielleicht ist die Familienpolitik auch eines der ersten Felder, bei dem der neue Stil gelebt werden kann, den der designierte Ministerpräsident propagierte. Die FDP wird der Koalition bei der Familienpolitik –