Protocol of the Session on November 3, 2020

(Ministerpräsident Hans)

nischer, ökonomischer, gesellschaftlicher Hinsicht, aber auch eine Bewährungsprobe für unsere parlamentarische Demokratie. Die Maßnahmen der Bundesregierung und die Maßnahmen der Landesregierung haben in der Bevölkerung einen breiten Rückhalt. Wir wollen, dass das so bleibt, Parlament und Regierung haben dafür eine gemeinsame Verantwortung.

Seit dem März haben wir quasi in jeder Plenardebatte über die Corona-Krise debattiert. Vor allem auch über den Gesundheitsausschuss ist das Parlament eng beteiligt. Die Regierung informiert uns hier regelmäßig über die jeweils aktuelle Lage. Der Gesundheitsausschuss hat die Maßnahmen der Landesregierung begleitet, aber auch kontrolliert. Wir als Parlament fühlen uns von der Landesregierung gut informiert.

Nichtsdestotrotz sind alle Landtagsfraktionen davon überzeugt, dass wir noch einen Schritt weitergehen müssen. Wir müssen aus verfassungsrechtlichen Gründen einen Schritt weitergehen. Warum? - Weil Parlamenten bei der Einschränkung von Grundrechten eine besondere Verantwortung zukommt. Je intensiver Grundrechtseingriffe sind, je länger sie andauern, desto mehr muss das Parlament selbst handeln.

(Beifall von der LINKEN und bei den Regierungs- fraktionen.)

Als Rechtsgrundlage für die Verordnungen der Landesregierungen wird bislang das Bundes-Infektionsschutzgesetz, genauer gesagt § 28 IfSG, herangezogen. Darin ist in allgemeiner Form geregelt, dass die Landesregierungen die notwendigen Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie treffen können. Die notwendigen Schutzmaßnahmen: Zu Beginn der Pandemie war diese allgemeine Formulierung, war diese allgemeine Regelung ausreichend.

Die teils erheblichen Grundrechtseinschränkungen dauern nunmehr aber acht Monate an. Zwischenzeitlich mehren sich Gerichtsentscheidungen, die eine konkretere gesetzliche Regelung erwarten. Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hat diese Frage ganz explizit aufgeworfen. In seinem Beschluss vom 28. August führt er aus, der Vorbehalt des Gesetzes verlange „(…) im Hinblick auf Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat (...)“. Ich zitiere weiter: „Je länger grundrechtliche Belastungen von Bürgerinnen und Bürgern indessen andauern, desto wichtiger wird es indessen, die Regelung ihrer Grundlagen und Grenzen dem ohnehin originär verantwortlichen parlamentarischen Gesetzgeber zu überlassen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Rechtsprechung unseres Verfassungsgerichtshofes ist deut

lich. Deshalb ist es aus Sicht aller vier Fraktionen angezeigt, dass der Landtag die gesetzliche Grundlage für die erheblichen Grundrechtseingriffe verstärkt. Wir wollen die Beschränkungen, die wir den Bürgerinnen und Bürgern abverlangen, verfassungsrechtlich absichern. Der Grundsatz der konkurrierenden Gesetzgebung im Infektionsschutzgesetz steht einer landesgesetzlichen Regelung nicht entgegen. Der Bundestag hat es nämlich den Ländern im Infektionsschutzgesetz, dem Bundes-Infektionsschutzgesetz, ausdrücklich erlaubt, selbst Rechtsetzung zu betreiben, entweder per Verordnung der Landesregierung oder per Parlamentsbeschluss. Das betrifft Art. 80 Abs. 4 GG.

Das neue Landesgesetz bedeutet nicht, dass wir der Landesregierung misstrauen würden. Im Gegenteil: Wir werden auch künftig nicht jeden einzelnen Eingriff, jedes einzelne Detail selbst regeln, weil Entscheidungen oft schnell und flexibel getroffen werden müssen. Dafür gibt es Regierungen. Entscheidend ist, dass wir als Parlament, wir als Gesetzgeber, präziser, als es mit § 28 IfSG der Fall ist, regeln wollen, welche Maßnahmen die Exekutive verordnen darf. Wir setzen Leitplanken. Es geht darum, das Bundes-Infektionsschutzgesetz zu konkretisieren. Das neue Landesgesetz macht die Maßnahmen der Landesregierung so rechtssicherer. Außerdem erhöhen wir die demokratische Legitimation: Ein parlamentarischer Prozess nimmt Menschen mit, auch diejenigen, die dagegen sind. Ein parlamentarischer Prozess bietet zumindest die Chance, auch diejenigen mitzunehmen, die dagegen sind. Er schafft Transparenz, er stärkt die Demokratie.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich fasse zusammen: Landtag und Landesregierung arbeiten eng zusammen, jeder in seinem Verantwortungsbereich. Der Landtag setzt Leitplanken, die Landesregierung erhält Handlungsspielraum und Flexibilität. Wir konkretisieren und stabilisieren den gesetzlichen Rahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Mit dem neuen Landesgesetz stärken wir die demokratische Legitimation der Maßnahmen. Ich bitte Sie um Annahme des Gesetzes in Erster Lesung und Überweisung an den zuständigen Rechtsausschuss. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der Regierungsfraktionen und bei der LINKEN.)

Die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt erfolgt ebenfalls später in der verbundenen Aussprache. - Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung ebenfalls im Rahmen der nun folgenden Aussprache zu begründen.

Ich rufe die Punkte 2 und 3 auf:

(Präsident Toscani)

Beschlussfassung über den von der DIE LINKE-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Schließung von Gastronomie und Kultur-Einrichtungen rückgängig machen Amateur-Sportvereine mit Profi-Sportvereinen gleichstellen (Drucksache 16/1477)

Beschlussfassung über den von der AfDLandtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Die Schließung von Restaurants, Gaststätten, Theatern und das Verbot von kulturellen Veranstaltungen, die alle ein Hygienekonzept vorweisen können, wird sofort aufgehoben (Drucksache 16/1476)

Beide Anträge werden im Rahmen der folgenden Aussprache von den Fraktionen begründet. Die Aussprache erfolgt also zur Regierungserklärung und zu den Punkten 1, 2 und 3 in verbundener Form.

Ich eröffne die Aussprache. - Zur Begründung des Antrags der DIE LINKE-Landtagsfraktion und als erstem Redner in der Aussprache erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden der DIE LINKE-Landtagsfraktion, Herrn Oskar Lafontaine, das Wort.

(Aufgrund der durch die Corona-Pandemie not- wendigen Hygienemaßnahmen wird das Redner- pult bei jedem Rednerwechsel desinfiziert und die Mikrofon-Schaumstoffhüllen werden gewech- selt.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beginne mit der Frage der Parlamentsbeteiligung. Wir haben die Parlamentsbeteiligung immer wieder gefordert, das Gesetz kommt unseres Erachtens reichlich spät. Aber eines hätten wir jedenfalls erwartet: dass heute die Vorlage der Landesregierung, dass die Verordnung vom Parlament gebilligt worden wäre, wie das in anderen Ländern der Fall ist. Das wäre eine klare Geste gewesen, dass wir diese Bestimmungen auch ernst nehmen. Warum haben wir nicht beschlossen, dass wir das, was die Landesregierung den Bürgerinnen und Bürgern nun erneut auferlegt, vonseiten des Parlaments unterstützen?

(Beifall von der LINKEN.)

Man kann nämlich schwere Eingriffe in die Grundrechte der Menschen nicht mal einfach so nebenbei vornehmen. Man kann sie auch nicht monatelang ohne parlamentarische Legitimation verordnen. Nach der Theorie ist doch das Volk der Souverän, und die Vertretung des Souveräns ist das Parlament, nicht die Regierung. Deshalb muss eine Parlamentsbeteiligung erfolgen.

(Beifall von der LINKEN.)

Nun komme ich zu den Ausführungen des Ministerpräsidenten. Es ist heute das zweite Mal der Fall, dass wir grundsätzlich und umfassend über mit der Pandemie einhergehende Fragestellungen diskutieren. Deshalb möchte ich den einen oder anderen Aspekt noch einmal in Erinnerung rufen.

Zunächst gab es eine Phase 1. Zu Beginn der Pandemie haben wir bereits darauf hingewiesen: Die Phase 1 noch vor Ausbruch der Pandemie wurde nicht genutzt, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Das traf nicht nur die saarländische Landesregierung, das traf alle Länderregierungen, und das traf auch Regierungen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Daraus, meine sehr geehrten Damen und Herren, hätte man zumindest lernen müssen, um dann während der Pandemie die notwendigen Vorbereitungen rechtzeitig zu treffen.

(Beifall von der LINKEN.)

Ich will nachher noch darauf hinweisen, dass die notwendigen Vorbereitungen nicht rechtzeitig getroffen worden sind. Und wenn Sie ehrlich sind, werden Sie das auch zugeben. Sie müssen das ja nicht öffentlich tun, zumindest untereinander sollten Sie das aber einräumen. Sie tun es aber auch öffentlich, ich will das gleich zitieren. Es ist ja ganz gut, dass Sie das auch öffentlich tun; beinahe hätte ich nun versäumt, Ihnen dafür ein Kompliment zu machen.

Zweitens: Als dann die Pandemie weltweit ausbrach, wurde in Deutschland zu spät reagiert. Bestimmte Dinge wurden zu spät in Angriff genommen, auch das steht heute außer Zweifel. Auch hier hätte man zumindest die erforderlichen Schlussfolgerungen ziehen müssen, damit man künftig nicht mehr zu spät reagiert. Aber auch diese Schlussfolgerung ist nicht gezogen worden, das kritisieren Sie ja selbst, natürlich außerhalb des Parlamentes. Es wäre notwendig gewesen, rechtzeitig Vorsorge zu treffen und Investitionsentscheidungen und Beschaffungsmaßnahmen einzuleiten, rechtzeitig bestimmte Dinge in Angriff zu nehmen und eben zu reagieren.

Es kam die dritte Phase, der Beginn der Maßnahmen, der erste Lockdown. Diese Maßnahmen der Regierung haben auch wir als Opposition ausdrücklich unterstützt. Wir haben auch keinen Sinn darin gesehen, Einzelheiten besonders zu kritisieren, weil wir, wie ich das damals gesagt habe, in dieser schwierigen Situation unsere Aufgabe verantwortungsvoll wahrnehmen wollten. Wir wollten, wie das vielleicht manchmal geschehen mag, eben die Regierung nun nicht einfach kritisieren, weil wir die Opposition sind. Deshalb haben wir Sie ohne jede Einschränkung unterstützt. Einzig kritisch angemerkt haben wir etwas zur Grenzschließung; die erfolgte nicht in der letzten Verantwortung der Landesregierung, aber es gab eine Diskussion innerhalb der Landesregierung, weshalb die Landesregierung hier keine Haltung gezeigt hat.

(Präsident Toscani)

Jetzt sind wir aber in einer ganz anderen Situation. Ich erinnere an eine Bemerkung des Bundesgesundheitsministers, der gesagt hat: Mit dem heutigen Wissen würden wir anders vorgehen als zu Beginn des Geschehens. - Es ist durchaus bemerkenswert, dass ein Mann der Exekutive einräumt, dass einige Fehler gemacht wurden, denn nichts anderes hieß das ja.

Kommen wir nun also zur Frage, ob die Dinge jetzt rechtzeitig in Angriff genommen wurden. Ich habe das vorhin schon angesprochen und möchte nun einmal den Chef des Marburger Bundes zitieren, der gesagt hat; Sie haben es sicherlich alle gelesen: Trotz der vielen Warnungen vor einem explosiven Anstieg im Herbst wurde „(…) auf keiner Ebene und in keiner Institution die Möglichkeit genutzt, die Strukturen zu verbessern und einen belastbaren Plan für die zweite Welle zu machen.“ Nun mögen Sie sagen, das, was der Chef des Marburger Bundes im Saarland, ein praktizierender Arzt, zu diesem Thema äußere, treffe nicht zu. Wenn man sich aber vor Augen hält, inwiefern Sie selbst sich kritisieren ich komme gleich darauf zu sprechen -, ist das einfach richtig: Es ist richtig, dass nicht ausreichend gehandelt und Vorsorge getroffen wurde. Das kann niemand, der die Dinge ernsthaft überprüft, in Abrede stellen.

An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal darauf hinweisen, dass Selbstkritik in dieser schwierigen Situation besonders geboten wäre. Denn richtig ist, dass es keine ganz verlässlichen Prognosen und keine wirklich verlässlichen Beurteilungen getroffener Maßnahmen gibt. Wenn man in dieser schwierigen Situation ist, mit der Ungewissheit umgehen zu müssen - das gilt für jeden, auch für mich, der ich hier spreche -, erscheint doch Selbstkritik besonders geboten. Ich halte es deshalb nicht für sinnvoll, dass, wie wir es hier immer wieder erleben, ausschließlich und in erster Linie eine unkritische Würdigung des eigenen Handelns im Vordergrund der Rede steht. Wir werden das nachher sicherlich wieder erleben.

(Beifall von der LINKEN.)

Wir haben gesagt, es ist nicht rechtzeitig gehandelt worden, und wir erleben auch, dass Sie einander kritisieren. Dazu muss ich dann als ehemaliger Ministerpräsident doch etwas sagen: Sie sind eine Landesregierung und die Landesregierungen sollen nach bestimmten Regeln operieren. Es ist aber äußerst ungewöhnlich, wenn ständig die einzelnen Minister einander kritisieren beziehungsweise innerhalb der Koalition ständig öffentlich Kritik geübt wird. Ich kenne das aus früheren Jahren nicht.

Da ist einmal die Wirtschaftsministerin, die für die Schulbusse und so weiter verantwortlich ist. Dann kommt aus der Koalition Kritik, der Schuldige sitzt vor mir. Das letzte Mal, als ich das angesprochen

habe, war er nicht da. Dann kritisiert die Wirtschaftsministerin die Gesundheitsministerin und sagt, es sei nicht ausreichend gearbeitet worden. Heute lese ich, dass die SPD der Gesundheitsministerin Druck macht. Dann kritisiert die Gesundheitsministerin die Bildungsministerin wegen des Schnupfenerlasses. Ich muss sagen, man hat den Eindruck, die Landesregierung sei ein Hühnerhof. Das kann doch so wirklich nicht gehen!

(Beifall von der LINKEN. - Zuruf des Abgeordne- ten Commerçon (SPD).)

Ich rede hier wirklich nicht wie die Jungfrau vom Kinde. Schade, dass Sie damals nicht dabei waren, sonst hätten Sie das alles miterlebt. Auf jeden Fall ist es doch ganz klar, dass eine Landesregierung sich untereinander abstimmt, koordiniert und auch nach außen einigermaßen solidarisch miteinander umgeht!

(Beifall von der LINKEN.)

Ich weiß wirklich nicht, was das Ganze soll, das muss ich Ihnen mal sagen. Wenn ich heute lese, die SPD macht der Gesundheitsministerin Druck, dann frage ich mich: Haben die noch alle Tassen im Schrank? Sie sind doch in einer Regierung, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn Sie Druck machen, dann machen Sie Druck innerhalb einer Regierung und führen Sie hier nicht das Theater auf, dass Sie sowohl Regierung als auch Opposition zugleich sind!

(Beifall von der LINKEN.)

Ich verstehe ja, dass Sie nach außen um Zustimmung, um die Wählergunst rivalisieren, das ist ganz normal. Wer wäre ich, wenn ich das in Abrede stellen würde? Aber wenn man es macht, muss man es richtig und gescheit machen. Nicht jedes Theater im Hühnerhof bringt Wählerstimmen! Ich sage Ihnen das einmal als jemand, der zumindest unter Beweis gestellt hat, dass er diese Dinge einigermaßen einschätzen kann. Ich wollte dies also in aller Klarheit ansprechen.

(Beifall von der LINKEN.)

Die Schulbusse und das Schnupfenpapier habe ich genannt, dass das Wirtschaftsministerium das Gesundheitsministerium kritisiert, habe ich ebenfalls genannt. Jetzt haben Sie, Herr Ministerpräsident, gesagt - Stichwort Selbstkritik -, dass Sie in der Pflege erhebliche Anstrengungen unternommen hätten. Dies ist schlicht und einfach falsch. Mit solchen allgemeinen Ausführungen kann man im Grunde genommen gar nichts klären. Wir hatten schon 2018 von der Krankenhausgesellschaft den Hinweis, dass 3.000 Pfleger fehlen, 3.000! Dann hätte ich erwartet, dass jemand sagt, wir haben in der Zwischenzeit soundso viele neue Pflegekräfte beschäftigt, es fehlen aber immer noch meinetwegen 1.000 oder 1.500

(Abg. Lafontaine (DIE LINKE) )

oder 2.000. Aber nur mit Allgemeinplätzen hier zu operieren, das ist einfach völlig unzureichend!

(Beifall von der LINKEN.)

Da muss ich die Kritik des Herrn Jung unterstützen, der gesagt hat, Sie haben zu wenig gemacht. Dann sehen Sie das doch ein und versuchen Sie, klar zu sagen: Schritt für Schritt werden wir demnächst diese und jene Verbesserung durchführen. Das ist nicht nur ein Phänomen im Saarland, das ist ein Phänomen der Gesundheitspolitik der letzten 20 Jahre, wo man - Privatisierung, Rendite, Sparmaßnahmen nach und nach Betten und Personal abgebaut hat. Und jetzt in der Pandemie muss das Volk dafür die Rechnung begleichen!

(Beifall von der LINKEN.)