Ich bin der Meinung, dass wir in der Debatte auch diejenigen ernst nehmen müssen, die mit guten Argumenten die bisher vorgeschlagenen Maßnahmen kritisch sehen, sei es mit Blick auf die Situation bei der Übersterblichkeit oder anderen Argumenten. Zuletzt hat uns ein Brief eines Medizinprofessors aus dem Saarland erreicht, der ein hervorragender Arzt ist. Er hat uns dazu aufgerufen, unterschiedliche Perspektiven anzuwenden. Wir brauchen in dieser Situation einen stärkeren Rat der Wissenschaft. Ich will aber vor allem vorschlagen, dass wir sehr schnell - das ist meine Bitte an das Kabinett und speziell an das Sozialministerium - ein eigenes Testprogramm für die Altenheime auflegen. Am besten wäre es, wir würden jeden Tag jeden testen, der in das Altenheim hineingeht, auch jeden Mitarbeiter. Wenn ich es richtig sehe, dann ist im Moment vorgesehen, die Mitarbeiter einmal in der Woche zu testen. Das scheint mir doch deutlich zu wenig zu sein mit Blick auf die Zahlen, die ich eben genannt habe.
Jeden Tag jeden testen - das ist ein Riesenaufwand. Aber es ist immer noch leichter, einfacher und billiger, als einen zweiten Lockdown vorzunehmen. Ich glaube, wenn wir dieses Instrument haben und wenn wir es wenigstens in kurzer Zeit schaffen könnten, dann sollten wir dieses Instrument nicht ungenutzt lassen, bevor wir das Land noch einmal für Wochen
lahmlegen, vor allen Dingen dann, wenn wir nicht wissen, was nach einem möglichen Erfolg vier oder sechs Wochen später kommt, wenn die Zahlen nach der Lockerung wieder bleiben.
In jedem Fall muss Weihnachten Weihnachten bleiben. Familien müssen an Weihnachten zusammenkommen können. Ich glaube, das ist uns allen in diesem Haus besonders wichtig. Dafür müssen wir uns gemeinsam in den nächsten Wochen anstrengen. Vielen Dank.
Danke, Herr Abgeordneter. - Das Wort hat nun der Kollege Lutz Hecker als fraktionsloser Abgeordneter.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Der Kollege Dr. Magnus Jung hat einen sehr nachdenklichen Vortrag gehalten, der mich durchaus auch überrascht hat, weil er sehr differenziert hat. Das hatte ich so eigentlich nicht erwartet. Ich kann durchaus vielen Punkten zustimmen, die er genannt hat.
Der Kollege Lafontaine und der Kollege Thielen haben sich auf Zahlen, auch auf Todeszahlen und Übersterblichkeit, bezogen. Ich möchte einfach mal in den Raum werfen, dass wir Übersterblichkeit auf einen Zeitpunkt beziehen sollten wie etwa auf den Höhepunkt einer letzten Grippe-Epidemie. Darauf werde ich gleich noch zurückkommen.
Festzustellen bleibt - egal, wie man die Zahlen der letzten Wochen interpretiert -, dass wir uns momentan auf einem relativ stabilen Plateau bewegen und bezüglich der Hospitalisierungen und der intensivmedizinischen Betreuung unter den Höchstständen vom April sind. In Bezug auf die Wirksamkeit Ihrer Lockdown-Maßnahmen kann ich nicht erkennen, dass wir dazu eine klare Aussage treffen können. Die Zahlen, die ein klares Bild vermitteln, sagen uns keinesfalls, dass wir in einer besonderen Notsituation, insbesondere unseres Gesundheitssystems, wären.
Ich habe mir gestern noch einmal die Zahlen der Sterblichkeit in Deutschland und im Saarland angeschaut. Dazu fällt Folgendes auf: Wir hatten auf dem Höhepunkt der Grippewelle 2018 eine wöchentliche Sterblichkeit für Deutschland von circa 27.000. Anfang November - das sind die letzten Zahlen - liegen wir bei 18.000, also fast 50 Prozent unter den Zahlen einer schweren Grippe‑Epidemie. Im Saarland lagen die Zahlen 2018 bei über 400 Toten wöchentlich, die letzten Zahlen vom November beliefen sich auf knapp über 300. Bevor mir nun wieder der Ministerpräsident Zynismus oder Schlimmeres vorwirft,
möchte ich sagen, dass ich Zahlen - soweit ich sie ermitteln konnte - vergleiche, die die Sterblichkeit in der Gesamtbevölkerung während der letzten schweren Grippe-Epidemie und der jetzigen Corona-Pandemie abbilden. Diese Zahlen - soweit sie vorliegen - lassen aber nicht erkennen, dass unser Gesundheitssystem stärker belastet ist als im Frühjahr 2018. Ein Zusammenhang oder gar ein positiver Einfluss der Schließung gastronomischer Einrichtungen und anderer Branchen, die erhebliche Aufwendungen zum Schutz ihrer Kunden erbracht haben, lässt sich nicht erkennen.
Deshalb - wie gehabt - folgende Forderungen: Erstens. Gastronomie und sonstige Branchen wieder öffnen. Zweitens. Risikogruppen besonders schützen. Drittens. Verschärfungen von Corona-Maßnahmen sind abzulehnen. Viertens. Die dauerhafte massive Einschränkung von Grundrechten ist zu beenden. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich für die außerordentlich sachliche Debatte und die sehr nachdenklichen Töne, die angestimmt worden sind. Ich glaube, das ist aufgrund der aktuellen Situation angemessen. Ich möchte kurz auf einige Dinge eingehen, die angeklungen sind.
Erstens. Man muss - wie Magnus Jung und Stefan Thielen zu Recht gesagt haben - immer erklären, dass die Politik und die Landesregierung ständig versuchen, angemessen auf das Infektionsgeschehen, die Situation der Krankenhäuser sowie der Intensivstationen mit Blick auf die Todesfälle, die an COVID-19 verstorben sind, zu reagieren. Das bedeutet, dass man sich möglicherweise bei einem solchen Virus im 14-Tage-Rhythmus anders entscheiden kann und muss, weil das die Lage eben hergibt. Es bedeutet nicht, dass das alternativlos ist. Selbstverständlich gibt es immer auch ein alternatives Vorgehen. Weltweit gibt es eine ganze Bandbreite an Vorgehen zur Auswahl. Man kann sich angucken, wie einzelne Nation damit klarkommen. Das System der Vereinigten Staaten von Amerika des aktuellen Regimes ist relativ ungehindert mit vielen Freiheiten und wenig Einschränkungen mit dem Ergebnis, dass es ausgesprochen hohe Fallzahlen und Todeszahlen gibt. Ich habe das hier auch einmal in Relation zu den Gefallenen im Vietnamkrieg gesetzt. Ich glaube nicht, dass das unser Weg sein kann. Ich glaube auch nicht, dass wir den Weg der Länder im asiatisch-pazifischen Raum gehen sollten, die versuchen, mit starken repressiven Mitteln die Pandemie in den Griff zu bekommen. Es ist völlig klar, dass,
wenn man die Menschen in wirklich harte Lockdowns versetzt, es natürlich so gut wie keine Kontakte und Infektionen gibt, aber auch das kann nicht unser Weg sein. Deutschland ist in der Vergangenheit immer einen Mittelweg gegangen. Wir haben nie einen harten Lockdown gewählt. Wir haben immer einen gewählt, der den Menschen ermöglicht, zur Arbeit gehen zu können, Betreuung für Kinder zu haben und die notwendigsten Besorgungen zu machen. Niemand wurde in Deutschland bislang eingesperrt, niemand soll in Zukunft in Deutschland eingesperrt werden!
Unser Ziel ist, wieder in den Vorteil der Kontaktnachverfolgung zu kommen. Die Kontaktnachverfolgung, wie wir sie in unseren Gesundheitsämtern haben, ist weltweit einzigartig. Sie ist ein besonders hohes Gut. Das gilt es wiederherzustellen. Da brauchen Sie sich, Herr Kollege Dörr, wirklich nur mal mit den Landräten zu unterhalten. Sie können Ihnen davon berichten. Sie haben eingefordert, das Gesundheitsamt in den Berichten spezifisch genannt zu bekommen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass die Gesundheitsämter den Landräten und dem Regionalverbandsdirektor unterstellt sind, sodass das Gesundheitsamt trennscharf in den Berichterstattungen drin ist, die Sie bekommen. Schauen Sie sich das an! Wir müssen noch einmal in die Lage kommen, dass man Kontakte nachverfolgen kann. Das große Problem ist derzeit, dass wir nicht wissen, wo sich die Infektionen abspielen. Das ist in der Tat ein Stochern im Trüben. Das ist auch völlig zu Recht festgestellt worden. Wenn wir aber aus dieser Situation herauskommen wollen, meine Damen und Herren, müssen wir die Infektionszahlen nach unten treiben, damit wieder nachkontrolliert werden kann und Testkapazitäten frei werden, die derzeit in der Teststelle in Saarbrücken gebraucht werden, um symptomatische Patienten und Kontaktpersonen der Kategorie 1 zu testen, deren Zahlen exorbitant hoch sind. Es gibt unfassbar viele Kontaktpersonen der Kategorie 1 bei der Infektionslage, die wir im Moment haben. Das alles wäre besser, wenn die Zahlen unten wären.
Herr Kollege Lafontaine, gestern sind 350 Tests im Testzentrum gemacht worden. In dieser Woche waren es 18.000. In der Kalenderwoche 45 waren es 26.000 Tests in unserem Testzentrum. Das ist sicherlich eine große Anzahl von Tests, die gemacht werden, aber natürlich mag es sein, dass andernorts mehr Tests gemacht werden. Ich finde, die Frage ist berechtigt. Man muss es sicherlich in Relation setzen. Ich möchte nur noch einmal sagen - weil es mit Blick auf den Schutz der besonders gefährdeten Menschen angesprochen worden ist -, dass es sehr wünschenswert wäre, wenn in den Pflegeheimen tatsächlich jeder ständig getestet werden könnte. Natürlich sollten die Testkits auch genutzt werden, die von der Bundesregierung insbesondere für Menschen in Pflegeheimen zur Verfügung gestellt wor
den sind, damit ihre Angehörigen zu den Festtagen kommen können. Das ist selbstverständlich auch mein dringender Appell. Ich weiß, dass das Gesundheitsministerium gemeinsam mit den Trägern der Einrichtungen hart daran arbeitet, dass das in allen saarländischen Pflegeheimen genutzt wird. Die Vorstellung, dass wir jeden jeden Tag testen können, ist derzeit irrig, weil das vom Personal her nicht machbar ist. Bei all diesen Maßnahmen und den Situationen auf Krankenhausstationen ist das Personal im Moment der limitierende Faktor.
Herr Lafontaine, Sie haben recht. Die Belegung auf den Intensivstationen - das wurde auch von Herr Dörr und Herr Hecker gesagt - ist - Sie haben es akzeptabel genannt, Herr Lafontaine - nicht so dramatisch, dass wir jetzt alles leerräumen müssten. Trotzdem ist sie besorgniserregend, weil der limitierende Faktor nicht das Bett, das Beatmungsbett oder das Intensivbett ist - da haben wir aufgerüstet -, sondern das Personal. Hier kommen wir wieder zurück zu den Infektionszahlen. Wenn ich tagtäglich so hohe Neuinfektionen habe wie derzeit - wir sind auf einer hohen Inzidenz von 140 im Saarland -, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich das notwendige Personal infiziert, weil diese Menschen eben auch ein Leben und einen ganz normalen Alltag haben, und dann nicht mehr zur Verfügung stehen. Das ist das Problem. Das ist nicht tolerabel. Wenn wir ein besseres Schutzregime in die Pflegeeinrichtungen sowie die Krankenhäuser bekommen wollen, müssen wir zu allererst die Infektionszahlen nach unten bekommen und die Kontakte nachverfolgen können, damit wir dann wieder Perspektive bieten können. Um nichts anderes kann es gehen. Wir haben den November-Lockdown, den Teil-Lockdown, gestartet, um wieder diese Nachverfolgbarkeit zu erreichen und eine langfristige Perspektive bis zur flächendeckenden Verfügbarkeit von Impfstoffen zu haben. Es muss auch jetzt unser Ziel bei den Beratungen sein, wie wir das deutschlandweit und natürlich auch für das Saarland hinbekommen können.
Sie haben gesagt, Herr Kollege Lafontaine, dass es Gerechtigkeitsdebatten gibt, wieso das Restaurant und nicht die Plastiktütenfabrik schließen muss. Der Unterschied ist natürlich, dass man im Restaurant eben keine Maske tragen kann, wenn man isst. Das liegt in der Natur der Sache. In der Plastiktütenfabrik kann man es bei der Arbeit. Ich kann also den Beschäftigten besser schützen. Mit Blick auf das Wesensmerkmal des Geschäftes gibt es natürlich auch einen gewissen Unterschied. Das Restaurant - abgesehen von den Beschäftigten - dient natürlich schon der Ausgestaltung des privaten Lebens, während eine Plastiktütenfabrik eine 100-prozentige Arbeitsplatzsituation ist. Da gibt es also schon Unterschiede.
Allerdings teile ich Ihre Auffassung, dass man das nicht bis in alle Ewigkeit ziehen kann. Ich finde, der
derzeitige Lockdown-Zustand ist ausgesprochen zermürbend. Wir können nicht monatelang diesen Teil-Lockdown fortführen. Wir können es den Menschen nicht zumuten, weil es psychisch belastend ist. Außerdem können wir es uns weder leisten noch die Kosten den kommenden Generationen zumuten. Wir können nicht jeden Monat Milliarden Euro im zweistelligen Bereich bezahlen. Das ist nicht machbar. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir diskutieren und abwägen müssen, ob nicht mit schärferen, aber kürzeren Maßnahmen das Ganze besser durchgestanden werden kann, sodass wir die Perspektive haben, vulnerable Gruppen in Pflegeeinrichtungen durch regelmäßige Tests zu schützen, die dann zur Verfügung stehen, wenn man nicht mehr so viele Kontaktpersonen hat. Außerdem hätte man dann den limitierenden Faktor Personal nicht mehr, weil eben weniger Menschen insgesamt vom Virus betroffen sind.
Herr Kollege Dörr, Sie haben die Frage gestellt, was die Ministerpräsidentenrunde soll. Es ist ganz einfach. Der Bundestag hat das Bundesinfektionsschutzgesetz beschlossen, wonach die Länder zuständig sind, diese Pandemie zu bekämpfen. Der Bundestag hat in seinem Dritten Bevölkerungsschutzgesetz spezifiziert, was wir tun können, wie unsere Leitplanken aussehen, um diese Pandemie zu bekämpfen. Auch der saarländische Landtag hat sich vorbehalten, ergänzende Maßnahmen zu beschließen, die uns als Landesregierung eine Richtschnur geben. Das begrüße ich außerordentlich. Wir sind zuständig, wir haben aber in so einer Pandemie eine Verantwortung für Gesamtdeutschland. Wenn ich im Saarland einen Beschluss fasse oder nicht fasse, hat das Auswirkungen auf das Nachbarbundesland, auf Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, auf all die, die nah an uns dran sind. So könnte es zu unnötigen Reisebewegungen oder Kontakten kommen. Solange Deutschland in dieser Form gleichmäßig betroffen ist, wie es Moment der Fall ist, sind wir gut beraten, uns als Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten miteinander abzustimmen, um einheitliche Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Selbstverständlich gibt es Ausreißer: Wir sind nicht so stark betroffen wie Bayern oder Sachsen. Wir wissen, dass die Bürgerinnen und Bürger sich diese Einheitlichkeit wünschen.
Ich würde mir sehr wünschen, dass auch dieses Hohe Haus weiterhin mit dazu beiträgt, dass die Akzeptanz der Maßnahmen hoch bleibt und wir die Menschen nicht unnötig verunsichern, wie es der Kollege Hecker leider getan hat - erneut -, indem er die Corona-Pandemie mit einer Grippewelle verglichen hat. Herr Hecker, man kann es nicht miteinander vergleichen. Es gibt derzeit keine Waffe gegen das Coronavirus. Die Menschen sind dem Ganzen schutzlos ausgeliefert. Es ist unsere Aufgabe, sie vor Infektionen zu schützen, die Gesellschaft davor zu schützen, dass sie an COVID-19 erkrankt und Menschen
zu früh versterben. Das steht im Gegensatz zu einer Grippewelle. Da gibt es tatsächlich einen Impfstoff. Jeder Mann und jede Frau kann sich impfen lassen und ist damit vor dem Grippevirus besser geschützt als vor dem Coronavirus. - So viel zur Beantwortung der Fragen, die gestellt worden sind. Das war mein Blick auf das, was aus meiner Sicht völlig zu Recht vorgetragen wurde. Vielen Dank.
Danke, Herr Ministerpräsident. Herr Abgeordneter Lutz Hecker hat signalisiert, dass er eine Kurzintervention in Anspruch nehmen will. Ich werde sie zulassen. - Herr Abgeordneter, Sie haben 3 Minuten für den Vortrag.
Herr Ministerpräsident, Sie haben mir vorgeworfen, ich würde Panik schüren, indem ich Grippewellen mit der Corona-Pandemie vergleiche. Ich habe aber Sterblichkeitsraten vom Höhepunkt der Grippewelle 2018 genannt, die eben dadurch ausgezeichnet waren, dass es keinen Impfstoff gab. Das ist genauso wie heute bei Corona. Es gab 2018 keinen Grippeimpfstoff und wir hatten Todesraten, die deutschlandweit 50 Prozent über den konstatierten Todeszahlen von Corona lagen.
Herr Kollege Hecker, ich habe Ihnen nicht vorgeworfen, Panik zu schüren, sondern ich habe Ihnen vorgeworfen, Verunsicherung voranzutreiben. Sie treiben Verunsicherung voran, indem Sie immer wieder das Coronavirus mit einer Grippe vergleichen. Das Coronavirus ist ungleich gefährlicher, solange wir keinen Impfstoff haben. Wenn wir einen Impfstoff haben, muss man sehen, wie dieser Impfstoff wirkt, denn so wie 2018 kann es eben auch sein, dass der zur Verfügung stehende Impfstoff weniger gut gegen das vorherrschende Virus schützt und deswegen nicht die gewünschte Immunität herstellt. Nichtsdestotrotz ist der Vergleich, den Sie gezogen haben, aus meiner Sicht unzulässig. Er trägt dazu bei, dass denjenigen, die die Gefahren des Coronavirus leugnen, Auftrieb gegeben wird. Das beabsichtigen Sie auch mit Ihrer Rede und Ihrer Fragestellung.
Danke, Herr Ministerpräsident. Wir fahren fort in der Reihenfolge der abgegebenen Wortmeldungen. Das Wort hat nun Herr Fraktionsvorsitzender Lafontaine für die Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist jetzt spannend, aber ich will Sie natürlich nicht allzu lang in Anspruch nehmen. Wenn eine Debatte einen Sinn hat - gerade bei dieser Fragestellung -, muss man präzise werden. Es sind nämlich aufgrund mangelnder Präzision einige Missverständnisse aufgetaucht. Es ging zunächst einmal um die Übersterblichkeit. Herr Kollege Hecker, wer genau zugehört hat, konnte feststellen, dass das, was Sie vorgetragen haben, nicht deckungsgleich mit dem ist, was ich vorgetragen habe. Die Erklärung ist aber ganz einfach. Die Übersterblichkeit, die ich vorgetragen habe, bezog sich auf drei Jahre. Es war also nicht nur das eine Jahr, von dem Sie gesprochen haben, sondern andere normale Jahre. Insofern ist das aufgeklärt. Sie haben aber durchaus recht, dass es - nach meiner Auffassung - zulässig ist, das Grippejahr 2017/2018 mit der heutigen Situation zu vergleichen. Es lag damals sehr wohl ein Grippeimpfstoff vor, aber der, der mehrheitlich geimpft worden ist, war falsch. Nur eine Minderheit, zu der auch die Abgeordneten des saarländischen Landtags gehörten, wurde damals richtig geimpft. Man sieht, dass man dort um sehr viel Präzision bemüht sein muss, um die Dinge klarzustellen. Das soll einfach nur ein Debattenargument sein, mehr nicht. Ich möchte damit niemanden widerlegen.
Wir haben einen Dissens, Herr Ministerpräsident, was nicht heißen muss, dass der eine recht und der andere unrecht hat. Wir haben einen Dissens. Ich glaube nicht - und da zitiere ich eine ganze Reihe von Wissenschaftlern -, dass es gelingen wird, in dieser Phase noch einmal zur Kontaktnachverfolgung durch das zur Verfügung stehende Personal zurückzukommen. Das ist der Dissens. Wir werden es in den nächsten Wochen und Monaten sehen. Wenn man unter diesen Voraussetzungen noch die unterschiedliche Anzahl der Tests sieht, ist der Anspruch fragwürdig. Mehr ist es nicht, was ich seit einigen Wochen versuche vorzutragen. Das ist meine Überzeugung. In dieser schwierigen Situation orientiere ich mich an den drei Zahlen, die ich immer wieder nenne: Intensivstationen, Beatmungsplätze und Todeszahlen. Deshalb ist es wichtig zu sagen, dass wir uns an diesen Zahlen orientieren. Ich habe immer wieder gesagt, dass es Virologen gibt, die das für richtig halten. Das heißt aber auch nicht, dass das die einzig richtige Meinung ist. Die Argumente dieser Virologen haben mich aber überzeugt. Wenn
Sie die Inzidenz von 50 und die Kontaktnachverfolgung ins Zentrum stellen, ist das ein entscheidender Punkt. Deshalb sage ich, dass es eine ganze Reihe von Leuten gibt, die bestreiten, dass das richtig ist. Mehr sage ich nicht. Ich habe nur ein paar Argumente dazu genannt.
Sie und auch der Kollege Jung haben gesagt, dass das Personal limitiert ist. Das ist richtig. Welche Konsequenz ziehen wir daraus? - Das ist ein entscheidender Punkt. Deshalb spreche ich das noch mal an, sonst hätte ich mich gar nicht mehr zu Wort gemeldet. Ich hatte bei meinem ersten Beitrag darauf hingewiesen, dass 2018 die Gewerkschaft gesagt hat, dass 3.000 Pfleger fehlen. Das muss nicht unbedingt genau diese Zahl sein, vielleicht sind es nur 1.000 oder 2.000. Wir können nicht wissen, ob das Virus mutiert und wir nächstes Jahr wieder in derselben Situation sind. Die Konsequenz ist doch, dass wir diesen Engpass überwinden müssen. Das ist für mich entscheidend. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir diesen Engpass überwinden müssen. Es haben einige Kolleginnen und Kollegen darauf hingewiesen, dass wir ein hervorragendes Gesundheitssystem haben. Da hat sich die Debatte entscheidend verändert. Vor zwei Jahren war das noch ganz anders. Nachdem eingespart und Personal heruntergefahren worden ist, haben wir das Gesundheitssystem beschädigt. Diejenigen, die sagen, wir hätten ein hervorragendes Gesundheitssystem, haben in dem Sinne recht, dass das Angebot in anderen Ländern deutlich schlechter ist. Ich möchte mal eine Zahl nennen. Deutschland hat - ich relativiere mal die Einwohnerzahl - eben dreimal so viele Intensivbetten wie Frankreich und sechsmal so viele wie Holland. Dass unser System eine große Rolle bei der Bewältigung spielt, ist überhaupt keine Frage. Ich bin noch mal hierhergekommen, um zu sagen, dass wir die Frage beantworten müssen, die Sie auch aufgeworfen haben. Der Engpass ist das Personal. Jetzt könnte man eine lange Debatte darüber führen, wie viel wir dafür aufwenden. Wenn uns das ein großes Anliegen ist und wir sehen, was wir wirtschaftlich aufgewandt haben, wäre das doch ein Grund um zu sagen, wir müssen diesen Engpass überwinden.
Zu dem Beispiel der Plastikfabrik. Sie haben natürlich recht, wenn Sie sagen, dass es bei Restaurants eine andere Situation vor Ort ist. Ich zielte aber gar nicht auf diesen Punkt ab. Ich zielte auf den Punkt der Gleichbehandlung verschiedener Wirtschaftsbetriebe ab. Da muss ich doch eine Antwort finden. Ich kann der saarländischen Gastronomie nicht sagen: Wir lassen euch mal ein halbes Jahr zu. Ihr habt halt Pech, dass ihr in der Art und Weise produziert. Wir lassen euch einfach mal ein halbes Jahr zu. - Ich hatte den Eindruck, dass das auch bei Ihnen angekommen ist und eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen genickt haben. Wir müssen eine Lösung finden. Das kann eine Ergänzung zusätzlich zu
all den Dingen sein, die hier vorgetragen worden sind. Man versucht, präziser zu werden - wie Sie das auch gesagt haben. Man versucht, verschiedene Punkte präziser anzupeilen, um dann mehr Spielraum für andere Dinge zu haben.
Deshalb glaube ich, dass die heutige Debatte durchaus eine spannende war. Es ging nicht unbedingt darum, wer recht oder unrecht hat. Wir müssen uns bemühen - das sage ich auch im Hinblick auf Ihre Diskussion -, immer präziser zu werden, um mehr Erkenntnisse zu haben, wie wir bestimmte Dinge beurteilen können. Bei der Frage, ob die Gastronomie der Haupttäter ist, habe ich einmal gefragt, was mit unseren Zetteln passiert, die wir dort immer abgeben müssen. Werden sie einfach weggeschmissen? - Sie haben dazu gesagt: Wegen des Datenschutzes werden sie nach vier Wochen vernichtet. - Darauf zielte ich gar nicht ab. Ich dachte, dass irgendetwas ausgewertet wird, sodass man von den Zetteln feststellen konnte, dass soundso viel Infizierte dort waren. Das wäre doch wenigstens eine Aussage. Wir haben dort einfach so gut wie nichts. Das ist allerdings eine Kritik, die ich nicht nur hier im Saarland anwende. Das ist das repräsentative Untersuchen von Dingen in den Betrieben, der Gastronomie und überall. So kann man doch sagen, dass man gesichertes Datenmaterial hat. Mein Eindruck ist, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten nur richtig entscheiden können, wenn wir gesichertes Datenmaterial haben.
Vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender. - Das Wort hat noch einmal Herr Ministerpräsident Tobias Hans.
Herr Kollege Lafontaine, ich möchte nicht noch einmal sprechen, um das letzte Wort zu haben, sondern, weil mich der Vergleich mit der Grippewelle umtreibt. Ich halte diesen Vergleich nach wie vor für gefährlich und für nicht statthaft. Die Grippewelle im Jahr 2018 war nachgewiesenermaßen die schärfste, schlimmste Grippewelle in 30 Jahren. Wir haben in dieser Grippewelle sicherlich sehr viele Todesfälle zu beklagen gehabt, aber die genannten Todesfälle sind statistisch berechnet und nicht durch Labore bestätigt. Selbstverständlich waren die statistischen Griffe der Zahlen nicht falsch, aber Sie können nicht statistisch gegriffene Todesfälle aus der Grippewelle des Jahres 2018 mit Todesfällen vergleichen, die durch Labore bestätigte COVID-Patienten waren. Das ist aus meiner Sicht nicht statthaft. Labore haben in der Grippesaison 2017/2018 674 Todesfälle bestätigt. Diese Grippewelle dauerte laut RKI insgesamt 15 Wochen, also sagen wir drei Monate. Wir haben aber nicht 3.000 Corona-Todesfälle in drei
Monaten, sondern wir haben 6.000 Corona-Todesfälle in drei Monaten. Das heißt, die Zahlen sind aus meiner Sicht in der Form, wie sie hier genannt worden sind, nicht vergleichbar. Ich bleibe auch dabei, ich halte es für verharmlosend.