Protocol of the Session on February 25, 2005

Herr Gerlach, ich wusste ja, dass bei Ihnen die Freundlichkeit gegeben ist, deshalb

die Frage: Können Sie mir wenigstens erklären, weshalb es in Sachsen noch nicht zu einem einzigen Gesundheitszentrum gekommen ist, und würden Sie mir zustimmen, dass es durchaus möglich sein muss, dass solche Gesundheitszentren dann auch mit staatlicher Unterstützung geschaffen werden?

Ich bin skeptisch, wenn man als Erstes, wenn man etwas Neues schafft, nach staatlicher Stützung fragt.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Auch!)

Ja, ja, auch. Er hat „auch“ gesagt. Das habe ich schon verstanden.

Nach der Auskunft, die wir vom Sozialministerium haben, gibt es zwei – vielleicht stellen Sie die Frage der Ministerin dann noch einmal, die Ihnen dann sicher auch sagen kann, welche Standorte es sind. Das weiß ich nicht. Aber es gibt sicher organisatorische Gründe, und zwar nicht strukturelle Gründe, soweit mir das bekannt ist, weshalb das noch nicht so schnell in die Gänge gekommen ist, wie wir das gerne hätten. Es gab ja auch Probleme dahin gehend, wer denn für die ganze Geschichte die Trägerschaft übernimmt. Wenn dann natürlich als Erstes gefragt wird, wie groß denn der staatliche Zuschuss ist, wenn wir uns auf so etwas einlassen, dann sind natürlich sicher die Vorbehalte groß. So viel zu diesen Gesundheitszentren.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Aber Sie haben ja mit in Ihrer Aktuellen Debatte angefragt, dass wir uns dazu äußern möchten, wie die Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen nach einem Jahr Gesundheitsreform sind. Natürlich ist es schwer, in fünf Minuten dazu etwas zu sagen. Ich will versuchen, Ihnen dies in elf Punkten zu benennen. Manche Daten, die ich erwähne, können natürlich nur von gesamtdeutschen Daten heruntergebrochen werden, weil sie für Sachsen noch nicht vorliegen.

1. Die Menschen in Sachsen werden nicht mehr, aber auch nicht weniger durch die Gesundheitsreform belastet als alle anderen Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik.

2. Der Eigenanteil für die gesundheitliche Vorsorge und für die Behandlung ist gestiegen. Natürlich ist er gestiegen. Er ist gewollt gestiegen; es war von der Politik so gewollt.

3. Damit ist aber auch das Bewusstsein gestiegen, dass Gesundheit ein Wert ist, auch ein finanzieller Wert.

4. Die soziale Balance wurde mit den Ein- bzw. ZweiProzent-Regelungen gewahrt – meine Vorrednerin hat ein konkretes Beispiel dazu genannt –, wenn es auch immer wieder zu einzelnen Härtefällen gekommen ist und kommen wird, speziell bei den Zuzahlungen bei nicht mehr verschreibungspflichtigen Medikamenten.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Aber natürlich.

Bitte schön.

Herr Gerlach, meine Frage bezieht sich auf Ihre Aussage, dass der Anstieg der Gesundheitskosten von der Politik gewünscht war. Da muss ich nachfragen: Ist es Ihrer Meinung nach auch politisch wünschenswert, dass der Anstieg der Gesundheitskosten dazu geführt hat, dass sich vor allen Dingen sozial schwache, einkommensschwache Familien jetzt zum Teil richtig notwendige Arztbesuche verkneifen müssen und dass das – wie bereits erste Studien belegen – auch zu einer Verschleppung von chronischen Krankheiten führt?

Das Letzte ist eine Unterstellung, die ich zurückweise, dass sie es sich verkneifen müssten.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Zu dem zweiten Punkt habe ich die Bitte, dass Sie mir genau zuhören, wenn Sie mir solche Fragen stellen – ich lasse diese eigentlich immer zu. Ich habe gesagt, es ist gewollt – es ist nicht gewünscht –; das ist ein wesentlicher Unterschied. Gewünscht heißt, dass wir uns nichts Besseres vorstellen können, als diese Belastung einzuführen. Gewollt heißt, dass wir aus der Gesamtsituation heraus, die sich für die gesamte Bundesrepublik Deutschland mit allem Für und Wider ergibt, das in Kauf nehmen, um die gesamte strukturelle Anpassung zu leisten, und heißt, dass das auch – auch! – mit einer finanziellen Zusatzbelastung einhergeht. Aber es ist nicht so, wie Sie gesagt haben. Ich gebe Ihnen dann noch ein Beispiel, wo es an einer Stelle auch zu weniger Besuchen kommt, die aber überhaupt nicht notwendig waren.

Mir ist kein Fall bekannt, in dem jemand aus finanziellen Gründen nicht zum Arzt gehen darf. Das unterstellen Sie mit Ihrer Frage.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Ja, natürlich.

Frau Kipping, bitte.

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass meine Aussage – vor allen Dingen sozial Schwache leisteten sich keine Arztbesuche mehr – keine Behauptung war, sondern auf Studien und Untersuchungen beruht? Daran anschließend meine Frage: Was halten Sie für notwendig, um genau das zu verhindern: dass es auch im Gesundheitsbereich eine soziale Spaltung in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft gibt?

Dazu muss ich weiter ausholen, wenn Sie mir eine solch umfangreiche Frage stellen.

Ich halte das Erste, was Sie gesagt haben, nicht für richtig. Zu der zweiten Frage kann ich Ihnen nur sagen: Ich habe zehn Jahre lang – –

(Unruhe bei der PDS)

Sie haben mir Ihre Frage gestellt, vielleicht darf ich erst einmal darauf antworten.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich habe zehn Jahre im Gesundheitswesen der DDR gearbeitet und wenn Sie unterstellen, dass heute mit dem, was wir machen, so etwas wie ein Zwei-Klassen-Gesundheitswesen installiert würde, dann, muss ich Ihnen sagen, haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, was bisher immer schon Realität war.

Natürlich geht es darum – und das ist das Ziel der Gesundheitsreform –, das, was medizinisch notwendig ist – die so genannte Grundversorgung – jeder und jedem zuzubilligen. Worum sich in der Gesellschaft nach wie vor gedrückt wird – das habe ich hier schon mehrfach ganz offen angesprochen –, ist, wie man das definiert und wie man es zukünftig in den Griff bekommt. Ich denke, dass die Sicherungsmechanismen – nicht nur mit der Ein- und Zwei-Prozent-Regelung, auch über das, was die Sozialgesetzbücher hergeben, was an Unterstützung noch geleistet wird – nicht dazu führen, dass das eintritt, was Sie hier als richtig dargestellt haben.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie genau die Namen benennen. Ich bin mit solchen Dingen auch konfrontiert worden und bei näherem Nachfragen merkt man, dass viel mehr dahintersteht als der einfache Vorwurf, den Sie hier in den Raum stellen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Zurück zu meinen Ausführungen.

5. Die Politik ist gegenüber den Pharmaunternehmen hart geblieben, was deren Beitrag zum Gesundheitsmodernisierungsgesetz betrifft – jedenfalls im Rahmen der Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen. Jammern gehört inzwischen überall zum Geschäft – auch bei diesen Firmen; Sie werden wie ich ständig mit Briefen von Pharmafirmen bombardiert werden, die uns erzählen, warum genau ihr Medikament X oder Y das innovativste ist. Ich weiß auch überhaupt nicht, was ich als Politiker mit diesen Briefen zum Beispiel anfangen soll; ich kann das nicht beurteilen. Wenn aber der Bundesausschuss – in dem die Fachleute sitzen – festgelegt hatte, dass dieses Medikament nicht diesen Rang hat, nehme ich das einfach als gegeben.

6. Die strukturellen Veränderungen im Gesundheitswesen werden sich erst nach und nach für die Patienten auswirken, zum Beispiel was die verstärkte Vermischung ambulant und stationär betrifft.

7. Die vereinheitlichten Behandlungsprogramme, die so genannten DMPs, werden auch in Sachsen dazu führen, dass zum Beispiel Brustkrebs bei Frauen eher – zum Beispiel schon im Stadium 1 – erkannt und besser behandelt wird. Schätzungen gehen für Deutschland davon aus, dass diese Früherkennung im Stadium 1 bei etwa 4 000

bis 6 000 Frauen sein wird. Wenn ich das statistisch auf Sachsen hochrechne, wären das immerhin 750 bis 1 100 Frauen.

8. Die Veränderung der medizinischen Versorgung von Patientinnen und Patienten durch die Einführung des Leistungsprinzips, was die so genannten Fallpauschalen oder DRGs sind, muss aus unserer Sicht dringend wissenschaftlich begleitet werden, weil es hier nicht nur um ein technisches Verfahren, sondern darum geht, genau zu untersuchen, wie sich das auf die Patientenbetreuung auswirkt.

9. Die Leistungen der Patientenbeauftragten werden auch von Sächsinnen und Sachsen sehr gut in Anspruch genommen; für ganz Deutschland waren es immerhin 30 000 Anfragen im letzten Jahr.

10. Lungenkrebs war europaweit mit 13,2 % der Erkrankungen, sogar 20 % der Todesfälle, die häufigste Krebsform. Hier sollen und müssen die Zusatzprogramme greifen, die die Bundesregierung plant bzw. die mit dem Präventionsgesetz kommen sollen. Wir hier in Sachsen halten den traurigen Rekord, was das frühe Einstiegsalter für Tabakkonsum bei weiblichen Teenagern betrifft.

11. Problematisch ist das Nachlassen der Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen. Seit 2004 gingen nach Darstellung der Kaufmännischen Krankenkasse 11 % weniger Frauen zur Krebsvorsorge als im verglichenen ersten Halbjahr 2003. Bei den Männern waren es 6 % weniger. Die KKH vermutet, dass die Einführung der Praxisgebühr für den Rückgang verantwortlich ist. Viele Patienten wissen überhaupt nicht, dass sie da nichts zu bezahlen haben, und ich kann an dieser Stelle nur noch einmal wiederholen: Bei Krebsfrüherkennungsuntersuchungen sind Frauen ab dem 20. Jahr und Männer ab dem 45. Jahr von der Praxisgebühr befreit. Ich kann nur alle auffordern: Machen Sie regelmäßig davon Gebrauch.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Ich erteile der Fraktion der NPD das Wort; Herr Dr. Müller, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Jahr Gesundheitsreform oder Gesundheitsmodernisierungsgesetz, wie auch immer man es bezeichnen will – es gibt natürlich Gewinner und es gibt Verlierer; das ist aus dem Blickwinkel der jeweiligen Seite zu sehen. Die Krankenkassen sind natürlich Gewinner. Wenn man – ich zitiere hier den Regierungsberater Karl Lauterbach – 9,5 Milliarden Euro im Jahr 2004 eingespart hat, dann ist man natürlich auf der Siegerseite.

(Alexander Krauß, CDU: Die Beitragszahler sind die Gewinner!)

Die Beitragszahler sind natürlich nicht die Gewinner. Schauen Sie einmal an, wie wenig Beitragssenkungen stattgefunden haben!

Wenn man also sieht, dass 2,5 Milliarden Euro dieser Einsparungen durch gesenkte Arzneimittelausgaben zustande gekommen sind und 3 Milliarden Euro durch die

Praxisgebühren, durch die erhöhten Zuzahlungen – dann weiß man sofort, wer der Verlierer ist: nämlich der Versicherte, der das Gesundheitssystem braucht.