Der vorliegende Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verfolgt ein Anliegen, das auch meine Fraktion seit Langem umtreibt. Insofern darf ich in diesem Zusammenhang mit Recht das Sprichwort „Zwei Seelen – ein Gedanke“ zitieren und freue mich, dass sich die Bündnisgrünen an ihre revolutionären Wurzeln im Osten erinnern, die wir mit ihnen teilten, als wir gemeinsam gegen den SED-Staat aufstanden.
Leider haben viele von den einstigen ostdeutschen Bürgerrechtlern wie Werner Schulz, Conrad Weiss oder Martin Wettker in ihren Reihen nicht mehr das Sagen.
Meine Fraktion wird Ihrem Antrag zustimmen, in Erinnerung an den Herbst 1989 Städte und Gemeinden zu ermutigen, lokale identitätsstiftende Ereignisse durch einen eigenen Gedenktag zu würdigen. Dies erscheint uns als ein wichtiger Beitrag, die Deutungshoheit über den Herbst 1989, seine Vorgeschichte und Folgen in den Händen derjenigen festzuhalten, die seine Akteure waren, nämlich diejenigen, die mit brennenden Kerzen statt Waffen die einzige siegreiche Revolution in der Geschichte des deutschen Volkes gewinnen durften und eine Wiederkehr gescheiterter Gesellschaftsmodelle verhindern werden, mögen sie auch in noch so rosarotem Licht verklärt werden.
Meine Damen und Herren! Die Deutschen, die am 9. November 1989, als die Mauer fiel, als das glücklichste Volk der Welt bezeichnet wurden, haben gemeinsam mit ihren Nachbarn im freien Europa allen Grund, die 20. Wiederkehr der friedlichen Revolution zu feiern. Das sollte nicht nur im Rahmen hochoffizieller Festakte vor Mikrofonen und Fernsehkameras stattfinden, sondern vor allem auch an der Basis, dort, wo das sächsische Herz schlägt: in den Städten und Dörfern, Kirchen und Schulen, Vereinen und Verbänden. Dazu wollen wir mit unserer Unterstützung für diesen Gesetzentwurf beitragen. Dabei bietet sich die ganz besondere Chance, unserer Jugend, die nach dem Mauerfall geboren ist und Unfrei
heit, Mangelwirtschaft und Reisebeschränkungen nicht kennen lernen musste, ein realistisches Geschichtsbild zu verschaffen, ein Kapitel deutscher Geschichte, für das wir uns nicht, wie in so vielen Fällen, schämen müssen, sondern über das wir mit Recht froh und stolz sein dürfen.
Auf die Äußerungen von Herrn Schowtka kann ich nicht eingehen. Ich glaube, es geht bei ihm auch nicht um diesen Gesetzentwurf. Ich möchte gern zu diesem Gesetzentwurf sprechen, denn er ist es wert.
Die Fraktion DIE LINKE wird diesem Antrag zustimmen, und das aus gutem Grund. Wir werden zustimmen, auch wenn wir in den Ausschüssen, zum Beispiel im Verfassungsausschuss, handwerkliche Fehler moniert haben und es für schwierig erachten – das will ich zumindest am Anfang genannt haben –, dass ein neues Institut per Gesetz eingeführt wird, das sich lediglich auf einen einzigen bestimmten gemeindlichen Gedenktag bezieht und sich nicht auch für andere öffnet.
Aber – das muss man hinzufügen – wir wissen ebenso um die Einmaligkeit der Ereignisse von 1989, ihre große historische Bedeutung für das, was wir heute tun oder auch lassen. Insofern halten wir als Fraktion die Einführung eines solchen gemeindlichen Gedenktages, wo es denn gewünscht ist, für richtig, und wir unterstützen das auch.
Auch für uns, DIE LINKE, hat, ganz nebenbei gesagt, dieses Datum überragende Bedeutung, weil wir ohne den Herbst 1989 – wenn ich das einmal feststellen darf – heute als pluralistische, demokratische und antistalinistische Partei nicht auf der Welt wären,
weder im Osten noch im Westen, das ist Fakt; denn der Herbst 1989 fegte die Führungsrolle der SED weg, und das zu Recht, und beendete auch die geschlossene Gesellschaft des Ostens friedlich, beispielhaft friedlich fast überall in Europa.
Landläufig die Wende genannt, war der Herbst 1989 Ausgangspunkt bedeutender gesellschaftlicher Umwälzungen – das verkennen wir auch nicht –, die massenmobilisierende Wirkungen hatten. Meinungs-, Presse-, Versammlungsfreiheit, Reisefreiheit und freie demokratische Wahlen standen nun auch DDR-Bürgern zur Verfügung, und ein friedlicher Weg zu einem geeinten Deutschland wurde geebnet. Zumindest das ist sehr wohl revolutionär an den Umwälzungen von 1989, denn die Gewinnung
erstrangiger demokratischer Freiheits- und Bürgerrechte stellte die DDR objektiv in den historischen Schatten.
Sehr geehrte Frau Dr. Ernst! Vorhin wurde von Herrn Schowtka von einem Wunder der Friedlichkeit in der Herbstrevolution 1989 gesprochen. Ist Ihnen bekannt, Frau Dr. Ernst, dass die Initiative zur Gewaltfreiheit unter anderem vom zuständigen Kultursekretär der SED-Bezirksleitung
und weitere Persönlichkeiten, die gemeinsam diesen Aufruf für Gewaltfreiheit verfassten und verkündeten?
Im Übrigen: Wenn wir ihnen die Deutungshoheit über die Geschichtsinterpretation überlassen würden, käme genau das heraus, was Herr Schowtka vorgetragen hat.
Frau Kollegin Dr. Runge, ich will nur sagen, zur Wende gehört eben mehr, und zur Wahrheit der Wende gehört mehr, und auch dieser Fakt. Man muss ihn zur Kenntnis nehmen, wenigstens zur Kenntnis nehmen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erlebte das Jahr 1989 an drei verschiedenen Schauplätzen: zunächst in Berlin die großen Herbstdemonstrationen und die für mich persönlich einschneidende Lesung von Walter Janka über die Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Wochen später war ich hier in diesem Gebäude, der damaligen Bezirksleitung der SED, und habe zusammen mit Kollegen und mit Hans Modrow Briefe zur Wende ausgewertet. Ganz einfache Leute aus Rostock, Jena und anderen Städten machten Vorschläge zur Reform der DDR – auch das gehört zur Wende –, wofür es allerdings leider zu spät war.
Und ich erlebte Anfang 1990 – auch das gehört zur Wende – die Ereignisse in der kleinen Stadt Großenhain, in der ich über viele Jahre als Lehrerin tätig war; und unsere Einrichtung sollte abgewickelt werden. Zusammen mit einem zu DDR-Zeiten geschassten Parteisekretär, zwei parteilosen Kollegen und einer großartigen Studentenschaft organisierten wir damals den ersten Streik unseres Lebens. Wir zogen in die Staatskanzlei – damals konnte man da übrigens noch ungehindert hinein – und brachten unsere Vorschläge und Forderungen ein. Im
Übrigen konnten wir die Einrichtung retten – auch das gehört zur Wende –, und eine der Erfahrungen, die ich machte, war ganz simpel: Kämpfen lohnt sich.
Meine Damen und Herren, der Herbst 1989 setzte überall enorme Kräfte frei und es lohnt sich sehr wohl, in diese Jahre zurückzublicken. Es ist auch wichtig, dies zu tun, um zu verstehen und zu erklären, was die DDR war und was sie nicht war. Heute, zurückblickend, wurden 1989 große Chancen – und zwar in ganz Deutschland –, Änderungen herbeizuführen, verpasst. 1989 – das bedaure ich sehr – blieb viel zu sehr ein Ereignis der Ostdeutschen – zu Unrecht, meine ich. Wenn heute im Osten die Menschen eher von Wende als von friedlicher Revolution sprechen, dann nicht, weil sie die Ergebnisse von 1989 missachten oder nicht wertschätzen, sondern weil die Stunde nicht genutzt wurde, Freiheits- und Bürgerrechte von Beginn an mit sozialen Rechten zu verknüpfen.
Aber die Menschen, meine sehr geehrten Damen und Herren, brauchen eben beides: Freiheit und soziale Sicherheit.
Sehr geehrte Damen und Herren, ja, es ist vernünftig, die Grundidee dieses Gesetzentwurfes zu unterstützen; wir tun das. Vielleicht bieten auch solche Gedenktage, gerade im örtlichen Bereich, die Möglichkeit, sich vorurteilsfrei und ohne Siegermentalität der Geschichte dieser Jahre zu stellen. Vielleicht gelingt es irgendwann – so hoffe ich doch –, Objektivität und Wahrhaftigkeit um diese Ereignisse herzustellen – auch, um die DDR-Klischees abzubauen und die Verständigung der Menschen zwischen Ost und West zu befördern. Dazu kann dieses Gesetz beitragen.
(Caren Lay, Linksfraktion: Wo ist die CDU eigentlich – interessiert Sie das Thema nicht? – Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich hat jeder von uns so seine eigenen persönlichen Erinnerungen an die Jahre 1989/1990 und einige von Ihnen waren ja damals auch dabei.
Gerade in Sachsen haben dabei viele Städte ihre eigene Geschichte, ob Dresden, Chemnitz – oder Karl-MarxStadt, wie es damals hieß – oder Plauen, um einige Orte zu nennen, und natürlich Leipzig. Leipzig und die Leipziger – Leipzig, die Heldenstadt, wie sie später genannt wurde. Ich glaube, niemand von uns hat sich damals als
Held gefühlt. Welche Art Gefühle auch immer damals dominierten – sie waren sehr verschieden. Es war eher ein Gemisch aus Angst, Wut, Verzweiflung und dem Drang, etwas Sichtbares zu tun, und nicht mehr nur das heimliche Treffen und Diskutieren in einer Kirche oder an anderen Orten.
Niemand sollte die Ereignisse von Peking vergessen und unterschätzen, und gleichzeitig war „wie reagiert Gorbi?“ in vielen Köpfen. Auch die Tatsache, dass Polizei und Kampfgruppen montags in Größenordnungen in die Stadt fuhren – voll bewaffnet in Bereitschaft standen –, war jedem von uns allgegenwärtig.
Wir haben uns im Kollegenkreis manchmal amüsiert, wenn montags der Personal- und Parteichef mit Jeans, Thermoskanne und Stullenpaket – natürlich auch mit dem „ND“ – zur Nikolaikirche aufbrach. Wir selbst aber erhielten die Aufforderung, nach Dienstende die Innenstadt zu meiden und unverzüglich nach Hause zu fahren. Gleichzeitig war sich jeder der Gefahr bewusst, die man auf sich nahm. Denn wer einfach auf einen Lkw geladen würde, weil mehrere Menschen zusammenstanden, oder ob und wann und unter welchen Umständen geschossen werden würde, wusste niemand von uns.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei vielen Gesprächen, die ich in den letzten Jahren mit Jung oder Alt geführt habe, wollte niemand die Mauer wiederhaben – aber auch nicht den teilweise ignoranten Umgang mit unserer DDRVergangenheit. Und damit haben sie recht.