Protocol of the Session on November 20, 2019

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Wenn wir im Antrag der Koalitionsfraktionen von Erinnerungskultur reden, dann muss uns bewusst sein, Erinnerung oder Erinnerungskultur kann man nicht verordnen, auch nicht durch wohlmeinende Fraktionsanträge. Erinnerungskultur lebt von Geschichten. Sie lebt von Überlieferung und Erinnerung an die

(Abg. Renner (SPD) )

Mauertoten, an die 89er-Revolution. Sie kann nicht für sich alleine stehen. Sie wäre unvollständig.

Zur Erinnerung an den 09. November 1989 gehört unabdingbar auch die Erinnerung an den 09. November 1938, an die Pogrome gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, an die Shoa, die industrielle Vernichtung der Juden, an Krieg, an unfassbare Zerstörung, die die Nazis über Europa brachten. Deren Folge waren letztlich die Teilung Deutschlands durch den eisernen Vorhang und die Teilung Berlins durch jene Mauer, die schließlich 51 Jahre später von den Menschen überwunden wurde.

In unserem Antrag bringen wir das Bemühen um eine gesamtdeutsche Altschuldenregelung - Herr Flackus, zugegebenermaßen etwas holprig - für die Kommunen, um eine gezielte Struktur- und Regionalförderung und zur Bewältigung von ökonomischen Transformationsprozessen in einen direkten Zusammenhang mit den Ereignissen des 09. November 1989.

Westdeutsche Kommunen und Bundesländer haben nun fast über drei Jahrzehnte ihren Beitrag geleistet, um den Aufbau Ost bewerkstelligen zu können, und dies, obwohl auch sie teilweise von gravierenden Strukturbrüchen betroffen waren. Ich erinnere mich daran, dass wir 2006 - vor mittlerweile 13 Jahren einmal ausrechnen ließen, was beispielsweise die direkten Zahlungen der Landeshauptstadt Saarbrücken in den Fonds Deutsche Einheit ausgemacht haben. Wir kamen damals auf die Zahl von 77 Millionen seit Beginn der Neunzigerjahre; ich glaube, es war 1993 oder 1994. Mit dem indirekten und weiteren Zeitverlauf können wir heute mit einer Summe von 250 bis 300 Millionen rechnen. Das ist eine Summe, die für eine Haushaltsnotlagekommune schon stolz ist. Wir haben gerade vor einigen Wochen über den Saarland-Pakt gesprochen.

Aber wir nehmen es sportlich. Das ist Ausdruck gelebter Solidarität zwischen Ost und West und im gesamtdeutschen Staat. Wir erleben aber auch, dass unter Bedingungen finanzieller Knappheit und vielfach vorhandener Haushaltsnotlagen die Demokratie vor Ort in Mitleidenschaft gezogen wird. Warum sollen sich Bürgerinnen und Bürger an lokalen Wahlen für die Besetzung von Bürgermeistern und kommunalen Räten beteiligen, wenn Handlungsspielräume kaum noch erkennbar sind?

Die fortdauernde Notlage vieler Kommunen und das damit verbundene Spardiktat führt nicht selten zu einem Rückzug staatlicher Institutionen aus der Fläche und ist geeignet, Demokratie auszuhöhlen, denn wo die Möglichkeiten zur Gestaltung des Gemeinwesens vor Ort schwinden, leidet auch der für die De

mokratie so wichtige Austausch um den besten Weg und leidet die Demokratie als Staats- und Lebensform. Deshalb brauchen wir in der Frage der Altschuldenregelung dringend Lösungen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Unsere heutige Gesellschaftsform ist die Demokratie. Zur Lebensform wird sie erst, indem wir selbst nach demokratischen Prinzipien leben, indem wir uns und unserem Gegenüber Handlungsspielräume eröffnen und gemeinsam kommunizieren. Demokratie lebt von Austausch und Gestaltung. Dort, wo beides zurückgedrängt wird, fassen die Gegner der Demokratie Fuß. Dem müssen wir uns entgegenstellen und für ein Umdenken und neue Antworten streiten. - In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung für unseren Antrag.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Das Wort hat nun der Fraktionsvorsitzende der AfDLandtagsfraktion Josef Dörr.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 09.11.1989 steht für eine Reihe von Ereignissen. Man hat sich dieses Datum ausgesucht, um es als Gedenktag für das Ganze und als Gedenktag für den Mauerfall zu nehmen. Das ist ein Tag, der nicht nur Deutschland interessiert. Wie Sie wissen, höre ich auch Sender außerhalb von Deutschland. Zum Beispiel ist im französischen Rundfunk zwei Tage lang über den Mauerfall berichtet worden. Es sind Zeitzeugen gehört worden. Es war ein europäisches Ereignis.

Zunächst einmal war es für mich persönlich ein sehr wichtiges deutsches Ereignis, weil die Wiedervereinigung friedlich vollendet wurde. Ich bin noch in einem vereinten Deutschland in die Schule gegangen, in einer Diktatur. In einer anderen Diktatur habe ich die Schule weiter besucht. Das war eine verhältnismäßig milde Diktatur, nämlich die Hoffmann-Diktatur. Im Gegensatz zur DDR hat er die Leute nicht behalten, sondern hat sie herausgeschickt, wenn sie sich nicht an seine Vorschriften gehalten haben. Aber es war eine Diktatur.

Wir haben damals dafür gekämpft. Am 23. Oktober 1955 war die Abstimmung, in deren Folge das Saarland wieder an Deutschland angegliedert wurde. Wir haben das die kleine Wiedervereinigung im Westen genannt. Die kleine Wiedervereinigung im Westen hat zur Folge gehabt, dass die vorher sogenannten

(Abg. Renner (SPD) )

Erbfeinde Freunde geworden sind. Es gab einen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Sie waren wirklich Freunde auch im Rahmen des Staatlichen und haben in Europa sehr viel gemeinsam auf den Weg gebracht und gestaltet.

Wir haben uns damals gefragt: Warum bringt es die Politik nicht fertig, dass wir diese kleine Wiedervereinigung im Westen als große Wiedervereinigung im Osten fortführen und mit einer Aussöhnung der Partner - Amerika-Russland oder Deutschland-Russland - oder wie auch immer vollenden? Warum kommt das nicht? Es war ein ständiger Prozess, in dessen Verlauf auch ich schon nicht mehr daran geglaubt habe, dass die Wiedervereinigung zu meinen Lebzeiten kommt. Ich wäre auch zufrieden gewesen, wenn in einem vereinigten Europa die beiden deutschen Staaten friedlich mit Österreich, Frankreich und den anderen zusammengelebt hätten. Dann wäre ich schon zufrieden gewesen.

Das Bemerkenswerte ist aber, das Volk hat es fertiggebracht, bestimmte geschichtliche Zusammenhänge zu nutzen. Das Volk hat es mit seinem Mut fertiggebracht, dieses Ereignis herbeizuführen. Es waren sehr viele, die daran mitgewirkt haben, dass es zu dieser Wiedervereinigung kam. Vorher gab es die Mauer oder Schandmauer, wie man sie genannt hat. In der Bild-Zeitung stand jeden Tag: Heute soundsoviele Tage Berliner Mauer. Es war wichtig für uns, dass das beendet war, Europa ist auf dem Weg einer Vereinigung.

Jetzt zu einem weiteren Gesichtspunkt. Ich habe hier noch einige Sachen vorbereitet gehabt, das bringe ich jetzt nicht, aber eines möchte ich noch sagen. Es wurde immer - das war auch Propaganda mitgeteilt, wie viele Leute aus der DDR geflüchtet sind. Erst war es die Sowjetische Besatzungszone, dann war es Mitteldeutschland, dann war es nachher die „DDR“ und anschließend die DDR. Es wurde immer gesagt, soundso viel Leute kommen vom Osten in den Westen, im Monat, im Jahr.

Inzwischen hört man davon nichts mehr. Aber seit 30 Jahren dauert diese Entwicklung weiter an. Man liest es nirgends, aber es gibt immer noch ein Abstimmen mit den Beinen und Füßen aus den neuen Ländern. Diese gleiche Abstimmung gibt es hier bei uns im Saarland. Ich habe es heute Morgen schon bei anderer Gelegenheit gesagt, wir hatten 1,1 Millionen Einwohner. Jetzt haben wir unter 1 Million. Die Leute bei uns haben auch schon mit den Füßen abgestimmt.

Ich fasse es kurz zusammen: Der Bund, Deutschland hat hier eine riesige Verantwortung gegenüber dem Osten, gegenüber uns und gegenüber den an

deren benachteiligten Gebieten in Deutschland. Diese Aufgabe kann man nicht mit Kleinigkeiten abtun. Ich zitiere zum Schluss Horst Seehofer, bei dem man ja nicht nach den Worten gehen kann, der sich aber immerhin gegenüber der Süddeutschen Zeitung wie folgt geäußert hat. Es gibt sicher Versäumnisse, gestand Seehofer. Der Staat habe in den vergangenen 30 Jahren zu wenig investiert. „Wir haben versucht, Schwächen auszugleichen, etwa mit dem Soli. Aber man muss selbstkritisch sagen: Mit dem Stopfen von Lücken gelingt kein Strukturwandel. Und erst recht kein Aufbruch.“ Dörfer, Kleinstädte und strukturschwache Regionen sollen in Zukunft Vorrang haben bei der Vergabe von Fördergeldern des Bundes, und zwar unabhängig von Ost oder West. Wo allerdings das als notwendig erkannte, zusätzliche Geld herkommen soll, bleibt weitgehend unklar. Und obendrüber steht: Reines Blendwerk, eine Luftnummer.

Wir müssen darauf drängen, dass unsere Politiker es wurde schon von Herrn Flackus gesagt - in Berlin, und das sind die Politiker der SPD und der CDU, nicht empfehlen oder bitten oder werben, sondern dort Tacheles reden. Wenn im Saarland nichts gemacht wird - man braucht nur auf die Landkarte zu schauen, die Kohle hat uns seinerzeit gerettet -, sind wir ein Randgebiet, dann sind wir das, was ein gewisser Herr Morgenthau einmal für ganz Deutschland vorgeschlagen hat, ein Agrargebiet mit schlechten Böden. - Danke schön.

(Beifall von der AfD.)

Das Wort hat nun der Abgeordnete Rudolf Müller. Sie haben noch 1 Minute und 10 Sekunden.

Dann muss ich etwas abkürzen, ich versuche trotzdem, es schnell zu machen, meine Damen und Herren. In Ihrem Antrag geht es letztlich ums Geld, was aus saarländischer Sicht sehr verständlich ist. Ironisch könnte man sagen, es geht mal wieder um die westlichen Werte. Der Aufhänger, den Sie wählen Mauerfall und Sturz der zweiten, sozialistischen Diktatur in Deutschland - verdient aber einen ganz eigenen Ehrenplatz in unserer Geschichte. Es sind immer nur Einzelne, die es in einer Diktatur wagen, ihre persönliche Existenz, Gesundheit, Leben dagegen zu setzen. Im Revolutionsjahr 1989 und in der Vorgeschichte dazu waren es genügend Einzelne und wir hatten genügend Glück, auch gegen unsere sogenannten europäischen Freunde, womit aller

(Abg. Dörr (AfD) )

dings nur deren damalige Regierungen und deren Entourage gemeint sind.

Heute haben wir es wieder mit einer Regierung zu tun, die gegen das eigene Volk agiert, mit absichtlich unkontrollierter Masseneinwanderung, angeblich, um Flüchtlinge zu retten, die aber schon längst in Sicherheit sind, wenn sie unsere Grenzen erreichen. So ist das, Frau Bachmann! Wir haben es mit einer Regierung zu tun ‑ ‑

Tut mir leid, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Gut, dann kürze ich das hier etwas ab.

(Vereinzelt Beifall.)

Sie kürzen nicht ab, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Ich zeige Ihnen trotzdem noch

(Der Redner hält eine Zeitung hoch)

die heutige Frankfurter Allgemeine: Vertrauen der Deutschen in das politische System deutlich gesunken. - Sie können sich darüber einmal Gedanken machen, meine lieben Damen und Herren von CDU und SPD. Was machen Sie mit diesem Land?!

(Beifall von der AfD. - Zurufe von den Regie- rungsfraktionen.)

Das Wort hat Marc Speicher von der CDU-Landtagsfraktion.

Ich bin fassungslos, Herr Müller, was Sie hier wieder abgeliefert haben. Sie provozieren -

(Beifall von den Regierungsfraktionen und der LINKEN.)

Sie provozieren und nehmen unseren Antrag zum Anlass - wir feiern 30 Jahre friedliche Revolution -, um sich praktisch als Widerstandskämpfer gegen die Regierung Merkel gleichzusetzen. Die Regierung Merkel ist frei gewählt in freien Wahlen, 70 Prozent Wahlbeteiligung. Wir leben in einem freien Land, es ist nämlich mit freien Wahlen entstanden, und das

gleichzusetzen mit denen, die unter Einsatz ihres Lebens 1989 und in den Jahren davor auf die Straße gegangen sind, ist eine Blamage, ist eine Schande für dieses Parlament!

(Beifall von den Regierungsfraktionen. - Aufsprin- gen und Zuruf des Abgeordneten Müller (AfD).)

Herr Müller, wir haben hier eine Parlamentskultur. Ich habe eben durchgehen lassen, dass Sie hier eine Zeitung hochgehalten haben. Da hätte ich Sie schon rügen können. Ich rüge Sie aber jetzt für Ihren Auftritt.

(Beifall von den Regierungsfraktionen und der LINKEN.)

Ich möchte gleichwohl dafür werben, dass wir hier als Parlament diesem Antrag geschlossen zustimmen. Herr Flackus, ich habe Sie nicht ganz verstanden. Sie sagten zu Beginn Ihrer Ausführungen, es fällt Ihnen schwer, zuzustimmen. In den zehn oder zwölf Minuten Ihrer Rede haben Sie eigentlich alles bestätigt, was hier drinsteht,

(Abg. Flackus (DIE LINKE) : Ich habe nichts bestätigt)

insofern werbe ich dafür, hier über den eigenen Schatten zu springen und dem Antrag zuzustimmen. - Vielen Dank!