Protocol of the Session on February 25, 2005

Natürlich gibt es Probleme im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform. Die sind hier angesprochen worden. Es gibt Probleme durch die Zuzahlung bei Medikamenten, die jetzt frei sind, und es gibt Probleme zum Beispiel bei Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen.

Bitte zum Schluss kommen.

Deshalb muss an der Gesundheitsreform weiter gearbeitet werden. Wir werden das in der Koalition mit der SPD in der Bundesregierung tun. Wir werden diese Reformbaustellen weiter bearbeiten, und zwar nicht als Selbstzweck, sondern um Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen und um die Belastungen der Versicherten und Patienten in einem sozialstaatlich akzeptierten Rahmen zu halten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wird von der CDU-Fraktion das Wort gewünscht? – SPD-Fraktion? – NPD-Fraktion? – Die PDS-Fraktion, bitte; Herr Wehner.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren und Kollegen! Ich möchte eingangs darauf hinweisen, dass das Gesetz „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ heißt. Die Wirkungsrichtung in der Krankenversicherung geht doch genau dahin, das Risiko der Krankheit abzusichern. Krank kann ja nun einmal nur ein Mensch werden, also geht es um Betroffene, die wir hier in den Blickpunkt und den Mittelpunkt der Betrachtung rücken müssten.

(Beifall bei der PDS)

Herr Gerlach, ich habe eine ganz andere Beobachtung als Sie. Für mich ist Fakt, dass immer häufiger Patienten die Arztbesuche meiden, dass Patienten für sich selbst entscheiden, ob sie Medikamente wirklich noch brauchen, weil sie sich die Praxisgebühr und die Zuzahlung eben nicht mehr leisten können. Weil Patienten nicht zum Arzt oder zur Ärztin gehen, werden nötige Untersuchungen nicht durchgeführt, Diagnosen zu spät gestellt. Die Folgen sind fatal. So werden aus einfachen Erkältungen Nasennebenhöhlenentzündungen, aus einfachem Husten resultieren schwere Kehlkopfentzündungen.

Natürlich, meine Damen und Herren, gibt es auch eine völlig andere Beobachtung. Zu jedem Quartalsbeginn werden die Praxen der niedergelassenen Ärzte gestürmt. Es entstehen Warteschlangen ähnlich den sozialistischen Wartegemeinschaften zu DDR-Zeiten, die sich bildeten, wenn es einmal Bananen oder Apfelsinen gab. Nur die Patienten wollen keine Untersuchungen. Sie brauchen Rezepte und Überweisungen an den Facharzt. Zum Jahresbeginn waren beispielsweise im ländlichen Raum von Dresden an einem Tag in einer kleinen Praxis in Neustadt 147 und in einer in Heidenau 136 Patienten. Der

Arzt kommt immer seltener zur Erfüllung seines medizinischen Auftrages. Der Arzt wird zum Bürokraten.

(Beifall bei der PDS und der NPD)

Meine Damen und Herren! Es gibt aber noch eine andere Auswirkung aus dem Modernisierungsgesetz, mit der keiner gerechnet hat. Nach der Richtlinie zur Definition schwerwiegend chronischer Krankheiten im Sinne des § 62 des Fünften Sozialgesetzbuches vom 22.01.2004 ist eine Krankheit unter anderem schwerwiegend chronisch, wenn ein Grad der Behinderung von mindestens 60 vom Hundert nach § 30 des Bundesversorgungsgesetzes vorliegt. Allein diese Norm hatte zur Folge, dass rasch Anträge auf Feststellung eines Grades der Behinderung von 60 gestellt wurden. Die Versorgungsverwaltungen in Chemnitz, Dresden und Leipzig wurden quasi über Nacht mit Anträgen zugeschüttet. Die Verwaltungen waren überfordert und haben heute noch mit den Auswirkungen zu kämpfen. Die Bescheiderteilung auf Feststellungsverfahren nach dem Schwerbehindertengesetz erfolgt dadurch wieder verzögert und die Staatsregierung in Sachsen hat hier nicht regulierend eingreifen können und den Versorgungsverwaltungen zusätzliche Stellen an Gutachterärzten geschaffen. Das erzeugte weiteren Frust unter den betroffenen Kreisen der Bevölkerung.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Wehner?

Das ist heute meine Premiere. Ich möchte das nicht.

Meine Damen und Herren! Im Jahr 2004 sind bundesweit rund 2,5 Milliarden Euro weniger für Pillen und Salben ausgegeben worden. Wir haben das gehört. Die Bundesgesundheitsministerin wird nicht müde zu verkünden, dass das Gesundheitsmodernisierungsgesetz eben wirkte. Nur, meine Damen und Herren, man darf nicht übersehen, dass genau mit diesen neuen Regelungen wie Praxisgebühr, Zuzahlung bei Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln und das Herauslösen bestimmter Arzneimittel aus dem Leistungskatalog aus der gesetzlichen Krankenversicherung für Betroffene erhebliche Mehrbelastungen resultieren. Trotz der Zuzahlungsbefreiung bei manchen sind das bis zu 150 Euro im Monat.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Hört, hört!)

Meine Damen und Herren! Es muss Ziel sein, Armut als Folge von Krankheit zu vermeiden. Medizinische Behandlung muss jedem möglich werden, auch den Einkommensschwachen.

(Beifall bei der PDS)

Vor allem von denjenigen, denen nur ein Taschengeld aus der Sozialhilfe zur Verfügung steht, sollten überhaupt keine Zuzahlungen für die Inanspruchnahme von Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung abverlangt werden. Die Praxisgebühr sollte zugunsten

der Durchsetzung des Hausarztprinzips, wie hier von Frau Herrmann geschildert, abgeschafft werden.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Nach dem Koalitionspapier sollen aus einer koordinierten und regelmäßig erfolgenden Gesundheitsberichterstattung Maßnahmen zur Umsetzung bestimmter Gesundheitsziele abgeleitet werden. Das finde ich bemerkenswert. Ich begrüße das ausdrücklich, denn bis zu dieser Legislatur wurde die Notwendigkeit einer solchen Berichterstattung bestritten.

Im Koalitionspapier steht aber noch etwas anderes Bemerkenswertes. Im Bereich der Prävention wird auch die Gesundheitsförderung von Arbeitslosen mit dem Ziel der Erhaltung der Erwerbsfähigkeit vorgeschlagen. Ich finde das nicht schlecht, wenngleich, meine Damen und Herren, es mir viel, viel lieber wäre, es gäbe ein Programm, das Arbeitsplätze schafft, um die Menschen aus der Arbeitslosigkeit herauszubringen.

(Beifall bei der PDS)

Das erscheint mir der dringendere und kostengünstigere therapeutische Ansatz zu sein.

Herr Wehner, kommen Sie bitte zum Schluss.

Jawohl. Meine Damen und Herren, Sie können davon ausgehen, dass die Fraktion der PDS die Entwicklung des Koalitionsprogramms kritisch begleiten wird.

Das war es, was ich zu diesem Thema sagen wollte. Ich danke für die Aufmerksamkeit, und ich wünsche Ihnen beste Gesundheit.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, gibt es aus den anderen Fraktionen noch Redebedarf? – Die PDS-Fraktion hat noch einen Redebeitrag angemeldet. Frau Abg. Lay, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte mir in der Tat eine etwas engagiertere Verteidigung durch SPD-Fraktion, GRÜNE- und CDUFraktion zu der von Ihnen beschlossenen Gesundheitsreform gewünscht, aber ich werde trotzdem dann noch auf den ersten Beitrag von Frau Strempel eingehen. Wir wollen nicht alles schwarzreden, es gab in der Tat den einen oder anderen positiven Ansatz in der Gesundheitsreform. Ich finde es auch bemerkenswert, dass das von der SPD-Fraktion und den GRÜNEN nicht stärker betont wurde.

Zu den Themen integrierte Versorgung und medizinische Versorgungszentren hat mein Kollege Pellmann schon gesprochen. Das ist eine gute Idee, die in der Praxis zumindest in Sachsen noch in den Kinderschuhen steckt. Ich bin gespannt, von der Ministerin zu hören, was hier noch getan werden kann, nicht nur zur finanziellen Förderung, sondern auch über die Maßnahmen von Fach- und Dienstaufsicht.

Es sollte ein Zentrum für Qualität in der Medizin eingerichtet werden – eine sehr gute Idee –, um Patientinnen und Patienten endlich den Zugang zu gesicherter und vor allem unabhängiger medizinischer Versorgung zu verschaffen. Auch hier ist man sehr lange nicht aus dem Knick gekommen. Schließlich ging es um die Verbesserung der Patientenrechte. Das ist ein richtiger und sehr hehrer Anspruch, nur leider ist er mit der Einrichtung einer Patientenbeauftragten stecken geblieben, die noch dazu selbst Bundestagsabgeordnete der SPD und beim BMGS angesiedelt ist. Wo soll denn hier, bitte schön, die Unabhängigkeit herkommen? Vom dringend notwendigen Patientenrechtegesetz ist keine Spur und auch beim Präventionsgesetz musste die Bundesgesundheitsministerin zum Jagen getragen werden. Was jetzt vorliegt, wird die ganze Sache wieder einseitig auf die gesetzlichen Krankenversicherten reduzieren; Private können sich nach wie vor dem Präventionsanspruch und seiner Finanzierung entziehen.

Kurzum – jeder emanzipatorische Anspruch ist in den Kinderschuhen stecken geblieben und alles, was auf Kosten von Kranken und sozial Schwachen gegangen ist, wurde gnadenlos umgesetzt. Das ist der einzige Leitgedanke, meine Damen und Herren, den ich in der rotgrün-schwarzen Gesundheitspolitik erkennen kann. Wie bei der Arbeitsmarktreform steht der falsche Leitgedanke dahinter. Man tut so, als seien die Strukturprobleme im Grunde auf das Fehlverhalten des Einzelnen zurückzuführen. Das ist doch komplett die falsche Analyse. Das Gesundheitssystem muss modernisiert werden, das ist gar keine Frage. Entscheidend ist nur, wie es modernisiert werden muss und in welche Richtung.

Wir brauchen eine effektive Ausgabenbegrenzung – ja, man muss sich auch die Kostenseite ansehen – durch integrierte Versorgung, aber auch durch eine Positivliste für Medikamente. Das wäre eine sinnvolle Idee gewesen. Davon ist allerdings keine Spur. Dafür hätte man auch, Herr Gerlach, den Mut aufbringen müssen, sich tatsächlich mit der Pharmalobby anzulegen.

(Alexander Krauß, CDU, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Frau Lay, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frau Präsidentin, im Normalfall gestatte ich gern Zwischenfragen. Nun mussten wir allerdings gestern erleben, dass aus den hinteren Reihen der CDU-Fraktion sehr merkwürdige, auf persönliche Lebensverhältnisse gerichtete Zwischenfragen gestellt wurden. Deswegen möchte ich jetzt meinen Redebeitrag zu Ende führen können. Wie gesagt, die Zwischenfragen zielen sicher auf die Anzahl der eigenen Kinder und das Alter der Mitarbeiterschaft. Falls Sie von mir wissen wollten, ob ich in der gesetzlichen Krankenversicherung bin, kann ich Ihnen zustimmen. Genau das bin ich.

(Der Abg.Alexander Krauß, CDU, schüttelt den Kopf.)

Jetzt möchte ich gern meinen Gedanken weiter ausführen können.

Ich war zuletzt bei dem Gedanken, in welche Richtung das Gesundheitswesen modernisiert werden muss, Stichwort effektive Ausgabenbegrenzung und Positivliste. Es ist schon paradox, dass Sie in der Praxis die Privatisierung des Gesundheitssystems und die Aufgabe der paritätischen Finanzierung eingeleitet haben. Sie haben faktisch mehr soziale Ungerechtigkeit beschlossen. Mehr Gerechtigkeit predigt Rot-Grün nur in der Theorie. Schade, dass die Einführung einer Bürgerversicherung unter Rot-Grün zu einem reinen Wahlkampfschlager verkommt. Dabei brauchen wir dringend diese Strukturreform, eine Bürgerversicherung von allen für alle.

(Beifall bei der PDS und des Abg. Holger Apfel, NPD)

Genau damit, meine Damen und Herren, machen wir das Gesundheitssystem zukunftsfest und werden die Beiträge nachhaltig senken können.

(Der Abg. Alexander Krauß, CDU, steht am Mikrofon.)

Frau Lay, – –

Unser bisheriges Gesundheitssystem ist eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, das ausgerechnet diejenigen, die weit über dem Durchschnitt verdienen, aus der solidarischen Finanzierung entlässt, die dann aber noch für weniger Geld die besseren Leistungen bekommen.

Frau Lay, der Kollege der CDU-Fraktion lässt nicht locker und meldet sich zu einer Zwischenfrage.

Ich habe meine Position dazu erklärt. Meine Damen und Herren, wir brauchen faktisch keine privaten Krankenkassen als Vollversicherung. Die sollen sich schön auf das Zusatzgeschäft konzentrieren, denn warum in aller Welt soll man mit der Gesundheit der Menschen auch Gewinne machen können? Gesundheit ist doch schließlich keine Ware.

Die PDS-Fraktion unterstützt die Einführung einer Bürgerversicherung. Wir haben dazu ein eigenes Konzept vorgelegt, das dort Nägel mit Köpfen macht, wo RotGrün auf halber Strecke stehen geblieben ist. Aber bei allen Differenzen im Detail, die Bürgerversicherung muss kommen, sonst werden die Schwarzen 2006 die Kopfpauschale einführen. Dann bezahlt die Putzfrau am Ende das Gleiche wie der Vorstandschef, und wir können die Solidarität endgültig zu Grabe tragen. Deshalb sage ich ganz klar an die Adresse von SPD-Fraktion und GRÜNEN: Wer es ehrlich meint mit einer solidarischen Gesundheitspolitik, der darf das Projekt Bürgerversicherung nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben, der muss sie jetzt einführen.

(Beifall bei der PDS)